Die Reinprechtsdorfer Straße hat schon bessere Zeiten gesehen. Traditionshändler sind weg, Geschäftslokale stehen leer. Obwohl im Zentrum eines Bezirks mit über 50.000 Einwohnern liegt die einstige Einkaufsstraße darnieder. Trist ist auch die Gestaltung: Grauer Asphalt, eine überbreite Fahrbahn, fast keine Bäume.
Doch dieser Zustand soll sich ändern, denn quer durch den 5. Bezirk wird eine U-Bahn gebaut. Dabei wird auch die Reinprechtsdorfer Straße zur Baustelle. Eine riesige Chance, endlich eine nachhaltige Verbesserung zu erreichen.
– Über den öffentlichen Raum in der Reinprechtsdorfer Straße und Vorschläge für die Zukunft.
Die sterbende Geschäftsstraße
Wer nicht gerade im 5. Bezirk wohnt, wird wohl einen großen Bogen um die Reinprechtsdorfer Straße machen. Die zwischen dem 6. und 10. Bezirk verlaufende Straße war viele Jahre für die zahlreichen Wettbüros und Glücksspiel-Lokale bekannt. Mit dem Verbot des kleinen Glücksspiels sind letztere seit 2015 zwar verschwunden, eine Aufwertung der Straße ist aber nicht eingetreten.
In Richtung Gürtel und Matzleinsdorfer Platz häufen sich die Leerstände. Etwas besser sieht es im Norden aus, an den Kreuzungen zur Schönbrunner- und Margaretenstraße. Auch wenn große Namen fehlen, gibt es doch ein vielfältiges Angebot an Geschäften, Imbissen und Cafés. Dass sich viele Gewerbe vor allem an Kleinverdiener richten, ist verständlich, denn Margareten ist ein vergleichsweise armer Bezirk.
Hier folgt eine Analyse des öffentlichen Raums in der Reinprechtsdorfer Straße. Eine detallierte Fotodokumentation von 2020 ist hier zu finden.
Verkehr als Mitursache für Niedergang?
Wer meint, eine Geschäftsstraße müsse auf die Bedürfnisse des Autoverkehrs ausgerichtet sein, wird im 5. Bezirk vielleicht ins Grübeln kommen: Für PKW steht auf der Reinprechtsdorfer Straße viel Platz zur Verfügung. Fast durchgehend gibt es auf beiden Seiten Parkspuren, die Fahrbahn ist sehr breit. „Hindernisse“ für den parkenden Autoverkehr wie Bäume, breite Gehsteige oder Radwege fehlen. Ob die Bewohner des Bezirks angesichts dieser Gestaltung ihre Einkäufe vielleicht lieber anderswo erledigen?
Aufwertung überfällig
Die Wiener Stadtplanung wird tiefsitzende gesellschaftliche Schieflagen wie Armut und Arbeitslosigkeit nicht mit einem Schlag lösen können. Was aber vergleichsweise einfach möglich ist: Der öffentliche Raum kann so gestaltet sein, dass sich die Menschen wohlfühlen und gerne in ihrem Bezirk leben. Das käme auch den Geschäftsleuten, Lokalbesitzern und Hauseigentümern zugute.
Schon um 2001 gab es einen zaghaften Versuch, die Reinprechtsdorfer Straße aufzuwerten. Das Resultat: unattraktive Litfaßsäulen und rote Sitzmöbel. Probleme hat das keine gelöst, denn an der Bevorzugung des motorisierten Individualverkehrs wurde nichts geändert. Auch Bäume wurden keine gepflanzt.
Mit U-Bahn kommt Neugestaltung
Seit Langem wird über eine umfassende Neugestaltung nachgedacht. Jetzt kommt endlich Bewegung in die Sache: Quer durch den 5. Bezirk wird ein U-Bahn-Tunnel gebaut. Die U2 wird hier künftig fahren. Im Zuge der Bauarbeiten bekommt auch die Reinprechtsdorfer Straße eine Generalüberholung.
Kurz vor der Wien-Wahl 2020 stellten die Grünen mit der damaligen Bezirksvorsteherin (zuletzt parteilos) einen Plan vor: breitere Gehsteige, viele neue Bäume, vielleicht sogar eine Begegnungszone. An Zug sind jetzt die neue Bezirksvorsteherin Silvia Jankovic (SPÖ) und die Koalition im Rathaus (SPÖ/NEOS). Noch sind keine Pläne veröffentlicht worden.
Die graue Meile im 5. Bezirk
Bei der Reinprechtsdorfer Straße gibt es nichts zu beschönigen. So präsentiert sich der öffentliche Raum:
- Viel zu wenige Bäume, zu wenige Grünflächen
- Viel zu viel Asphalt (auf den Gehsteigen)
- Breite Fahrbahn statt viel Platz für alle
- Viele Parkplätze, zu schmale Gehsteige (für eine Einkaufsstraße)
- Starke Benachteiligung von Radfahrern
- Unattraktive Hängeleuchten statt schöner Straßenlaternen
Dieser Zustand wird schon am nördlichen Abschnitt deutlich. Zwischen Schönbrunner Straße und Margaretenstraße fehlen Bäume völlig. Denkt man sich die Fahrzeuge weg, bleibt eine einzige große Asphaltfläche übrig:
Ganz extrem fällt die unvorteilhafte Gestaltung im Süden auf, nahe Wiedner Hauptstraße und Matzleinsdorfer Platz:
Die autogerechte Straße
Die Reinprechtsdorfer Straße ist derzeit folgendermaßen aufgeteilt:
Was sich auf den obigen Grafiken als schwarzes Band durch den Bezirk zieht, sind Fahrbahn und Parkplätze. Für den motorisierten Verkehr stehen größtenteils vier Spuren zur Verfügung (zwei Fahrspuren und zwei Parkspuren).
Viele Menschen auf kleiner Fläche
Wohnen viele Menschen auf geringer Fläche, steigt der Nutzungsdruck auf den öffentlichen Raum. Wer zu Hause wenig Platz hat, ist auf Straßen, Parks und öffentliche Plätze angewiesen.
Der 5. Bezirk ist einer der am dichtest bevölkerten Bezirken Wiens:
In der Gegend um die Reinprechtsdorfer Straße wohnen besonders viele Menschen:
Doch was wird den Bewohnern im 5. Bezirk geboten? Asphalt, verparkte Straßen, wenige Grünflächen. So ist der Veränderungsdruck entsprechend hoch.
Viel Platz für Fahrbahn und Parkplätze
Fahrbahn und Parkplätze nehmen auf der Reinprechtsdorfer Straße viel Platz ein. Das Diagramm zeigt den Straßenquerschnitt, von Norden nach Süden:
Was hinter diesen Zahlen steht, wird auf der folgenden Grafik deutlich.
Der größte Teil der Fläche steht für Fahrbahn und Parkplätze zur Verfügung:
Für Radfahrer kann es auf der Reinprechtsdorfer Straße mitunter gefährlich werden, denn baulich getrennte Radwege oder eine Begegnungszone sind nicht eingerichtet.
In den 1970ern steckengeblieben?
Die Reinprechtsdorfer Straße erinnert überhaupt ein wenig an die Mariahilfer Straße, wie sie sich auf Fotos der 1970er und 1980er präsentiert. Hier ein Vergleich:
Ein Bezirk als Fahrbahn
Auf dem nächsten Diagramm wird verglichen, wie hoch der Anteil von Fahrbahnen und Parkplätzen an der gesamten Fläche des jeweiligen Bezirks ist. Margareten ist Spitzenreiter.
Fahrbahnen und Parkplätze machen über 64% des öffentlichen Raums im 5. Bezirk aus:
Wenige Leute mit eigenem Auto
Im 5. Bezirk gibt es im Verhältnis zur Bevölkerungszahl wenige PKW. Das zeigt sich auch deutlich auf der Karte unten. Umso heller, desto weniger Privatautos sind pro Einwohner gemeldet.
Angesichts dieser Zahlen ist es verwunderlich, dass die Bezirkspolitik nicht schon vor Jahren damit begonnen hat, den Fußgänger- und Radverkehr umfassend zu fördern. Dass trotzdem oft viele Fahrzeuge auf den Straßen zu sehen sind, hat mit der hohen Bevölkerungsdichte zu tun.
Es wird immer heißer
Der Klimawandel ist da. Seit dem 1950ern ist die Durchschnittstemperatur in Wien um etwa drei Grad gestiegen. Stark zugenommen hat die Zahl der Hitzetage. An immer mehr Tagen werden Temperaturen von zumindest 30°C gemessen:
Margareten ist einer jener Bezirke, in denen dringend Maßnahmen gegen Hitze getroffen werden müssen:
Wo sind die Bäume?
Im Verhältnis zur Einwohnerzahl gibt es im 5. Bezirk nur wenige Bäume:
Die Zahlen oben erfassen auch die Grünflächen am Gürtel, die aufgrund des Lärms und der unattraktiven Gegend nur begrenzt Erholung bieten können. Werden ausschließlich die eigentlichen Straßenbäume berücksichtigt, nicht aber die Bäume in Parks, landet Margareten sogar auf dem letzten Platz. Diese Statistik ist auch Ausdruck der hohen Bevölkerungs- und Bebauungsdichte.
Grünflächen dringend gesucht
Es verwundert nicht, wenn sich die Bevölkerung im 5. Bezirk mehr Grünflächen wünscht. Viele Menschen im 5. Bezirk wohnen weit entfernt von Parks und kleineren Grünbereichen.
Fast keine Bäume auf der Reinprechtsdorfer Straße
In der Reinprechtsdorfer Straße ist das Fehlen von Bäumen besonders augenfällig. Bäume gibt es nur in manchen Seitengassen.
Ganze sieben Bäume stehen auf der Reinprechtsdorfer Straße – bei einer Gesamtlänge von mehr als einem Kilometer. Das ist auch im Vergleich zu anderen Straßen sehr wenig:
Asphalt: Hässlich und heiß
Nicht nur die Reinprechtsdorfer Straße, sondern der ganze 5. Bezirk ist stark durch Fahrbahnen und Parkplätze geprägt. Daraus ergibt sich das nächste Problem: Der Asphalt. Nicht nur ist dieser Bodenbelag ästhetisch unattraktiv, er fördert auch die Bodenversiegelung und verschlimmert somit die Hitze im Sommer.
Asphaltwüste Siebenbrunnenplatz
Auf halbem Weg zwischen Gürtel und Wienzeile liegt ein Platz, der musterhaft zeigt, wie der öffentliche Raum nicht gestalten sein sollte. Der Siebenbrunnenplatz, der direkt an die Reinprechtsdorfer Straße grenzt, ist quasi eine einzige riesige Asphaltfläche. Darüber können auch die zwölf Bäume nicht hinwegtäuschen. Auf dem Foto unten ist gut zu sehen, wie schlecht Asphaltbeläge altern. Durch Ausbesserungen und Bauarbeiten, die mit der Zeit notwendig werden, leidet die Optik noch mehr.
Sollen die Bewohner vor der extremen Hitze geschützt werden, braucht es grundlegende Veränderungen im öffentlichen Raum. Versiegelte Flächen, also Asphalt und Betondecken, müssen so weit wie möglich entfernt werden. Helle Bodenbeläge, Bäume und jede Art von Begrünung sind das Gebot der Stunde. Der Rückbau breiter Straßen darf heute kein Tabu mehr sein, soll auch die nächste Generation noch eine lebenswerte Stadt vorfinden.
Reinprechtsdorfer Straße: Es geht besser!
Die oben gezeigten Zahlen und Fotos sprechen eine deutliche Sprache. Soll die Reinprechtsdorfer Straße lebenswerter und schöner werden, wird man um mehr Bäume und mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer nicht herumkommen. Eine nachhaltige Aufwertung der kränkelnden Geschäftsstraße wird nicht einfach, kann aber mit etwas Mut und Geduld gelingen.
Vorbild Mariahilfer Straße?
In Wien wurden schon einige Straßen neugestaltet. Bei der Reinprechtsdorfer Straße muss das Rad nicht neu erfunden werden. Es reicht ein Blick auf die Mariahilfer Straße. Nach dem Bau der U3 ab den 1980ern wurden die Oberfläche erneuert und Bäume gepflanzt. Nachhaltig war das nicht, denn kaum 20 Jahre später war diese Gestaltung schon wieder überholt. Es kam ein weiterer Umbau, seit 2015 gilt großteils eine Begegnungszone (Details hier).
Den Zwischenschritt könnte man sich in Margareten ersparen. Das heißt: Die Neugestaltung könnte sofort so hochwertig und nachhaltig sein, dass für viele Jahrzehnte überhaupt keine Änderungen mehr notwendig werden. Langfristig nicht nur ein ästhetischer Gewinn, sondern auch finanziell günstiger. Und Verkehrsberuhigung hat viele Vorteile – für Anrainer und fürs Geschäft.
Reinprechtsdorfer Straße neu
Es genügt, anderswo gut funktionierende Konzepte herzunehmen und neu zusammenzufügen. Nützlichkeit und Schönheit bieten sich als Maximen an. Hier einige Vorschläge:
- Massive Verbreiterung der Gehsteige oder – falls verkehrlich machbar – eine durchgehende Begegnungszone
- Reduktion der Fahrspuren, Entfall von Parkplätzen, Schaffung von Haltezonen (für Lieferanten)
- Baulich getrennte Radwege statt lebensgefährliches Radfahren zwischen fahrenden und parkenden Autos
- Natursteine bzw. Platten statt Asphalt bei den Fußgängerbereichen – Vorbild: Brünn
- Entfernung der Hängeleuchten und Kabel über der Straße
- Aufstellen von attraktiven Straßenlaternen in historischem Design – Vorbild: dieses noch heute z. T. eingesetzte Modell
- Neue Laternen für die Nebengassen und den Siebenbrunnenplatz – Vorbild: die früher im 5. Bezirk befindlichen Modelle
- Umwandlung von kleinen Nebengassen in stark begrünte Fußgänger- oder Begegnungszonen (mit Zufahrt für Anrainer, falls Garagen vorhanden) – Vorbild: Königsegggasse
Kontakte zu Stadt & Politik
- SPÖ: kontakt@spw.at, Tel. +43 1 535 35 35
- ÖVP: info@wien.oevp.at, Tel. +43 1 51543 200
- Die Grünen: landesbuero.wien@gruene.at, Tel. +43 1 52125
- NEOS: wien@neos.eu, Tel. +43 1 522 5000 31
- FPÖ: ombudsstelle@fpoe-wien.at, Tel. +43 1 4000 81797
(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)
Verfall und Abrisse verhindern: Gemeinsam gegen die Zerstörung! (Anleitung mit Infos und Kontaktdaten)
Quellen
- Reinprechtsdorfer Straße zwischen Hoffnung und Zynismus (Der Standard, 13.2.2015)
- So soll die neue Reinprechtsdorfer Straße aussehen (meinberzirk.at, 6.10.2020)
- Schandfleck Reinprechtsdorfer Straße soll Flaniermeile werden (Kurier, 8.9.2020)
- Die Grafiken zur Flächenverteilung und den Querschnitten der Reinprechtsdorfer Straße wurden mit Daten des Flächenwidmungsplans erstellt. Es handelt sich um ungefähre Zahlen.
- Die Datengrundlage der Statistiken und Diagramme bilden von der Stadt Wien veröffentlichte Zahlen.
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