Das alte Wien lebt von seinen schmucken Fassaden. Doch viele Häuser haben ihren historischen Fassadendekor durch die Zerstörungen des 2. Weltkriegs und die oft brutalen Sanierungsmaßnahmen der Nachkriegszeit eingebüßt. So sind bis heute ganze Straßenzüge in ihrer Optik schwer beeinträchtigt.
Eines dieser Häuser liegt in der kleinen Schimmelgasse im 3. Bezirk, nur wenige Schritte von der Landstraßer Hauptstraße entfernt. Bei einer Sanierung im Jahr 2020 wurde der fehlende Fassadenschmuck vollständig rekonstruiert. – Ein Vorbild für ganz Wien.
Der Stuck und die Nachkriegszeit
Was manchen Wienerinnen und Wienern vielleicht gar nicht weiter auffällt, wird von Touristen wohl umso mehr bewundert: Die alten Gründerzeithäuser mit ihrem aufwendigen Fassadenschmuck sind ein Markenzeichen dieser Stadt und prägen ganze historische Viertel. Alleine das Historismus-Ensemble der Ringstraße ist ohne diese reich dekorierten Gebäude kaum denkbar.
Bis ins frühe 20. Jahrhundert erhielt de facto jeder Wiener Neubau eine schmucke Außenhaut. Im strengen Historismus (um die 1880er) orientierten sich Architekten u. a. an den Vorbildern der Renaissance, denen möglichst genau entsprochen werden sollte. Noch in den letzten Jahren der Monarchie, als der mitunter üppige Jugendstil den Historismus ablöste, und z.T. bis in die Zwischenkriegszeit hinein war Stuck auf Fassaden neuer Gebäude gang und gäbe.
Mit Adolf Loos (Ornament und Verbrechen) und dem internationalen Trend zu Sachlichkeit und Funktionalismus reduzierte sich allmählich auch der Dekor auf neuen Gebäuden. Während beispielweise die frühen Gemeindebauten des Roten Wien noch häufig mit Schmuck und verspielteren Elementen versehen waren, setzte sich ab etwa 1930 eine die Funktion betonende Architektur durch. Auch die Weltwirtschaftskrise ab 1929, die den jungen Staat heftig traf, mag daran ihren Anteil gehabt haben.
Mit den Jahrzehnten änderte sich der Geschmack, der Dekor wurde – zumindest bei Architekten, aber auch bei den Bürgern? – zunehmend unbeliebter und spätestens nach dem 2. Weltkrieg galten glatte Fassaden als moderner.
Den enormen Kriegsschäden und dem gigantischen Renovierungsbedarf begegnete der Staat mit eigenen Sanierungsprogrammen, die auf die rasche Herstellung von Wohnraum und die Beseitigung von Ruinen abzielten. Auf die Bewahrung der historischen Fassaden wurde damals verständlicherweise weniger Wert gelegt. Tausende Häuser büßten zu jener Zeit bei Renovierungsarbeiten ihren Fassadenschmuck ein.
Schimmelgasse 7: Fassade in der Nachkriegszeit abgeschlagen?
Auch die Fassade des Gründerzeithauses in der Schimmelgasse 7 dürfte bei einer solchen Renovierung teilweise abgeschlagen worden sein. Obwohl im Kriegsschadenplan keine Beschädigung dieses Hauses eingezeichnet ist, gibt es einen Akt des Wohnbau-Wiederaufbaufonds. Dieser 1948 gegründete Fonds unterstützte den Wiederaufbau und die Sanierung kriegsbedingt beschädigter bzw. zerstörter Gebäude.
Der Wohnhaus-Wiederaufbaufonds wurde im Wesentlichen aus Bundesmitteln gespeist. Er gewährte zinsenlose Darlehen zunächst auf 100 Jahre. Später wurden die Darlehen mit einer Laufzeit von 75, noch später von 50 Jahren gewährt. Der Wohnhaus-Wiederaufbaufonds begann seine Tätigkeit 1948 und beendete sie Ende 1967. In diesen Jahren wurden 122.582 Wohnungen neu errichtet oder wiederhergestellt, sowie rund 76.000 Wohnungen in ihrem Bestand gesichert.
Wie hat das Haus ursprünglich ausgesehen?
Trotz längerer Recherche haben sich bisher keine Aufnahmen von der ursprünglichen Straßenfassade finden lassen (der Autor wäre für Fotos sehr dankbar). Belegt ist, dass das Gebäude samt seiner Hoftrakte im Jahr 1892 errichtet wurde.
Hier ein Eintrag im Architektenlexikon:
Theodor Bauer errichtete vor allem in den 80er und 90er Jahren des 19.Jahrhunderts Wohn- und Geschäftshäuser, bei deren Formulierung er strikt dem dreizonigen Schema des Historismus verhaftet blieb. (…) In Theodor Bauer ist ein typischer Vertreter jener erfolgreichen Baumeister zu sehen, die der Bauboom der Jahrhundertwende in großer Zahl hervorgebracht hat. Solides handwerkliches Können ermöglichte ihm, zeitgemäße Formulierungen flexibel umzusetzen (…)
So hatte wohl auch das Haus in der Schimmelgasse 7 einst eine typisch historistische Fassadengestaltung. Die früheste Aufnahme des Hauses ist aus dem Jahr 1956 und zeigt wohl schon eine geglättete Fassade (siehe unten).
Schimmelgasse 7: Fassade wird wiederhergestellt
Im Frühjahr 2020 wurden die straßenseitige Fassade und die Hoftrakte gründlich renoviert.
Die in blauer Farbe gehaltene Fassade des Josefi-Hofs – so die Bezeichnung des Hauses – unterschied sich kaum von vielen anderen Häusern, bei denen der Dekor teilweise entfernt wurde.
Umso größer war die Überraschung, als das Gerüst im Sommer 2020 wieder abgebaut wurde. Nicht nur strahlt die Fassade jetzt in reinem Weiß, sondern auch neuer „alter“ Dekor ist stilgerecht ergänzt worden.
Original erhalten waren nur das Gesimse am Dach und das erste Obergeschoß, das durch typisch gründerzeitliche Nutungen (waagrechte Rillen) hervorgehoben ist. Im Erdgeschoß und den drei Obergeschoßen fehlten die ursprünglichen Stuckaturen.
Seither ist das Haus von einem „originalen“ Gründerzeithaus kaum noch zu unterscheiden.
Wurde bei der Rekonstruktion auf die ursprünglichen Baupläne aus dem 19. Jahrhundert zurückgegriffen? Handelt es sich um exakte Nachbildungen des damals verwendeten Dekors? Das ließ sich trotz Nachfrage bei den Magistraten leider nicht ermitteln.
Ob nun exakt nachgebildet oder nur in passendem Stil angeglichen – die Verbesserung für das Haus und den ganzen Straßenzug ist jedenfalls deutlich.
Worauf bezieht sich die Bezeichnung Josefi-Hof? Auf die biblische Figur Joseph (des Alten oder des Neuen Testaments)? Vielleicht in Anlehnung an die direkt angrenzende Petrus- und Paulusgasse, die schon vor der Errichtung des Hauses diese Namen trugen?
Förderung für Rekonstruktionen?
Werden Eigentümer von der Stadt Wien auf die eine oder andere Weise bei der Wiederherstellung von gründerzeitlichen Fassaden unterstützt? Werden bei der Blocksanierung bzw. der geförderten Sanierung einzelner Häuser entstuckte Fassaden rekonstruiert?
Auf diese und weitere Fragen gab das Wohnbauressort leider keine Antwort. Von der Kulturabteilung (MA 7) war zumindest zu erfahren, dass Fassadenrekonstruktionen vom Altstadterhaltungsfonds nicht unterstützt werden.
Es handelt sich offenbar um ein Thema, das für die Stadt und ihre Magistrate keine besondere Rolle zu spielen scheint. Ob es aber langfristig nicht sinnvoll wäre, Eigentümer durch Anreize dabei zu unterstützen, bei Sanierungen von Häusern auch die Fassaden entsprechend zu berücksichtigen?
Rekonstruiert wird selten
Manchmal wird aber doch rekonstruiert, auch ohne Förderungen durch die öffentliche Hand. Im Folgenden zwei Beispiele aus dem 3. und dem 1. Bezirk.
Reisnerstraße 34
Auch beim Gründerzeithaus Ecke Reisnerstraße/Neulinggasse im Landstraßer Botschaftsviertel wurde (offenbar in der Nachkriegszeit) eine Fassadenfront bei einer Renovierung demoliert. Um etwa 2017 bekam das Haus seinen „alten“ Dekor wieder:
Schwarzenbergplatz 3
Früher war die Wiederherstellung kriegszerstörter Häuser durchaus ein Thema. Immerhin wurde – in viel größerem Maßstab – in den 1980ern sogar ein Gebäude komplett äußerlich rekonstruiert: Die im 2. Weltkrieg zerstörte Direktion der Staatsbahnen am Schwarzenbergplatz Nr. 3 stellte der Eigentümer auf Betreiben des Bürgermeisters wieder her.
Zahlreiche Architekten hatten sich damals explizit gegen diese Rekonstruktion gewandt. In der Folge und nach heftigem Druck aus der Architektenlobby wurde sogar die Wiener Bauordnung geändert. Seither darf sogar in Schutzzonen beliebig gebaut werden. Rücksicht auf den Altbestand ist nicht nötig – bis heute.
Die entkleideten Häuser Wiens
Das Haus in der Schimmelgasse war beileibe nicht der einzige Altbau, der nach dem 2. Weltkrieg seine schmucke Außenhaut verloren hat. Was zur Zeit des Wiederaufbaus wohl modern und sinnvoll erschien, ist heute kaum noch nachvollziehbar.
Dazu der Architekt und Denkmalschützer Friedmund Hueber:
Von den Dreißiger bis in die Sechziger Jahre wollte man modern sein und hat den Fassadendekor abgeschlagen. Ab den Siebziger Jahren wurden öffentliche Mittel zur Verfügung gestellt, um den Dekor zu rekonstruieren [heute aber nicht mehr, Anm.] (…)
Wie enorm die Wirkung von Fassadenschmuck ist, führt das folgende Beispiel im 18. Bezirk vor Augen. Beide Häuser wurden zur gleichen Zeit und im gleichen Stil errichtet. Das linke auf dem Foto unten ist noch original erhalten, das rechte wurde entstuckt.
Solche „abgeräumten“ Fassaden finden sich auch in prominenten Lagen: Das Haus am Stubenring Nr. 20 hat nur noch auf einer Seite die ursprüngliche Fassade. Die – stadtbildlich wesentlich wichtigere – Seite zur Ringstraße wurde aber leider weitgehend demoliert bzw. nur unvollständig wiederaufgebaut
Seit bald 100 Jahren ist das Ausschmücken von Hausfassaden aus der Mode. Zugleich bewundern Touristen weltweit eben solche Städte bzw. Gebäude, die durch Dekor geprägt sind. Sind der populäre Geschmack und der Geschmack von Architekten und Bauherren seitdem auseinandergedriftet ohne sich je wieder zu finden? Oder muss der Begriff des Dekors viel weiter gefasst werden? Oder sind die Wünsche und Bedürfnisse unserer Zeit einfach fundamental andere?
Solche Fragen füllen wohl ganze Bücher. Der Verfasser dieser Zeilen hat auch gar nicht die Kapazität, dazu auch nur eine ungefähre Antwort zu geben. In jedem Fall aber zeigt das Beispiel Schimmelgasse 7, wie attraktiv eine stilgerechte Renovierung sein kann. Diese Verbesserung ist eindeutig.
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Quellen und weitere Infos
- Das Zitat zum Wohnhaus-Wiederaufbaufonds ist einem Dokument der Steiermärkischen Landesregierung entnommen: Die Geschichte der Wohnbauförderung, Amt der Steiermärkischen Landesregierung, Fachabteilung Energie und Wohnbau Referat Rechtsangelegenheiten, 2011
- Architekt Theodor Bauer: architektenlexikon.at/de/25.htm
- Die (verlinkten) Fotos der Häuser Keinergasse 18 und 20 (Annenhof) sind dem Kulturgut-Stadtplan bzw. der Gebäudeinformation der Stadt Wien entnommen: wien.gv.at/kulturportal/public/
- Der Ausschnitt aus der Zeitung Der Bautechniker ist aus ANNO – AustriaN Newspapers Online: anno.onb.ac.at/
- Das Zitat von Friedmund Hueber ist aus der Wiener Zeitung (14.3.2017): wienerzeitung.at/nachrichten/politik/wien/879510-Das-ist-Betrug-an-der-Gesellschaft.html
- Foto Stubenring 20 (2012): Buchhändler, Falkestraße 02, CC BY-SA 3.0
- Foto Stubenring 20/Falkestraße 8 (2011): Clemens, Falkestr8, CC BY-SA 3.0 AT
- (Verlinktes Foto) Neubaugasse 44 (2019): Thomas Ledl, Neubaugasse 44, Carl Stephann, CC BY-SA 4.0
- (Verlinktes Foto) Gredlerstrasse 7 (2014): Peter Haas / CC BY-SA 3.0, Gemeindebau Gredlerstrasse 7 DSC 0247w, CC BY-SA 3.0
- (Verlinktes Foto) Bartensteingasse 15 (2012): böhringer friedrich, Ecke Bartensteingasse 15, Lichtenfelsgasse 5, Wien, CC BY-SA 3.0 AT
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