Im Zweiten Weltkrieg wurde ein Fünftel aller Häuser in Wien zerstört oder beschädigt. Während unmittelbar nach Kriegsende viele Häuser wiederaufgebaut wurden, war das später kaum noch der Fall. Eine Ausnahme bildet die Direktion der Staatsbahnen am Schwarzenbergplatz 3. Das Gebäude wurde vier Jahrzehnte nach der Zerstörung äußerlich komplett wiederhergestellt. Damit hat der Schwarzenbergplatz seine attraktive Symmetrie wiederbekommen.
Wie das möglich war? Weil die Stadtregierung es wollte. Das zeigt: Auch die Rekonstruktion ganzer Gebäude kann funktionieren.
Von berühmtem Baumeister entworfen
Das 1868 erbaute Gebäude ist im Stil des Historismus gehalten. Auf der Aufnahme unten wird auch der ausgeprägte Ensemblecharakter deutlich: Alle Gebäude am Schwarzenbergplatz stehen in engem Bezug zueinander. Das ist nicht verwunderlich, denn vier Gebäude gehen auf Pläne eines einzelnen Architekten – Heinrich von Ferstel – zurück. Auch die Staatsbahnen-Direktion am Schwarzenbergplatz 3 gehört dazu.
Das nächste Foto zeigt das Gebäude wenige Jahre nach der Errichtung. Der Schwarzenbergplatz gehörte damals noch den Fußgängern und Straßenbahnen.
"Gesamtkunstwerk" Schwarzenbergplatz
Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war einer der Höhepunkt der Wiener Architektur. In einer Zeit, als das Auto noch nicht den öffentlichen Raum beherrschte, muss der Schwarzenbergplatz einen noch viel stärkeren Eindruck gemacht haben als heute.
Zerstört im Zweiten Weltkrieg
Zwei Gebäude am Schwarzenbergplatz wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört: die Direktion der Staatsbahnen und das Palais Pollack-Parnau. Anstelle des Palais wurde in den 1950ern ein Bürohaus errichtet, das inzwischen schon wieder durch einen Neubau ersetzt worden ist. Der Bauplatz am Schwarzenbergplatz 3 war jedoch fast vier Jahrzehnte ungenutzt geblieben.
Hier ist die Baulücke an der Ecke Schwarzenbergplatz/Lothringerstraße zu sehen:
Rekonstruktion in den 1980ern
Die Rekonstruktion ist ein Glücksfall der Geschichte: Als Pläne für einen Neubau liefen, war gerade eine Stadtregierung im Amt, die mit großer Umsicht zu Werke ging. Wohl schon damals hat sich der Schwarzenbergplatz in einer Ortsbild-Schutzzone befunden. Gemäß dem damaligen Gesetz mussten sich Neubauten in Schutzzonen an die historische Umgebung äußerlich anpassen. Der Bürgermeister ging aber noch weiter: Er setzte sich für eine äußerliche Wiederherstellung des Gebäudes nach alten Plänen ein – und der Eigentümer stimmte zu. Die Rekonstruktion übernahm der Architekt Georg Lippert. Auf den ersten Blick würde wohl niemand vermuten, dass es sich tatsächlich um einen Bau aus den 1980er-Jahren handelt.
Der Journalist Hans Haider schrieb 2008 in der Wiener Zeitung:
Anfang der achtziger Jahre stand die Lücke Schwarzenbergplatz 3 zur Disposition. Der Architekt Georg Lippert musste die Fassaden im alten Stil wiederaufbauen. Danke, Bürgermeister Gratz, danke, Vizebürgermeister Busek: Ihr Kleinmut war richtig! Fast einstimmig forderte damals die Architektenzunft, dass dem gründerzeitlichen (imperialen) Historismus face-to-face ein ebenbürtiges Zeichen der (republikanischen) Moderne entgegenzusetzen sei.
Auch die dahinterliegenden Gebäude in der Lothringerstraße waren im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Sie wurden nicht rekonstruiert. Der Neubau – ebenfalls 1983 von Georg Lippert – zeichnet sich jedoch durch eine hochwertige äußere Gestaltung aus, die an die alte Bebauung der Umgebung angelehnt ist.
Widerstand gegen die Rekonstruktion
Zahlreiche Architekten hatten sich in den 1980ern gegen die Rekonstruktion gewandt. In der Folge und nach heftigem Druck aus der Architektenlobby wurde sogar die Wiener Bauordnung geändert. Seither darf sogar in Schutzzonen beliebig gebaut werden. Rücksicht auf den Altbestand ist damit nicht mehr nötig. Das hat billiger Gestaltung Tür und Tor geöffnet. Beispiele: Redtenbachergasse 4, Wipplingerstraße 33, Hernalser Hauptstraße 59-63. So sind Neubauten in und nahe von Schutzzonen oft auch nicht mehr von „bestürzenden Neubauten“ zu unterscheiden.
Generell fehlen in Wien qualitätssichernde Verfahren (Gestaltungsbeirat) und an die gewachsene Umgebung angepasste Gestaltungsvorschriften (bis hin zu Fensterachsen und Material). Und Bauherren, die auf hohe Qualität wertlegen.
Schöne Häuser, trister Platz
Der Schwarzenbergplatz teilt das Schicksal vieler Wiener Plätze. Während die Häuser sehr attraktiv sind, ist der öffentliche Raum zwischen diesen Häusern geradezu erbärmlich schlecht gestaltet. Die letzte Umgestaltung erfolgte in den 2000er-Jahren. Die Eckpunkte: unattraktive Beleuchtung (statt Laternen in historischem Design), extrem viel Platz für den Kfz-Verkehr, viel Asphalt, keine Begrünung, keine Bäume. Gleichsam ein Autobahnknoten mit historischer Kulisse. Wie viele andere Plätze (z. B. Hoher Markt, Ballhausplatz) ist auch der Schwarzenbergplatz eine ungenutzte Chance. Ohne politischen Willen und fähige Planer wird sich das nicht so schnell ändern.
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Quellen, Fotos
- Die Glasresidenz des Garagenprinzen (Wiener Zeitung, 24.7.2008)
- Heinrich Ferstel im Architektenlexikon des AZW
- Schwarzenbergplatz auf Wien Geschichte Wiki
- Schwarzenbergplatz (2013): Serge Bystro from Moscow, Russia, Schwarzenbergplatz (8754285365), CC BY 2.0
- Schwarzenbergplatz (2017): H.Helmlechner, Wien Schwarzenbergplatz Reiterdenkmal 01, CC BY-SA 4.0