Die Goldschlagstraße in Wien-Penzing wurde 2020 auf einem kurzen Abschnitt umgestaltet. Bäume wurden gepflanzt, eine Pflasterung verlegt, Sitzgelegenheiten aufgestellt. Ein „Sinnbild für die Klimahauptstadt Wien“, wie Rathaus und Bezirksvorstehung betonen.
Doch bei dem Umbau ist der „Klimahauptstadt“ gehörig die Luft ausgegangen:
- Die Hälfte des ohnehin kurzen Abschnitts ist durchgehend asphaltiert worden. Also eine kleine neue urbane Hitzeinsel.
- Es wurden insgesamt nur 150 Meter Straße umgestaltet. Das sind 0,07 % des Straßennetzes im 14. Bezirk.
- Auf eine effektive Verkehrsberuhigung (Fußgänger- oder Begegnungszone) ist verzichtet worden.
Was sagt uns dieses Beispiel über die Prioritäten der Wiener Stadt- und Verkehrsplanung?
Lange Straße auf kurzem Abschnitt umgebaut
Die Goldschlagstraße ist über drei Kilometer lang und verbindet den Gürtel mit dem 14. Bezirk. Schon vor einigen Jahren wurde sie in Rudolfsheim-Fünfhaus auf einem kurzen Stück attraktiver gestaltet. 2020 ist Penzing nachgezogen. Ein 150 Meter langer Abschnitt nahe dem Matzner-Park wurde umgebaut.
Vor dem Umbau sah es auf diesem kurzen Abschnitt so aus:
- Fast durchgehend asphaltierter Straßenraum (Fahrbahn, Parkplätze, Gehsteige)
- Viele Parkplätze für PKW, auf einer Seite sogar raumnehmende Schrägparkplätze
- Keine baulich von der Fahrbahn getrennten Radwege
- Keine Bäume oder Grünflächen
- Keine Sitzmöbel im öffentlichen Raum
Die Fotostrecke unten zeigt die Goldschlagstraße vor dem Umbau:
Wie "cool" ist die "Coole Straße"?
Wien wird immer heißer. Besonders in den zentralen Bezirken ist das ein großes Problem. Durch den vielen Asphalt und die viel zu wenigen Grünflächen wird die Hitze im Boden gespeichert, sodass auch die kühleren Nächte keine Abhilfe mehr schaffen.
Um die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern, hatte die rot-grüne Stadtregierung 2020 das Projekt Coole Straßen ausgerufen. Das Ziel: Mehr Bäume, weniger Asphaltbeläge und somit besserer Schutz vor Hitze. Dazu die damalige Vizebürgermeisterin Birgit Hebein (Grüne):
Die Klimakrise macht keine Pause – die Auswirkungen spüren vor allem ältere, chronisch kranke Menschen und Kinder. Innovative Projekte wie die Coole Straße Plus in der Goldschlagstraße zeigen, dass es möglich ist etwas dagegen zu tun und die Stadt abzukühlen (…)
Mit dieser Grafik hat die Stadt Wien das Projekt vor dem Umbau vorgestellt:
Der Umbau wird auf der Webseite der Stadt Wien so beschrieben:
Ein Wasserspiel sowie ein Wasserlauf laden an besonders heißen Tagen zum Spielen und Abkühlen ein. Neben einigen Sitzmöglichkeiten inklusive Tischen wurden 5 Nebelstelen installiert sowie 9 Bäume inklusive Bewässerungssystem gepflanzt. Eine abschnittsweise Fassadenbegrünung sorgt für frischere Luft und beeinflusst das Kleinklima aufgrund der schattenspendenden Wirkung und Verdunstung positiv. Zusätzliche Radbügel ergänzen die bestehenden Abstellmöglichkeiten für Fahrräder.
Doch kann die gebaute Realität mit den schönen Worten mithalten? Die folgenden Fotos zeigen, wie sich in die Goldschlagstraße durch den Umbau verändert hat.
Ein bisschen Verkehrsberuhigung
Neue Bäume und Pflasterung
Wohnstraße, aber keine Fußgänger- oder Begegnungszone
Asphalt und Parkplätze trotz Umbau
Eine allzu halbe Sache...
Die Stadt Wien bezeichnete die umgebaute Goldschlagstraße als „Sinnbild für die Klimahauptstadt Wien“. Doch bei nur etwas näherer Betrachtung kommen schnell Zweifel auf. Der umgebaute Abschnitt hat eine Länge von 150 Metern. Aber nur auf etwas mehr als der Hälfte der Länge wurden eine Pflasterung verlegt, Parkplätze reduziert und Sitzgelegenheiten aufgestellt. Der überwiegende Teil hat sich eigentlich nicht viel verändert.
Hier Aufnahmen von der nachhaltig umgestalteten Hälfte:
Urbane Hitzeinsel in der "Coolen Straße"
Die übrigen etwa 70 Meter sind trotz Umgestaltung auf den ersten Blick fast nicht vom früheren Zustand zu unterschieden. Einmal mehr wurde eine Straße zur bloßen Asphaltfläche – und damit zu einer kleinen urbanen Hitzeinsel, was man mit dem Umbau ja gerade vermeiden wollte. Zumindest wurden Bäume gepflanzt.
Gekostet hat der Umbau 600.000 Euro. Auch wenn Investitionen in den öffentlichen Raum im Prinzip immer sinnvoll sind, müssen sich die Verantwortlichen doch einige Fragen gefallen lassen:
- Warum ist nicht einmal auf dem kurzen Abschnitt von 150 Metern eine durchgehende Aufwertung gelungen?
- Warum wurde keine Fußgängerzone eingerichtet (mit erlaubter Zufahrt für Anrainer)?
- Weshalb wurde mehrheitlich Asphaltbelag verlegt?
- Warum sind Parkplätze eingerichtet worden, obwohl viele Häuser in der Umgebung Garagen haben?
- Wäre nicht auch mehr Begrünung möglich gewesen?
Ist der öffentliche Raum manchen Politikern egal?
Asphalt, Fahrbahnen, Parkplätze. Fehlende Bäume, fehlender Platz zum Gehen und fehlende Radwege. – So sind viele Straßen, Gassen und Plätze in Wien gestaltet. Zwar werden die Themen Verkehrsberuhigung, Anpassung an den Klimawandel und Begrünung in den Medien und den Werbungen der Stadt Wien andauernd bemüht. Aber die Realität sieht meist ganz anders aus. Der öffentliche Raum hinkt den Erfordernissen der Zeit weit hinterher (siehe auch den Artikel hier).
Aber manchmal traut sich die Politik doch etwas: Die Mariahilfer Straße – umgestaltet 2015 – ist das bekannteste, aber nicht das einzige Verkehrsberuhigungsprojekt der letzten Jahre. Doch nicht immer waren Bezirkspolitiker und Rathaus so mutig wie beim Umbau von Wiens größter Einkaufsstraße.
Wer hat Angst vor schönen Straßen?
Zuständig für die Straßen, Gehsteige und Parks sind maßgeblich die Bezirke, also die unterste politische Vertretung. Wollen die Bezirksvorsteher den öffentlichen Raum umbauen, Bäume pflanzen und den Rad- und Fußgängerverkehr fördern, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass das auch gelingt. Wollen sie das nicht, dann bleibt alles so, wie es ist.
Wenn sich Umgestaltungen also vor allem auf einige wenige Bezirke beschränken (6., 7., 15.), dann ist die Frage: Warum wollten die anderen Bezirksvorsteher das nicht auch für ihre Bewohner? Ist die Angst, einige Parkplätze zu entfernen, wirklich so groß?
Zu den Bezirken, die sich mit der Aufwertung des öffentlichen Raums schwertun, gehört auch der 14. Bezirk. Zwar ist zumindest eine kleine Verbesserung in der Goldschlagstraße gelungen, doch wurden dabei gehörig Kompromisse gemacht. Die Chance auf eine deutliche Aufwertung ist vertan worden.
Umgestaltung im Schneckentempo
Bei der Frage, inwiefern Wien für den Klimawandel gerüstet ist, kommt ein weiterer Aspekt hinzu: die Geschwindigkeit.
Der Klimawandel macht jedenfalls nicht Halt. Er hält sich auch nicht an die Befindlichkeiten von Regionalpolitikern und Magistraten. Geht es nach einer 2019 veröffentlichten Studie der ETH Zürich, dann müssen wir uns in den nächsten dreißig Jahren auf einiges gefasst machen. Aus einem ORF-Artikel:
Auf der Nordhalbkugel würden die klimatischen Bedingungen in Großstädten in rund 30 Jahren so wie heute mehr als tausend Kilometer weiter südlich (…) Europa rückt näher an den Äquator. Die Temperaturen in Wien könnten in den besonders heißen Monaten laut Studie über dem europäischen Durchschnitt liegen, Wien würde damit zu den am stärksten betroffenen Städten zählen.
Das Wissenschaftlerteam geht von einer Erhöhung der durchschnittlichen Jahrestemperatur um 2,3 Grad aus. Wien läge aber mit einem Anstieg der im heißesten Monat des Jahres registrierten Höchsttemperatur von plus 7,6 Grad in Europa im Spitzenfeld.
Das heißt: Wir müssen rasch handeln, um uns vor der immer extremeren Hitze zu schützen.
Nur ein kurzer Abschnitt wurde umgebaut
Noch einmal zur Goldschlagstraße: Auf 150 Metern erfolgte 2020 ein Umbau. Davon wurden bloß etwa 80 Meter wirklich nachhaltig umgestaltet. Das ist im Vergleich zur gesamten Straße (die aber im 15. Bezirk schon abschnittsweise umgestaltet ist) sehr wenig.
Selbst die 150 Meter entsprechen weniger als 5 % der Gesamtlänge der Straße bzw. nur etwa 13 % jenes Teils der Goldschlagstraße, der in Penzing liegt.
Klimafit in ein paartausend Jahren
Mit dem kleinen Abschnitt der Goldschlagstraße wurden 2020 ganze 0,07 % des gesamten Straßennetzes des 14. Bezirks umgestaltet.
Wird mit dieser Geschwindigkeit weitergearbeitet, dann braucht es sage und schreibe 1282 Jahre, bis alle Straßen im 14. Bezirk entsprechend „klimafit“ sind. Wird nur der eigentlich umgebaute Abschnitt herangezogen (ca. 80 Meter), ist der öffentliche Raum im 14. Bezirk im Jahr 4426 nach Christus fertig umgebaut. Eilig hat man es in Wien wahrlich nicht.
Kontakte zu Stadt & Politik
- SPÖ: kontakt@spw.at, Tel. +43 1 535 35 35
- ÖVP: info@wien.oevp.at, Tel. +43 1 51543 200
- Die Grünen: landesbuero.wien@gruene.at, Tel. +43 1 52125
- NEOS: wien@neos.eu, Tel. +43 1 522 5000 31
- FPÖ: ombudsstelle@fpoe-wien.at, Tel. +43 1 4000 81797
(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)
Verfall und Abrisse verhindern: Gemeinsam gegen die Zerstörung! (Anleitung mit Infos und Kontaktdaten)
Quellen und weitere Infos
- Presseaussendung von Vizebürgermeisterin Birgit Hebein (Grüne) und Bezirksvorsteherin Michaela Schüchner (SPÖ) zur Umgestaltung in der Goldschlagstraße (11.9.2020): ots.at/presseaussendung/OTS_20200911_OTS0068/hebeinschuechner-goldschlagstrasse-wird-zur-dauerhaften-coolen-strasse
- Alles neu in der Goldschlagstraße (Bezirkszeitung, 14.5.2019): meinbezirk.at/penzing/c-lokales/alles-neu-in-der-goldschlagstrasse_a3390180
- Fixe „Coole Straße“ und temporärer Wasserspielplatz für Penzing (Kurier, 22.7.2020): kurier.at/chronik/wien/penzing-bekommt-coole-strasse-und-wasserspielplatz/400977503
- Der Umbau der Goldschlagstraße hat 600.00 Euro gekostet (Protokoll der Sitzung der Bezirksvertretung des 14. Bezirks vom 25. Juni 2020).
- Wien wird so heiß wie Skopje (orf.at, 11.7.2019): orf.at/stories/3129860/
- Die für die Diagramme herangezogenen Daten sind mittels Flächenwidmungsplan geschätzt ermittelt (Längen der Goldschlagstraße) bzw. den offiziellen Statistiken der Stadt Wien entnommen (Daten: 2019). Die Gesamtlänge aller Straßen im 14. Bezirk bezieht sich auf die Gemeindestraßen (also nicht auf Autobahnen und Privatwege).
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