Der Georg-Emmerling-Hof ist ein markanter Gemeindebau gegenüber dem Schwedenplatz. Von 2019-2021 wurde das Gebäude grundlegend saniert. Seither kommt die charakteristische Architektur der 1950er wieder voll zu Geltung.
Wie bei vielen Häusern aus der Nachkriegszeit ist auch der Emmerling-Hof keine Schönheit auf den ersten Blick. Aber bei näherem Hinsehen wird klar: Die Architektur ist ausgeklügelt und in einigen Punkten geradezu traditionell. Es sind die Feinheiten und die Zurückhaltung, die die Gebäude der 1950er-Jahre auszeichnen.
50er-Jahre Gemeindebau wurde saniert
Direkt am Donaukanal und gegenüber dem Schwedenplatz – der Georg-Emmerling-Hof liegt prominent an der Grenze von 1. und 2. Bezirk. Über viele Jahrzehnte hinweg war der große Gemeindebau, der immerhin 206 Wohnungen beherbergt, kein besonders schöner Anblick.
Abseits der Ästhetik ist der Hof aber immer für ein spezifisch wienerisches Zeichen gestanden: Die Präsenz des Gemeindebaus im Stadtbild. Wie schon in der Ersten Republik setzte das sozialdemokratische Wien auch nach dem Krieg seine bewährte Wohnbaupolitik fort: Neue Wohnhäuser wurden zuvörderst in Baulücken und der gewachsenen Stadt errichtet, was die Erschließungskosten (Straßen, öffentliche Verkehrsmittel usw.) im Vergleich zu dezentralen Bauplätzen verringerte. Durch die enormen Zerstörungen des Krieges waren ohnehin viele Bauplätze in zentrumsnahen Lagen frei geworden. Für eine systematische Rekonstruktion aller zerstörten Gebäude fehlten um 1950 freilich die finanziellen Mittel, zudem musste rasch möglichst viel Wohnraum geschaffen werden. Die kompakte Form der Gemeindebauten mit ihren im Vergleich niedrigeren Raumhöhen und folglich höheren Geschoßzahlen war dafür prädestiniert.
Neue Wohnungen im Dachgeschoß
Die Zeiten haben sich geändert und was früher als Zeichen des Aufbruchs und des Wiederaufbaus gegolten hatte, war spätestens ab den 1990ern ein wenig schöner Fleck im sauberer werdenden Stadtbild. Die grau-braune Fassade passte so gar nicht zum modernen Gegenüber der Inneren Stadt. Doch das hat sich mit der Sanierung (2019-2021) deutlich geändert.
Bei der Sanierung wurde auch das Dachgeschoß ausgebaut, sodass neue Wohnungen geschaffen werden konnten. Das Unternehmen Neumayer schreibt über die Sanierung:
Das gesamte Gebäude ist aus Vibrosteinen gemauert, welche nach dem Weltkrieg aus einem Gemisch von Schutt, Ziegelschrot und Zement auf der sogenannten Schwedenplatzpresse hergestellt wurden. Aufgrund der Materialzusammensetzung können sie nur wenig Drucklasten und Scherkräften standhalten. Um entsprechende Stützen schaffen zu können, wurde im Auflagebereich das Mauerwerk mit 260 bar Injektionsharz verpresst. Auf diesen Stützen stehen jetzt Stahlrahmen, Flanschplatten und Zugbänder, welche die kompletten Lasten des Daches aufnehmen und in die Fundamente ableiten.
Der gesamte Dachstuhl wurde aus einer Stahl-Holzkonstruktion gefertigt. Ein Stahlrahmen, trägt das Gewicht des Daches. Alle weiteren Bestandteile sind aus Holz gefertigt (…) Vorteile der Holzkonstruktion sind die Leichtigkeit des Baustoffes, die Schlankheit des Baukörpers und die Verwendung eines ökologisch nachhaltigen, nachwachsenden Baustoffs.
Das gesamte Gebäude wurde warm eingepackt, die neuen Sparrenfelder wurden mit 32 cm Dämmstoff ausgedämmt, um den Heizwärmebedarf so gering wie möglich zu halten.
Neues Kunstwerk
Kunst am Bau (Plastiken, Mosaike usw.) ist typisch für die älteren Wiener Gemeindebauten. Seit etwa den späten 1960ern ist Kunst am Bau aber nur noch ganz vereinzelt bei neuen Häusern anzutreffen. Trotzdem hat die Stadt Wien das alte Konzept wieder aufgegriffen. So wurde im Zuge der Sanierung ein neues Kunstwerk an der Fassade angebracht.
Das Künstlerkollektiv Steinbrener/Dempf & Huber thematisiert damit die „zunehmend prekäre Wohnsituation von vielen und die begehrlichen Angriffe gegen den sozialen Wohnbau“. Zum Kunstwerk ist auf der Webseite koer.at (Kunst im öffentlichen Raum Wien) zu lesen:
Der titelgebende Film Themroc aus 1973 erzählt in subversiver Weise die Geschichte eines Arbeiters (…), der sich gegen die Tristesse seines Daseins wehrt und im Zuge dessen die Außenwand seiner Wohnung mit einem Vorschlaghammer einschlägt (…)
Themroc knüpft ästhetisch an die idealisierten Darstellungen von Arbeitern in Gemeindebauten an. Vor allem in den 20er- und 30er Jahren ist eine Vielzahl von Kunstwerken für Gemeindebauten entstanden, die sich gewissermaßen im politischen Gleichklang mit den Bewohnerinnen und Bewohnern befanden.
Die dezente Schönheit der Nachkriegszeit
Seit der Sanierung kommt die charakteristische Architektursprache der Nachkriegszeit wieder richtig zur Geltung. Die Grundstruktur lässt sich – vereinfacht gesagt – so zusammenfassen: In Richtung Donaukanal liegt in der Mitte ein niedriger Trakt, der von drei Seiten durch hohe, miteinander verbundene Blöcke umgeben ist. Durch die Öffnung des Gebäudes und die Unterbrechung der Front wirkt das Gebäude weniger wuchtig. Die gerade noch maßvollen Proportionen und Unterteilungen, die in den 1950ern gängig waren, unterscheiden diese Gebäude von den späteren „Plattenbauten“ – monotone, lange Blöcke ohne auflockernde Elemente (Beispiel: Wagramer Straße 93) und ohne klassische Formen (Erker, Dekor usw.).
An der Seite zur Lilienbrunngasse springt das Gebäude an zwei Stellen vor. Unter diesen Gebäudeteilen finden sich – ganz klassisch – Arkaden (Gänge mit Säulen). Vor dem zurückversetzten Bauteil ist eine große Grünfläche. Hier noch im unsanierten Zustand:
Das Gebäude ist auch in Bezug auf die Höhe mehrfach unterteilt: Eine Sockelzone (Erdgeschoß, erster Stock), darüber mehrere Regelgeschoße. Das letzte Geschoß ist gestalterisch abgesetzt; die darüber befindlichen Dachfenster (Gauben) sind erst mit der Sanierung dazugekommen.
Der Altbau zwischen den Türmen
Die eigentlich verhältnismäßig „traditionelle“ Architektursprache des Gebäudes wird besonders im Vergleich zur unmittelbaren Umgebung deutlich. Auf dem nächsten Foto ist zu sehen, dass auf diesem Abschnitt der Oberen Donaustraße nichts mehr von der Vorkriegsbebauung erhalten ist – entweder durch Kriegszerstörung oder durch spätere Abrisse.
Links ist das IBM-Hochhaus, das das zerstörte Dianabad ersetzt hat; die Glasfassade wurde erst später hinzugefügt. Rechts vom Gemeindebau ist der Media Tower – geplant vom Pritzker-Preisträger Hans Hollein. Dahinter befindet sich der Design Tower (bzw. Sofitel, erbaut 2010, Architekt: Jean Nouvel), der nach dem Abbruch eines entsetzlichen Bürohauses erbaut wurde – ein seltenes Beispiel, wie durch Abriss und Neubau eine Verbesserung erreicht werden konnte.
Auf die Details kommt's an
Beim Georg-Emmerling-Hof ist auch das Erdgeschoß interessant, wo Geschäfte und Lokale untergebracht sind. Akzentuierte Erdgeschoßzonen mit nutzungsoffenen Flächen waren bspw. auch in den späten 1930ern sehr beliebt (Beispiel: Neubaugasse 17-19, erbaut 1936-1937).
Die Sockelzone ist attraktiv durch Steinrahmen hervorgehoben. Betonte Sockelzonen finden sich häufig bei Wohn- und Geschäftshäusern der Jahrhundertwende (Beispiel: Neubaugasse 36 und 38, erbaut 1912). Die größeren Fenster im ersten Stock können vielleicht sogar als letzte Ausläufer der Beletage („schönes Geschoß“) gedeutet werden.
Die Fensterfaschen (Umrandungen) sind ein Stilmittel, dass sich häufig bei Häusern aus den 1920ern bis 1930ern (Beispiele: Operngasse 25, Am Modenapark 3) und aus der Zeit um 1950 findet (Beispiele: Hainburgergasse 57, Kardinal-Innitzer-Hof am Stephansplatz). Kunst am Bau war von den 1920ern bis in die frühen 1960er in Wien sehr beliebt. Die schönsten Beispiele finden sich auf Wohnhäusern der Ersten Republik (Beispiele: Operngasse 25, Karl-Marx-Hof, Dreyhausenstraße 28-30).
Wie es zu dieser detailreichen Gestaltung gekommen ist, erklärt sich vielleicht durch den Hintergrund von Leo Kammel, einem der Architekten. Er lernte um 1900 an der Kunstgewerbeschule in Prag bei Jan Kotěra, einem bekannten Otto-Wagner-Schüler, und entwarf bereits im Roten Wien der Zwischenkriegszeit zahlreiche höchst attraktive Gemeindebauten (Beispiele: Bernardgasse 38, Döblinger Gürtel 10). Weniger Informationen finden sich über anderen beteiligten Planer: Elisabeth Lachner und Rudolf Hofbauer scheinen als Architekten von zahlreichen Gemeindebauten der 1950er und 1960er auf.
Man stelle sich vor, der Emmerling-Hof wäre in den 1970ern errichtet worden: Es wäre wohl ein völlig „geschichtsloser“ Plattenbau entstanden. Das Stadtbild wäre bis heute katastrophal beschädigt. Denn die Wiener Architektur zwischen Mitte der 1960er und den frühen 1980ern ist leider – das Urteil muss erlaubt sein – nicht selten erschreckend schlecht.
Alte Aufnahmen
Im Zweiten Weltkrieg wurden weite Teile der Bebauung am Donaukanal zerstört oder schwer beschädigt. Das folgende Foto ist wohl von der Ruprechtskirche aus aufgenommen worden. Im Vordergrund ist der Schwedenplatz. Auf dem großen freien Bauplatz jenseits des Donaukanals steht heute der Georg-Emmerling-Hof. Der zerbombte Altbau ganz links ist das ehemalige Dianabad, das später abgerissen und durch ein Bürohaus ersetzt worden ist. Das wiederaufgebaute(?) Haus ganz rechts (alleinstehend) hatte sich noch bis in die 1990er erhalten – es wurde zugunsten des Media-Tower (am Anfang der Taborstraße) abgerissen.
Zwei Jahre nach obigem Foto ist der Emmerling-Hof schon weitgehend fertiggestellt:
Lage Zeit hat der große Gemeindebau kein schönes Bild abgegeben. Anscheinend war die Renovierung (2019-2021) die erste grundlegende Fassadensanierung sei der Errichtung.
Quellen, Fotos
- Georg-Emmerling-Hof auf der Seite von Wiener Wohnen
- Georg-Emmerling-Hof bei Wien Geschichte Wiki
- Infos zum Kunstwerk Themroc auf der Webseite von „Kunst im öffentlichen Raum“
- Diskussionsloch prangt neuerdings in Wiener Gemeindebau (Der Standard, 28.10.2021)
- Neumayer Projektmanagement GmbH über die Sanierung
- Foto Themroc (2021): Herzi Pinki, Themroc by Steinbrener, Dempf, Huber, Vienna 02, CC BY-SA 4.0
- Foto Figur am Karl-Marx-Hof (2012): Anton-kurt, JosefFranzRiedl.KarlMarxHof.C, CC BY-SA 3.0 AT
- Foto Portal Dreyhausenstraße 28-30 (2014): Haeferl, Wien-Penzing – Gemeindebau Dreyhausenstraße 28-30 – Portal mit Figurenfries von Rudolf Felsenstein, CC BY-SA 3.0
- Foto Bernardgasse 38 (2017): Thomas Ledl, Bernardgasse 38, Wien, CC BY-SA 4.0
- Foto Kardinal-Innitzer-Hof (2018): Herzi Pinki, Kardinal-Innitzer-Hof 02, Vienna, CC BY-SA 4.0
- Foto Operngasse 25 (2008): Buchhändler, Operngasse 23, CC BY-SA 3.0
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