Die meisten Gebäude am Schwarzenbergplatz haben den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden. Aber zwei wurden zerstört: Die Direktion der Staatsbahnen und das Palais Pollack-Parnau. Die Direktion wurde in den 1980ern auf Betreiben der Stadtregierung originalgetreu wiederaufgebaut. An der Stelle des Palais steht heute aber ein modernes Bürohaus.
Gebäude von Nazis enteignet
Die Pläne für das Palais stammten vom vielbeschäftigen Architekten Ernst von Gotthilf. In einer Arbeitsgemeinschaft mit Alexander Neumann entstanden zahlreiche bedeutende Gebäude, die Wien bis heute prägen, darunter das Kunstforum auf der Freyung, der Anker-Hof am Hohen Markt und das Palais Fanto.
Der Bauherr des Palais, Bruno Pollack von Parnau, war Gesellschafter der Textilgroßfirma Hermann Pollacks Söhne. 1938 wurde das Palais von den Nationalsozialisten enteignet. Die NS-Hetzschrift „Völkischer Beobachter“ berichtete 1938 über die Enteignung:
Ein Detail im obigen Bericht fällt auf: Die Nationalsozialisten waren mit der Architektur des Gebäudes unzufrieden, der Dekor wurde als „jüdisches Protzentum“ bezeichnet. Die neuen „Eigentümer“ ließen den Fassadenschmuck teilweise abgeschlagen und Türen in die Vorderfront einbauen.
Das Foto unten zeigt das Palais nach dem Umbau. Lange blieb das Gebäude aber nicht in diesem Zustand. 1944 wurde es durch eine Fliegerbombe schwer beschädigt. Gebäuderuine und Kunstsammlung wurden nach Kriegsende an den rechtmäßigen Eigentümer zurückgegeben.
Palais wegen Kriegsschäden abgerissen
Das Stadtbauamt, das nach dem Krieg über Neubau oder Rekonstruktion zerstörter Gebäude entschied, zeigte offenbar kein Interesse an einer Wiederherstellung des Palais. Dem Eigentümer fehlten sicherlich die Mittel, um das Gebäude ohne staatliche Hilfe wiederaufbauen zu lassen. Er verkaufte. Damit war der Abriss besiegelt.
Das nächste Foto ist offenbar kurz vor der Beseitigung der Ruine entstanden.
Karger Neubau in den 1950ern
An der Stelle des 1914 errichteten Gebäudes entstand in den 1950ern ein Bürohaus, das dem Konzern Steyr-Daimler-Puch gehörte. Architekt des Neubaus war Carl Appel (1911-1997).
Während Appel bei dem von ihm geplanten und fast zeitgleichen errichteten Neubau Am Hof 6 das historischen Umfeld bei der Fassadengestaltung berücksichtigte, ging es am Schwarzenbergplatz mehr in eine nüchterne Richtung, die aber dem Trend der Zeit entsprach.
Aus heutiger Perspektive ist es erstaunlich, um wie viel attraktiver beispielsweise die italienische Architektur der 1950er-Jahre ist. So wurden etwa der Palazzo Torre in Padua, das Amtsgebäude Piazza Borsa 4 und das Edificio RAS in Treviso zur selben Zeit erbaut wie der Nachfolger des zerstörten Palais am Schwarzenbergplatz.
Neubau 2008
Der Nachkriegsbau hielt sich nicht einmal fünfzig Jahre. Seit 2008 steht an seiner Stelle ein Neubau mit viel Glas. Oder handelt es sich um einen Totalumbau und keinen kompletten Neubau? Der Journalist Hans Haider schrieb 2008 in der Wiener Zeitung über den Schwarzenbergplatz:
Der Ort ist extrem sensibel. Schon die im Kriegsjahr 1916 erschienene Österreichische Kunsttopographie verordnet, dass bei einem „eventuellen Umbau“ eines der Häuser zwischen Nr. 2 (Offizierskasino) und Nr. 6 darauf zu achten sei, „dass die jetzige Gestaltung im Grundriss und Aufriss und das Zusammenstimmen der Fassaden nicht leidet. Der Platz bildet mit dem Leuchtbrunnen und dem Palais Schwarzenberg im Hintergrund ein geschlossenes Ganzes.“
Die Pläne für den Neubau lieferten die renommierten Architekten Sepp Frank und Martin Kohlbauer. Im Vergleich zum Vorgängerbau sicherlich eine Verbesserung. Hans Haider:
(…) [Architekt Martin] Kohlbauer setzte vor die Glasflächen Pfeiler aus grob kristallinem, unpolierten Marmor, im Wechsel von breit und schmal. Sie verraten freilich beim ersten Hinschauen: Wir dienen nicht konstruktiv, sondern sind nur flächengliederndes Dekor. Der schwere Stein ist den neun Büroetagen vorgehängt. Eng eingefräste Kannelüren geben dem Marmor mehr haptische Kraft. Allein: Er trägt nur sich selber. Baukörper und Mantel wollen an den Seitenfronten noch weniger zusammenpassen. Zwei Laubbäume vor dem Eingang spiegeln sich in den Glastafeln. Ein hübscher Effekt – doch in keinerlei Korrespondenz zum Ensemble.
Aus dem Penthouse, das Johann Breiteneder junior als Residenz bezogen hat, kragen Metall-Lamellengitter waagrecht in drei Himmelsrichtungen heraus, in keiner rechten Proportion zur Baumasse unter ihnen, in einer fremden Sprache von Material und Geometrie. Bei Gewittern könnten die vorgebauten Roste als Blitzauffanggitter die elektrischen Elemente anlocken. Vorsicht ist geboten.
Stadtregierung erlaubte Flächenmaximierung
Die Prioritäten in der Politik ändern sich. Ging es am Schwarzenbergplatz in den 1980ern um Stadtreparatur, kam die Stadtregierung in den 2000er-Jahren dem neuen Eigentümer ausgesprochen entgegen. Das Gebäude durfte weiter in den Schwarzenbergplatz hineinrücken. Von einer Rekonstruktion des ursprünglichen Gebäudes von 1914 war nie die Rede. Seitdem ist das Nachbarhaus, das Palais Fanto, in den Hintergrund gedrängt. Den Grund vor dem Haus verkaufte die Stadt Wien an den Eigentümer, das Garagenunternehmen Breiteneder. Hans Haider in der Wiener Zeitung:
Am Schwarzenbergplatz war es tatsächlich die Stadt Wien, die für die weitere Demolierung des Ensembles – nach dem Stahlmastenwald der Wiener Linien und der Kopfstein-Buckelpiste zwischen den Straßenbahngeleisen – eine stadteigene Grünfläche samt Bäumen dem Investor ausgeliefert hat. Die Geschäftsgruppe „Wohnen, Wohnbau und Stadterneuerung“, geleitet von Stadtrat Werner Faymann, ließ den Wert der Grünparzelle 2002 amtlich schätzen.
Inzwischen wurde unwiderlegt die Meinung von Immobilienexperten veröffentlicht: Der wahre Wert sei bis vier Mal so hoch gewesen wie die 1,2 Millionen Euro, zu denen die Gemeinde verkauft hat (…)
In der Vorgeschichte dieser Baustelle hat auch der Architekt Rudolf Zabrana seinen Platz: als Partner in der Planungsmannschaft „Frank und Partner“ sowie als Bezirksvorsteher-Stellvertreter (SPÖ) im zuständigen Dritten Bezirk. Aber auch die anderen Parteien blieben ungewöhnlich still.
Hitzeinsel Schwarzenbergplatz
Für den Schwarzenbergplatz ist die Frage nach der Rekonstruktion ganzer Gebäude heute kaum noch von Bedeutung. Viel entscheidender ist der Platz selbst: Asphalt und Autoverkehr beherrschen den öffentlichen Raum, der im Sommer zu einer riesigen Hitzeinsel wird.
Auch der letzte Umbau (2002-2004) hat keine Verbesserung gebracht. Weniger als zwanzig Jahre nach der Fertigstellung ist die aktuelle Gestaltung schon wieder veraltet.
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Fotos, Infos
- Foto Schwarzenbergplatz in der Nachkriegszeit: daves_archive1, CC BY 2.0
- Foto Schwarzenbergplatz 5 (2013): MrPanyGoff, Schwarzenbergplatz 5 – Vienna, CC BY-SA 3.0
- Foto Schwarzenbergplatz (2017): H.Helmlechner, Wien Schwarzenbergplatz Reiterdenkmal 01, CC BY-SA 4.0
- Freyung 8-9 (2014): Haeferl, Wien-Innere Stadt – Verfassungsgerichtshof und Kunstforum, CC BY-SA 3.0 AT
- Eintrag von Bruno Pollak-Parnau auf der Webseite des Germanischen Nationalmuseums
- Die Glasresidenz des Garagenprinzen (Wiener Zeitung, 24.7.2008)
- Schwarzenbergplatz auf Wien Geschichte Wiki
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