Rasend durch die Rossau

Zwischen Schottenring, Votivkirche und Roßauer-Kaserne reiht sich Prachtbau an Prachtbau. Doch zwischen den Häusern sieht es mitunter trostlos aus: Grauer Asphalt, wenige Bäume, lärmender Verkehr.

Dieser 2019 erschienene Artikel wurde im Mai 2024 aktualisiert.

Hörlgasse und Votivkirche in Wien
Autoverkehr in der Hörlgasse (Foto: 2019)

Historismus mit Schnellstraßen-Feeling

Die Roßauer-Kaserne im 9. Bezirk. Von der backsteinernen Burg aus, nur wenige Schritte vom belebten Donaukanal entfernt, eröffnet sich eine beeindruckende Aussicht. Gesäumt von hohen Gründerzeithäusern erhebt sich die Votivkirche mit ihren beiden neugotischen Türmen. Die aufwändigen Fassaden, die schnurgerade Straße und als Krönung die 1879 erbaute Kirche wirken wie aus einem Guss. Die Hörlgasse, ein Musterbeispiel historistischer Baukunst, könnte locker in einem Wien-Reiseführer stehen.

Und doch spiegelt sich genau hier ein typisches Wiener Muster wider: Der öffentliche Raum steht in keinem Verhältnis zur Architektur. Anstatt hoher Bäume, schöner Straßenlaternen und gemütlicher Schanigärten breitet sich eine weite Asphaltdecke über die Gasse aus. Fünf Spuren sind für den fahrenden und parkenden Verkehr reserviert, obwohl es sich nicht um eine Hauptstraße handelt.

Die Verkehrsbelastung ist hoch: 25.000 Fahrzeuge, darunter 800 LKW, brausen Tag für Tag durch die Gasse.[4] Die hohen Gebäude auf beiden Seiten reflektieren den Schall, entsprechend hoch ist der Lärmpegel. Mit über 70 Dezibel wird der WHO-Grenzwert für Wohngebiete (55 dB) weit überschritten.

Anrainer für Umgestaltung

2014 wurde es einigen Anrainern zu viel. Sie schlossen sich zu einer Bürgerinitiative – genannt „Allee Hopp“ – zusammen und organisierten eine Demonstration. Eine nur wenige Minuten dauernde Blockade der Hörlgasse erzürnte so manche Autofahrer – und ließ Medien und Politik aufhorchen.

Ein Mitglied der Bürgerinitiative erklärte gegenüber dem Kurier, dass die Schülerinnen und Schüler des nahen Gymnasiums die Fenster wegen des Lärms nicht mehr öffnen könnten. Zudem sei die Feinstaubbelastung spürbar hoch und auch an den Hausfassaden zu erkennen.[1] Neben einer Senkung der Höchstgeschwindigkeit wünschten sich die Anrainer eine Neugestaltung der ganzen Gasse: weniger Fahrspuren, weniger Asphalt, mehr Bäume und einen Radweg.

Tempo 30 kommt

Die SPÖ-geführte Bezirksvorstehung reagierte prompt. Seit 2015 gilt Tempo 30 in der Hörlgasse. [2] Was die Anrainer jubeln ließ, stieß bei den Autofahrerclubs auf Unverständnis. Der ÖAMTC zitierte eine vom KFZ-Verband beauftragte Studie, der zufolge der Schadstoffausstoß durch Tempo 30 höher sei als bei Tempo 50. Entsprechend wurde die Streichung von Tempo 30-Zonen in ganz Wien gefordert. Zu einem anderen Ergebnis kommt der VCÖ: Demnach werden bei Tempo 30 zwar nicht unbedingt weniger Schadstoffe durch die Motoren emittiert, doch ist der Reifenabrieb – eine weitere Schadstoffquelle – geringer.[3] Eine erwiesene Verbesserung bringt Tempo 30 bei der Lärmbelastung, die gegenüber höheren Geschwindigkeiten deutlich reduziert ist (Artikel hier). Während die Grünen über Tempo 30 erfreut waren, warnte die FPÖ vor Staus. Ein Antrag zur Beibehaltung von Tempo 50 wurde jedoch nur von der FPÖ und Teilen der ÖVP unterstützt und fand somit keine Mehrheit.

Weniger Fahrspuren?

Seit 2016 liegen Arbeiten der TU Wien vor, die zeigen, dass eine Reduktion von drei auf zwei Fahrspuren möglich ist, ohne dass es zu größeren Einschränkungen für den Autoverkehr kommt. So könnte Platz für Bäume und einen Radweg gewonnen werden. In der Folge sprachen sich Grüne, SPÖ und NEOS für eine Umgestaltung der Hörlgasse und den Entfall einer Fahrspur aus.[6]

Die Frage, wie viel Platz für den Individualverkehr aufgewandt werden soll, ist bekanntlich ein Garant für Diskussionen. Während auf der einen Seite Probleme wie Lärmbelastung, Schadstoffausstoß und der Klimaschutz angeführt werden, pocht die andere Seite auf Wahlfreiheit bei der Nutzung des Autos und die Notwendigkeit individuell-motorisierter Fortbewegung. Welche Position auch immer eingenommen wird, ein Punkt ist gerade in Hinblick auf den öffentlichen Raum zentral: Ein Pkw braucht eine Stellfläche von etwa 10-15 m², was im begrenzten innerstädtischen Bereich leicht zu Platzproblemen führt. Auch Fahrbahnen benötigen viel Platz, während andere Verkehrsteilnehmer oftmals an den Rand gedrängt werden. Eine Neuordnung des öffentlichen Raums kann auch als Anpassung an veränderte Bedürfnisse gesehen werden: Über 40% der Wiener Haushalte besitzen überhaupt kein eigenes Auto. Der 9. Bezirk, in dem die Hörlgasse liegt, ist jener Wiener Bezirk, in dem die Anzahl der PKW in den letzten Jahren am stärksten gesunken ist – trotz wachsender Bevölkerung.

Kommen Bäume?

2019 – noch unter Rot-Grün – stellte das Rathaus zusätzliches Budget für neue Bäume zur Verfügung. Die Hörlgasse bekam jedoch (noch) keine. Der Vergleich zur parallellaufenden Kolingasse zeigt, wohin die Reise gehen könnte: Dort zieht sich eine Allee durch die gesamte Gasse, wenngleich die Flächenverteilung noch auffälliger ist: viel Platz für Fahrspuren und Parkplätze.

2020 erklärte SPÖ-Bezirksvorsteherin Saya Ahmad in einer Presseaussendung:

Die Hörlgasse sorgt seit vielen Jahren für Diskussionen hier bei uns am Alsergrund. Der Grund dafür ist die ständige Luftverschmutzung und Lärmbelästigung durch den Autoverkehr. [7]

Es habe mit der Bürgerinitiative Allee Hopp und den Fachabteilungen bereits Gespräche gegeben. Vonseiten der Bezirksvorstehung wünsche man sich zwei statt drei Kfz-Fahrspuren, baulich getrennte Radwege in beide Richtungen, eine stärkere Begrünung, insbesondere durch zusätzliche Baumpflanzungen und Bänke oder andere Sitzmöbel.

2022: Demonstration für Umgestaltung

Im Mai 2022 hielten Anrainer und die zivilgesellschaftliche Initiative „Platz für Wien“ eine Veranstaltung in der Hörlgasse ab, die dafür kurzzeitig für den Autoverkehr gesperrt wurde. „Platz für Wien“ war eine Initiative für die Förderung von Fußgänger-, Rad- und öffentlichem Verkehr, aus der der Verein „Wir machen Wien“ hervorgegangen ist. Abgesehen von Tempo 30 war in der Hörlgasse auch bis 2022 alles beim Alten.

Im Oktober 2023 sagte Bezirksrat Kurto Wendt von der Partei Links in einem Interview:

Die SPÖ ist aktiv und glaubhaft für den Rückbau auf zwei Fahrspuren und die Stadträtin Sima (SPÖ, Ulli Sima, Stadträtin für Innovation, Stadtplanung und Mobilität, Anm.) verweigert jede Form der Entlastung, insbesondere seit sich das Bezirksparlament gegen den Lobautunnel ausgesprochen hat.

Ich war noch kein Mandatar, aber schon lange mit den progressiven Parteien im Bezirk in Verhandlungen, weil ich Sprecher der Bürger:inneninitiative „Allee Hopp“ bin, die eine Verkehrsberuhigung der Hörlgasse seit neun Jahren engagiert fordert. Da haben alle geschaut, wie wir 2016 von Stadträtin Vassilakou (Maria Vassilakou, Grüne, Anm.) das 30-er-Schild überreicht bekamen. Seitdem ist die Hörlgasse die einzige dreispurige Straße Österreichs mit einer 30km/h Beschränkung. [8]

2024: Immer noch nicht umgestaltet

Auch mehr als vier Jahre nach dem Erscheinen dieses Artikels und zehn Jahre nach den ersten Forderungen von Anrainern ist die Hörlgasse nicht umgebaut worden. Es gibt immer noch keine Bäume, die Fahrspuren sind nicht reduziert worden.

Grauer Wiener Standard

So geht es im 9. Bezirk langsam in Richtung Umgestaltung. Hätten nicht einige beherzte Anrainer auf die Situation erst aufmerksam gemacht, wäre wohl auch die nächsten Jahre alles beim Alten geblieben. Überhaupt scheint Wien in der Gestaltung des öffentlichen Raums seit Jahrzehnten zu schlafen. Erst langsam setzt ein Umdenken ein. Während der Umbau der Mariahilfer Straße von großem Widerstand begleitet war, werden rezentere Umgestaltungen vielfach begrüßt, beispielsweise in der Rotenturmstraße. Selbst die lange als kritisch bekannte Wirtschaftskammer fordert Begegnungszonen in allen Bezirken.

Wie schon im Artikel über den südlichen 4. Bezirk angemerkt, dürfen einzelne Vorzeigeprojekte nicht vom Grundproblem ablenken: Nach wie vor ist per Verordnung die Verwendung von Gussasphalt für Gehsteige vorgeschrieben. Verpflichtende Baumpflanzungen bei Umbauten im Straßenraum gibt es nicht. Und selbst in sensiblen historischen Umgebungen wie der Inneren Stadt, den historischen Ortskernen und den Gründerzeitvierteln ist die Straßenmöblierung (Lampen, Masten, Poller usw.) in erster Linie grau und schmucklos. Solange dieser „graue Standard“ nicht grundlegend geändert wird, müssen Bürgerinnen und Bürger den Aufstand proben, um auf Probleme hinzuweisen.

Kontakte zu Stadt & Politik

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Die Bezirksvorstehungen sind die politischen Vertretungen der einzelnen Bezirke. Die Partei mit den meisten Stimmen im Bezirk stellt den Bezirksvorsteher, dessen Aufgaben u.a. das Pflichtschulwesen, die Ortsverschönerung und die Straßen umfassen.
Die Bezirksvertretungen sind die Parlamente der Bezirke. Die Parteien in den Bezirksvertretungen werden von der Bezirksbevölkerung gewählt, meist gleichzeitig mit dem Gemeinderat. Jede Partei in einem Bezirk kann Anträge und Anfragen stellen. Findet ein Antrag eine Mehrheit, geht er als Wunsch des Bezirks an die zuständigen Stadträte im Rathaus. (Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Sitze in der Bezirksvertretung im Dezember 2020.)
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Vizebürgermeisterin und Stadträtin Kathrin Gaál untersteht die Geschäftsgruppe Wohnen. Zu dieser gehören u. a. die Baupolizei (kontrolliert die Einhaltung der Bauvorschriften u. dgl.), Wiener Wohnen (Gemeindewohnungen) und der Wohnfonds (Fonds für Neubau und Sanierung).

(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)

Quellenangaben

WienSchauen.at ist eine unabhängige, nicht-kommerzielle und ausschließlich aus eigenen Mitteln finanzierte Webseite, die von Georg Scherer betrieben wird. Ich schreibe hier seit 2018 über das alte und neue Wien, über Architektur, Ästhetik und den öffentlichen Raum.

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