Ein Gründerzeithaus mit komplett erhaltener Historismusfassade könnte dem Abriss zum Opfer fallen. Die Wiener Linien wollen an dieser Stelle einen Aufgang einer neuen U-Bahn-Station bauen. Warum bleibt nicht zumindest die Fassade erhalten – und der Stationszugang erfolgt via Erdgeschoß?
Schutzzone kommt - Abriss geplant
Der über rund zwanzig Jahre währende Immobilienboom hat so manche Spuren in Wien hinterlassen. Nicht nur eine Fülle an mehr oder minder gelungenen neuen Gebäuden an allen möglichen attraktiven und weniger attraktiven Standorten. Sondern auch eine Welle an Abrissen. Neben ehemaligen Gewerbebauten und niedrigen Häusern auch gut erhaltene Altbauten und große sanierte Gebäude. Der Schaden für das Stadtbild und der Verlust an Bausubstanz – Stichwort: Ressourcen – ist nicht wegzudiskutieren, auch wenn natürlich nicht hinter jedem Abriss ein schutzwürdiges Gebäude gestanden war.
Mittlerweile zwei Bauordnungsnovellen und eine Reihe neuer Flächenwidmungspläne sollen diesen Übelständen entgegenwirken. So auch im 18. Bezirk, wo die gründerzeitlich geprägten Häuserblöcke entlang des Gürtels in den Fokus genommen wurden. Eine großflächige Ortsbild-Schutzzone kommt. Dazu auch noch eine Beschränkung der Geschoßzahl, was den Abriss unattraktiv macht, da der übliche Weg – Abriss alter Häuser und Neubau mit möglichst vielen niedrigen Stockwerken – unattraktiv wird. Doch ausgerechnet dort, wo dieser vorbildliche neue Flächenwidmungsplan eingerichtet wird, droht einem Gründerzeithaus in prominenter Ecklage der Abbruch.
U-Bahn-Station kommt
Hinter den Abrissplänen für das wohl Ende des 19. Jahrhunderts erbaute Eckhaus steht kein „Immobilienspekulant“, sondern ein Infrastrukturprojekt der Wiener Linien. Die Station Michelbeuern wird zu einem U-Bahn-Kreuz ausgebaut. Ein Aufgang der neuen Station wird ein übergroß dimensioniertes Gebäude am Anton-Baumann-Park sein. Das Regionalmedium Unser Währing berichtete im Jänner 2024:
Der zweite, nördliche Aufgang der Station ist an der Ecke Kreuzgasse/Währinger Gürtel geplant, wo die Anbindung an die Straßenbahnlinien 42 in der Kreuzgasse sichergestellt werden soll.
Derzeit steht am geplanten Nord-Aufgang noch ein Haus aus der Gründerzeit. Laut Ausschreibungsunterlagen der Wiener Linien, soll das Gebäude für die Errichtung des „nördlichen Aufnahmegebäudes“ der U5-Station „eingelöst und abgetragen“ – d.h. abgerissen – werden. Die Möglichkeit, den neuen Stationsaufgang nach Fertigstellungen mit Wohnungen zu überbauen, steht im Raum, ist jedoch noch nicht Teil der bisherigen Planung.
Das Gebäude an der Ecke Kreuzgasse/Währinger Gürtel beherbergt derzeit eine Fahrschule und mehrere Wohnungen. Auf dem Dach sind Mobilfunk-Sendemasten von A1 Telekom sowie von Magenta Telekom errichtet, die ein großes Gebiet versorgen. Zumindest für die Bauzeit müssen für die Masten Ersatzstandorte gefunden werden. Über Regelungen für Mieter und Eigentümer ist bisweilen noch nichts bekannt.
Keine Details von Wiener Linien
Ist der U-Bahn-Bau notwendigerweise mit einem Totalabriss verbunden? Lassen sich Teile des Gebäudes erhalten, indem der Zugang im Erdgeschoß und die Bauarbeiten im Gebäudeinneren realisiert werden? Auf Anfrage erklärten die Wiener Linien:
[D]ie Wiener Linien befinden sich aktuell in den Detailplanungen zur Verlängerung der Linie U5 nach Hernals. Die Fertigstellung wird voraussichtlich zwischen 2032 und 2035 sein. Um im Bereich Michelbeuern-AKH eine U-Bahn-Station bauen zu können, ist es notwendig, einen neuen Aufgang sowie ein unterirdisches Stationsgebäude im Bereich Währinger Gürtel zu errichten. Zu diesem Zweck wurde eine Liegenschaft von den Wiener Linien erworben. Zum aktuellen Zeitpunkt können keine Aussagen über zukünftige bauliche Details getroffen werden.
Ensemble droht Verlust
Während die zum Ressort von Stadtrat Peter Hanke (SPÖ) gehörenden Wiener Linien einen Abriss planen, richtet die zu Stadträtin Ulli Sima (SPÖ) gehörende Magistratsabteilung 21 eine Schutzzone ein. Ein Widerspruch, den das Sima’sche Planungsressort so kommentiert: „Die Detailplanung der U5 liegt im Zuständigkeitsbereich der Wiener Linien“. Es droht wohl ein Fall wie bei dem Haus in der Hofmühlgasse im 6. Bezirk, das ohne großes Aufsehen und politischen Widerstand abgetragen wurde.
Kompromiss: Fassade bleibt?
Dass der Bau einer U-Bahn in den 17. und 18. Bezirk sinnvoll und notwendig ist, steht außer Frage. Die langsamen und überfüllten Straßenbahnlinien schreien nach einer Entlastung; eine Hochleistungsverbindung vom und zum Stadtzentrum fehlt seit Jahrzehnten. Spät, aber doch, wird eine solche Verbindung mit der U-Bahn-Linie 5 eingerichtet, die im Endausbau 2035 vom S-Bahnhof Hernals (Vorortelinie) bis zum Karlsplatz verkehren wird. In Bezug auf das hier angesprochene Gründerzeithaus sind zwei Fragen entscheidend:
- Muss der zweite U-Bahn-Aufgang unbedingt dort gebaut werden, wo aktuell ein Gebäude steht? Ist auf der anderen Seite des Gürtels kein Platz?
- Wenn es wirklich nur an dieser Ecke möglich ist, warum wird dann nicht zumindest die Fassade erhalten und danach saniert? Im Inneren könnte das Gebäude nach Fertigstellung der U-Bahn-Station wiedererrichtet und weiter als Wohnhaus genutzt werden.
Auch beim Museumsquartier wurde ein Stationszugang ins Gebäude integriert. Ebenso bei der U3-Station Hütteldorfer Straße, wo sich ein Aufgang im Haus Hütteldorfer Straße 117 befindet, bei der U1-Station Taubstummengasse und am Karlsplatz (Aufgang im Hotel Bristol). Warum also nicht am Währinger Gürtel?
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Verfall und Abrisse verhindern: Gemeinsam gegen die Zerstörung! (Anleitung mit Infos und Kontaktdaten)
Links
- Gründerzeithaus wird für U-Bahn abgerissen (Wien heute, 18.7.2024)
- U5: Was tut sich an der Oberfläche in Währing? (unserwaehring.at, 31.1.2024)
- Alle Fotos in diesem Beitrag sind (c) Georg Scherer / wienschauen.at
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