Döbling: Die fatalen Folgen der fehlenden Schutzzone

Mitten im historischen Döbling wurde 2016 ein Jahrhundertwendehaus abgerissen. Auch Politik und Behörden waren mitverantwortlich, denn bei der Umwidmung einige Jahre zuvor war keine Schutzzone eingerichtet worden. Eine Schutzzone hätte den Abriss höchstwahrscheinlich verhindert.

Seit 2020 steht in der Weinzingergasse 5 ein Neubau. Für sich genommen ist das neue Gebäude bestimmt attraktiver als der durchschnittliche Wiener Neubau. Doch in das historische Ensemble will sich das Gebäude überhaupt nicht einfügen. Und im Vergleich zum abgerissenen Altbau lassen sich eigentlich keine Worte mehr finden.

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Weinzingergasse 5: Altbau 2016 abgerissen, Neubau 2020 fertiggestellt (Foto links © Erich J. Schimek)

Kein Schutz für historisches Haus

In Döbling sind die Eigentumspreise traditionell hoch – und so auch die wirtschaftlichen Begehrlichkeiten. Alte Häuser und niedrig bebaute Liegenschaften geraten bevorzugt ins Visier von Investoren.

Was sich genau im Fall des Hauses in der Weinzingergasse 5 im Hintergrund zugetragen hat, kann nur vermutet werden. Jedenfalls war die Fassade des Jahrhundertwendehaus frisch renoviert. Ob die eigentliche Bausubstanz noch gut war oder nicht, ist nicht bekannt. Unbestätigten Angaben zufolge soll es durchaus renovierungsbedürftig gewesen sein.

Klar ist aber, dass für das Haus weder Denkmalschutz noch Schutzzone galten. So konnte es auch ohne Hürden abgerissen und durch einen Neubau mit niedrigeren Raumhöhen ersetzt werden.

Einladung zum Abriss?

Wenn es um den Abbruch alter Häuser geht, wird häufig folgendes Argument vorgebracht: In alten Häusern dürfen nur niedrige Mieten verlangt werden. Wäre dem nicht so, hätte es den Abriss nicht gegeben.

Die Ungleichheit im Mietrecht ist eine Tatsache, aber doch wird dabei Folgendes vergessen:

  • Ein Neubau ist wohl immer billiger und profitabler als die Sanierung eines Altbaus. Im Neubau lässt sich einfach mehr Fläche unterbringen. Selbst ohne die Begrenzung der Altbau-Mieten wären Abriss und Neubau wahrscheinlich meist immer noch wirtschaftlich „sinnvoller“.
  • Bei vielen Immobilienprojekten geht es nicht um Vermietung, sondern um den Abverkauf der einzelnen Wohnungen für Eigennutzer.

Bei der Frage Erhalt vs. Abriss haben Politik und Behörden eine viel größere Bedeutung:

  • Die Behörden fertigen die Bebauungspläne an, die Politiker beschließen sie. Auf die Details dieser Bebauungspläne kommt es an.
  • Werden bei den Bebauungsplänen Schutzzonen eingerichtet, um historische Gebäude vor dem Abriss zu bewahren?
  • Sind auch die maximal erlaubten Bauhöhen so festgesetzt, dass sie der tatsächlichen Höhe der alten Häuser entsprechen? Wenn nicht, ist ein höherer Neubau profitabler – und ein Abriss wahrscheinlich.

Der Bebauungsplan entscheidet also maßgeblich, welche Projekte angelockt werden. Sanierung und Umbau – oder Abriss und Neubau. In der Weinzingergasse hat der Bebauungsplan letzteres gefördert.

Schutzwürdigkeit schon lange bekannt?

Hatten die Behörden schon frühzeitig gewusst, dass es sich beim Haus in der Weinzingergasse 5 um ein schützenswertes Gebäude gehandelt hat? Wahrscheinlich ja, wie dieses Detail nahelegt: Die Wiener Magistrate betreiben eine öffentlich einsehbare Datenbank, in der Infos zu vielen Häusern verzeichnet sind, darunter auch Verweise auf die Fachliteratur. Daraus lässt sich bereits schließen, ob ein Haus erhaltenswert ist oder nicht.

Auch das Haus in der Weinzingergasse 5 ist in der Gebäudeinformation eingetragen – bereits seit 1998. Die architekturhistorische Bedeutung ist also wohl schon lange bekannt. So hätte auch klar sein sollen, dass sich das Gebäude für die Schutzzone eignet.

Kein Denkmalschutz

Sogar in einer Publikation des Denkmalamts wird das Gebäude erwähnt:

Verbauung E[nde]. 19. – A[nfang] 20. Jh. (…) Weinzingergasse 5, altdeutsch mit origineller, durch Risalite und Erker gegliederter Fassade und originalem Türblatt

Denkmalschutz galt für das Gebäude nicht. Eine Folge des limitierten Denkmalschutzgesetzes und der personellen Unterbesetzung der Behörde? Zuständig für Reformen wäre das Parlament (gewesen), denn Denkmalschutz ist Bundessache.

Umwidmung ohne Schutzzone

Das Gebiet um die Weinzingergasse wurde 2005 umgewidmet. Das wäre die Gelegenheit gewesen, um eine Schutzzone einzurichten. So hätten die historischen Häuser langfristig erhalten werden können. Doch das ist nicht geschehen.

Angefertigt werden die Bebauungspläne samt Schutzzonen von den Magistratsabteilungen 19 (Architektur) und 21 (Flächenwidmung). Hat der damalige Planungsstadtrat Rudolf Schicker (SPÖ) vergessen, die Ausweitung der Schutzzone zu beauftragen? Oder war das Thema Schutzzonen einfach nirgends auf der Agenda?

Auch der Bezirk kann bei Umwidmungen Wünsche äußern. Ob das damals passiert ist, ließ sich nicht eruieren. Bezirksvorsteher zur Zeit der Umwidmung war Adi Tiller (ÖVP).

Der Plan mit der viel zu kleinen Schutzzone wurde jedenfalls mit den Stimmen aller Parteien im Wiener Gemeinderat angenommen (siehe Protokoll unten). Es kam nicht einmal zu einer Debatte. Ob sich die Mandatare mit dem Inhalt des Entwurfs auch auseinandergesetzt haben?

Abriss und Neubau in der Weinzingergasse

Elf Jahre nach dem Beschluss der zu kleinen Schutzzone kam der Abbruch. Besonders schwer wiegt, dass das Gebäude anscheinend auch nicht desolat war. Sogar das Dachgeschoß war ausgebaut.

Medial wurde der verheerende Verlust gar nicht rezipiert. Erzürnt zeigte sich die Initiative Denkmalschutz:

[Das Haus] bildete mit seinen Nachbarhäusern ein geschlossenes historisches Ensemble. Das Haus zeigte sogar eine frisch restaurierte Fassade, doch das Gewinnstreben des neuen Eigentümers überwiegte, sodass es jetzt abgerissen wurde. Da keine Schutzzone gewidmet war, konnte der neue Besitzer den Abbruch nach Belieben veranlassen, ohne dass irgendeine Behörde zustimmen musste.

Besonders tragisch: Nur wenige Häuser daneben befindet sich die Schutzzone Sieveringer Straße (…), sodass das historische Häuserensemble in der Weinzingerstraße 1-7 zur Gänze als Schutzzone hätte ausgewiesen werden können, ja sogar müssen (…)

Der aktuell gültige Flächenwidmungs- und Bebauungsplan, in dem diese Schutzzone nicht(!) ausgewiesen wurde, ist seit 19. Mai 2005 rechtsgültig (Plandokument 7646). Der Wiener Gemeinderat respektive die damalige Stadtregierung hätte also vor 11 Jahren handeln müssen, doch wurde – wie viel zu oft in Wien – auf eine Schutzzonenerweiterung “vergessen” (…)

Das planende Architekturbüro (WGA ZT GmbH) schreibt über den Neubau:

(…) An der Straßenseite fügt sich das Gebäude sensibel mit einer elegant gegliederten Fassade als modernes Element in die geschlossene Bebauung des historischen Standortes ein. Gartenseitig öffnen sich alle Wohnräume zu privaten Freibereichen. Die raumhohen Verglasungen ermöglichen großzügige Ausblicke ins Grüne und schaffen sonnendurchflutete Innenräume (…)

Wir bedanken uns herzlich bei unserem Auftraggeber, den ausführenden Firmen und allen sonstigen Beteiligten für die gute Zusammenarbeit, sowie das gelungene Ergebnis und freuen uns schon auf zukünftige gemeinsame Projekte.

Altbau neben Neubau in der Weinzingergasse, Döbling, Wien, Neubau ersetzt Jahrhundertwendehaus
Weinzingergasse 3 und 5: Altbau neben Neubau (Foto: 2020)

Der Neubau ist – für sich betrachtet – sicherlich attraktiver als die meisten anderen Wiener Neubauten (zum Vergleich: Bestürzende Neubauten). Die hohen französischen Fenster sind regelmäßig angeordnet, eine leichte plastische Gliederung ist vorhanden. Nur die Erdgeschoßzone ist stark vernachlässigt und präsentiert sich als abweisende Front, besonders im Vergleich mit den Nachbarhäusern.

Die unschöne Garageneinfahrt ist übrigens nicht der Willkür des Bauträgers entsprungen, sondern per Gesetz ausdrücklich vorgeschrieben. Das verpflichtende Herstellen von Garagen geht auf ein Nazi-Gesetz zurück (Reichsgaragenordnung), das die Wiener Stadtregierung im Jahr 1957 ins Landesrecht übernommen hat.

Altbau und Neubau in der Weinzingergasse, 1190 Wien
Weinzingergasse 5 und 7: Neubau neben Altbau (Foto: 2020)

Fremdkörper im Ensemble

Auch die durchaus vorhandenen Qualitäten des neuen Gebäudes können von dem schweren Verlust nicht ablenken. Das wunderschöne Ensemble hat einen wichtigen Bestandteil für immer eingebüßt.

historische Gebäude in Döbling, Weinzingergasse, Sieveringer Straße, Herbst, Wien
Sieveringer Straße, Weinzingergasse: fast geschlossen erhaltenes Ensemble, rechts hinten der Neubau (Foto: 2020)

Für die Architektur von Neubauten gibt die Stadt Wien nahezu keine Rahmenbedingungen vor. Auch nicht in historisch bedeutenden Umgebungen und auch nicht in Schutzzonen. Rücksicht auf das Umfeld bei der Gestaltung bleibt freiwillig – und in der Folge meist inexistent. Das zeigen auch Beispiele in Ottakring und in Hernals.

So ist Döbling also seit 2016 um ein schönes Jahrhundertwendehaus ärmer. Selten ist das Fehlen einer Schutzzone so eklatant wie bei diesem Beispiel.

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Vizebürgermeisterin und Stadträtin Kathrin Gaál untersteht die Geschäftsgruppe Wohnen. Zu dieser gehören u. a. die Baupolizei (kontrolliert die Einhaltung der Bauvorschriften u. dgl.), Wiener Wohnen (Gemeindewohnungen) und der Wohnfonds (Fonds für Neubau und Sanierung).
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Der amtsführendenden Stadträtin untersteht die Geschäftsgruppe Innovation, Stadtplanung und Mobilität. Diese ist u. a. zuständig für die Flächenwidmungs- und Bebauungspläne (Innen-Südwest, Nordost), Stadtentwicklung und Stadtplanung und Architektur und Stadtgestaltung (einschließlich der Festsetzung von Schutzzonen gegen Hausabrisse).

(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)

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