Die Wehrgasse wurde 2015 auf einem kurzen Abschnitt zur Begegnungszone umgebaut. Was den Anspruch hatte, den öffentlichen Raum attraktiver zu machen und Fußgängern mehr Platz zu geben, hat in einer Asphaltwüste ohne Mehrwert geendet. Nachhaltig verändert hat sich nichts. Ein Sinnbild für eine Stadt, deren Politiker es wieder und wieder nicht schaffen, lebenswerte öffentliche Räume zu bauen.
Billig-Gestaltung für die Wehrgasse
2015 war die Idee der Begegnungszone („shared space“) in Wien noch etwas Neues. Der Grundgedanke: Alle Verkehrsmittel teilen sich gemeinsam den Straßenraum. Das Auto, dem sonst meist rund zwei Drittel der Straße zur Verfügung stehen, ist nicht mehr automatisch bevorzugt. Das prominenteste Beispiel einer Begegnungszone ist die Mariahilfer Straße.
Im 5. Bezirk herrschte hingegen kein Interesse an attraktiver Gestaltung:
Begegnung auf Asphalt
Auch nach dem Umbau ist der Boden komplett versiegelt. Begrünung gibt es – abgesehen von einigen Blumentöpfen – nicht. Anstatt hochwertigen Pflastersteinen ist grauer Gussasphalt verlegt. Sitzgelegenheiten fehlen komplett. Damit entspricht die umgebaute Wehrgasse eigentlich bloß dem aktuellen Standard vieler Straßen und Gassen in Wien: Asphalt, Parkplätze, keine Aufenthaltsqualität, fehlende Begrünung.
Gehen zwischen Fahrbahn und Parkplätzen
Die Wehrgasse ist ziemlich schmal. Der Platz für Fußgänger ist durch den Umbau aber kaum mehr geworden, denn parkende Autos verstellen weiterhin den öffentlichen Raum. Nun sind Fußgänger gezwungen, gleichsam auf der Straße zu gehen. Das Konzept der Begegnungszone ist in der Wehrgasse für die Schaffung von im Prinzip noch mehr Kfz-Flächen zweckentfremdet worden. In einem Bezirk mit einer so hohen Bevölkerungsdichte und einem so geringen Grünflächenanteil wie Margareten ist das letztlich auch eines: Politik und Planung gegen die Interessen sehr vieler Menschen.
Die Wehrgasse war eine der ersten Begegnungszonen Wiens. Eine Ausrede für die lieblose Gestaltung darf das aber nicht sein, denn wie man schöne Straßen baut, weiß man in Europa schon lange (siehe auch ganz unten im Artikel).
Klimatische Katastrophe
Selbst wenn es technisch nicht möglich sein sollte, eine Gasse umfassend zu begrünen, heißt das nicht, dass überhaupt nichts getan werden kann. Anstatt eines Baums können Sträucher gepflanzt werden. Wird bspw. eine Fußgängerzone (mit gestatteter Zufahrt für Anrainer) eingerichtet, kann Begrünung auch nahe an der Straßenmitte erfolgen.
Falls sich aufgrund von Einbauten (Leitungen, Rohre) und des geringen Querschnitts gar nichts begrünen lässt, kann trotzdem noch eine hohe Qualität des öffentlichen Raums erreicht werden: Attraktive Pflasterung, öffentliche Sitzbänke, schöne Straßenlaternen und Gerüste für Rankpflanzen sind immer noch möglich. In der Wehrgasse wurde nichts davon realisiert.
Sinnlose Umgestaltung
Der Publizist und Designer Harald Jahn schrieb 2015 über die Wehrgasse:
In der engen Wehrgasse hat man versucht, das Problem der zu schmalen Gehsteige zu lösen, und die Straße neu gestaltet. Allerdings wurde die Aufteilung Gehsteig / Randstein / Fahrbahn beibehalten und mit den dafür typischen Materialien definiert; nur das Niveau der Fahrbahn wurde auf das der Gehsteige angehoben. Parkplätze wurden unter der Prämisse, dass Fußgänger ja die Fahrbahn nutzen können, auf den „Gehsteigen“ markiert.
Die Ausgestaltung widerspricht dem Konzept aber, die Gasse erscheint weiterhin dem Autoverkehr gewidmet. Das Ergebnis: Die Fußgänger drängen sich auf den Resträumen zwischen Parkplätzen und Fassaden; die nicht als Parkplatz markierten Flächen werden, da es kein physisches Hindernis gibt, ebenfalls verparkt.
Die mäandernde Fahrbahn mag gut gemeint sein, wirkt sich aber auf die gefahrene Geschwindigkeit nicht aus. Jegliche weitere Gestaltung fehlt. Alles in allem ein Projekt, das praktisch keinen Mehrwert zum Zustand vor dem Umbau erkennen lässt.
Asphalt: Die schlechteste Wahl
Wien ist Asphalthauptstadt. Schon weit vor den 1980ern wurde begonnen, gepflasterte Flächen nach und nach durch Asphalt zu ersetzen. Oft wurde bloß über alte Pflasterflächen asphaltiert, sodass die Kopfsteine bis heute im Untergrund erhalten sind.
Während Asphalt bei Fahrbahnen noch nachvollziehbar ist, sieht das bei Gehsteigen und größeren Plätzen anders aus. Asphalt ist nicht nur ästhetisch problematisch, sondern trägt auch zur Aufheizung der Stadt im Sommer bei. Wenn Bauarbeiten stattfinden und Asphalt entfernt und neu verlegt werden muss, entstehen unschöne „Fleckerlteppiche“. Genau das ist nur wenige Jahre nach der Neugestaltung der Wehrgasse geschehen:
Die asphaltlastige der Wehrgasse ist in unrühmlicher Gesellschaft:
- 2020 wurde eine große Fußgängerzone in der Seestadt Aspern gebaut – als durchgehende graue Asphaltfläche. Nur zwei Jahre später muss nachgebessert werden.
- Die Fußgängerbrücke in der Spittelau wurde 2020 asphaltiert – im Rahmen einer Begrünungsoffensive.
- Beim Neubau des Hauptbahnhofs verschwanden im Umfeld riesige Flächen unter grauem Asphalt. Gebaut um 2010.
- Der Ballhausplatz wurde 2017 komplett neu asphaltiert. Die Chance für eine nachhaltige Aufwertung des Platzes blieb ungenutzt.
- Die allermeisten Straßen, Parkplätze, Gehsteige und Plätze in Wien werden asphaltiert. Das ist in anderen Städten nicht so.
- Dass auf Gehsteigen fast immer Asphalt verlegt wird, hat mit einer Verordnung der Stadtregierung zu tun (und daher sofort änderbar).
Wehrgasse: Nur kleiner Teil umgebaut
Rund 430 Meter ist die Wehrgasse lang. Auf etwa zwei Dritteln wurde 2015 aber nichts geändert. Der einzige Unterschied zum umgebauten Teil: es gibt noch mehr Parkplätze. In Summe ist die Wehrgasse eigentlich nichts anderes als eine ungefähr 2700 m² große Asphaltfläche.
Wer ist dafür verantwortlich?
Warum gelingen manche Umgestaltungen, andere aber nicht? Wer ist dafür verantwortlich, dass immer wieder so viel danebengeht? Die Sache ist komplex:
- Für die Straßen sind in erster Linie die Bezirke zuständig – also die Bezirksvorstehungen.
- Für nachhaltige Umbauten braucht es politische Mehrheiten in den Bezirken. Meist gibt es diese nicht.
- Ohne finanzielle Mittel vom Rathaus (u. a. aus dem Planungsressort) sind größere Umbauten nicht möglich. Es sind also oft mehrere politische Ebenen gleichzeitig involviert.
- In der Ausführung (Planung, Bauarbeiten etc.) sind eine Fülle an Magistratsabteilungen beteiligt. Das macht die Sache nicht einfacher.
- Geplant werden Umgestaltungen durch externe Büros und/oder durch die Behörden. Selbst die Qualität von Entwürfen unabhängiger Büros schwankt aber stark.
- Es gibt eine breite Lobby, die Parkplätze oft um jeden Preis erhalten will (SPÖ, ÖVP, FPÖ, Wirtschaftskammer, ÖAMTC, ARBÖ usw.). Lokalpolitiker und Behörden haben also oft mit enormem Widerstand zu kämpfen. Doch auch innerhalb der Parteien – etwa der SPÖ – gibt es unterschiedliche Flügel und Ansichten.
SPÖ trieb Umbau voran
Der Umbau der Wehrgasse ging von der Bezirksvorstehung aus. Bezirksvorsteherin war 2015 Susanne Schaefer-Wiery (SPÖ), die das Projekt so erklärte:
Der öffentliche Raum ist begrenzt und soll allen MargaretnerInnen für viele Aktivitäten zur Verfügung stehen. Freiraum schafft Wohlbefinden – und das ist mir wichtig.
Ob die Asphaltfläche in der Wehrgasse wirklich Wohlbefinden auslöst?
Planungssprecherin im Rathaus zum Zeitpunkt des Umbaus war Maria Vassilakou (Grüne). Involviert war Vassilakou in das Bauprojekt aber nicht, wie die Wiener Zeitung berichtete:
Die Anrainer erfuhren davon erst per sogenannter Anrainerinformation und selbst im Büro der Vizebürgermeisterin und Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou (Grüne) wusste man nichts davon. Die Initiative ging von der SPÖ-Bezirksvorstehung aus und wurde im Bezirksparlament beschlossen. Der Umbau, der am 20. April begann, soll Mitte Juni fertig sein. Die Kosten von insgesamt 150.000 Euro übernimmt der Bezirk.
Angesichts des Resultats ist es verwunderlich, dass sich Vassilakou zu dieser Aussage hinreißen ließ:
Dieses neugestaltete Stück der Wehrgasse zeigt vor, wie in dicht verbautem Stadtgebiet mehr wertvoller Platz für FußgängerInnen und BewohnerInnen mehr Grün und mehr Ruhe geschaffen werden kann und zugleich die Erreichbarkeit für alle VerkehrsteilnehmerInnen erhalten bleibt. Dieses Projekt ist ein gelungenes Vorzeigeprojekt, wie das Platzproblem in vielen engen Wohngassen der Stadt gelöst werden kann.
Inwiefern Bezirksvorsteherin Schaefer-Wiery selbst maßgeblich die Planung übernommen hatte, lässt sich nicht sagen. Fünf Jahre später – noch im Amt – trat sie jedenfalls aus der SPÖ aus. Sie warf der Partei eine rückwärtsgewandte Politik und Desinteresse an Bürgerbeteiligung vor. Als weiteren Grund für den Austritt gab sie die starke Fokussierung der Partei auf die Bedürfnisse des Pkw-Verkehrs an.
Die traurigen Straßen von Margareten
Die Wehrgasse ist weder für Wien im Allgemeinen noch für den 5. Bezirk im Besonderen eine Ausnahme. Die niedrige Qualität des öffentlichen Raums zieht sich durch: Asphalt, viele Parkplätze, kaum autofreie Räume, wenige oder gar keine Bäume und fehlende Sitzbänke sind die Regel. Dass unter diesen Bedingungen viele Erdgeschoßlokale leer bleiben, darf niemanden verwundern.
Besonders erstaunlich ist die hohe Diskrepanz zwischen dem schönen Altbaubestand und dem schwer vernachlässigen Straßenraum. Einige Beispiele aus Margareten:
Bei der Verteilung der Verkehrsflächen ist Margareten im Vergleich zu anderen Bezirken (siehe Beispiele) eigentlich kein besonderer Ausreißer:
Öffentlichen Raum in Wien
Wer sich mit dem öffentlichen Raum in Wien eingehender auseinandersetzt, kann leicht in Schwermut verfallen. Größere positive Beispiele (Mariahilfer Straße, Neubaugasse, Burggasse usw.) gibt es, aber es handelt sich rein quantitativ um nicht mehr als einen Tropfen auf dem heißen Stein. Obwohl Verkehrsberuhigung nachweislich gut funktioniert, ist der Widerstand gegen jede neue Fußgängerzone und Umgestaltung oft enorm.
Der soziale Aspekt wird meist überhaupt nicht wahrgenommen: Der öffentliche Raum gehört uns allen – unabhängig von Einkommen, Alter und Herkunft. Wenn er aber nur sehr eingeschränkt und einseitig nutzbar ist – Stichwort: Parkplätze -, trifft das u. a. jene Personen, die in kleinen oder überbelegten Wohnungen leben. Auch Urlaube sind für viele Menschen schlicht nicht leistbar. Warum also nicht den Urlaub kostenlos vor die eigene Haustür holen – in Form lebenswerter Straßen und Plätze?
Die Überfülle an Schildern und Ampeln ist ein weiteres Thema – nicht nur ästhetisch, sondern auch in Bezug auf die enormen Kosten. Zudem stehen Verkehrszeichen, die in erster Linie dem Kfz-Verkehr dienen, meist auf Gehsteigen, die dann verstellt und verengt sind.
Es geht auch anders!
Was beim öffentlichen Raum auch generell fehlt, ist eine einheitliche und hochwertige Planung und Ausführung. Die Details sind entscheidend. So könnte es besser gehen:
- viele Grünflächen (Bäume in jeder Straße)
- in regelmäßigen Abständen aufgestellte Sitzbänke (wichtig u. a. für ältere Personen)
- schöner Bodenbelag (Pflasterung/Stein auf Fußwegen)
- ansprechendes und ggf. an historische Vorbilder angelehntes Design der Straßenbeleuchtung (Laternen)
Best-Practice-Beispiele für den öffentlichen Raum in Wien:
Die nächsten Aufnahmen sind in der norditalienischen Stadt Treviso entstanden. Das hohe Niveau beim öffentlichen Raum zieht sich durchs ganze Stadtzentrum.
Quellen, Fotos
- 5. Bezirk: Neugestaltung der Wehrgasse abgeschlossen (Presseaussendung der Stadt Wien, 25.6.2015)
- Plötzlich Begegnungszone (Wiener Zeitung, 4.5.2015)
- Wehrgasse: Fünf Jahre Begegnung (Die Presse, 15.6.2019)
- Wien: Lebensräume für die Großstadt (Harald Jahn, 2015)
Kontakte zu Stadt & Politik
- SPÖ: kontakt@spw.at, Tel. +43 1 535 35 35
- ÖVP: info@wien.oevp.at, Tel. +43 1 51543 200
- Die Grünen: landesbuero.wien@gruene.at, Tel. +43 1 52125
- NEOS: wien@neos.eu, Tel. +43 1 522 5000 31
- FPÖ: ombudsstelle@fpoe-wien.at, Tel. +43 1 4000 81797
(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)
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