Ein prachtvolles Gründerzeithaus droht dem Abriss zum Opfer zu fallen. Die Wiener Linien haben das Gebäude für den Bau der U-Bahn-Linie 5 gekauft – und wollen es trotz Schutzzone abreißen.
Warum kann der für diese Stelle vorgesehene U-Bahn-Aufgang nicht im Erdgeschoß des Hauses errichtet werden? Ohne Abriss, wie auch schon bei anderen Stationen?
Altstadterhaltung am Abstellgleis
Hernals ist einer jener Bezirke, der in den letzten Jahren mehrmals unter Abrissen erhaltenswerter Altbauten gelitten hat. Neben den Villen Braungasse 30 und 32 auch zwei Häuser in der Schutzzone: Hernalser Hauptstraße 59 und 61. Viel zu spät, aber doch, hat auch die Politik auf die vielen Abrisse reagiert. Dazu Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál (SPÖ):
Mit der Offensive Altbautenschutz hat die Stadt Wien der mutwilligen Vernachlässigung von Gründerzeithäusern den Kampf angesagt. Es geht darum, die unmittelbaren Lebensbedingungen der Bewohnerinnen und Bewohnern von Gründerzeithäusern zu verbessern, den leistbaren Wohnraum langfristig abzusichern und gleichzeitig das Stadtbild unserer wunderschönen Stadt abzusichern. Hier sind die Eigentümerinnen und Eigentümer in der Verantwortung, denn mit dem Besitz von Zinshäusern gehen auch Verpflichtungen einher. [1]
Was aber, wenn die Stadt bzw. die ihr gehörenden Unternehmen selbst zu den Abreißern werden? Wenn der erwähnten Verantwortung und Verpflichtung zum Erhalt eben nicht nachgekommen wird?
Politische Ankündigungen sind das eine, die Wirklichkeit das andere. Einerseits wurde versprochen, verstärkt gegen Verfall vorzugehen und die Erhaltungspflicht nachdrücklich einzufordern. Andererseits scheint dies für Gebäude, die der Stadt direkt oder indirekt gehören, nicht ebenso zu gelten – etwa im Fall der historischen AKH-Kinderklinik.
Auch Wohnhäuser können unter Abrissdruck kommen, wenn es um den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur geht. Eines davon steht am Elterleinplatz, im Zentrum von Hernals. Das Gebäude ist ein integraler Bestandteil des örtlichen historischen Häuserensembles. Eine solch gut erhaltene Häuserzeile ist in Hernals sonst kaum zu finden. Es gilt eine Schutzzone, die den Erhalt sicherzustellen soll. Nun aber wird dem markanten Eckhaus am Elterleinplatz 8 der U-Bahn-Bau zum Verhängnis.
Dass historische Bauten für die Verkehrsinfrastruktur abgerissen werden, hat in Wien gleichsam Tradition. Im 20. Jahrhundert wurden reihenweise „verkehrsbehindernde“ Häuser zwecks Straßenverbreiterungen abgebrochen. Eine traurige Berühmtheit ist der Fall der Rauchfangkehrerkirche in der Wiedner Hauptstraße im 5. Bezirk, die 1965 abgetragen wurde.
U-Bahn verschluckt Altbau
Was ist im Detail geplant? Das verrieten die Wiener Linien anfangs nicht. Auf Anfrage hieß es bloß:
Der unterirdische Stationsbereich mit seinen Aufgängen musste so situiert werden, dass es notwendig wurde, das Haus am Elterleinplatz 8 zu erwerben, um an dessen Stelle einen Aufgang herzustellen.
Auf weitere Nachfragen reagierten die Wiener Linien nicht. Erst auf Fragen bei weiteren Stellen der Stadt wurden Informationen herausgegeben:
Um den 17. Bezirk bis nach Hernals künftig mit der Linie U5 zu erschließen und im Bereich Elterleinplatz/Hernalser Hauptstraße eine U-Bahn-Station errichten zu können, ist es erforderlich, einen neuen Aufgang sowie ein unterirdisches Stationsgebäude zu bauen.
Schöne Fassade, gute Nutzung
Der Fassadendekor des Gebäudes hat sich bis heute im Originalzustand erhalten. Auch die Nutzung ist vorbildlich: oben wird gewohnt, im Erdgeschoß sind Geschäftsflächen. Die Kombination aus attraktiver Architektur und belebter Erdgeschoßzone strahlt in die Umgebung aus. Genau solche Häuser mit solchen Nutzungen sind es, die einen Erhalt unbedingt verdienen.
Eisenbahngesetz sticht Bauordnung
Im Wohnbauressort von Stadträtin Kathrin Gaál wird auf das Eisenbahngesetz verwiesen. Dieses Bundesgesetz steht über der Wiener Bauordnung, bei der es sich um ein Landesgesetz handelt. Mithilfe des Eisenbahngesetzes lassen sich auch schutzwürdige Häuser abreißen, sogar in Schutzzonen. Selbst die 2018 verschärfte Bauordnung, der zufolge vor 1945 errichtete Gebäude einen potenziellen Schutz genießen, kann umgangen werden – so geschehen 2019 in der Hofmühlgasse in Mariahilf. Einzig der selten gewährte Denkmalschutz wäre wohl ein wirkungsvolleres Hindernis.
Ein bloßer Verweis des Wohnbauressorts auf ein Bundesgesetz ist doch etwas zu knapp. Die Wiener Linien gehören der Stadt Wien. Politisch zuständig ist Finanzstadtrat Peter Hanke (SPÖ). Ein Abriss geht demnach auch mit einer politischen Verantwortlichkeit einher. Wenn der Erhalt des Gebäudes für die Stadtpolitik tatsächlich von Interesse ist, müssen Wohnbau- und Finanzressort zusammen eine Lösung finden. Letztlich müssen die Realisierung des U-Bahn-Ausbaus und der Erhalt der Altbausubstanz die Zielsetzungen sein. Gegeneinander ausspielen sollte man beide Anliegen nicht.
Weiterem Gebäude droht Zerstörung
Der Bau der U-Bahn-Linie 5 wirft seine Schatten auch ins benachbarte Währing. Dort soll ebenfalls ein stadtbildprägendes Eckhaus aus der Gründerzeit niedergerissen werden. Der Bauplatz wird, erklärten die Wiener Linien, für einen U-Bahn-Aufgang benötigt.
Geht das wirklich nicht anders? Direkt gegenüber befinden sich ein Gebäude und Flächen der Wiener Linien. Könnten diese nicht als Baustellenflächen und künftige Stationsbereiche dienen? Auch hier ist die Frage: Warum lässt sich der U-Bahn-Aufgang nicht ins Erdgeschoß integrieren und das Gebäude sanieren, sanft aufstocken und weiternutzen?
Abrisse alternativlos?
Wurde eindeutig und auch von unabhängiger Seite festgestellt, dass ein Erhalt tatsächlich unmöglich ist? Wäre ein kleinräumiger Abbruch mit Erhalt von Fassade und oberen Geschoßen nicht durchführbar? Könnte die Station nicht auch daneben bzw. gegenüber gebaut werden? Unabhängige Studien bzw. Einschätzungen sind nicht bekannt. Die Politik verlässt sich, wie Gespräche gezeigt haben, auf die Aussagen der Wiener Linien. Das ist definitiv zu wenig.
Generell ist die Stadtregierung mit Informationen sehr zurückhaltend. Die Gefährdung der beiden Gründerzeithäuser ist erst durch die Veröffentlichung der Stationspläne und eine Anfrage im Gemeinderat bekannt geworden. Besonders thematisiert wurden die Abrisspläne nicht.
In einer im Mai 2024 gestellten Anfrage im Gemeinderat begehrte die FPÖ Informationen über den U-Bahn-Ausbau.[2] Planungsstadträtin Ulli Sima (SPÖ), deren Abteilungen für Schutzzonen und Flächenwidmung zuständig sind, gab keine nähere Auskunft, sondern verwies auf andere Ressorts.[3] Von Stadtrat Peter Hanke (SPÖ), zuständig u.a. für die Wiener Linien, hieß es:
Vor diesem Hintergrund [= U-Bahn-Bau] war es für die Wiener Linien erforderlich, zwei Liegenschaften zu erstehen. Eine im 18. Bezirk im Bereich Kreuzgasse/Währinger Gürtel, die zweite im 17. Bezirk Elterleinplatz/Hernalser Hauptstraße. In beiden Fällen konnten seitens der Wiener Linien Einigungen mit den Eigentümer*innen erzielt werden, selbstverständlich ist der Kaufpreis im U-Bahn-Budget der Wiener Linien abgedeckt. [4]
Weitere Informationen kamen vom Ressort von Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál (SPÖ):
Im Streckenverlauf der 2. Ausbaustufe der Linie US ist geplant zwei Gebäude abzubrechen und neu mit einem im Erdgeschoss situierten Zugang zur U-Bahn wiederaufzubauen. Ein Gebäude betrifft die Liegenschaft 18., Währinger Gürtel 41, ident Kreuzgasse 1 bei der zukünftigen US Station Michelbeuern AKH und ein Gebäude betrifft die Liegenschaft 17., Elterleinplatz 8, ident Hernalser Hauptstraße 76 bei der zukünftigen US Station Elterleinplatz. Beide Liegenschaften stehen im alleinigen Eigentum der Wiener Linien GmbH & Co KG. Auch wenn die strengen Bestimmungen der Bauordnung für Wien betreffend Abbruchbewilligunge keine Anwendung finden, werden die Wiener Linien aber noch Gespräche mit der MA 19 [Abteilung für Architektur] dazu führen. [5]
U-Bahn gibt's auch ohne Abrisse
Der Bau der U-Bahn ist nicht nur positiv, er ist auch einfach nötig. Hernals und Währing fehlt eine leistungsstarke Verbindung in die Stadt. Da die Straßenbahnlinien durch den Autoverkehr verlangsamt werden und es hohe Kapazitäten für viele Fahrgäste braucht, ist die U-Bahn das Mittel der Wahl. Kompliziert wird es, wenn nicht am Stadtrand, sondern unter der Bestandsstadt gebaut werden muss. Entscheidend ist dann, wo Zugänge zu den U-Bahn-Stationen entstehen. Bei etlichen Stationen früherer U-Bahn-Verlängerungen wurden die Aufgänge in Bestandsgebäude integriert. Warum also nicht auch bei den beiden in diesem Artikel behandelten Häusern?
Beispiel: Ein Abgang zur U-Bahn-Station „Volkstheater“ ist in das historische Gebäude des Museumsquartiers (ehemalige Hofstallungen) integriert:
Im Erdgeschoß des Hotel Bristol an der Ecke von Ringstraße und Kärntner Straße ist ein Zugang zur U-Bahn-Station „Karlsplatz“:
Bei der Verlängerung der Linie U3 in den 14. Bezirk wurde ein Aufgang der Station „Hütteldorfer Straße“ in einen Bestandsbau eingefügt:
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Die Bezirksvorstehungen sind die politischen Vertretungen der einzelnen Bezirke. Die Partei mit den meisten Stimmen im Bezirk stellt den Bezirksvorsteher, dessen Aufgaben u.a. das Pflichtschulwesen, die Ortsverschönerung und die Straßen umfassen.
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- Die Grünen: hernals@gruene.at
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(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im Dezember 2020.)
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(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)
Verfall und Abrisse verhindern: Gemeinsam gegen die Zerstörung! (Anleitung mit Infos und Kontaktdaten)
Quellen, Fotos
- [1] Gaál/Hillerer/Cech: Offensive Altbautenschutz mittlerweile in 7 Bezirken im Einsatz (Presseaussendung, 18.4.2024)
- [2] 57. Sitzung des Gemeinderates vom 20.09.2024 (Anfrage FPÖ; Informationsdatenbank des Wiener Landtages und Gemeinderates; Maximilian Krauss, MA (FPÖ) als GR u. Fragesteller, Anton Mahdalik (FPÖ) als GR u. Fragesteller, Mag.a Ulrike Nittmann (FPÖ) als GRin u. Fragestellerin)
- [3] 57. Sitzung des Gemeinderates vom 20.09.2024 (Antwort Planungsressort; Informationsdatenbank des Wiener Landtages und Gemeinderates; Mag. Ulli Sima (SPÖ) als amtsf StRin u. Beantworterin)
- [4] 57. Sitzung des Gemeinderates vom 20.09.2024 (Antwort Finanzressort; Informationsdatenbank des Wiener Landtages und Gemeinderates; KommR Peter Hanke (SPÖ) als amtsf StR u. Beantworter)
- [5] 57. Sitzung des Gemeinderates vom 20.09.2024 (Antwort Wohnbauressort; Informationsdatenbank des Wiener Landtages und Gemeinderates; Kathrin Gaal (SPÖ) als amtsf StRin u. Beantworterin)
- Wegen neuer U-Bahn soll Friseurin jetzt ausziehen (Heute, 9.10.2024)
- Foto Hotel Bristol (2015): Clemens Mosch, Bristolvonderoper, CC BY-SA 4.0
- Foto Museumsquartier (2024): Johannes Maximilian, Wien VII, U-Bahn-Station Volkstheater, Aufgang Burggasse, 2024-07-30 JM 5D413201, CC BY-SA 4.0
- Alle anderen Fotos in diesem Beitrag sind (c) Georg Scherer / wienschauen.at
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