Gegenüber der U4-Station Pilgramgasse wurde 2022 eine schmale Baulücke mit einem Hotelneubau geschlossen. Das Hotel Indigo bildet einen dunklen Kontrast zur gründerzeitlichen Umgebung.
Viel Hotel in schmaler Baulücke
An der Rechten Wienzeile Nr. 87 war jahrzehntelang eine schmale Baulücke, die mitsamt Hof von einem Autohändler genutzt wurde. Vor Jahren kaufte der Wiener Bauträger JP Immobilien das Grundstück. 2015 wollte der Bauträger eine Umwidmung bei der Stadt erreichen, um im Hof einen Wohnturm samt Tiefgarage bauen zu können. Der Widerstand der Anrainer war erwartbar groß, die Pläne wurden fallen gelassen.
Drei Jahre später war die Wohnnutzung vom Tisch: Anstatt eines Wohnturms ging es in Richtung Hotel. Diesmal ohne eine Umwidmung, wodurch es auch keine Zustimmung der Politik zum Neubau brauchte. So liefen auch die Bemühungen einer lokalen Bürgerinitiative, die das Hotelprojekt kritisch sah, ins Leere. Offenbar bis zum letzten rechtlich möglichen Quadratmeter wurden Baulücke und Hofgrundstück verbaut. Der größte Teil des Gebäudes ist von außen nicht sichtbar, sondern befindet sich im Inneren des Häuserblocks. 2022 öffnete das Hotel seine Pforten.
Entwurf von bekanntem Architekturbüro
Als Planer fungierte das Architekturbüro BWM, das am nahen Margaretenplatz seinen Firmensitz hat. Die Architekten über den Neubau:
Durch einen unscheinbaren Eingang in einer imposanten – nach einem Konzept von BWM Architekten und TM Architektur ZT GmbH gestalteten – Fassade sowie einem schmalen Gang gelangt man in einen gut versteckten und vom städtischen Treiben und Verkehr abgeschirmten Innenhof.
Das Innere wird so beschrieben:
[Den] Wienbezug vermitteln neben den Balkonen, die dem gestalterischen Leitmotiv der Pawlatschen folgen, auch weitere Elemente, Materialien und Farben, die kennzeichnend sind für die Hauptstadt und das Viertel um den Wienfluss und den beliebten wie belebten Naschmarkt. Darunter etwa die Bodenfliesen, sogenannter Wiener Fliesenparkett, also umrahmte Fliesenmuster, wie sie sich auch in traditionellen Wiener Hausfluren finden sowie in den vom Architekten Otto Wagner zu Beginn des 20. Jahrhunderts gestalteten Stadt- beziehungsweise U-Bahnstationen. Oder das Wiener Geflecht, das sich etwa in den Hängelampen wiederfindet, und das Fischgrät-Parkett in der Bibliothek.
Zur äußeren Gestaltung sagt Architekt Erich Bernard:
Das Hotel ist ein Neubau, was wir in der Gestaltung keinesfalls verdecken wollen (…) dennoch wollten wir es in sein historisches Umfeld eingliedern und einen deutlichen Wienbezug für den Hotelgast schaffen.
Kontrastkunst im Gründerzeiteck
Von außen ist der angesprochene Wienbezug nicht unmittelbar zu bemerken. Die dunkle Geste, eingeklemmt zwischen zwei Gründerzeithäusern, lässt auf den ersten Blick an ein Gerüst mit Plane denken. Dahinter verbirgt sich aber kein Rohbau, sondern Fenster mit getrübter Aussicht. Es handelt sich um löchrige Metallplatten, hinter denen Fenster verborgen sind.
Das Hotel befindet sich zwischen zwei reich dekorierten Häusern aus dem späten 19. Jahrhundert, die im Stil des Historismus erbaut wurden. Das ist für ein Hotel besonders spannend: Beim Historismus handelt es sich um jenen Baustil, für den Wien international so berühmt ist – bewusst oder unbewusst auch bei Touristen. Das wirft die Frage auf, inwieweit das neue Hotel der alten Architektur eine nachhaltig attraktive zeitgenössische Entsprechung setzt.
Die grundsätzliche Frage bei jedem Gebäude, das in der gewachsenen Stadt gebaut wird, ist ja: Gibt das neue Gebäude der Umgebung etwas zurück, hat es also einen ästhetischen und funktionalen Mehrwert? Oder zehrt es bloß vom attraktiven Umfeld? Oder schadet es sogar und wird als Bausünde empfunden?
Mit der dunklen Farbe schließt der Neubau an einen Trend an, der sich schon beim „Bullaugen-Hotel“ am Wiedner Gürtel zeigt. Weit entfernt ist das Hotel Indigo aber von dem Minimalismus, der etwa das „Plattenbau-Hotel“ in Kagran kennzeichnet.
Im Erdgeschoß öffnen sich Gebäude nach außen, hier ist der Übergang vom Privaten zum Öffentlichen. Für ein ausgestaltetes Erdgeschoß ist das Grundstück in der Rechten Wienzeile aber zu schmal. Die Erdgeschoße der Nachbarhäuser werden durch die Garageneinfahrt des Hotels jäh unterbrochen:
Bruch als "konservative" Geste?
Vom Umfeld wendet sich das Gebäude entschieden ab. Es ist zugleich introvertiert (hinter „Gittern“ versteckt) und expressiv. Der Bruch gibt zu denken, denn es handelt sich nicht um einen Einzelfall, sondern um ein Muster, das in Wien allerorten zu sehen ist. Die fehlende Berücksichtigung des Umfelds und die Absage an alte Formen haben seit mindestens den 1960ern im Wiener Neubau Tradition. Demnach wurde auch beim Hotel Indigo in gewisser Weise ein „konservativer“ Weg beschritten.
Haben sich die Planer des Hotels nicht getraut, Elemente der alten Architektur in eine zeitgemäße Form zu übersetzen? War die Angst zu groß, von Kollegen dem möglichen Vorwurf von Kitsch ausgesetzt zu sein? Warum gelingt es beispielsweise in den Niederlanden und in Belgien nicht selten, mit Rücksicht auf den Bestand bzw. mit Anleihen an ältere Baustile neu zu bauen (siehe Fotos unten)? Was begründet diese Unterschiede in den Baukulturen?
Fotostrecke: Neubau in Belgien und den Niederlanden
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(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)
Verfall und Abrisse verhindern: Gemeinsam gegen die Zerstörung! (Anleitung mit Infos und Kontaktdaten)
Fotos, Infos
- »Hotel Indigo Vienna« eröffnet am Naschmarkt (Falstaff, 30.6.2022)
- Neuer Unmut über Hotelbau beim Willi-Frank-Park (27.1.2021, meinbezirk.at)
- Runder Tisch mit Bauträgern (5.11.2018, meinbezirk.at)
- Nächstes Projekt im Willi-Frank-Park geplant (meinbezirk.at, 20.8.2018)
- Hotel Indigo Vienna auf der Webseite des Architekturbüros BWM
- Foto Coendersbuurt (2019): Nanda Sluijsmans, CC BY-SA 2.0
- Foto Brandevoort (2021): MatteoNL97, Traditionele nieuwbouw aan De Plaetse (2021) 11, CC BY 4.0
- Foto `t Haegsch Hof in Den Haag (2018): Roel Wijnants, CC BY-NC 2.0
- Leidsche Rijn Centrum (2019 Nr. 1, 2019 Nr. 2, 2020): Nanda Sluijsmans, CC BY-SA 2.0
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