Das Gründerzeithaus an der Ecke Geblergasse/Taubergasse in Hernals wurde aufgestockt. Die ästhetische Wirkung des Gebäudes hat sich dadurch stark verändert. Bezugnahme auf Altbau und Umgebung ist nicht erkennbar.
Aus drei mach sechs
Nachverdichtung ist das Gebot der Stunde. Durch den maßvollen Ausbau von Bestandsgebäuden lässt sich neuer Wohnraum ohne Zerstörung von Altbauten und ohne Bodenverbrauch (Bauen auf der „grünen Wiese“) realisieren. Die Infrastruktur – öffentliche Verkehrsmittel, Geschäfte, Parks usw. – muss nicht erst neu gebaut werden, sondern ist schon da. Durch Dachausbauten und damit meist einhergehende Sanierungen lässt sich der Erhalt alter Häuser zudem dauerhaft absichern. Wichtig ist aber auch, wie die Aufstockung konkret aussieht und wie Alt und Neu miteinander harmonieren.
Das Grundstück an der Ecke Taubergasse/Geblergasse ist im Bebauungsplan verhältnismäßig hoch gewidmet – deutlich höher als der dortige Altbau. Behörden und Politik haben das Gründerzeithaus damit unter wirtschaftlichen Druck gesetzt und einen Totalabriss einkalkuliert. Zu selbigem ist es nicht gekommen, aber zu einer Aufstockung.
Minimalgestaltung trifft auf Altbau
Wie sollen neu aufgesetzte Geschoße und Dachgeschoße aussehen? Der Bebauungsplan gibt zwar vor, wo und wie hoch aufgestockt werden darf. Details der Gestaltung sind aber im Baurecht nicht festgelegt. Das kann als Freiheit ausgelegt werden. Oder als Desinteresse. Eine Anpassung der neuen Geschoße an den darunterliegenden Bestand ist selbst bei reich dekorierten und komplett erhaltenen Gründerzeithäusern nicht vorgeschrieben. Aspekte wie Fensterachsen und -formen, Farben, Dekor, gliedernde Elemente und Symmetrie sind weitgehend den Wünschen von Bauherrn und Planern überlassen. Inwiefern die Magistratsabteilung für Architektur (MA 19) in die Gestaltung von Aufstockungen eingreift bzw. eingreifen kann, lässt sich von außen nicht feststellen.
Mit Scheuklappen im urbanen Geflecht
Beim Haus in der Geblergasse 86 hätte das Ergebnis vielleicht harmonischer gewirkt, wäre die Form der alten Fenster (schmal und hoch) auch bei den neuen Geschoßen zur Anwendung gekommen. Eine Akzentuierung – etwa durch von der glatten Fassade abgesetzte Fensterrahmen – hätte ebenfalls zur Bezugnahme auf den Altbestand beigetragen. Wird das 1914 erbaute Nachbarhaus mit seiner aufwendig gegliederten Fassade mitbetrachtet, fällt der Aufbau noch stärker auf.
Andere Aufstockungen
In Wien gibt es keine effektiven Vorgaben und Verfahren, um hohe gestalterische Qualität von Neu- und Umbauten sicherzustellen. Architektur wird in Wien nicht als gesellschaftliche Verantwortung gegenüber der schon bestehenden Stadt wahrgenommen. Die Folge ist ein Nebeneinander von Einzelinteressen und „isoliertes“ Planen. Die Konzentration auf Verwertungsinteresse (schneller Verkauf von Wohnungen) und Kubaturmaximierung (Bau von möglichst viel Fläche) ist aus Sicht von Eigentümern, Bauträgern und Investoren natürlich verständlich. Für die Stadt im Gesamten aber langfristig problematisch.
Umbau mit Stil
Nicht immer wird mit harten Kontrasten und schlichten Materialien (Putzfassaden, Vollwärmeschutz) gearbeitet. So ist etwa bei dem Biedermeierhaus im Hermanngasse 17 eine erstaunliche Kombination aus zeitgenössischem Weiterbau und Bezugnahme auf den Altbestand gelungen. Das Dach ist aus Kupfer.
Gestaltungsbeirat als Lösung?
Da Gebäude den öffentlichen Raum und mithin die Stadt überhaupt erst konstituieren, sollte vonseiten der Politik und Verwaltung ein rücksichtsvoller Umgang eingefordert werden. Anpassung und graduelle Veränderung anstatt der fortwährenden Produktion von Brüchen könnte die Devise sein. Manchmal ist das bei Neubauten auch zu sehen, etwa in der Rüdengasse im 3. Bezirk. Auch bei Umbauten in der Vergangenheit: Die herausragende Aufstockung aus den 1930ern am Palais Czernin hinterm Rathaus ist jedoch bis heute ein Unikat geblieben.
Schöne Architektur lässt sich schwerlich verordnen und scheitert schon an der Definition. Aber trotzdem kann sichergestellt werden, dass sich für stets einzigartige Situationen (Ästhetik und Umfeld des Bestandsgebäudes, Möglichkeiten des Bebauungsplans usw.) kreative Lösungen finden lassen. Drei Ideen:
- Einrichtung eines unabhängigen Gestaltungsbeirats mit externen Experten von außerhalb Wiens, die Entwürfe prüfen und zusammen mit den Planern auch ändern können.
- Verpflichtende Rücksichtnahme auf Bestand und Umgebung – bis hin zu Fensterachsen, Farbe, Materialwahl und Dekor. Dies in Schutzzonen und historisch sensiblen Gebieten. Ziel muss es sein, die Stärken der gewachsenen Stadt weiterzubauen und zu verbessern. Die jeweils herausragendsten und stadtbildlich prägendsten Gebäude müssen die Referenz sein.
- Bauträger, die qualitativ hochwertige Entwürfe liefern, müssten entsprechend „belohnt“ werden – etwa durch eine flexiblere Handhabung von Bauhöhen und Trakttiefen usw. Es könnte auch überlegt werden, ob sich die Rekonstruktion von Fassadendekor (der bei vielen Gründerzeithäusern irgendwann abgeschlagen wurde) und die Schaffung von nutzungsoffenen Erdgeschoßzonen (Platz für Geschäfte und Lokale) als Bedingung für mehr Bauhöhe bzw. Fläche festschreiben ließe.
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