Von den historischen Paukerwerken in Floridsdorf ist fast nichts mehr übrig. Die im frühen 20. Jahrhundert erbauten Backsteingebäude wurden 2020 nahezu vollständig abgerissen. Dabei haben die Magistrate sogar einen Teil der alten Hallen als erhaltenswert eingestuft. Wurde mehr abgerissen als erlaubt?
Hinweis: Einige Monate nach dem Erscheinen dieses Artikels wurde auch der letzte Rest des Gebäudes abgebrochen.
Die alten Paukerwerke
Die Paukerwerk Aktiengesellschaft geht auf Josef Pauker zurück, der das Unternehmen in den 1850ern gründete und später an seinen Sohn weitergab. Im frühen 20 Jahrhundert wurden die Fabrikgebäude in der Siemensstraße errichtet, kurz darauf erfolgte eine Fusion mit der Ersten Brünner Maschinenfabrik. Unter NS-Herrschaft entstand 1941 aus der Fusion dreier Unternehmen die Simmering-Graz-Pauker Aktiengesellschaft für Maschinen-, Kessel- und Waggonbau, die bis 1989 in dieser Form Bestand hatte.
Zumindest einige Zubauten gehen auf Entwürfe (oder zumindest die Mitarbeit) des Baumeisters und Otto-Wagner-Schülers Friedrich Dietz von Weidenberg (1874-1941) zurück, wie die obigen Zeitungsausschnitte belegen. Dietz von Weidenberg entwarf beispielsweise auch das bekannte Sild-Haus am Floridsdorfer Spitz Nr. 13, das seit 2018 auch in einer Schutzzone steht.
Ob die zuletzt noch erhaltenen Backsteingebäude der Paukerwerke ebenfalls auf Plänen dieses bekannten Industrie- und Jugendstilarchitekten beruhen, hat sich nicht feststellen lassen.
Simmering-Graz-Pauker stellte u.a. Turbinen, Dampfkessel, Kraftwerke, Motoren, Lokomotiven und Waggons her. Für die Wiener Linien wurden U-Bahnen und Straßenbahnen gebaut.
Die Liegenschaft von Simmering-Graz-Pauker an der Siemensstraße 89 – wo die historischen Hallen standen – kam mit der Übernahme des Unternehmens VA Tech zu Siemens, doch fand der Konzern keine Verwendung für das weitläufige Areal. Es kam zum Verkauf.
Über 48.000 m² sind die Siemensgründe groß. Um einen kolportierten Kaufpreis von 23 Millionen Euro übernahm ein Wiener Immobilienunternehmen die riesige Liegenschaft, einschließlich der historischen Fabrikgebäude.
Der Abriss der Paukerwerke
In den 1990er-Jahren prüfte das Bundesdenkmalamt die alten Backsteinhallen. Unter Denkmalschutz wurden die Hallen aber nicht gestellt. Das limitierte Denkmalschutzgesetz und die seit Jahren bekannte Unterbesetzung der Abteilungen in den Bundesländern könnten daran einen Anteil haben.
Die Stadt Wien kann unabhängig vom Denkmalschutz auch Schutzzonen einrichten, mit denen sich historische Gebäude ebenfalls vor dem Abriss schützen lassen:
In den Flächenwidmungs- und Bebauungsplänen können die wegen ihres örtlichen Stadtbildes in ihrem äußeren Erscheinungsbild erhaltungswürdigen Gebiete (Schutzzonen) ausgewiesen werden.
Doch dazu ist es nicht gekommen.
Das sagte die Initiative Denkmalschutz zum Abbruch:
Für die Initiative Denkmalschutz waren die Fabrikhallen bzw. zumindest Teile davon klar erhaltungswürdig, zumal auch der anerkannte Architekt und Architekturpublizist Friedrich Achleitner diese Hallen entsprechend gewürdigt hat.
Für besonders eindrucksvoll hielt Gerhard Hertenberger (Initiative Denkmalschutz, Zitat in der Floridsdorfer Zeitung) …
… insbesondere das ‘Objekt 230’, die Turbinenwerkstätte, mit seiner imposanten Fassade. Und der älteste erhaltene ‘Bauteil 161’, die über 100 Jahre alte Produktionshalle von 1908. Sie sind architektonisch und industriegeschichtlich von großer Bedeutung (…)
Als es jedoch im Mai 2020 zur Umwidmung des Areals kam, war es für einen Vorschlag für eine Schutzzone schon zu spät. Der Abriss hatte bereits begonnen – während der neue Bebauungsplan erst als Entwurf vorlag. Sollten Tatsachen geschaffen werden, bevor überhaupt eine Diskussion über einen teilweisen Erhalt der Hallen aufkommen würde?
Wenn es nach mir geht, wäre alles weggekommen.
Das sagte der Projektentwickler zur Floridsdorfer Zeitung. Der Eigentümer möchte eine Hochgarage, einen Supermarkt und Bürogebäude auf dem ehemaligen Industriegelände errichten. Wohnnutzung ist nicht vorgesehen.
Zu viel abgerissen?
Erstaunliche Hintergründe wurden durch die Webseite der Grünen Floridsdorf bekannt (Juni 2020):
Außerdem bedauerte [der grüne Bezirksrat] Gerhard Jordan den übereilten Abriss der historisch schützenswerten Industriehallen und des Schornsteins auf dem Paukerwerk-Gelände, obwohl die Magistratsabteilung 19 die Erhaltungswürdigkeit festgestellt hatte.
Eine Anzeige gegen die Bauwerber soll bereits eingebracht worden sein. Zu hinterfragen ist ein negatives Gutachten von Arch. Prof. Wehdorn, durch das nun einmal mehr eine bauliche Erinnerung an die traditionsreiche Arbeiterbewegung Floridsdorfs verschwindet.
Im Gegensatz dazu hieß es von der Baupolizei (Anfrage im September 2020):
Für alle Gebäude auf den Liegenschaften der ehemaligen Paukerwerke wurde seitens der MA 19 bekanntgegeben, dass kein öffentliches Interesse am Erhalt dieser Gebäude besteht.
Laut Magistratsabteilung 19 (Architektur und Stadtgestaltung) ist jedenfalls ein Teil der Bauten am Areal erhaltenswert (Auskunft Oktober 2020).
Anscheinend sollte zumindest ein 100 Meter langer Abschnitt der Außenmauer erhalten bleiben. So sei die Kesselhalle erhaltenswert, nicht aber die anderen Gebäude (es standen auch etliche Nachkriegsbauten am Areal). Ob aber die noch sichtbare Ruine diese Vorgaben erfüllt?
Die Forderung nach einem teilweisen Erhalt – auch ohne Schutzzone – ist überhaupt erst durch die im Jahr 2018 novellierte Bauordnung möglich. Diese Gesetzesverschärfung wurde damals mit den Stimmen von SPÖ, FPÖ und Grünen beschlossen (ÖVP und NEOS stimmten dagegen).
Seither braucht es für den Abbruch vor 1945 errichteter Gebäude eine Zustimmung der Behörden. Das heißt: Historische Gebäude lassen sich also im Prinzip durchaus vor dem Abbruch schützen, wenngleich diese gesetzliche Verschärfung mitunter gleichsam umgangen wird. Beispielsweise mittels durch Privatgutachten festgestellter Abbruchreife (siehe Leopoldauer Platz 9 und 11, I. Medizinische Klinik des AKH).
In Zukunft wird es wichtig sein, den Schutz historischer Gebäude und die Altstadterhaltung generell rechtlich zu stärken (siehe auch die Vorschläge hier):
- Immer noch werden Häuser viel zu einfach und intransparent als abbruchreif eingestuft.
- Nach 1945 errichtete Gebäude, die ebenfalls erhaltenswert sein können, sind gar nicht geschützt, sodass rezentere Architekturperioden in Gefahr sind, zu verschwinden.
- Die Einrichtung von neuen Schutzzonen sollte gesetzlich verpflichtend sein, sofern erhaltenswerte vor oder nach 1945 errichtete Gebäude im Plangebiet stehen.
- Eigentümer von historischen Häusern in Schutzzonen sollten durch mehr Mittel aus dem Altstadterhaltungsfonds und durch eine Aufhebung der Stellplatzverpflichtung mehr Anreize zu Sanierung und Ausbau ihrer Häuser bekommen.
All das kann der Wiener Gemeinderat beschließen, ohne auf die Bundesregierung angewiesen zu sein. Es sollte im Interesse aller politischen Parteien liegen, das alte Wien zu erhalten und sorgsam weiterzuentwickeln.
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Die Bezirksvorstehungen sind die politischen Vertretungen der einzelnen Bezirke. Die Partei mit den meisten Stimmen im Bezirk stellt den Bezirksvorsteher, dessen Aufgaben u.a. das Pflichtschulwesen, die Ortsverschönerung und die Straßen umfassen.
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(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)
Verfall und Abrisse verhindern: Gemeinsam gegen die Zerstörung! (Anleitung mit Infos und Kontaktdaten)
Quellen und weitere Infos
- Stellungnahme der Initiative Denkmalschutz zum Abriss bzw. der Umwidmung der ehemaligen Paukerwerke: initiative-denkmalschutz.at/stellungnahme/paukerwerk-wien-fabrikabriss-und-stellungnahme-flaechenwidmung/
- Bericht über den Abriss in der Floridsdorfer Zeitung: dfz21.at/dfz/initiative-fordert-paukerwerke-erhalten/
- Artikel in der Bezirkszeitung vom 14.8.2018: meinbezirk.at/floridsdorf/c-lokales/so-geht-es-auf-den-siemensgruenden-weiter_a2816681
- Infos zur Geschichte der Paukerwerke: albert-gieseler.de/dampf_de/firmen0/firmadet1515.shtml
- Baumeister Friedrich Dietz von Weidenberg: architektenlexikon.at/de/91.htm, geschichtewiki.wien.gv.at/Friedrich_Dietz_von_Weidenberg
- Copyright des verlinkten Fotos (Am Spitz Nr. 13): Ewald Judt, 1210 Am Spitz 13 – Sild-Haus IMG 2384, CC BY 4.0
- Die Zeitungsausschnitte sind entnommen aus ANNO – AustriaN Newspapers Online: anno.onb.ac.at
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