Bei dem Gründerzeithaus nahe der Wiedner Hauptstraße wurde die Fassade rekonstruiert. Dabei dürfte annähernd nach den Originalplänen des 19. Jahrhunderts gearbeitet worden sein.
Historische Fassade nicht erhalten
Bei tausenden Gründerzeithäusern in Wien sind die alten geschmückten Fassaden nicht erhalten. Ursache dafür sind manchmal Kriegsschäden, nach denen nur in vereinfachter Art wiederaufgebaut wurde. Meist wurde Dekor aber ohne Not bei Umbauten in der Nachkriegszeit abgeschlagen. Der veränderte Geschmack und die schon im frühen 20. Jahrhundert aufgekommene radikale Ablehnung von Dekor bei vielen Architekten haben das wohl gefördert.
Der Dekor des Wohnhauses in der Großen Neugasse 8 war nicht gänzlich entfernt worden, sondern nur reduziert. An die Stelle des Dekors war eine mehrfarbige Bemalung getreten. Das Farbschema erinnert an typische Historismusbauten an der Ringstraße. Die meisten Gründerzeithäuser in Wien waren aber wahrscheinlich nicht bunt, sondern einfärbig.
Architekt und Bauherr des Gebäudes war der Baumeister Ferdinand Schindler (1854-1924). Das Haus in der Großen Neugasse ist mit dem Baujahr 1892 oder 1893 sein erstes dokumentiertes Werk. Er griff dabei Formen der damals gängigen Neorenaissance auf.
Rekonstruktion 2022
2022 wurden der mehrfarbige Anstrich entfernt und der fehlende Dekor ergänzt. Auftraggeber war die Wiener Immobilienfirma JP.
Nach Originalplänen rekonstruiert?
Fotos, die den Ursprungszustand des Hauses zeigen, haben sich nicht finden lassen. Ein direkter Vergleich von Original und Rekonstruktion ist also nicht möglich. Nur auf einer Luftaufnahme aus den 1950ern ist das Haus zu sehen. Es lässt sich aber kaum erkennen, ob der Originaldekor zum Zeitpunkt der Aufnahme noch erhalten war oder nicht.
Im Großen und Ganzen passt der üppige Dekor genau ins ausgehende 19. Jahrhundert. Die für jene Zeit stark betonte Fensterverdachung (Giebel, Bögen und Balken über den Fenstern) ist bei vielen Häusern aus dieser Zeit anzutreffen. Nun auch wieder in der Großen Neugasse 8.
Nicht alles korrekt?
Anhand einiger Details ist zu vermuten, dass wahrscheinlich nicht zur Gänze von den Plänen aus dem 19. Jahrhundert ausgegangen wurde:
- Die Erker sind im Vergleich nur spärlich dekoriert. Bei original erhaltenen Häusern aus jener Zeit sind die Erker meist besonders ornamentiert.
- Bei den schmalen kleinen und den runden Fenstern eines Erkers fehlt der Schmuck.
- Der florale Dekor auf den Pilastern (herausstehende angedeutete Säulen) an der Ecke des Hauses erinnert eher an das frühe 20. Jahrhundert.
- Das Erdgeschoß ist durch „Rillen“ (Nutung) hervorgehoben, was aber vielleicht eher zur Zeit um 1910 passt. In der Gründerzeitarchitektur der 1880er bis 1890er wurde im Erdgeschoß und ersten Obergeschoß häufig ein Dekor verwendet, der Bossenwerk andeuten soll (aus der Fassade ragende Steine nach dem Vorbild der Renaissance, z. B. dem Palazzo Strozzi in Florenz; in Wien z. B. am 1896 erbauten Haus Lerchenfelder Straße 66-68).
Gesucht: Anlaufstelle für Rekonstruktionen
Immer wieder werden Fassaden rekonstruiert. Das reicht von völlig dilettantischem Anbringen von unpassenden Dekorelementen bis zu herausragend exakten Rekonstruktionen. Musterhaft ist etwa die Rekonstruktion der Fassade in der Neustiftgasse 32-34 (7. Bezirk). Aber wie kann sichergestellt werden, dass materiell hochwertig und originalgetreu rekonstruiert wird? Wie können Eigentümer, Baufirmen und Planer bei solchen Projekten unterstützt werden?
Eine Lösung könnte sein, eine Anlaufstelle für solche Projekte einzurichten. Den Kern einer solchen Stelle könnte die Magistratsabteilung 19 (Architektur und Stadtgestaltung) bilden, unterstützt durch Kunsthistoriker, Restauratoren und Architekten mit Schwerpunkt Sanierung. Auch Informationen über und den Weg zu Sanierungsförderungen, etwa durch den Altstadterhaltungsfonds, könnten in den Prozess inkludiert werden.
Im Fokus dieser Anlaufstelle lägen nachträglich negativ veränderte oder kriegsbeschädigte Gründerzeithäuser. Langfristig könnte auch an Gebäude der Zwischen- und Nachkriegszeit gedacht werden, die unter destruktiven Umbauten zu leiden hatten. Die Bündelung von Expertise und eine eigentümerfreundliche Beratung und Begleitung könnten helfen, Häusern wieder ihre ursprüngliche Gestalt zurückzugeben.
Kontakte zu Stadt & Politik
- SPÖ (wien.wieden@spw.at)
- Die Grünen (wieden@gruene.at)
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Die Bezirksvertretungen sind die Parlamente der Bezirke. Die Parteien in den Bezirksvertretungen werden von der Bezirksbevölkerung gewählt, meist gleichzeitig mit dem Gemeinderat. Jede Partei in einem Bezirk kann Anträge und Anfragen stellen. Findet ein Antrag eine Mehrheit, geht er als Wunsch des Bezirks an die zuständigen Stadträte im Rathaus. (Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Sitze in der Bezirksvertretung im November/Dezember 2020.)
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(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)
Verfall und Abrisse verhindern: Gemeinsam gegen die Zerstörung! (Anleitung mit Infos und Kontaktdaten)
Siehe auch
- Ferdinand Schindler im Architektenlexikon
- Foto Lerchenfelder Straße 66-68 (2018): Ricardalovesmonuments, Lerchenfelder Straße 66-68, CC BY-SA 3.0
- Foto Palazzo Strozzi (2007): Federico Pelloni, CC BY-ND 2.0
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