2020 wurde Wien zur „grünsten Stadt der Welt“ gewählt. Doch in vielen Gegenden ist davon nicht viel zu spüren – zum Beispiel im 15. Bezirk, gleich hinter dem Westbahnhof: In vielen Gassen gibt es keinen einzigen Baum. Der öffentliche Raum ist fast durchgehend mit grauem Asphalt versiegelt, parkende Fahrzeuge prägen das Straßenbild. Auch rezente Umgestaltungen haben die Situation nur bedingt verbessert. Ob sich Wien die Auszeichnung wirklich verdient hat?
Dieser Artikel ist 2020 erschienen. Zwei Jahre später wurden Teile der darin Artikel behandelten Straßen und Plätze umgestaltet: Langauergasse, Friedrichsplatz und Staglgasse (hinzugefügt im September 2023).
Der 15. Bezirk liegt zwischen den hippen Bezirken Neubau und Mariahilf, dem Schloss Schönbrunn und Ottakring. Die Wohnungspreise sind vielfach noch erschwinglich, vielerorts wird gebaut und renoviert. Schon jetzt ist der 15. einer der dichtbevölkertsten Bezirke des Landes.
In einem Punkt sticht Rudolfsheim-Fünfhaus besonders hervor: In keinem Bezirk Österreichs ist der PKW-Besitz niedriger. Über 70% der Bewohner haben kein eigenes Auto.
Das Grätzl, das hier im Fokus steht, entspricht ungefähr dem historischen Bezirksteil Rustendorf. Begrenzt wird es von den Westbahngleisen im Norden und der äußeren Mariahilfer Straße im Süden. In den letzten Jahren fand hier eine Blocksanierung statt; etliche alte Häuser wurden mit Unterstützung der Stadt Wien renoviert. Rustendorf bekommt auch bald eine Schutzzone, um historische Gebäude langfristig vor dem Abbruch zu bewahren. Doch auf einige alte Gebäude ist dabei vergessen worden (siehe den Artikel).
Im folgenden Abschnitt wird die Gestaltung ausgewählter Straßen und Plätze in diesem Bezirksteil beleuchtet. Im Anschluss (hier) finden sich einige Daten zum öffentlichen Raum im 15. Bezirk und Vorschläge, wie Wien künftig schöner und lebenswerter gestaltet werden könnte.
Kein Park in der Langauergasse
- Gesamtfläche: ca. 3270 m²
- Fahrbahnen, Parkplätze: ca. 52,3%
- Gehsteige, Fußwege: ca. 27%
- Grünfläche: ca. 20,7%
- Bäume: 14
Die Langauergasse liegt südlich der Bahngleise und ist nur wenige Schritte vom Westbahnhof entfernt. Hier gibt es auch eine der wenigen kleinen Grünflächen im Grätzl, doch ist über die Hälfte des „Platzes“ von Asphalt bedeckt.
Das wenige Grün verschwindet förmlich hinter den Parkplätzen – dabei gibt es beim Westbahnhof viele Garagenplätze. Etwa 46 Fahrzeuge parken in diesem Teil der Langauergasse, was umgerechnet etwa 0,059-0,1% der Bezirksbevölkerung entspricht.
Wird die Langauergasse als Platz betrachtet, dann nehmen Fahrbahnen und Parkplätze über doppelt so viel Fläche ein wie Bäume und Rasen (Grafik unten).
Asphaltplatz Gasgasse
- Fläche: 625 m²
- Anteil Asphaltbelag: 89%
- Bäume: 4
Seit 2017 hat die Schule in der Gasgasse einen neuen Vorplatz. Der kurze Abschnitt der Gasse ist seither eine kleine Fußgängerzone und damit eine Rarität, denn nur 2,2% der Verkehrsflächen im 15. Bezirk sind Fußgängerzonen.
Neben etlichen Bänken gibt es auch größere Sitzflächen aus Holz. Wie langlebig diese sind, wird sich in den nächsten Jahren weisen.
Bestimmt stellt der verkehrsberuhigte Vorplatz für Schüler und Anwohner eine Verbesserung dar. Doch warum wurde ausgerechnet grauer Asphalt verlegt? So macht die Fläche einen eher tristen Eindruck.
Auch das Thema Klimawandel wird hier schlagend: Asphalt versiegelt den Boden, heizt sich tagsüber stärker auf und kühlt nachts schlecht ab. Für die Bewohner der Umgebung bedeutet das im Sommer mehr Hitze. Dieser Effekt hätte durch helle Pflastersteine und mehr Flächen für Sträucher abgemildert werden können. Dass die Wiener Behörden (und Politiker) Fußgängerzonen auch anders gestalten können, zeigt die 2019 umgestaltete Königsegggasse.
Staglgasse: Spielen zwischen Blech?
In einer Wohnstraße darf nur in Schrittgeschwindigkeit gefahren werden. Kinder dürfen auf der Fahrbahn spielen.
Das Zitat oben ist die Definition von Wohnstraßen in Wien. Ob der kurze Abschnitt der Staglgasse wirklich geeignet ist, dass Kinder hier „auf der Fahrbahn spielen“?
Offiziell ist ein Teil der Staglgasse jedenfalls eine Wohnstraße. In der Praxis handelt es sich um eine ganz normale Gasse, die sich einzig durch eine verblassende Blaufärbung von allen anderen Gassen unterscheidet.
Durch die Parkspuren links und rechts wäre es für Kinder wohl mitunter gefährlich, auf dieser Straße zu spielen. Ob den Verantwortlichen (zuständig war wohl die Bezirksvorstehung) der Erhalt der Parkplätze wichtiger gewesen ist als mehr Platz für alle?
Friedrichsplatz: Lichtblick unter Bäumen
- Fläche: 2410 m²
- Fahrbahnen, Parkplätze: 37%
- Gehsteige, Fußgängerbereich: 63%
- Bäume: 16
Die Gestaltung des Friedrichsplatzes wirkt im Gegensatz zu anderen Teilen des Grätzls geradezu modern. Doch sie ist es nicht, denn der Platz hat sich in den letzten Jahren (und Jahrzehnten) kaum verändert.
Die ältesten Bäume sind aus den 1950er-Jahren – entsprechend viel Schatten spenden die großen Kronen.
Cafés oder Lokale gibt es hier nicht, denn wie so oft in Wien liegen Fahr- und Parkspuren zwischen den Häusern und dem eigentlichen Platz. Ein belebter öffentliche Raum kann sich somit kaum entwickeln. Von der Stimmung italienischer Piazze ist am Friedrichsplatz nichts zu spüren. Wie es anders gehen kann, macht der Vergleich mit dem Sobieskiplatz im 9. Bezirk klar.
Zwölfergasse: Ein bisschen Grün
- Länge: 228 Meter
- Bäume: 6
Die Zwölfergasse hat etwas, das vielen Gassen der Umgebung fehlt: Bäume. Einige (noch) dünne Stämme ragen zwischen den parkenden Fahrzeugen in die Höhe.
Sechs Straßenbäume stehen auf einer Länge von 228 Metern.
2011 wurde an der Zwölfergasse ein Wohnheim neu errichtet. Dafür hatte die Stadt Wien sogar den Flächenwidmungsplan geändert – und zwar mit einem auffälligen Detail: Der attraktive Fußweg durch den offenen Gebäudekomplex ist kein öffentlicher Durchgang. Das heißt, der Betreiber könnte jederzeit Zäune und Tore errichten und die Öffentlichkeit aussperren. Warum Behörden und Politik nicht auf einen öffentlichen Durchgang bestanden haben, ist nicht bekannt.
Kauergasse: Schule mit grau
- Länge: 136 Meter
- Bäume: 6 (davon 2 am Schulgelände)
Die Kauergasse ist eine Mittelschule mit 280 Schülern – und eine 136 Meter lange Gasse mit viel grauem Asphalt. Der kleine Platz vor der Schule ist gepflastert und hat attraktive Sitzgelegenheiten. Die Umgestaltung erfolgte 2019. In der restlichen Gasse sieht es weniger einladend aus.
Anders als beispielsweise in der Währinger Schulgasse ist der Vorplatz keine Fußgängerzone. Hier der Vergleich:
Ob die Einrichtung einer Fußgängerzone mit gleichzeitig erlaubter Zufahrt für Anrainer (die hier Garagen haben) vielleicht eine bessere Lösung gewesen wäre?
Enge graue Gassen
Wer von der äußeren Mariahilfer Straße in manche Seitengasse einbiegt, könnte zuweilen den Eindruck gewinnen, als sei die Zeit stehen geblieben: Schmale Gassen ohne jegliche Begrünung, enge Gehsteige, verparkte öffentliche Räume.
Dass mitunter Einbauten (unterirdische Rohre, Leitungen etc.) die Pflanzung von Bäumen erschweren, kann aber kaum der Grund sein, denn es mangelt auch an Sträuchern und Plätzen mit Sitzgelegenheiten.
Denglergasse
- Länge: 200 Meter
- Bäume: 0
Die Denglergasse führt von der Mariahilfer Straße direkt zur der Mauer, die die Westbahngleise vom restlichen Bezirk abtrennt.
Einige schmucke Gründerzeithäuser haben sich hier erhalten, doch hält die Gestaltung des öffentlichen Raums mit der Attraktivität der Fassaden kaum mit. Es gibt in der 200 Meter langen Gasse keinen einzigen Baum.
Fuchsgasse
- Länge: 65 Meter (bis Ecke Langauergasse)
- Bäume: 0
In der kurzen Fuchsgasse, gleich hinter dem Westbahnhof, gibt es keine Straßenbäume und keine Begrünung. Die Gehsteige sind unattraktiv und asphaltiert.
Jurekgasse
- Länge: 470 Meter
- Straßenbäume: 2 (auf Privatgrund: 4)
Die ruhige Jurekgasse verläuft parallel zur Mariahilfer Straße. Einige Gebäude in der Gasse sind zurückversetzt, sodass der Straßenraum stellenweise breiter ist. Diese Flächen werden fast ausschließlich für Schrägparkplätze verwendet. In der fast einen halben Kilometer langen Gasse gibt es nur zwei Straßenbäume.
Karmeliterhofgasse
- Länge: 121 Meter
- Bäume: 0
Die kleine Gasse neben der Mariahilfer Straße wäre geradezu prädestiniert für Begrünungen und Bäume: Die Bauflucht springt auf großer Länge zurück, was Raum für Bäume, Sträucher und Sitzbänke bietet. Doch diese Möglichkeit bleibt ungenutzt. Es gibt keinen einzigen Baum, aber viele Parkplätze – obwohl einige Häuser Garagen haben.
Kohlenhofgasse
- Länge: 93 Meter
- Bäume: 0
Die Kohlenhofgasse ist nur wenige Minuten vom Westbahnhof entfernt. Auch hier steht kein einziger Baum.
Oesterleingasse
- Länge: 132 Meter
- Bäume: 0
Ein ähnliches Bild wie bei den vorangegangenen Beispielen bietet die schmale Oesterleingasse: Der öffentliche Raum ist stark durch Parkplätze geprägt. Bäume fehlen. Der öffentliche Raum ist für die große Mehrheit der Bewohner kaum nutzbar.
Rosinagasse
- Länge: 283 Meter
- Bäume: 4 (in der nahen Parkanlage: 3)
In der Rosinagasse, die direkt neben dem Bezirksamt und dem Friedrichsplatz liegt, gibt es immerhin vier Straßenbäume und eine winzige Parkanlage. Doch auch in dieser Gasse ist der meiste Raum dem motorisierten Individualverkehr gewidmet.
Rustengasse
- Länge: 171 Meter
- Bäume: 0
Die Rustengasse ist stellenweise deutlich breiter als viele andere Gassen der Umgebung. Doch auch hier gibt es keine Grünflächen oder Plätze zum Verweilen.
Sperrgasse
- Länge: 308 Meter
- Bäume: 0
In der verhältnismäßig langen Sperrgasse gibt es keine Bäume, aber viele Parkplätze. Als Bodenbelag ist durchgehend Asphalt verlegt.
Toßgasse
- Länge: 170 Meter
- Bäume: 0
In der Toßgasse stehen einige gut erhaltene Häuser im Stil des Historismus. Der öffentliche Raum ist bisher aber nur wenig entwickelt: Es gibt keine Begrünung und de facto keine Angebote, um sich hier im Freien aufzuhalten (z.B. Bänke, kleine Plätze).
Viktoriagasse
- Länge: 285 Meter
- Straßenbäume: 0 (auf Privatgrund: 2 Bäume, Sträucher)
Auch in der Viktoriagasse gibt es keine Straßenbäume. Die Gehsteige sind z.T. nur einen Meter breit.
In der Viktoriagasse befindet sich ein großes Parkhaus mit 131 Stellplätzen. Trotzdem dominiert auch in der direkten Umgebung der ruhende PKW-Verkehr. Die einzigen Bäume in der Gasse stehen auf dem Grund des Parkhauses. Straßenbäume (die von der Stadt Wien gepflanzt und betreut werden) gibt es keine.
Würffelgasse
- Länge: 113 Meter
- Bäume: 0
Die kurze Würffelgasse hat drei Spuren für den motorisierten Individualverkehr: Zwei Fahrspuren und eine Parkspur. Bäume oder Grünflächen gibt es nicht.
Breitere Straßen - trotzdem kein Platz für Grün?
Breitere Straßen könnten die Chance auf einen belebteren öffentlichen Raum sein: Bäume, Sitzgelegenheiten, kleine Plätze und Radwege sind das, was Stadtviertel mitunter lebenswert machen. Diese Möglichkeiten sind in Rustendorf bisher nur wenig wahrgenommen worden.
Avedikstraße
- Länge: 740 Meter
- Bäume: 0 (im Hof eines angrenzenden Gemeindebaus: 30)
Die Avedikstraße verläuft entlang der Gleisanlagen des Westbahnhofs. Die durchgehende Mauer und der zum Teil starke PKW-Verkehr machen die Straße sehr unattraktiv. Zum Teil sind die Gehsteige in der Avedikstraße sehr schmal, was in Kombination mit der manchmal hohen Fahrgeschwindigkeit (Tempo 30 gilt nicht) zu gefährlichen Situationen führen kann.
Trotz der Länge von 740 Metern gibt es in der Avedikstraße keinen einzigen Straßenbaum. Der begrünte Hof eines Gemeindebaus ist die einzige Grünfläche, die auch an diese Straße grenzt.
Grenzgasse
- Länge: 227 Meter
- Bäume: 0
Mitten durch das Wohngebiet verläuft die zeitweise stark befahrene Grenzgasse. Der Lärmpegel ist zeitweise hoch, da kein Tempo 30 gilt – obwohl es sich um ein Wohngebiet handelt.
Für den PKW-Verkehr stehen bis zu vier Spuren zur Verfügung (je zwei Fahr- und Parkspuren). Bäume oder kleinere Grünflächen gibt es in der Grenzgasse nicht.
Zollernsperggasse
- Länge: 125 Meter
- Bäume: 0
Die Zollernsperggasse ist eine Einbahn, die die Avedikstraße (verläuft entlang der Westbahngleise) mit der Mariahilfer Straße verbindet. Abgesehen von einigen Bäumen am Gelände der (öffentlich nicht zugänglichen) Remise gibt es keine Grünflächen. Obwohl die Straße sehr breit ist, fehlen Sitzgelegenheiten.
Äußere Mariahilfer Straße
Die innere (6./7. Bezirk) und äußere Mariahilfer Straße (15. Bezirk) haben einige Gemeinsamkeiten:
- Die äußere Mariahilfer Straße ist fast genauso breit wie die innere.
- Interessante historische Gebäude haben sich in der inneren und äußeren „Mahü“ erhalten.
- Radfahren ist in der inneren und äußeren Mariahilfer Straße möglich.
Aber es gibt auch Unterschiede:
- Eine Begegnungs- und Fußgängerzone ist nur in der inneren Mariahilfer Straße eingerichtet.
- Die äußere Mariahilfer Straße hat Straßenbahngleise und ist in beide Richtungen befahrbar.
- In der äußeren Mariahilfer Straße gibt es deutlich weniger Bäume.
- Die äußere Mahü ist stark durch PKW-Verkehr geprägt, die innere durch Fußgänger.
- Innere Mariahilfer Straße: 104 Bäume pro Kilometer
- Äußere Mariahilfer Straße: 51 Bäume pro Kilometer
Auf der inneren Mariahilfer Straße müssen vor allem Radfahrer und Fußgänger aufeinander achtgeben, doch kommt es wahrscheinlich selten zu wirklich gefährlichen Situationen. Anders im 15. Bezirk: Die Radwege liegen zwischen Fahrbahnen, Bahngleisen und Parkplätzen.
Im Vergleich zu viele anderen Gassen im 15. Bezirk gibt es auf einigen Abschnitten der äußeren Mariahilfer Straße viele Bäume, was das Straßenbild aufwertet. Auch der Straßenquerschnitt ist sehr breit. Ob eine Neuaufteilung für Anrainer, Geschäfte und Lokale Verbesserungen bringen könnte?
Der öffentliche Raum im 15. Bezirk
- Autozentrierte Straßenplanung: Viele Straßen, Gassen und Plätze sind primär auf den PKW-Verkehr ausgelegt.
- Gefährliche Radwege: Die meisten Radwege sind nicht baulich getrennt von den regulären Fahrbahnen.
- Wenig Grün, wenige Bäume: Der Bezirk ist dicht verbaut und hat nur wenige Parks und Grünflächen, vielerorts fehlen Straßenbäume.
- Viel Asphalt: Auf Gehsteigen und Plätzen dominiert Gussasphalt.
- Geringer Autobesitz: Die meisten Bewohner haben kein eigenes Auto.
- Es wird heißer: Der Klimawandel hat massive Auswirkungen auf das dicht verbaute Stadtgebiet.
- Schön ist anders: Viele Gassen und Plätze sind ästhetisch wenig ansprechend gestaltet, Freiflächen (z.B. Fußgängerzonen) fehlen.
- Niedriges Einkommen: Das Durchschnittseinkommen im 15. Bezirk ist das niedrigste aller Wiener Bezirke. Daher sind die Menschen auf öffentliche (also kostenlos nutzbare) Räume besonders stark angewiesen.
(1) Das Auto bestimmt den öffentlichen Raum
Die Gestaltung des öffentlichen Raums spiegelt die Wünsche und Anforderungen unterschiedlicher Verkehrsteilnehmer wider: Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer (mitunter dieselben Personen), Anrainer und Pendler, Bewohner und Lieferanten. Ob der öffentliche Raum im 15. Bezirk gerecht aufgeteilt ist, wird anhand der folgenden Daten fraglich:
Viel Fläche für Fahrbahnen & Parkplätze
Im Verhältnis zur Einwohnerzahl ist für Straßen und Parkplätze mehr als zweieinhalbmal so viel Platz reserviert wie für Grünflächen/Parks. Noch gar nicht berücksichtigt ist dabei, dass der größte Park des Bezirks, der Auer-Welsbach-Park, inmitten stark befahrener Straßen liegt und somit stellenweise nur bedingt Erholung bieten kann.
Die Grafik unten zeigt, wie viele Flächen in Relation zur Einwohnerzahl zur Verfügung stehen:
Wenige Fußgängerzonen, wenige baulich getrennte Radwege
2,2% der Verkehrsflächen im 15. Bezirk sind Fußgängerzonen, nur 0,3% sind baulich getrennte Radwege. Den größten Anteil – fast zwei Drittel – machen Fahrbahnen und Parkplätze aus.
Mehrheit ohne eigenes Auto
Rudolfsheim-Fünfhaus ist jener Bezirk Österreichs mit dem im Verhältnis geringsten Autobesitz. In keinem Bezirk gibt es weniger Autos pro Einwohner als hier.
Werden nur Privat-PKW berücksichtigt, ist die statistische Zahl der Personen, die kein eigenes Auto haben, noch höher:
Während im 23. Bezirk jeder zweite Einwohner ein eigenes Auto hat, ist es im 15. Bezirk weniger als jeder dritte. Trotzdem steht dem ruhenden PKW-Verkehr viel Raum zur Verfügung. Immerhin nimmt ein Parkplatz rund 11-15m² ein, wobei Fahrzeuge etwa 23 Stunden am Tag bloße „Stehzeuge“ sind (also parken).
Die zentrale Frage ist also: Warum wird dem PKW-Verkehr im 15. Bezirk so viel Platz eingeräumt, obwohl nur verhältnismäßig wenige Bewohner überhaupt ein Auto haben?
Wenige baulich getrennte Radwege
Die meisten Radwege im 15. Bezirk sind nicht baulich getrennt, liegen also zwischen Fahrspuren und Parkplätzen. Die Benutzer dieser Radwege sind so einer höheren Unfallgefahr ausgesetzt. Rudolfsheim-Fünfhaus ist einer der Bezirke mit dem kleinsten baulich ausgestalteten Radwegenetz.
(2) Klimawandel heizt den Bezirk auf
Die Folgen des Klimawandels werden mit jedem Jahr spürbarer: Die Sommer werden länger und heißer, die Anzahl der Tropennächte steigt. An immer mehr Tagen werden Höchsttemperaturen von mehr als 30°C gemessen, wie die folgende Grafik zeigt:
Die gesundheitlichen Folgen dieser Entwicklung sind noch gar nicht abzuschätzen, doch wird die Aufheizung besonders für ältere Menschen und chronisch Kranke immer mehr zum Problem. Besonders in den dicht verbauten Wiener Bezirken wird deutlich, wie wenig die Stadt mitunter auf den Klimawandel vorbereitet ist.
In dem hier besprochenen Bezirksteil mangelt es vielerorts an Bäumen:
(3) Betonierte Ästhetik
Wien und der Asphalt: Der praktische und preisgünstige Baustoff ist auf Gehsteigen, Plätzen und z.T. Parkplätzen allgegenwärtig – auch im 15. Bezirk. Weite Asphaltflächen findet sich bspw. auch in der erst vor wenigen Jahren gebauten Umgebung des Hauptbahnhofs und selbst auf historischen Plätze wie dem Ballhaus- und Heldenplatz.
Grauer Asphalt ist für das Erscheinungsbild des öffentlichen Raums nicht unbedingt förderlich, weswegen viele Städte in Europa auch auf andere Beläge setzen (Beispiele weiter unten).
(4) Niedrige Einkommen
Rudolfsheim-Fünfhaus ist der Bezirk mit dem niedrigsten Durchschnittseinkommen in ganz Wien. In keinem anderen Bezirk der Bundeshauptstadt verdient ein Arbeitnehmer im Durchschnitt weniger als hier.
Das wiederum heißt: Wer wenig finanzielle Mittel zur Verfügung hat, kann sich keine große Wohnung und u.U. keine Urlaube leisten. Auch Wohnungen mit Balkonen oder kleinen Gartenflächen sind folglich die Ausnahme. Umso wichtiger ist also der öffentliche Raum – denn die Bewohner sind darauf angewiesen.
So könnte der öffentliche Raum umgestaltet werden
Um den öffentlichen Raum langfristig schöner und lebenswerter zu machen, bieten sich z.B. folgende Maßnahmen an:
Mehr Bäume
Bäume kühlen die Umgebung und sind auch eine optische Aufwertung. Sukzessive sollten in jeder Straße Bäume und Sträucher gepflanzt werden.
Pflasterung statt Asphalt
Die Planer bei der Stadt Wien wissen schon lange um die Probleme von dunklem Asphalt:
Der Einsatz von hellen und reflektierenden Oberflächenmaterialien (…) ist zu fördern. Besonders der in Wien häufig anzutreffende Gussasphalt führt zu einer ungünstigen lokalen (…) Überhitzung und sollte (…) vermieden werden.
Deshalb – und wegen der besseren Optik – sollten Pflasterungen bzw. helle Platten der neue Standard für Gehsteige und Plätze werden. Dazu könnte auch die entsprechende Verordnung geändert werden.
Die Beispiele unten zeigen, wie attraktiv Pflasterungen sein können:
Schöne Plätze für alle
Wien hat oft kein glückliches Händchen beim Gestalten schöner und funktionierender Plätze. Damit das doch gelingt:
- Keine Fahrbahn und keine Parkplätze zwischen Häusern und Platz/Fußgängerbereich. So können Lokale und Geschäfte den öffentlichen Raum beleben.
- Ästhetisch ansprechende und langlebige Pflasterung
- Sitzmöglichkeiten, die ohne Konsumzwang nutzbar sind
- Straßenlaternen statt Hängeleuchten, u.U. mit historisierendem Design
- Umfangreiche Begrünung (Bäume, Sträucher, Fassadenbegrünung)
Fußgängerzonen und Begegnungszonen
Kleine Gassen und Plätze könnten zu Begegnungs- oder Fußgängerzonen umgestaltet werden, sofern verkehrstechnisch möglich. In Begegnungszonen teilen sich Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer eine gemeinsame Fläche. Besonders bauliche Veränderungen (hochwertiger Bodenbelag, Entfall von Parkplätzen) können zum Erfolg solcher Begegnungszonen beitragen. Damit lassen sich markante Verbesserungen erzielen. Beispiele: Königsegggasse im 6. Bezirk und Rotenturmstraße im 1. Bezirk.
In vielen europäischen Städten gibt es Begegnungs- und Fußgängerzonen, z. B. in Brünn (Tschechien), Udine (Italien) und Würzburg (Deutschland).
Verkehrsberuhigung bzw. Temporeduktion führt nachweislich zu weniger Unfällen, höherer Kundenfrequenz und u.U. steigendem Umsatz (für Lokale und Geschäfte). Die Lärmbelastung sinkt ebenfalls. Außerdem refinanzieren sich die Kosten für die Umgestaltung rasch durch die in der Folge steigenden Steuereinnahmen.
Sichere Radwege
Baulich getrennte Radwege verhindern Unfälle und schaffen überhaupt erst die Voraussetzung dafür, dass mehr Menschen auf das Rad umsteigen. Zwischen Fahrbahnen und Parkplätzen verlaufende Radwege sollten daher langfristig durch baulich getrennte Radwege ersetzt werden.
Wir haben es in der Hand!
Die Gestaltung des öffentlichen Raums geht letztlich immer auf politische Entscheidungen zurück (z.T. weit in die Vergangenheit). Abgesehen von den Regierungsparteien im Rathaus und den Magistratsabteilungen sind die Bezirksvorsteher maßgeblich an Gestaltungsfragen beteiligt. Den jeweiligen politischen Mehrheiten in den einzelnen Bezirken kommt also eine große Bedeutung zu. Sie ermöglichen bzw. verhindern auch mögliche Neugestaltungen.
Stadt Wien: Das Wissen ist da ...
Die Experten bei der Stadt Wien dürften sich der angesprochenen Probleme bewusst sein. Es gibt Studien und Strategiepapiere, die quasi sämtliche in diesem Artikel angesprochenen Punkte aufgreifen. Besonders gut ausgearbeitet ist zum Beispiel das „Fachkonzept öffentlicher Raum“.
... aber an der Umsetzung hapert's
Doch all das Wissen scheint in der Praxis manchmal nicht recht anzukommen. Versickern die guten Ideen zuweilen irgendwo zwischen Magistraten, Stadträten und Bezirkspolitikern?
Mit jedem verfehlten Umbau und mit jeder nicht genutzten Chance wird nicht nur der Status quo „einbetoniert“, sondern es wird auch Steuergeld ausgegeben, das vielleicht besser eingesetzt hätte werden können.
So müssen wir wohl erst selbst aktiv werden, damit sich etwas ändert. Und je mehr Leute sich für etwas einsetzen, desto eher kann eine Änderung gelingen. Ein gutes Beispiel ist die zivilgesellschaftliche Initiative Platz für Wien, die für mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer und eine Aufwertung des öffentlichen Raums eintritt. Inwieweit die politischen Vertreter diesen Vorschlägen zugänglich sind, wird sich zeigen.
Kontakte zu Stadt & Politik
- SPÖ: kontakt@spw.at, Tel. +43 1 535 35 35
- ÖVP: info@wien.oevp.at, Tel. +43 1 51543 200
- Die Grünen: landesbuero.wien@gruene.at, Tel. +43 1 52125
- NEOS: wien@neos.eu, Tel. +43 1 522 5000 31
- FPÖ: ombudsstelle@fpoe-wien.at, Tel. +43 1 4000 81797
(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)
Verfall und Abrisse verhindern: Gemeinsam gegen die Zerstörung! (Anleitung mit Infos und Kontaktdaten)
Quellen und weitere Infos
- Im Mai 2020 wurde Wien zur „grünsten Stadt der Welt“ gewählt, siehe orf.at. Diese Auszeichnung ist mit Vorsicht zu genießen, denn bei der Auswahl der Kandidaten wurde enge Kriterien gesetzt (wodurch viele Städte von vornherein nicht im Rennen waren), siehe techandnature.com.
- Zur Langauergasse und dem Verhältnis der Anzahl der PKW zur Einwohnerzahl des Bezirks: 46 Parkplätze sind gezählt worden, das entspricht 0,059% (Annahme: ein PKW gehört einer Person), 0,07% (berechnet anhand des Besetzungsgrads (2017) von durchschnittlich 1,15 Personen pro PKW) bzw. 0,1% (ein PKW von allen erwachsenen Personen im Haushalt genutzt) der Einwohner des Bezirks (2019: 77.621).
- In Tropennächten kühlt es nachts nicht unter 20°C ab (Definition). Die Anzahl der Tropennächte in Wien nimmt zu.
- Zum Thema Wohnstraßen in Wien siehe wien.gv.at, von wo auch das Zitat entnommen ist.
- Der Berechnung der „Baumdichte“ in der Mariahilfer Straße liegen folgende Zahlen zugrunde: Innere Mariahilfer Straße: 1786 Meter lang (Nr. 128 bis zur Bezirksgrenze, ohne Broda-Platz), 185 Bäume. Äußere Mariahilfer Straße: 1581 Meter lang (Nr. 217A bis zur Bezirksgrenze, ohne angrenzende Parkfläche), 81 Bäume. Bäume laut Baumkataster (Mai 2020).
- Das Zitat zum Asphalt ist dem offiziellen Wiener Strategieplan Urban Heat Islands entnommen.
- Die Berechnung der Flächennutzung einzelner Plätze ist anhand des Flächenwidmungsplans erfolgt. Es handelt sich um Schätzungen.
- Die Basis aller Karten in diesem Artikel ist ©ViennaGIS.
- Studien zur positiven Auswirkung von Geschwindigkeitsreduktion (Tempo 30) und Verkehrsberuhigung: siehe Endbericht zur TU-Studie „Die Förderung des Zu Fuß Gehens als wesentliches Element einer zukunftsfähigen Umwelt- und Verkehrspolitik für die Stadt Wien“ (2016)
- Das Fachkonzept öffentlicher Raum kann hier heruntergeladen werden.
- Laut Wiener Stadtverfassung § 61 Abs. 1 kann sich jeder Bürger an den Bezirksvorsteher und die Bezirksräte wenden: „Jede Einwohnerin und jeder Einwohner hat das Recht, sich […] mit Wünschen […] mündlich oder schriftlich an die Bezirksvorsteherin oder den Bezirksvorsteher und die Mitglieder der Bezirksvertretung zu wenden.“
- Die Grafiken auf dieser Seite basieren auf von der Stadt Wien bereitgestellten statistischen Daten: wien.gv.at/statistik/
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