Der Altbau in der Gentzgasse 4 wurde abgerissen – trotz Ortsbild-Schutzzone. Das ist kein Einzelfall. Laufend gehen historische Gebäude innerhalb von Schutzzonen verloren. Geschuldet ist das dem lückenhaften Wiener Baurecht.
Der Artikel wurde im Februar 2023 aktualisiert.
Abriss trotz Schutzzone
Seit den 1970er-Jahren gibt es Ortsbild-Schutzzonen in Wien. Damit sollen historisch wertvolle Gebäude vor Abriss und groben Veränderungen geschützt werden. Doch der von der Politik behauptete Schutz funktioniert einfach nicht. Wieder und wieder versagt die Schutzzone. Jetzt traf es ein Haus in der Gentzgasse, nahe Gürtel.
Das Haus in der Gentzgasse 4 wurde um 1830-1840 erbaut. Es fällt also in die späte Biedermeierzeit und kurz vor die Gründerzeit. Aber wer war der Architekt? Wie viel an dem Haus war noch im Originalzustand?
Bei dem Altbau handelte sich sicher nicht um das bedeutendste Gebäude in der Umgebung. Dennoch steht das Haus in einer Schutzzone. Folglich betrachteten es die Behörden – zuständig ist die MA 19 – als schutzwürdig. Doch wie so oft wurde die MA 19 umgangen.
Auf Anfrage erklärte die Baupolizei, der Eigentümer habe auf Abriss aufgrund von „Abbruchreife“ angesucht. Der Abriss wurde daraufhin genehmigt. Zuständig für Abbruchverfahren sind die Magistratsabteilungen 25 und 37, die zu Stadträtin Kathrin Gaál (SPÖ) gehören.
Abbruch leicht gemacht
Auch in Schutzzonen darf abgerissen werden, wenn der bauliche Zustand eines Gebäudes so schlecht ist, dass eine Sanierung nicht mehr wirtschaftlich möglich ist. Genau hier tut sich das entscheidende Problem auf: Nachgewiesen wird die Abbruchreife durch vom Eigentümer beauftragte und bezahlte Gutachten. Zudem werden von den Behörden hohe technische Anforderungen an Altbauten gestellt. De facto werden weit über 100 Jahre alte Häuser bautechnisch mit Neubauten verglichen. Dass ein Gebäude keine Normen erfüllen kann, die es zu seiner Errichtungszeit noch nicht einmal im Ansatz gab, versteht sich von selbst. So sind Abrisse von historischen Gebäuden verhältnismäßig einfach möglich. Abgesehen davon fehlt es auch an Sanierungsförderungen durch die Stadt Wien.
Nach außen schmückt sich Wien mit Schutzzonen und einem UNESCO-Weltkulturerbe – gleichzeitig werden reihenweise Zerstörungen erlaubt, sogar im Weltkulturerbe. Viele erhaltenswerte Gebäude sind der „Abbruchreife“ schon zum Opfer gefallen: Bauernmarkt 21, Franz-Josefs-Kai 47 (beide im 1. Bezirk), Krieglergasse 12 (3. Bezirk), Kaiserstraße 31 (7. Bezirk), Hohenbergstraße 18 (12. Bezirk), Hernalser Hauptstraße 59 und 61 (17. Bezirk) und unzählige mehr.
Abriss im Februar 2023
Etwa vier Monate nach dem Erscheinen dieses Artikels wurde das Gebäude schließlich abgerissen.
Auffällig ist, dass sich die Bausubstanz – soweit erkennbar – in keinem schlechten Zustand befunden haben dürfte.
Wenige Tage später war von dem Gebäude schon nichts mehr zu sehen:
Gentzgasse: Bausünden nach Abrissen
Schon in der Vergangenheit wurden historische Gebäude in der Gentzgasse abgerissen. Komplettiert wurden diese Stadtbildverluste in zwei Fällen noch durch eine rücksichtslose Gestaltung der Neubauten. Tote Erdgeschoßzonen und blinde Flächenmaximierung sind in Wien eine Normalität, die im gründerzeitlichen Umfeld noch stärker auffällt.
Gentzgasse 53
Gentzgasse 67
Kontakte zu Stadt & Politik
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- Die Grünen: landesbuero.wien@gruene.at, Tel. +43 1 52125
- NEOS: wien@neos.eu, Tel. +43 1 522 5000 31
- FPÖ: ombudsstelle@fpoe-wien.at, Tel. +43 1 4000 81797
(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)
Verfall und Abrisse verhindern: Gemeinsam gegen die Zerstörung! (Anleitung mit Infos und Kontaktdaten)
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