Das Gründerzeithaus beim Alois-Drasche-Park hat eine neue Fassade bekommen. Bei einer Sanierung wurde 2020 neuer Dekor angebracht.
Gründerzeithaus im Krieg beschädigt
Wie viele Häuser in Wien hat auch das große Eckhaus in der Seisgasse 18 im 4. Bezirk sein ursprüngliches Erscheinungsbild eingebüßt. Das 1913 erbaute Haus wurde im 2. Weltkrieg beschädigt und offenbar nur vereinfacht wiederaufgebaut. Ob der Dekor direkt beim Wiederaufbau oder erst später entfernt wurde, ließ sich nicht herausfinden.
Wiener Bauträger ließ sanieren
Der Dekor wurde 2020 im Auftrag von 3Si angebracht. Der Wiener Bauträger schreibt auf seiner Webseite:
Nach umfangreicher Sanierungsarbeiten an der vormals schmucklosen Außenfassade sowie im Inneren des Altbaus erstrahlt das Gründerzeithaus beim Alois-Drasche-Park wieder in neuem Glanz (…) Besonderes Augenmerk wurde seitens der 3SI Immogroup auf die Neuanbringung von Stuckelementen gelegt. Neben der Herstellung und Montage von Gurtgesimsen, Hauptgesimsen mit Konsolen, Fensterumrandungen und einzelnen Stuckelementen an der Fassade wurden zusätzlich Eckbosse angebracht, die den Kanten des Mauerwerks nun eine besonders schmuckvolle Optik verleihen. Auch im neu gestrichenen Eingangsbereich des Gründerzeithauses wurden, an Decken und Wänden, Stuckfelder angebracht.
Neuer Dekor
Vom Erdgeschoß bis hinauf zu den Obergeschoßen sind die Fenster nun von Schmuckelementen umgeben. Einige Fenster haben auch große Verdachungen (Giebel) bekommen. Zumindest jene Rahmen, die nun die großen Dachfenster zieren, entsprechen aber wohl keinen historischen Vorbildern.
Interpretation oder Rekonstruktion?
Das Haus wurde in den allerletzten Jahren der Gründerzeit errichtet, als üppiger Dekor bereits immer mehr aus der Mode gekommen war. Gegen Ende der Monarchie gingen viele Architekten – darunter auch Otto Wagner mit seinem Haus in der Neustiftgasse 40 – schon ab vom aufwendigen Dekor; die Fassaden wurden sachlicher. Insofern dürften die neuen Dreiecksgiebel, die typisch für das Ende des 19. Jahrhunderts sind, eher eine zeitgenössische Interpretation eines Altbaus darstellen als eine an Originalplänen orientierte Rekonstruktion.
Eine Plakette erinnert an die Schäden, die das Haus im Zweiten Weltkrieg erlitten hatte. Beim Wiederaufbau beschädigter Gebäude wurde in Wien auf den Fassadendekor oft verzichtet. In vielen Fällen wurde der Schmuck in den 1950er- und 1960er-Jahren aber auch ohne Not bei Renovierungen abgeschlagen, selbst bei unbeschädigten Gebäuden. So haben viele Häuser bis heute ihr ursprüngliches Erscheinungsbild verloren. Manchmal wird aber noch Jahrzehnte später exakt nach Originalplänen rekonstruiert, etwa 2021 beim Eckhaus Neustiftgasse/Kellermanngasse im 7. Bezirk.
Wie hat das Haus einst ausgesehen?
Alte Fotos, die den ursprünglichen Zustand des Hauses in der Seisgasse 18 zeigen, ließen sich bisher nicht finden. Doch eine Zeichnung in einer Fachzeitschrift von 1913 könnte einige Hinweise geben (Bild unten). Stellt die Zeichnung das Haus kurz nach der Errichtung dar? Oder im Planungsstadium?
Da es in dieser Zeichnung um das zu selben Zeit erbaute große Eckhaus geht, ist nicht klar, ob es sich bei den Nebenhäusern nicht bloß um Platzhalter handelt. Das linke Haus, dessen Fassade bis heute weitgehend original erhalten scheint, entspricht in groben Zügen der Zeichnung. Vielleicht hat also auch das Haus in der Seisgasse 18 einst so wie auf der Zeichnung ausgesehen?
Weitere Beispiele von Sanierungen und Rekonstruktionen gibt es hier.
Weitere Infos
- Stilaltbau in Seisgasse erstrahlt wieder (3Si, 30.11.2020)
- Das Baujahr 1913 und der damalige Besitzer, Hugo Wattmann-Maelcamp-Beaulieu, sind verzeichnet in: Häuser-Kataster der Bundeshauptstadt Wien, II. Band, 1929, S. 124.
- Hinweis: Die mit © MW-Architekturfotografie gekennzeichneten Fotos wurden vom Bauträger 3Si zur Verfügung gestellt.
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