Die alte Wirtschaftsuniversität (WU) soll nach wenigen Jahrzehnten schon wieder abgerissen werden. Der riesige Gebäudekomplex mit seiner Glasfassade und der unverkennbaren Architektursprache der 1970er wirkt auf den ersten Blick wenig einladend. Doch eine nähere Beschäftigung lohnt sich. Es warten Details und Ansichten, die keineswegs von einem wertlosen Nutzbau herrühren.
In diesem Artikel finden sich Fotos von der alten WU und ihrem Umfeld. Details zum geplanten Abriss und die Kritik daran sind hier nachzulesen.
Alte WU - gar nicht so alt
Von 1982 bis 2013 war die Wirtschaftsuniversität Wien am Althangrund beheimatet. Über den Gleisen der Franz-Josefs-Bahn, neben der Müllverbrennungsanlage in der Spittelau und an die alten Gründerzeitviertel um den Gürtel grenzend, ist die Lage eine Herausforderung, der Architekt Kurt Hlaweniczka mit einem heute schroff wirkenden Modernismus begegnete. Aus der Vogelperspektive wird die Grundform greifbar: ein langer, hoher Baukörper in der Mitte, aus dem wie übergroße Spinnenbeine die Seitentrakte hinausdrängen.
Von der U-Bahn-Station Spittelau kommend bietet sich der Anblick eines wuchtigen, etwas in die Jahre gekommenen Gebäudekomplexes. Die durchgehende Glasfassade hat schon bessere Zeiten gesehen. Von diesem Blickwinkel wird auch die aufgeständerte Bauweise deutlich. Die WU ist auf Pfeilern gebaut, die die ganze „Platte“ halten. Das bringt etliche Probleme mit sich: Das Gebäude stellt eine nicht wegzudiskutierende Barriere dar, Begrünung ist nur reduziert möglich. Da die Gleise auch in Zukunft bleiben, ließen sich diese Nachteile auch mit einem Neubau nur begrenzt beseitigen.
Die alte WU ist zwischen dem gründerzeitlich geprägten Teil des 9. Bezirks – Althanstraße, Gürtel, Heiligenstädter Straße – und den Großbauten in der Spittelau situiert.
Der Haupteingang der alten WU liegt an der Althanstraße und damit etwas unpraktisch, da die öffentliche Anbindung auf der anderen Seite über die U-Bahn-Station Spittelau erfolgt. Vorgelagert ist dem Eingang eine weite Treppe, um die Grünbereiche angeordnet sind. Auffällig ist das hervorstehende Dach, das im Inneren einen Hörsaal beherbergt.
Die Glasfassade bietet viele interessante Perspektiven, die die bis heute ungebrochene Modernität des Gebäudes hervorstreichen.
An einer Stelle teilt sich die WU in zwei Baukörper, die durch Fußgängerbrücken miteinander verbunden sind. Der zwischen beiden Gebäudeteilen liegende Weg hat beidseitig Grünflächen und wurde früher intensiv von Studierenden zum Aufenthalt genutzt.
An der Rückseite trifft die WU auf Gebäude der Universität Wien. Die auf dem ersten Foto (unten) erkennbare Freifläche ist eine Platte, die die Gleisanlagen überspannt. Diese herausfordernde Konstruktion bringt es mit sich, dass Begrünung mit tiefwurzelnden Bäumen nicht möglich ist.
Im Inneren
Herzstück des Gebäudekomplexes ist die durchs ganze Gebäude laufende und mehrere Stockwerke verbindende Aula. Der weite Raum wird seit dem Auszug der WU immer wieder für Veranstaltungen genutzt. Die Wandbilder in der Aula des Künstlers Helmut Leherb sind denkmalgeschützt.
Wie lässt sich die Architektur eines riesigen Gebäudekomplexes wie der alten WU erfassen, ohne sich auf Baupläne und Baugeschichte zu stürzen? Die Architektin und Künstlerin Julia Dorninger wählte bei einer experimentellen Führung einen ganz eigenen Zugang. Die Teilnehmer der von der IG Architektur initiierten Veranstaltung sollten sich mit dem Gebäude auf unmittelbare Weise auseinandersetzen, indem die verschiedenen Oberflächen – Wände, Türen, Schilder usw. – mittels Frottage zu Papier gebracht wurden (Foto unten).
Die folgenden Fotos sind kurz vor dem Umzug der Wirtschaftsuniversität in den neuen Campus am Prater entstanden.
Biologiezentrum
Das Biologiezentrum der Universität Wien wurde von 1976-1982 errichtet, Architekten waren Kurt Hlaweniczka, Karl Schwanzer und Gerhard Krampf. Es soll ebenfalls abgerissen werden.
Umfeld: Großer Maßstab, große Gesten
Gegenüber der alten WU liegt das Bundesamtsgebäude Josef-Holaubek-Platz, in dem das Bundeskriminalamt seinen Sitz hat. Es wurde Ende der 1980er errichtet und zeigt einen wienweit einzigartig futuristischen Stil.
Synonym mit der Spittelau ist die dortige Müllverbrennungsanlage, deren Schlot aus ganz Wien zu sehen ist. Die 1966-1971 erbaute Anlage wurde nach einem Brand vom Künstler Friedensreich Hundertwasser außen neugestaltet. Auch das sonst karge Hochhaus der Wien Energie trägt den Hundertwasser’schen Firnis.
WU aufstocken?
Es passt nicht ganz in diese Fotostrecke hinein, aber trotzdem: Könnte den Abrissplänen nicht mit der Alternative einer Erweiterung des bestehenden Gebäudes begegnet werden? Sanierung und Umbau statt Abriss und Neubau? Nachdem weit mehr Fläche neu errichtet werden soll, als das Bestandsgebäude hergibt, wäre eine beträchtliche Vergrößerung wohl eine der wenigen Möglichkeit, um den Abriss zu verhindern und somit die verbauten Ressourcen zu erhalten.
Wird der ganze Baukörper in den Blick genommen, könnte sich eine stilgerechte Aufstockung anbieten. Lassen sich auf dem langen Mitteltrakt neue Stockwerke errichten und die Seitentrakte im bestehenden Winkel weiter hochziehen? Ist das technisch machbar, sowie funktional, wirtschaftlich und städtebaulich sinnvoll? Oder würde das mehr zerstören als erhalten? Hier eine vage Vision, der freilich die Expertise des Architekten (und Statikers) fehlt.
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