2019 wurde ein herausragender Altbau nahe der Simmeringer Hauptstraße abgerissen. Es galten weder Denkmalschutz noch Schutzzone. Anstelle des Gebäudes im Stil der Neorenaissance befindet sich heute eine schlichte Wohnhausanlage.
Historismus-Prachtbau mitten in Simmering
Wer sich jahrelang mit der oft nur allzu unsanften Veränderung des Wiener Häuserbestandes auseinandersetzt, ist einiges gewohnt. Doch selbst vor diesem Hintergrund gibt es immer wieder Vorgänge, die so herausstechen, dass sie einen sprachlos zurücklassen. Einer dieser Fälle hat sich nahe der Simmeringer Hauptstraße zugetragen, nur wenige Minuten von der Endstation der U-Bahn-Linie 3 entfernt.
An der Ecke Hugogasse/Braunhubergasse stand bis 2019 ein zweigeschoßiger Altbau, der durch seine herausragende streng-historistische Fassadengestaltung beeindruckte. Baujahr und Architekt ließen sich nicht ermitteln. Anhand des Baustils ist die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts wahrscheinlich. Der strenge Historismus wird von der Kunsthistorikerin Renate Wagner-Rieger in der Zeit von etwa 1850 bis 1880 angesiedelt.[4]
Altbau gehörte KPÖ
Die Eigentumsverhältnisse sind bzw. waren nicht ganz alltäglich. Laut einem Kaufvertrag (Details im nächsten Absatz) war die Kommunistische Partei Österreichs ab 1953 Eigentümerin der Liegenschaft. In der Zeitungsdatenbank der Nationalbibliothek findet sich auch ein Hinweis zu dieser Adresse. Demnach wurde das Gebäude offenbar bereits 1954 von der KPÖ als „Volkshaus“ genutzt.
KPÖ verkaufte an privaten Entwickler
2017 wurde ein Kaufvertrag zwischen der KPÖ und dem Wiener Immo-Entwickler WINEGG Realitäten abgeschlossen. Im Vertrag ist unter anderem festgehalten, dass „das auf der Liegenschaft befindliche Gebäude samt den Nebengebäuden sich aufgrund des schlechten Erhaltungszustandes in einem objektiv abbruchreifen Zustand befindet.“ Mit diesem Vertrag wurde das Ende des Gebäudes besiegelt.
Immo-Firma lässt abreißen
2019 war das Ende schließlich gekommen. Die Initiative Denkmalschutz berichtete anlässlich des Abrisses:
Das strenghistoristische Gründerzeithaus in der Hugogasse 8 im 11. Bezirk wurde soeben dem Erdboden gleichgemacht. Das gut erhaltene einstöckige Gebäude – außerhalb einer Schutzzone gelegen – zeichnete sich durch eine ausgesprochen dekorative Fassadengestaltung im Neorenaissance-Stil aus und besaß einen Verandavorbau zur Braunhubergasse 8 (…)
Seit der Gültigkeit der neuen Bauordnung im Frühsommer letzten Jahres [2018] sind jetzt auch Gebäude außerhalb von Schutzzonen grundsätzlich vor Abbruch geschützt, wenn sie vor 1945 erbaut wurden und von der Magistratsabteilung 19 (Architektur und Stadterhaltung) als erhaltenswert eingestuft werden. Das augenscheinlich in einem sehr guten Zustand befindliche Haus Hugogasse 8 machte schon zwei Jahre einen leerstehenden Eindruck, doch zeigte man offensichtlich keine Eile mit dem Abriss zu beginnen und ließ erstaunlicherweise das Inkrafttreten der Bauordnungsnovelle letzten Sommer vorüberstreichen. [1]
Wie es zu dem Abriss kommen konnte:
- Denkmalschutz galt für das Gebäude nicht.
- Der Flächenwidmungsplan stammt noch aus dem Jahr 1996. In diesem Plan wurde keine Schutzzone für das Gebäude festgelegt.
- Per Flächenwidmungsplan wurde der Altbau zudem unter starken Abrissdruck gesetzt, da eine hohe Flächensteigerung für das Grundstück erlaubt wurde. Eine Steilvorlage für Abriss und Neubau.
- Der potenzielle Abriss-Schutz (Genehmigungspflicht) für vor 1945 errichtete Gebäude kam um Jahre zu spät (eingeführt im Juni 2018). Wurde bereits davor um Abriss angesucht, sodass er 2019 offenbar ungehindert vonstattengehen konnte?
- Ein effektiverer Schutz durch strengere Kriterien bei der „Abbruchreife“ wurde 2023 eingeführt. Seither lassen sich Abrisse von erhaltenswerten Altbauten nicht mehr so einfach durchsetzen.
Neubau 2021 fertiggestellt
Rund zwei Jahre nach dem Abbruch des Altbaus wurde der Neubau, eine Wohnhausanlage, fertiggestellt. Vom Altbau ist nichts geblieben. Die WINEGG ließ 2021 verkünden:
Die 49 Eigentumswohnungen sind bereits voll verwertet und wurden nun an die Käufer übergeben. (…) Das Wohnprojekt im 11. Wiener Gemeindebezirk ist sowohl zur Eigennutzung als auch als Vorsorgeobjekt geeignet und gilt als ideal für Großstädter, sowie Familien, die ein Leben in der Stadt mit Grünbezug suchen. [2]
KPÖ hat Wohnungen im Neubau
Die KPÖ, der die gesamte Liegenschaft früher gehörte, besitzt auch einige Wohnungen im neuen Gebäude. 2024 berichtete Der Standard, bei „von der KPÖ vermieteten Wohnungen wurde seit 2021 mehrmals die Miete erhöht – während die Partei einen „Mietenstopp“ fordert.“ Die KPÖ reagierte auf die Kritik und kündigte eine Rücknahme der Mieterhöhungen an, ebenso einen Stopp von Erhöhungen für die nächsten Jahre.[3]
Das Haus ist ansonsten mittlerweile komplett parifiziert und hat eine Vielzahl unterschiedlicher Eigentümerinnen und Eigentümer. Die Architektur entspricht dem in Wien heute üblichen Niveau: einfallslos und langweilig, als befände man sich in den 1980er- oder 1990er-Jahren. Auffällig ist die augenscheinlich maximale Ausnutzung des Bebauungsplans mittels Erkern und Balkonen. Auf eine durchdachte äußere Gestaltung mitsamt hochwertigen Fassadenmaterialien, wie etwa bei zahlreichen Neubauten in den Niederlanden zu sehen, wurde verzichtet. Damit ist auch die Chance vertan worden, einen beeindruckenden Altbau durch einen ebenso beeindruckenden Neubau zu ersetzen.
Genau an dieser Stelle stand noch wenige Jahre zuvor der Altbau:
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(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate 2020.)
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- FPÖ: ombudsstelle@fpoe-wien.at, Tel. +43 1 4000 81797
(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)
Verfall und Abrisse verhindern: Gemeinsam gegen die Zerstörung! (Anleitung mit Infos und Kontaktdaten)
Quellen
- [1] Abriss Hugogasse 8: Ein Jahr Bauordnungsnovelle Wien – und schon wirkungslos? (Initiative Denkmalschutz, 2.8.2019)
- [2] Vielfältiges Immobilienportfolio: WINEGG stellt 49 Eigentumswohnungen in Simmering fertig (Presseaussendung, 18.8.2021)
- [3] KPÖ stolpert als Vermieterin über ihre eigenen Forderungen (Der Standard, 28.2.2024)
- [4] Friedrich Achleitner: „Pluralismus der Moderne“, in: „Mythos Großstadt. Architektur und Stadtbaukunst in Zentraleuropa 1890-1937“ (1999), S. 97
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