Die Phorusgasse im 4. Bezirk wurde 2020 umgestaltet. Die Ziele: Mehr Aufenthaltsqualität im Straßenraum, mehr Begrünung und mehr Sicherheit am Schulweg. Das ist kaum gelungen.
Es ist eine der vielen Umgestaltungen, die vor allem kosmetische Effekte haben. Letztlich wurden bloß einige wenige Bäume zwischen die Parkplätze gesetzt. Das grundlegende Problem wurde nicht beseitigt: Die meisten Flächen sind nach wie vor dem Autoverkehr vorbehalten. Dabei wäre wahrscheinlich sogar eine Fußgängerzone möglich gewesen. Die Phorusgasse ist eine „Wohnstraße“, die diesen Namen nicht verdient.
Wirkungslose Verkehrsberuhigung
Die Phorusgasse, eine Seitengasse der Wiedner Hauptstraße, ist eine Wohnstraße. Über Wohnstraßen ist auf einer Seite der Stadt Wien zu lesen:
In einer Wohnstraße darf nur in Schrittgeschwindigkeit gefahren werden. Kinder dürfen auf der Fahrbahn spielen.
In den meisten Wohnstraßen ist das wohl nicht ratsam, denn sie unterscheiden sich faktisch nicht von allen anderen Straßen. Das hat weniger rechtliche als vielmehr politische Gründe: Bezirkspolitiker interessiert beim öffentlichen Raum vor allem, dass er auf die Bedürfnisse des Pkw-Verkehrs angepasst ist. Bäume, Platz für Fußgänger und Radwege sind meist Nebensache. Das ist bei der umgestalteten Phorusgasse nicht anders.
In der Phorusgasse befindet sich eine Volksschule. Kinder in diesem Alter sind etwa zwischen 118 und 140 Zentimeter groß. Damit sind sie kleiner als das aktuell meistverkaufte Auto Österreichs hoch ist. Sollten Kinder wirklich zwischen fahrenden und parkenden Fahrzeugen „auf der Fahrbahn spielen“?
Phorusgasse 2020 umgestaltet
Die Phorusgasse wurde vor der Wien-Wahl 2020 umgestaltet. Neue Sessel und Bänke wurden aufgestellt, der Platz vor der Schule neu gestaltet und neue Bäume gepflanzt. Asphalt findet sich weiterhin auf den Gehsteigen, die teilweise sogar neu asphaltiert wurden. Asphalt ist bzgl. Mikroklima (Hitze) und Ästhetik (altert schlecht, hässlich nach Reparaturen) problematisch.
Das Planungsressort wurde zu dieser Zeit noch von den Grünen geleitet. Vizebürgermeisterin Birgit Hebein:
Hier in der Phorusgasse zeigt Wien einmal mehr, was es kann. Die Klimakrise macht keine Pause (…) Innovative Projekte wie die Coole Straße Plus zeigen, wie Wien konkrete Maßnahmen setzt, um die Lebensqualität für die Menschen vor Ort zu verbessern. Das Grätzl wird aufgewertet, die Menschen bekommen Platz zurück und dank der Bäume schaffen wir Platz zum Plaudern. Damit gehen wir in Richtung Klimahauptstadt.
Die Gestaltung und Verteilung des öffentlichen Raums fällt vor allem in die Zuständigkeit der Bezirke. Es sind vor allem die Bezirksvorsteher, die über den Umfang von Umgestaltungen entscheiden. Bei größeren Umbauten sind die Bezirke aber auch auf Mittel aus dem Rathaus angewiesen. Die Genese eines Projekts ist für die Bevölkerung meist undurchschaubar, da das allermeiste hinter verschlossenen Türen ausgehandelt wird. In den meisten Fällen sind aber die Bezirksvorstehungen der Hauptgrund, warum der öffentliche Raum seit Jahrzehnten so vernachlässigt wird.
Die stärkste Partei auf der Wieden ist die SPÖ. Bezirksvorsteherin Lea Halbwidl sagte 2020 zur Phorusgasse:
Gerade in Zeiten der Klimaerhitzung müssen wir Akzente setzen, um den öffentlichen Raum zu kühlen. Aber die sechs Bäume werden nicht nur Schatten spenden. Mit ihnen wird die Phorusgasse auch in neuem Licht erscheinen. Das ist ein Gewinn für das ganze Grätzl.
Positiv in der Phorusgasse: Der schöne alte Straßenbelag mit Kopfsteinen ist noch erhalten. Das ist auch mikroklimatisch gut, da sich Naturstein weniger aufheizt. Die Pflasterung war aber schon vor der Umgestaltung da.
Minimale Änderungen - maximale PR
Das Rathaus weiß, wie man sich vermarktet. Ein gigantisches Budget für Inserate und stadtnahe Medien sichert die Deutungshoheit. Die PR funktioniert immer gleich: Kleinigkeiten werden als Sensationen verkauft, die generell niedrige Qualität bei der Gestaltung des öffentlichen Raums wird überdeckt. Dass die allermeisten Pläne für Umgestaltungen schon frühzeitig am Unwillen der Bezirksvorstehungen scheitern oder das Rathaus Fördermittel für Umbauten verweigert, wird nicht erwähnt. Im Fall der Phorusgasse wurden bloß Selbstverständlichkeiten wie die Pflanzung von Bäumen als klimafreundliche Maßnahme verkauft. Anmerkungen:
- Ein Großteil der Flächen in der Phorusgasse ist immer noch genauso wie vorher: Fahrbahn und Parkplätze.
- Erst 2019 wurden Teile der Gehsteige frisch asphaltiert.
- Die Hälfte der Phorusgasse wurde gar nicht umgestaltet.
- Einige der winzigen Grünflächen gab es schon vor der Umgestaltung. Hier wurden bloß niedrige Büsche durch Bäume ersetzt.
- Das Pflanzen von Bäumen ist weder neu noch innovativ. Alleen wurden schon um 1900 in vielen größeren Straßen angelegt. Dass es Wien jahrzehntelang nicht geschafft hat, in jeder Gasse und jeder Straße ausreichend Bäume zu pflanzen, zeigt, wie viel verabsäumt wurde.
- Die nachhaltigste Lösung wäre wahrscheinlich eine Fußgängerzone gewesen (mit erlaubter Zufahrt für Anrainer und Lieferanten). Stattdessen wird die Straße vor Schulbeginn für kurze Zeit gesperrt (was entsprechendes Personal erfordert) und dann wieder für den Verkehr freigegeben.
Unehrliche Werbung
Ein weiteres Mittel gefinkelter Vermarktung ist das Hantieren mit vielversprechenden, aber letztlich unrealistischen Grafiken. Das Rendering (siehe unten), mit dem die Stadt die Umgestaltung der Phorusgasse bewarb, hat mit dem Resultat wenig zu tun. Es suggeriert eine Freifläche, die in Wirklichkeit nicht existiert.
So sieht das in der Realität aus:
Vor Jahrzehnten wäre die Umgestaltung vielleicht noch als innovativ durchgegangen. Heute handelt es sich wohl eher um eine nette Behübschung. Natürlich stellen die Bäume eine Aufwertung dar. Es wird aber noch einige Jahre dauern, bis sie eine Größe erreichen, die auch auf das Umgebungsklima positiv wirkt. Für einen Umbau, der als Schritt in Richtung „Klimahauptstadt“ vermarktet wurde, ist das aber zu wenig.
Wieden: Öffentlicher Raum egal?
Der 4. Bezirk gehört zu den dichtbebautesten Bezirken Wiens. Der Grünanteil ist durch die Bebauungsstruktur gering. Auch für alle nutzbare öffentliche Räume – Fußgängerzonen, Begegnungszonen und autofreie Plätze – gibt es nicht allzu viele. Geschlossen autofreie Plätze á la Italien fehlen fast vollständig. Zurückzuführen ist das auf die Bezirkspolitik. Die Wieden wurde bis 2010 von der ÖVP regiert, seitdem von der SPÖ. An der Gestaltung des öffentlichen Raums hat der Wechsel in der Bezirksvorstehung wenig gerändert. So sind etwa folgende Straßen und Plätze immer noch sehr unattraktiv:
- Margaretenstraße: katastrophale Gestaltung des öffentlichen Raums (nur Asphalt), breite Stellen massiv verparkt, abschnittsweise keine Bäume
- Schleifmühlgasse: Seit Jahren wird eine Verkehrsberuhigung gefordert. Es passiert aber nichts.
- Argentinierstraße: Die zentrale Verbindung von Hauptbahnhof und Karlsplatz ist sehr unattraktiv, Bäume fehlen. Forderungen nach einer Umgestaltung werden ignoriert.
- Wiedner Hauptstraße: Eine Verkehrsader, die wohl einst eine Einkaufsstraße war. Viel Asphalt, wenig Aufenthaltsqualität. Für Fußgänger – die wichtigste Gruppe für Einkaufsstraßen – unangenehm. Je weiter stadtauswärts, desto eklatanter der Qualitätsabfall (ganz extrem im 5. Bezirk).
- Operngasse: eine unattraktive Straße neben der Technischen Universität
- Favoritenstraße: Straße ohne Aufenthaltsqualität und teilweise ohne Begrünung
- Südtiroler Platz: keine nachhaltige Aufwertung des öffentlichen Raums trotz Umgestaltung
Waltergasse: Mini-Umbau statt Aufwertung
Das Desinteresse an nachhaltiger Gestaltung des öffentlichen Raums wird in der Waltergasse deutlich. Die Gasse liegt zwischen zwei Schulen, ist verkehrlich unbedeutend und würde sich daher perfekt als Fußgängerzone eignen, um den Kindern und Anrainern eine schöne Freifläche zu bieten. Trotz eines Umbaus ist das aber nicht passiert. Die Straßenmitte wurde wieder asphaltiert. Eine bunte Bemalung soll Veränderung vortäuschen, die realiter nur bedingt existiert: Die Gasse wird bloß zu gewissen Zeiten vorübergehend für den Verkehr gesperrt. Offenbar sind einige wenige Parkplätze wichtiger als ein dauerhaft schöner öffentlicher Raum für alle.
Währing: Fußgängerzone vor Volksschule
Kurze Fußgängerzonen sind einfach herzustellen und erfordern keine komplexen Verkehrsänderungen. Besonders vor Schulen sind Fußgängerzonen die beste Lösung – besonders im Sinne der Sicherheit für Kinder. Im 18. Bezirk wurde die Schulgasse (heißt wirklich so!) 2019 zu einer Fußgängerzone. Umgesetzt unter Bezirksvorsteherin Silvia Nossek (Grüne).
So hat die Fläche vor der Volksschule noch 2017 ausgesehen:
Kontakte zu Stadt & Politik
- SPÖ (wien.wieden@spw.at)
- Die Grünen (wieden@gruene.at)
- ÖVP (wieden@wien.oevp.at)
- NEOS (wien@neos.eu)
- Links (kontakt@links-wien.at)
- FPÖ (ombudsstelle@fpoe-wien.at)
Die Bezirksvertretungen sind die Parlamente der Bezirke. Die Parteien in den Bezirksvertretungen werden von der Bezirksbevölkerung gewählt, meist gleichzeitig mit dem Gemeinderat. Jede Partei in einem Bezirk kann Anträge und Anfragen stellen. Findet ein Antrag eine Mehrheit, geht er als Wunsch des Bezirks an die zuständigen Stadträte im Rathaus. (Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Sitze in der Bezirksvertretung im November/Dezember 2020.)
- SPÖ: kontakt@spw.at, Tel. +43 1 535 35 35
- ÖVP: info@wien.oevp.at, Tel. +43 1 51543 200
- Die Grünen: landesbuero.wien@gruene.at, Tel. +43 1 52125
- NEOS: wien@neos.eu, Tel. +43 1 522 5000 31
- FPÖ: ombudsstelle@fpoe-wien.at, Tel. +43 1 4000 81797
(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)
Verfall und Abrisse verhindern: Gemeinsam gegen die Zerstörung! (Anleitung mit Infos und Kontaktdaten)
Quellen
- Die Phorusgasse wird sicherer (meinbezirk.at, 28.10.2021)
- Wiedens erste dauerhafte „Coole Straße“ ist eröffnet (meinbezirk.at, 10.9.2020)
- Hebein/Halbwidl: Wiedens erste dauerhafte Coole Straße Plus ist fertig! (Presseaussendung, 3.9.2020)
- Wieden: Umbau Phorusgasse in permanente kühle Strasse (Wiener Bezirksblatt)
- Das meistverkaufte Auto des Jahres 2021 ist der Fiat 500 (Höhe: 1,4 Meter, Gewicht: 1,1 Tonnen).
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