Die vielen Vorteile von Verkehrsberuhigung

Wo sind die nächsten Fußgängerzonen in Ihrer Wohnumgebung? Wo ist der nächste verkehrsberuhigte Platz? Wie viele begrünte Straßen und Gassen gibt es in Ihrer Nähe? Wie sieht es mit guten Radwegen aus? – Leben Sie zentral in einer Stadt, dann ist die Chance groß, dass Ihnen gar nicht so viele Beispiele einfallen.

Dabei hat Verkehrsberuhigung viele Vorteile: mehr Platz für Menschen und Begrünung, weniger Lärm, mehr Umsatz für Geschäfte, mehr Sicherheit im Verkehr und ein schöneres Straßenbild.

Dieser Artikel wurde seit dem Erscheinen mehrfach aktualisiert (zuletzt im September 2024).

Begegnungszone vor dem Raimundhof, Mariahilferstraße, Wien, Verkehrsberuhigung
Verkehrsberuhigung hat viele Vorteile - und ist auch einfach schön. (Foto: Mariahilfer Straße in Wien, 2020)

Fußgängerzonen, Begegnungszonen (shared space, alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt) und Radwege sind in Medien und Lokalpolitik regelmäßig ein Thema. So entsteht mitunter der Eindruck, als seien viele Straßen und Plätze ohnehin schon entsprechend (um)gestaltet. Davon kann bei näherer Betrachtung aber keine Rede sein.

Die Realität in Wien: Nur 1% aller Verkehrsflächen sind Fußgängerzonen. Baulich ausgeführte – also sichere – Radwege fehlen vielerorts. Sie machen nur 1,1% der öffentlichen Verkehrsflächen aus. In vielen Straßen und Gassen gibt es keine Bäume. Die meisten Straßen sind in erster Linie auf die Bedürfnisse des Pkw-Verkehrs ausgerichtet, mit allen Folgen: Viel Asphalt (Hitzeproblem), z. T. wenige Bäume, oft wenig Platz für Fußgänger und ein unattraktives Straßenbild. Doch diese Probleme lassen sich mit etwas politischem Willen durchaus lösen.

Verkehrsberuhigung ist besonders in zentralen und dicht bebauten Gegenden relevant: Wo viele Menschen auf engem Raum leben, arbeiten und einkaufen, muss der öffentliche Raum anders gestaltet sein als in peripheren Gebieten oder am Land. Bei allen hier vorgestellten Punkten liegt der Fokus also auf dem dichten (groß-)städtischen Raum. Dass sich der motorisierte Verkehr nicht auf jeder Straße und auf jedem Platz reduzieren lässt, versteht sich von selbst. Einen gewissen Autoverkehr – Autos für ältere Menschen und Gehbehinderte, Einsatzfahrzeuge, Lieferverkehr, usw. – wird es immer geben. Durch Verkehrsberuhigung, gute öffentliche Verkehrsmittel und kluge Stadtplanung lassen sich aber viele Fahrten vermeiden. Das auch zum Vorteil für jene Personen, die auf das Auto angewiesen sind. Sie haben dann weniger unter Stau zu leiden.

Vorteile von Verkehrsberuhigung

Dieser Beitrag bietet einen Überblick über die Vorteile von Fußgänger- und Begegnungszonen, Radfahren, Tempo 30 und den Nutzen von Umgestaltungen des öffentlichen Raums. Zitate aus Studien und Medienberichten finden sich weiter unten. Die zentralen Punkte:

  1. Verkehrsberuhigung ist sozial: Werden die für den Kfz-Verkehr reservierten Flächen reduziert, kann der öffentliche Raum besser von den Bewohnern der umliegenden Häuser genutzt werden. So haben auch Menschen mit kleinen Wohnungen und wenig Einkommen mehr von der Stadt.
  2. Verkehrsberuhigung schafft mehr Platz für andere Nutzungen (breitere Gehsteige, Bänke, Radwege, Begrünung usw.)
  3. Langsamer ist besser: In verkehrsberuhigten Straßen und bei Tempo 30 gibt es weniger Verkehrslärm, die Verkehrssicherheit ist höher.
  4. Umgestaltungen sind beliebt
  5. Umgestaltete und begrünte Straßen und Plätze sind schöner.
  6. Schutz gegen Hitze: Weniger Platz für Pkw bedeutet meist auch weniger Asphalt und mehr Platz für Bäume und Begrünung.
  7. Verkehrsberuhigung lohnt sich: der Umsatz von Geschäften steigt, der Leerstand ist geringer. (Nur eine kleine Minderheit der Kunden kommt mit dem Auto, die allermeisten kommen zu Fuß oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln.)
  8. Radfahren wird attraktiver, wenn der motorisierte Verkehr nicht mehr überall privilegiert wird. Und Radfahren ist kostengünstig, platzsparend und positiv für die lokale Wirtschaft.
Mariahilfer Straße, Verkehrsberuhigung, Begegnungszone, Wien
Verkehrsberuhigung hat viele Vorteile. (Foto: Mariahilferstraße, Wien)

(1) Verkehrsberuhigung ist sozial

Verkehrsberuhigung hat einen stark unterschätzten sozialen Aspekt, der sich etwa so umreißen lässt:

  • Wer weniger Vermögen hat, wohnt in beengteren Verhältnissen.[4]
  • Viele Wohnungen haben keine Balkone oder Terrassen. Private Grünflächen sind im innerstädtischen Umfeld rar.
  • Sind private Freiflächen (Balkone, Terrassen, Gärten) auf laute Straßen gerichtet, sind Nutzbarkeit und Erholungswert denkbar eingeschränkt.
  • Die Höfe vieler Häuser sind verbaut, asphaltiert, oder werden als Parkplätze genutzt. So bietet selbst der geschützte Platz im Hof keine Aufenthaltsqualität und hilft nicht gegen sommerliche Hitze.
  • Viele Menschen finden außerhalb ihrer Wohnung nur wenige Freiflächen vor. Sie sind stärker durch sommerliche Hitze belastet.
  • Besonders Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Familien sind auf öffentliche Parkanlagen, Plätze und Freiflächen im öffentlichen Raum angewiesen.[4]
  • Wohlhabendere Menschen können sich vor der Hitze leicht schützen: Sie können ihren Wohnort wechseln, Urlaub machen und auf einen Zweitwohnsitz ausweichen. Personen/Familien mit geringem Einkommen können das nicht. Der Schutz vor Hitze muss also durch die Gemeinde erfolgen. Und dieser Schutz ist am effektivsten per Begrünung zu erreichen.
  • „[Arme] Menschen [sind] besonders von Folgen des Klimawandels wie Hitze betroffen: Sie arbeiten statistisch gesehen häufiger in Berufen, die körperlich anstrengend und der Hitze ausgesetzt sind, sie leben in Wohnungen mit schlechter Bausubstanz und Ausstattung, sie können sich Urlaube und Ausflüge ins Grüne oft nicht leisten, sind häufiger chronisch krank.“[53]
  • Der Pkw-Verkehr verursacht hohe gesamtgesellschaftlich Kosten. Viele Kosten werden nicht durch den Fahrer/Besitzer getragen, sondern durch die Gesellschaft. Die „externen Kosten“ umfassen: Belastungen des Gesundheitssystems, Unfälle, Straßenbau, Umweltschäden und Bodenversiegelung und deren Folgen. Zudem werden Autofahrten direkt gefördert, durch die Pendlerpauschale (die Zersiedlung und Bodenverbrauch fördert und einkommensstärkere Personen bevorzugt) und durch Steuererleichterungen bei Firmenfahrzeugen.
  • „Der KFZ-Verkehr ist für viele Fußgängerinnen und Fußgeher ein wesentlicher Grund nicht mehr Wege in der Stadt zu Fuß zurückzulegen. Dabei werden die hohen Geschwindigkeiten des motorisierten Individualverkehrs als wesentliche Barriere empfunden.“[27]
  • „Je höher das Tempolimit ist, umso weniger Aktivitäten werden im öffentlichen Raum durchgeführt.“[13]
  • „In Begegnungszonen (Tempo 20) werden mehr als doppelt so viele Aktivitäten durchgeführt wie in Tempo 50 Straßen.“[13]
  • Investitionen in Verkehrsberuhigung und öffentlichen Verkehr schaffen viele Arbeitsplätze – im Verhältnis mehr als durch den Straßenbau und den Kauf von Autos entstehen.
  • Die Straßen und Plätze der Stadt sind öffentlich – aber sie sind aufgrund der Privilegierung des Pkw de facto privatisiert und sind für viele Menschen nur sehr beschränkt nutzbar (verparkte Straßen, breite Fahrbahnen).
  • Viele Personen mit niedrigem Einkommen haben kein eigenes Auto. Reichere Haushalte sind überdurchschnittlich für Kosten und Belastungen (Lärm, Abgase) durch den Verkehr verantwortlich. In größeren Städten sind Wohnungen an stark befahrenen Straßen günstiger. Oft wohnen dort Personen mit niedrigerem Einkommen.[26]
  • „Der Großteil der indirekten Förderung, wie Pendlerpauschale oder die steuerliche Begünstigung der privaten Nutzung von Firmenwagen, kommt (…) wohlhabenden Haushalten zugute.“[26]

Der öffentliche Raum hat eine elementare gesellschaftliche Bedeutung:

Plätze, Straßen und Parks sind von jeher Orte für Begegnung und Austausch, für Erholung und Inspiration, für Arbeit und Konsum, für Kultur und politische Aktionen, für Bewegung und Transport. Dabei teilen sich unterschiedlichste Gruppen mit unterschiedlichen Bedürfnissen den, in dichtbesiedelten Stadtteilen oft knappen öffentlichen Raum. Konflikte sind dabei unumgänglich. Gleichzeitig wird Öffentlicher Raum damit zum Ort der gesellschaftlichen Auseinandersetzung und zum „Übungsplatz“ für Toleranz und sozialen Zusammenhalt in einer demokratischen Stadtkultur. Darüber hinaus wird die Stadt durch den unbebauten Öffentlichen Raum in erkennbare Einheiten gegliedert und „zusammengehalten“. Der gestaltete öffentliche Raum bildet Adressen, trägt zur Identität der Stadt oder eines Stadtteils bei und wird so zum Standortfaktor für unterschiedlichste Nutzungen (…) Öffentlicher Raum ist ein entscheidender Faktor der urbanen Lebensqualität und unterstützt die Nutzbarkeit der Stadt. [12]

Ein Verkehrsmittel, das den öffentlichen Raum dominiert

Der Wiener Integrationsmonitor – eine umfangreiche sozialwissenschaftliche Studie – über das Platzproblem:

Der öffentliche Raum ist vor allem im dicht bebauten Gebiet kostbar. Gerade Menschen mit geringeren Einkommen sind auf ihn angewiesen, da sie nicht so gut in der Lage sind „auszuweichen“ oder mit Kosten verbundene Freizeitangebote in Anspruch zu nehmen. Sie leben hauptsächlich in weniger mit Grünraum versorgten Wohngebieten und fordern zusätzliche Grünflächen oder angenehmere öffentliche Freiräume öfter ein als Menschen mit höheren Einkommen (…)

Die autogerechte Stadt ist noch dominant, obwohl sich besonders in den Städten deren Bedeutung stark verändert. Während sich die einen weder einen Balkon noch einen Garten leisten können, stellen andere ihr wenig ausgelastetes privates Automobil einfach im öffentlichen Raum ab. [4]

Untere Viaduktgasse, Landstraßer Hauptstraße, parkende Autos, Wien
Untere Viaduktgasse: viele Parkplätze, keine Begrünung (3. Bezirk, Foto: 2020)

Wie sich der öffentliche Raum durch Verkehrsberuhigung und Begrünung aufwerten lässt, zeigt sich beispielsweise vor der Wiener Karlskirche. Aus einem Parkplatz wurde ein lebendiger Stadtplatz.

Karlskirche, Karlsplatz früher und heute, Wien
Karlsplatz - 1968 vs 2006 (Foto links: Inkey Tibor, Fortepan 120805; rechts: Gryffindor, CC BY-SA 3.0)

Viel Autoverkehr - wenig soziale Interaktion

Das Verkehrsaufkommen in einer Straße hat Konsequenzen für die dort wohnenden Menschen, wie eine berühmte Studie des Stadtforschers Donald Appleyard aus den 1960ern zeigt. Er verglich Straßen in San Francisco mit wenig Verkehr („light street“ – weniger als 2000 Fahrzeuge pro Tag), mittlerem Verkehr („medium street“ – 8000 Fahrzeuge pro Tag) und starkem Verkehr („heavy street“ – 16.000 Fahrzeuge pro Tag):

Seine Untersuchungen ergaben, dass die Bewohner der „Light Street“ drei Mal mehr Freunde und doppelt so viele Bekannte hatten wie die Bewohner der „Heavy Street“. Außerdem schrumpfte der Raum, den die Menschen als ihr Umfeld betrachteten, mit zunehmendem Verkehrsaufkommen. Appleyard vermutete, dass diese Ergebnisse miteinander zusammenhängen und darauf hindeuten, dass die Bewohner der „Heavy Street“ gerade deshalb weniger Freunde und Bekannte hatten, weil es weniger eigenes Gebiet (Austauschraum) gab, in dem sie sozial interagieren konnten.

Die „Light Street“ war eine eng vernetzte Gemeinschaft. Die Haustreppen wurden zum Sitzen und Plaudern genutzt, die Bürgersteige zum Spielen für Kinder und zum Stehenbleiben für Erwachsene, vor allem in der Nähe des Ladens an der Ecke, und die Fahrbahn für Kinder und Jugendliche, um aktivere Spiele wie Fußball zu spielen. Außerdem wurde die Straße als Ganzes gesehen, und kein Teil war tabu.

In der „Heavy Street“ hingegen gab es nur wenige oder gar keine Aktivitäten auf dem Bürgersteig und sie diente lediglich als Korridor zwischen dem Schutzraum der einzelnen Häuser und der Außenwelt. Die Bewohner blieben weitgehend unter sich, und es gab praktisch kein Gefühl der Gemeinschaft. Besonders auffällig war der Unterschied in der Wahrnehmung und Erfahrung von Kindern und älteren Menschen in den beiden Straßen (…) [24]

Menschen in Stadtvierteln, die für Fußgänger attraktiv sind, interagieren mehr mit anderen Personen. Ob es sich um eine kausale oder korrelative Verknüpfung zwischen gebauter Umwelt und Sozialverhalten handelt, geht aus der hier zitierten Studie nicht hervor:

Die meisten heutigen Vorstädte bieten wenig Raum für soziale Interaktion. Soziale Interaktion findet eher auf Einladung statt, nicht durch zufällige Begegnungen. Das Leben soll sich im Haus oder im Hinterhof abspielen. (…) Geschäfte an der Ecke, Kneipen, Cafés und manchmal auch Schulen und Parks gibt es in der Nachbarschaft oft nicht (…) Die meisten modernen, vom Auto abhängigen Vorstädte sind keine Orte, die soziale Interaktion fördern (…)

Je besser ein Viertel zu Fuß erreichbar ist (und je mehr Orte man zu Fuß erreichen kann), desto wahrscheinlicher ist es, dass ein Bewohner seine Nachbarn kennt. (…) Je höher die Befragten die fußläufige Erreichbarkeit eines Viertels einstuften, desto eher waren sie bereit, sich politisch zu engagieren (…) und Vertrauen in andere zu haben (…) Je mehr Orte die Befragten angaben, in ihrer Nachbarschaft zu Fuß erreichen zu können, desto wahrscheinlicher war es, dass sie sich mit anderen sozial engagierten (…) [25]

Stark befahrene Straßen haben negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Anwohner und die Häufigkeit des Zufußgehens:

Es gibt immer mehr Belege dafür, dass das Wohnen in der Nähe stark befahrener Straßen mit einer geringeren Anzahl von Fußgängern und einem geringeren Wohlbefinden verbunden ist (…)  Unsere Ergebnisse ergänzen frühere Studien, die einen Zusammenhang zwischen dem Wohlbefinden und der Nähe zu Hauptverkehrsstraßen (…) oder dem Verkehrsaufkommen (…) festgestellt haben. Die vorliegende Studie unterstreicht die Rolle der Wahrnehmungen, die die Anwohner zu verschiedenen Aspekten der Straßenverkehrsbedingungen haben, bei der Vermittlung des Zusammenhangs zwischen dem Wohnen in der Nähe stark befahrener Straßen und dem Wohlbefinden. Unsere Ergebnisse liefern auch Belege dafür, dass stark befahrene Straßen durch den intermediären Effekt auf das Zu-Fuß-Gehen negativ mit dem Wohlbefinden korrelieren (…)

Wirksame verkehrspolitische Maßnahmen zur Steigerung des Fußgängeraufkommens müssen daher gleichzeitig sowohl das Verkehrsaufkommen als auch die Geschwindigkeit reduzieren. Eine Reduzierung beider Faktoren könnte durch eine Kombination von Maßnahmen erreicht werden, z. B. durch wirtschaftliche oder ordnungspolitische Maßnahmen zur Verringerung der Nutzung von Privatfahrzeugen und zur Förderung von Alternativen, wodurch das Verkehrsaufkommen verringert wird, und durch die gleichzeitige Einführung von Geschwindigkeitsbegrenzungen oder verkehrsberuhigenden Maßnahmen zur Verringerung der Verkehrsgeschwindigkeit (…) [41]

Die Reduktion von Kfz-Verkehr bzw. den dafür vorgesehenen Flächen hat soziale Auswirkungen:

Durch den reduzierten Verkehrsraum kann in Folge nutzbarer Raum für menschliche Aktivitäten bereitgestellt werden. Diese erhöhen die Lebendigkeit unmittelbar im Wohnumfeld und stärken wiederum das Zusammenleben und die Nachbarschaft. Schließlich sollen öffentliche Räume allen Lebensformen oder Lebensstilen gerecht werden. [4]

(2) Verkehrsberuhigung schafft Platz

Werden die Flächen im öffentlichen Raum anders verteilt, ergeben sich neue Nutzungsmöglichkeiten:

  • Laut Umfragen wünschen sich die Bewohner in Wien vor allem einen attraktiveren öffentlichen Raum mit mehr Grünflächen, begrünte Innenhöfe und mehr Sitzgelegenheiten: „Es besteht eine starke Korrelation zwischen Elementen, welche die Lebensqualität erhöhen, und Elementen, welche das zu Fuß Gehen fördern.“[13]
  • Die Menschen gehen gerne zu Fuß, wenn folgende Punkte gegeben sind: attraktive Umgebung, gut beleuchtete und barrierefreie Gehsteige, getrennte Rad- und Gehwege, gute Ampelregelungen, niedriges Fahrtempo von Kfz.[13]
  • Von einer Umnutzung der öffentlichen Flächen von Parkplätzen hin zu Begrünung, Radwegen und dergleichen profitieren mehr Leute, als von Parkplätzen auf der Straße.

Öffentlicher Raum ungerecht verteilt

Zwei Drittel der Verkehrsflächen in Wien sind für Fahrbahnen und Parkplätze reserviert. Obwohl auch Bus-Spuren und Flächen für öffentliche Verkehrsmittel dazuzählen, gehört der größte Teil doch dem Kfz-Verkehr. Was in Randlagen weniger auffällt, schlägt in der dicht bebauten Stadt durch: Die höhere Bevölkerungsdichte bringt einen verstärkten Nutzungsdruck auf den öffentlichen Raum mit sich. Besteht dieser aber nur aus Fahrbahnen und Parkplätzen, wirkt das einschränkend. Der Aufenthalt wird unangenehm bzw. unmöglich, Platz für andere Verkehrsteilnehmer und Begrünung fehlt. Natürlich wird es immer eine gewisse Fläche für den motorisierten Verkehr brauchen (Lieferanten, Einsatzfahrzeuge, Handwerker, Behindertentransporte und dergleichen). Zwei Drittel des Straßenraums, wie in vielen Straßen und Gassen, sind das aber kaum.

Die problematische Verteilung des öffentlichen Raums geht bis in die Details der Straßengestaltung hinein:

Straße ohne Verkehrsberuhigung, Gumpendorfer Straße, 1060 Wien
Viele Straßen und Gassen in Wien sind so wie die Gumpendorfer Straße gestaltet. (Foto: 2021)

Hohe Bevölkerungsdichte - weniger Pkw

Der Pkw-Besitz im Verhältnis zur Einwohnerzahl – also der Motorisierungsgrad – ist über Wien hinweg ungleich verteilt:

  • In den Bezirken innerhalb und um den Gürtel gibt es im Verhältnis wenige Kfz.
  • Auch Firmenfahrzeuge fallen unter die Statistik (würden bloß Pkw von Privatpersonen eingerechnet, wären die Zahlen niedriger).
  • Die hohe Kfz-Dichte im 1. Bezirk kommt durch Firmenwagen (die aber wohl meist gar nicht im Bezirk stehen) und die z. T. geringe Einwohnerzahl zustande.
  • Besonders viele Kfz gibt es dort, wo die Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln unzureichend ist.

Daraus folgt:

  • Der öffentliche Raum in den zentralen Bezirken ist besonders ungerecht verteilt.
  • Im Verhältnis wenige Pkw gibt es aber u. a. dort, wo Pkw im öffentlichen Raum viel Platz eingeräumt wird.
  • Wer kein eigenes Auto hat, wird benachteiligt. Das sind 50% aller Haushalte (Daten von 2021).
  • Die Umgestaltung des öffentlichen Raums muss in allen Gebieten mit geringem Motorisierungsgrad (gelbe Flächen auf der Karte) besonders vorangetrieben werden.
Kfz-Statistik, Wien, Karte, Anzahl der privaten PKW pro 1000 EW
Motorisierungsgrad in Wien: je heller, desto weniger Kfz pro Einwohner (Karte: MA 18, Stadt Wien)

Fahrzeuge brauchen Platz

Dem ruhenden Pkw-Verkehr wird eine bevorzugte Position im öffentlichen Raum eingeräumt:

  • Ein Parkplatz nimmt rund 10 m² öffentlichen Raum ein.[12]
  • Ein Auto ist 95% der Zeit geparkt, wird also gar nicht genutzt.[12] Durch Carsharing ließe sich dieses Problem reduzieren, da solche Fahrzeuge mehr in Bewegung sind.
  • Ein fahrendes Fahrzeug ist selten voll besetzt. Durchschnittlich sitzen 1,3 Personen (Daten von 2019) bzw. 1,14 Personen (2024) in einem Pkw. Der Besetzungsgrad geht seit Jahren zurück. Demnach transportieren immer mehr Autos durchschnittlich immer weniger Personen – bei gleichbleibendem Platzbedarf und wachsender Bevölkerung.[14,15]
  • Ein Parkplatz bietet einen Vorteil für wenige oder gar nur eine einzige Person. Für alle anderen ergeben sich u. U. Nachteile.
  • Städte geben Platz im öffentlichen Raum kostengünstig für das Abstellen von Fahrzeugen her. Dieser Platz fehlt für andere Nutzungen:

Die Nutzung des Straßenraums für das Abstellen von (privaten) Kraftfahrzeugen ist kritisch zu sehen, weil dadurch Privaten während der Zeit des Parkens eine alleinige (…) Nutzung von öffentlichem Raum zugestanden wird. (…) In diesem Sinne ist die Parkraumbewirtschaftung mit einer kommerziellen Nutzung vergleichbar: Öffentliche Flächen werden für private Nutzungen gegen Entgelt oder auch ohne Gebühren überlassen und der Allgemeinheit entzogen (…) [12]

Die Fotostrecke unten zeigt einige Straßen in dicht bebauten Bezirken Wiens (siehe Wiener Querschnitte):

In Wien ist die Schieflage in der Verteilung des Straßenraums schon lange bekannt. Eine Beamtin des Planungsressorts sagte 2017:

Wir kennen den Straßenraum so: In der Mitte fahren die Autos, links und rechts wird geparkt und die Fußgänger müssen sich mit einem relativ schmalen Raum dazwischen zufriedengeben. Obwohl der Anteil des Autoverkehrs bei 27 Prozent liegt, benötigen sie 65 Prozent der Fläche. Der Großteil der Wege wird aber mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegt. Wir versuchen daher, die Flächen, die zurzeit dem Autoverkehr zur Verfügung stehen, für andere Zwecke zu verwenden, etwa für Radwege oder breitere Gehsteige. Die Mariahilfer Straße beispielsweise befindet sich in einem dicht bebauten Gebiet, dort kann man keine neuen Parks bauen, aber einen attraktiven Freiraum anbieten. [8]

Die Grafik unten zeigt den Platzbedarf pro Person bei Fußgängern, Radfahrern und Autofahrern. Detailliertere Grafiken finden sich hier und hier.

Eine von der niederländischen Stadt Delft herausgegebene Grafik (siehe unten) verdeutlicht den Platzverbrauch pro Person.[1]

Balkendiagramm
Platzbedarf von Verkehrsmitteln - "inzittende" = "Insassen", "Fiets" = "Fahrrad", "Voetganger" = "Fußgänger", "lopend" = "gehend" (Grafik: Mobiliteitsplan Delft 2040, S. 12)

Der Platzbedarf des Kfz-Verkehrs hängt auch mit dem immer wieder gebrachten Argument zusammen, man müsse mehr Straßen bauen, um Verkehrsprobleme zu lösen. Dabei ist das oft selbst das Problem, so der Mobilitätsforscher Stefan Bratzel:

Wenn eine neue Kapazität geschaffen wird – zum Beispiel eine neue Straße oder eine neue Spur auf der Autobahn –, gibt es aus drei Gründen mehr Verkehr. Der erste: Die Leute, die vorher andere Routen benutzt haben, nutzen jetzt diese neue oder breitere Straße, weil ihre Fahrzeit da geringer ist. Der zweite Effekt entsteht durch Fahrten, die vorher gar nicht gemacht wurden, weil es zu lange gedauert hätte. Und der dritte Effekt ist langfristig und strukturell. Weil ich neue Verkehrsadern geschaffen habe, wird es attraktiver, weiter weg zu wohnen. Die Wege zur Arbeit und zu Freizeitaktivitäten werden länger. Und schon ist die neue Straße wieder voll. Dann versucht man, auch diesen Stau wieder durch Straßenausbau zu beheben. [16]

Andere Nutzungen sind möglich

Werden Flächen neu genutzt, beispielsweise durch Reduktion von Parkplätzen und die Verschmälerung von Fahrbahnen, ergeben sich neue Möglichkeiten:

  • Der Platz, den ein parkender PKW auf der Straße benötigt, kann auch für Bäume, Gastgärten, Bänke und breitere Gehsteige genutzt werden.
  • Ein Pkw-Stellplatz nimmt genauso viel Raum ein wie zumindest sechs abgestellte Fahrräder.[9] Ein abgestelltes Fahrrad hat einen Platzbedarf von zumindest 1,3 m².[10]
  • Anstatt eines Parkstreifens kann ein baulich von der Kfz-Fahrbahn und vom Gehsteig getrennter Radweg gebaut werden. So können auch Personen, die sich im Mischverkehr mit Autos nicht wohlfühlen, das Fahrrad nutzen. Im besten Fall reduziert der Umstieg auf das Rad den Pkw-Verkehr, was für alle, die auf das Auto angewiesen sind, wiederum vorteilhaft ist.
  • Haltezonen usw. können für Handwerker, Lieferanten etc. eingerichtet werden. Damit ist es für solche Dienstleister noch einfacher, direkt bis zum gewünschten Ort zu kommen. Sie leiden nicht mehr unter zugeparkten Straßen.
Verkehrsberuhigung, Neubaugasse, Begegnungszone, Geschäfte, "Wald & Wiese", "Freitag"
Die Neubaugasse (1070 Wien) wurde 2020 zur Begegnungszone umgebaut.

Selbst wenn nur kleine Flächen zu Fußgängern hin umverteilt werden, ergeben sich Möglichkeiten für Verbesserungen. Hier ein Beispiel aus der Burggasse im 7. Bezirk, wo eine Nebenfahrbahn und ein Parkstreifen zu einem kleinen Platz mit Begrünung umgebaut wurden:

Ruth-Klüger-Platz, vor und nach der Umgestaltung
Burggasse (Ruth-Klüger-Platz) vor und nach der Umgestaltung

Auch wenn es sich natürlich um unterschiedliche Fahrzeuge mit unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten handelt, zeigt der untenstehende Vergleich doch, wie wenig Platz das Fahrrad im Vergleich benötigt. Das ist besonders bei Abstellflächen im öffentlichen Raum relevant.

Grafik, die den Platzverbrauch eines Autos im Vergleich zu Fahrrändern darstellt
Grafik: "Radverkehr in Zahlen" (Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie, 2013, S. 120)

(3) Langsamer = besser

Wird zu schnell gefahren, ist das mit Konsequenzen verbunden: ein höheres Unfallrisiko, mehr Lärm und die mögliche Entwertung von Wohnimmobilien auf sehr lauten Straßen. Unfälle bei hohen Geschwindigkeiten sind natürlich ungleich gefährlicher: Der Bremsweg eines Pkw ist bei 50 km/h mehr als doppelt so lang wie bei 30 km/h.[11] Das Unfallrisiko mit Todesfolge beim Zusammenstoß von Fußgängern und Kfz steigt mit dem Tempo rasant:

39 Prozent aller Verkehrsunfälle, bei denen Fußgänger mit Tempo 50 angefahren werden, enden tödlich, bei Tempo 70 sind es sogar 86 Prozent. Zusammenstöße mit einer Geschwindigkeit von 30 km/h enden im Gegensatz dazu zu acht Prozent tödlich. [22]

Verkehrslärm ist ein unterschätztes, aber allgegenwärtiges Problem:

  • „Die Höhe des Geräuschpegels des Straßenverkehrs wird durch die Anzahl der Kraftfahrzeuge, deren Geschwindigkeit, von der Art des Fahrbahnbelags, der Beschaffenheit der Straße und einigen anderen Faktoren bestimmt.“[20]
  • Aus einem Dokument von 2006: „In Wien (…) führen rund 35 % der Befragten an, durch Lärm gestört zu sein, in Gemeinden mit weniger als 20.000 EinwohnerInnen knapp 25 %. Mit Abstand am häufigsten – in über 73 % der Antworten – wird Verkehrslärm als Lärmquelle genannt. Nach Verursachern beim Verkehrslärm liegen die Kraftfahrzeuge an erster Stelle mit fast 60 % der Antworten.“[20]
  • Straßenlärm ist national und EU-weit die weitaus häufigste Quelle für starke Lärmbelästigung und Schlafstörungen. Vor allem in Städten ist das Problem mit Straßenlärm hoch.[30]
  • „Zwanzig Prozent der europäischen Bevölkerung sind langfristigen Lärmpegeln ausgesetzt, die für ihre Gesundheit schädlich sind. Dies entspricht mehr als 100 Millionen Menschen in Europa.“[40]
  • Verkehrslärm ist das Umweltproblem mit den zweitstärksten Gesundheitsauswirkungen. Die Folgen: Stress, mangelnde Konzentrationsfähigkeit und ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfälle.
  • Besonders problematisch ist die Lärmbelastung an hochrangigen Straßen in der Nacht.
  • Der Verkehrslärm ist die in einer Befragung von 2003 am häufigsten genannte Lärmquelle. Als Verursacher von Verkehrslärm wurden mehrheitlich Kfz genannt.[20]
  • Über die Faktoren, die Einfluss auf den Verkehrslärm haben:

    Die von Kraftfahrzeugen ausgehenden Geräusche sind hauptsächlich Antriebsgeräusche (Motor sowie Ansaug- und Abgastrakt, Getriebe) und das Reifen-Fahrbahn-Geräusch. Dabei hängen die Antriebsgeräusche in erster Linie von der Drehzahl des Motors, die Reifen-Fahrbahn-Geräusche dagegen von der Geschwindigkeit des Kraftfahrzeuges und der Beschaffenheit von Reifen und Fahrbahn ab.

    Bei Pkw mit klassischem Verbrennermotor ist bei konstanter Geschwindigkeit – je nach Fahrbahnoberfläche und Gang – das Reifen-Fahrbahn-Geräusch ab etwa 30 km/h dominant, bei Lastkraftwagen ab etwa 60 km/h.[45]

Balkendiagramm
Tempo 30 wird von den Anwohnern überwiegend positiv wahrgenommen (Grafik: "Wirkungen von Tempo 30 an Hauptverkehrsstraßen" (2016), Umweltbundesamt (Deutschland))

Tempo 30

Tempo 30 bringt viele Vorteile mit sich:

  • Langsamer fahren = leiser: Der Lärmpegel eines PKW mit 50 km/h ist vergleichbar mit dem Lärmpegel von vier PKW mit 30 km/h.[20]
  • Tempo 30-Zonen senken den Lärmpegel gegenüber Tempo 50 um mehr als die Hälfte. Bei Tempo 30 ist das Abrollgeräusch (Räder auf Asphalt) geringer, durch Beschleunigung entstehender Lärm wird verringert.[11]
  • Der Verkehrsfluss wird gleichmäßiger, da die Geschwindigkeitsunterschiede zwischen den Fahrzeugen geringer sind.[11]
  • Fußgänger empfinden hohe Fahrgeschwindigkeiten von Kfz als störend.
  • Die Gefahr von bzw. bei Unfällen sinkt, da der Bremsweg kürzer ist und Autofahrer bei niedrigeren Geschwindigkeiten aufmerksamer gegenüber Details im Straßenraum sein können.[21]
  • Radfahrer können sich bei Tempo 30 im Fließverkehr bewegen; das Radfahren wird sicherer.[11]
  • Fußgänger können leichter, spontan und dort, wo es für sie am günstigsten ist, eine Straße überqueren.[11]
  • Auf Tempo-30-Straßen können die Fahrbahnen schmäler sein. Der Platz kann also anders bzw. besser genutzt werden (Begrünung, Entsiegelung usw.).[11]
  • Tempo 30 wird von Anwohnern überwiegend positiv wahrgenommen.[21]
  • Das Unfallrisiko mit Todesfolge beim Zusammenstoß von Fußgängern und Kfz ist bei Tempo 50 fünfmal so hoch wie bei Tempo 30.[42]
  • In verkehrsberuhigten Umgebungen kommt es zu weniger Unfällen. Das Zufußgehen, Radfahren und Autofahren wird pro Weg etwa zwei- bis dreimal Mal sicherer.[43] In verkehrsberuhigten Umgebungen wird auch mehr zu Fuß gegangen und mehr mit dem Rad gefahren.[44]
  • „Bereits im September 1992 wurde in Graz flächendeckend Tempo 30 eingeführt. Auf 80 Prozent des Straßennetzes gilt eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 Kilometern pro Stunde. Die Zahl der bei Verkehrsunfällen Getöteten und Verletzten ging im Drei-Jahres-Schnitt jeweils um 25 Prozent zurück.“[47]
  • „2021 trat in Belgiens Hauptstadt Brüssel ein flächendeckendes Tempolimit von 30 Kilometern pro Stunde in Kraft. (…) Auf Hauptstraßen sind besonders gekennzeichnete Ausnahmen von 50 oder 70 Kilometern pro Stunde möglich. Insgesamt gilt durch die Einführung der neuen Regelungen auf 85 Prozent der Straßen Brüssels maximal Tempo 30.“[47]
  • „Autofahrer lenken ihren Blick automatisch dorthin, wo sie in zwei, bis drei Sekunden sind. Je höher die Geschwindigkeit, desto weiter weg geht also der Blick. Bei Tempo 50 liegt er ca 40 Meter weit vor dem Fahrzeug, bei Tempo 30 dagegen nur etwa 15 Meter. Der Blick geht in die Breite, und das Geschehen rechts und links der Fahrbahn wird besser wahrgenommen. (…) Auch die Anzahl der wahrgenommenen Verkehrsschilder nimmt bei Tempo 30 im Vergleich zu Tempo 50 stark zu.“[48]
  • „Bei Tempo 30 ist der Anhalteweg, also Reaktionsweg plus Bremsweg, eines Autos elf Meter, bei Tempo 50 rund doppelt so lang. Nach elf Metern hat ein Pkw mit Tempo 50 bei Berücksichtigung einer Reaktionszeit von 0,8 Sekunden noch die volle Geschwindigkeit, während er mit Tempo 30 bereits steht (…)“[49]
Grafik
Langsamer fahren - mehr Sicherheit (Grafik: "Geschwindigkeitsbeschränkungen in Ortsgebieten" (2006), Amt der Tiroler Landesregierung – Abteilung Verkehrsplanung, S. 20)

Auch auf Hauptverkehrsstraßen ist Tempo 30 eine sinnvolle Option:

Eine Senkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit hat in den meisten Fällen keinen nennenswerten Einfluss auf die Leistungsfähigkeit einer Hauptverkehrsstraße für den Kfz-Verkehr. Andere Faktoren wie die Qualität der Lichtsignalprogramme, die Anzahl querender Fußgänger oder Bushalte, Parkvorgänge oder Halten in zweiter Reihe haben in der Regel einen größeren Einfluss. Die Funktion einer innerstädtischen Hauptverkehrsstraße für den Kfz-Verkehr wird daher durch Tempo 30 nicht oder nicht nennenswert beeinträchtigt. (…)

Nach jetziger Erkenntnislage haben die bestehenden Tempo-30-Regelungen an Hauptverkehrsstraßen überwiegend positive Wirkungen. Den vorliegenden Begleituntersuchungen zufolge, gibt es in den meisten Fällen Gewinne bei Verkehrssicherheit, Lärm- und Luftschadstoffminderung und bei den Aufenthaltsqualitäten – gleichzeitig wird die Auto-Mobilität nicht übermäßig eingeschränkt. [21]

Durch die Reduktion der Fahrgeschwindigkeit lässt sich Lärm stark reduzieren:

Gegenüber 130 km/h bedeuten bei Pkw 100 km/h eine signifikante Lärmreduktion um 3 dB. Die gleiche Lärmreduktion würde bei einer Reduktion des Verkehrsaufkommens um die Hälfte erzielt werden. Verkehrsberuhigte Zonen mit 30 km/h können gegenüber den üblichen 50 km/h im Ortsgebiet eine Reduktion des Lärmpegels um fast 6 dB bringen. [20]

Der Verkehrsplaner Hermann Knoflacher (TU Wien):

Städte für Menschen müssen von Menschen gehalten, belebt und verändert werden und Menschen sind Zweibeiner, die sich mit eigener Körperenergie fortbewegen und Menschen bleiben, solange sie Zweibeiner sind. Ihre Geschwindigkeit ist niedrig, was sich auch an der Gesundheit der Städte zeigt. Je näher die Durchschnittsgeschwindigkeit einer Stadt, eines Viertels, einer Siedlung dem Fußgeher kommt, umso vitaler werden diese. Je mehr sich die Geschwindigkeit von der des Fußgehers entfernt, umso unwirtlicher wird die Stadt. Sie wird krank. [3]

(4) Umgestaltungen sind beliebt

Wird der öffentliche Raum grundlegend umgestaltet, ist die Skepsis am Anfang oft groß. Nach erfolgtem Umbau dreht sich die Stimmung dann meist ins Positive.

  • Die Wiener Mariahilfer Straße wurde bis 2015 zur Begegnungs- und Fußgängerzone umgebaut. Trotz starker Polarisierung im Vorfeld wird der Umbau im Nachhinein als positiv empfunden, so eine Umfrage direkt nach dem Umbau:

Zwei Drittel der WienerInnen, die zumindest einen umgestalteten Teil besucht haben, sind mit dem Ergebnis der Neugestaltung zufrieden (…) Das Gesamterscheinungsbild beurteilen 85% der BesucherInnen sehr oder ziemlich gut (…) In Befragungen Ende 2013 / Anfang 2014 sprach sich in Mariahilf und Neubau noch eine Minderheit der Befragten für die Verkehrsberuhigung aus: So ergab eine SORA-Befragung Anfang Jänner 2014, dass 46% dafür und 54% dagegen stimmen würden. Heute fände das Projekt in den beiden Bezirken eine Zustimmung von 71% zu 29%. [17]

  • Meldung von 2015: „Zwei Drittel jener, die zumindest einen Teil der verkehrsberuhigten Mariahilfer Straße besucht haben, zeigen sich sehr oder eher zufrieden. (…) Die Umfrage sieht auch bei jenen Wienern, die die umgestaltete Shoppingmeile noch nicht besucht haben, einen Überhang der positiven Antworten.“ [34]
  • Vor dem Umbau der Mariahilfer Straße (2013) gehörten Geschäftsleute und Wirtschaftskammer zu den erbittertsten Gegnern der Verkehrsberuhigung. Doch das Projekt war so erfolgreich, dass die Wirtschaftskammer nun verkehrsberuhigte Straßen in allen Bezirken fordert.[19]
  • Die Geschäftsbetreiber in der Rotenturmstraße in Wien zeigten sich nach dem Umbau zur Begegnungszone als sehr zufrieden mit dem Ergebnis.[19] Ebenso jene in der Neubaugasse (Umbau 2020-2021).
  • Schon bei der Schaffung der ersten Fußgängerzonen in Wien (1970er) war die Kritik enorm. Ein Niedergang der Altstadt und ein Geschäftesterben waren vorhergesagt worden. Genau das Gegenteil trat ein (siehe den Artikel zum Stephansplatz).
  • „Laut einer im Rahmen der Umgestaltung der Mariahilfer Straße durchgeführten Befragung verbesserte diese die Zufriedenheit der NutzerInnen gemessen auf einer Schulnotenskala von 3-4 vor der Umgestaltung auf 1-2 nach der Umgestaltung.“[13]
  • „Je niedriger das Tempolimit und je höher der Grad der baulichen Umgestaltung des Straßenraums ist, umso intensiver wird der öffentliche Raum von FußgängerInnen genutzt.“[13]
  • „In Straßen mit Tempo 50 gaben drei Viertel der Befragten an, den Straßenraum nicht als FußgängerIn zu nutzen. In Begegnungszonen sank deren Anteil auf knapp unter die Hälfte.“[13]
  • Zur Verbesserung des Verkehrs und des Lebens in den Städten wünschen sich die Europäer vor allem bessere und günstigere öffentliche Verkehrsmittel, ebenso bessere Bedingungen für das Radfahren und Zufußgehen.[39]
  • 2020 wurden in Großbritannien aufgrund der Coronavirus-Pandemie verkehrsberuhigte Wohngebiete eingerichtet. In einer Umfrage zeigte sich eine Mehrheit der Bewohner zufrieden mit diesen Maßnahmen. Auch das Problembewusstsein für die negativen Auswirkungen des Autoverkehrs war erstaunlich ausgeprägt:

Die überwiegende Mehrheit der Befragten, die in verkehrsarmen Gebieten wohnen, stimmte zu, dass die Regierung Maßnahmen ergreifen sollte, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen (90 %), die Luftqualität zu verbessern (89 %), Verkehrsstaus zu verringern (89 %) und den Verkehrslärm zu reduzieren (80 %) (…) Die Mehrheit der Befragten befürwortet die Reduzierung des Verkehrsaufkommens und die Umwidmung von Flächen für den Fuß- und Radverkehr (…) [35]

Stephansplatz mit Autos und mit Fußgängerzone, Wien
Der Wiener Stephansplatz war einst eine mehrspurige Fahrbahn. (Foto links: Fortepan 117292, Aradi Péter, Szenczi Mária)

Bedeutung des Autos für die Bevölkerung

Die Bevölkerung in Wien wünscht sich vor allem mehr Investitionen in die öffentlichen Verkehrsmittel. Eine knappe Mehrheit ist sogar eher gegen mehr Engagement der Stadtregierung für das Autofahren.

Einstellungen zur Verkehrspolitik nach Verkehrsmittel, Wien
Die Bewohner wünschen sich mehr Engagement der Stadt bei den öffentlichen Verkehrsmitteln. (Umfrage, Sora, 2016)

In der Wiener Bevölkerung zeigen sich Veränderungen beim Pkw-Besitz:

Anteil an Personen, die in einem Haushalt ohne, mit einem oder mehreren Pkws leben, Studie, Wien
(Studie: Lebensqualität in einer wachsenden Stadt, 2018)

Ist die Bevölkerung schon „weiter“ als die Politik? In einer repräsentativen Umfrage in Wien geben 89% der Befragten an, dass man durchaus auch ohne eigenes Auto gut in der Stadt leben kann.[2]

Einstellung zum Auto, Lebensqualitätsstudie 2018, Wien
Quelle: Wiener Lebensqualitätsstudie (2018)

Fußgänger wünschen sich am häufigsten …

… eine attraktive Umgebung. Auf der persönlichen Ebene fördern die Einfachheit und Unkompliziertheit sowie der Wunsch nach Bewegung und der Umweltgedanke das zu Fuß Gehen. Als wichtige verkehrsplanerische Elemente zur Förderung des zu Fuß Gehens werden barrierefreie, gut beleuchtete Gehsteige, getrennte Geh- und Radwege, gute Ampelregelungen und das Vorhandensein von Schutzwegen genannt. Im Verhältnis zu den anderen VerkehrsteilnehmerInnen werden ein rücksichtsvolles Verhalten von AutofahrerInnen und geringe Kfz-Geschwindigkeiten genannt. Auch hohe Autokosten werden als ein das zu Fuß Gehen fördernder Faktor wahrgenommen. [13]

(5) Verkehrsberuhigung ist schön

Schön ist es dort, wo wenig Autoverkehr ist. – So lässt sich vielleicht zusammenfassen, was wohl viele Menschen intuitiv empfinden. Die schönsten Straßen und Plätze Europas sind in vielen Fällen genau solche, wo Fußgänger viel Platz haben. Die Altstädte Europas sind auch deswegen so ästhetisch ansprechend, weil sie alle aus der Zeit vor der Erfindung des Autos stammen. Sie sind auf den Fußgängerverkehr und eine enorm hohe Bevölkerungsdichte ausgelegt.

Interessant ist, wie Touristen eine Stadt erleben: Sie strömen in die Altstädte, staunen über alte Plätze und Straßen, spazieren in Fußgängerzonen. Wanderungen entlang von Stadtautobahnen und das Verweilen an lauten Kreuzungen gehören weniger zu den typischen Urlaubsaktivitäten. Wie sehr alte Städte von Verkehrsberuhigung profitieren, zeigt sich zum Beispiel in Slowenien, wo der Hauptplatz des Küstenstädtchens Piran und das Zentrum der Hauptstadt Ljubljana umgestaltet wurden.

Wenn viele Menschen nun im Urlaub gerne solche Orte aufsuchen – warum können nicht auch Straßen und Plätze in unmittelbarer Nähe vieler Menschen so gestaltet sein? Also nicht nur in den (meist teuren) Stadtzentren? Wenn es über die ganze Stadt verteilte verkehrsberuhigte Plätze und Straßen gäbe, könnten alle davon profitieren. Unabhängig von Einkommen und Wohnort.

Verkehrsberuhigung in Wien

Der öffentliche Raum ist vielen Menschen ein wichtiges Anliegen:

Die Aufwertung von öffentlichen Flächen und Schaffung von Grünraum sind die von den Wienerinnen und Wienern in der Befragung am häufigsten genannten Wünsche zur Verbesserung der Lebensqualität in ihrem Wohnumfeld (…)

Am häufigsten genannt werden dabei Orte zum Verweilen, Sitzgelegenheiten bzw. Grünflächen und Innenhofbegrünung. Fünf der acht am häufigsten genannten Maßnahmen sind gleichzeitig Elemente, welche das zu Fuß Gehen fördern. D.h. es besteht eine starke Korrelation zwischen Elementen, welche die Lebensqualität erhöhen, und Elementen, welche das zu Fuß Gehen fördern. [13]

Verkehrsberuhigung in Europa​

Eine Studie aus London zeigt, dass bei der Gestaltung von Straßen besonders auf Fußgänger und deren Bedürfnisse Rücksicht genommen werden sollte. Das hat nicht zuletzt positive wirtschaftliche Auswirkungen:

Die Untersuchung ergab, dass die Verbesserung der Qualität der öffentlichen Bereiche von Londons gemischten Straßen, wie Hauptstraßen und Stadtzentren, den alltäglichen Nutzern der Straßen sowie den Nutzern von Flächen und Investoren in umliegenden Immobilien erhebliche Vorteile bringt (…) Die wichtigste Interventionsebene (…) sollte die Verbesserung für Fußgänger beinhalten, indem ausreichend Raum für die Bewegung und Aktivität der Fußgänger geschaffen wird. An zweiter Stelle steht die Aufwertung des sozialen Raums, insbesondere die Schaffung attraktiver und komfortabler Plätze zum Sitzen, Beobachten, Kontakte knüpfen und so weiter (…) [52]

(6) Mehr Grün, mehr Schutz vor Hitze

Hitze ist ein immer größeres Problem. Die Klimaerwärmung macht besonders den Städten zu schaffen. Wien gehört zu jenen europäischen Städten, die am stärksten unter steigender Hitze leiden werden. Tendenziell wird es Jahr für Jahr immer heißer. In Wien sind die Auswirkungen besonders stark, so ein Bericht im Standard von 2019:

[D]ie Forscher [kommen] zum Schluss, dass die klimatischen Bedingungen in europäischen Großstädten im Jahr 2050 in etwa die gleichen sein werden, die heute in Metropolen tausend Kilometer weiter südlich herrschen. Für London etwa seien demnach Verhältnisse wie heute in Barcelona zu erwarten; für Madrid jene, die zurzeit in Marrakesch herrschen. Das Klima von Wien werde im Jahr 2050 ähnlich jenem sein, das heute die nordmazedonische Hauptstadt Skopje aufweist, während in Stockholm 2050 heutige Wiener Verhältnisse zu erwarten sind.

In Wien wird der Anstieg wie in anderen mittel- und südosteuropäischen Städten bei der Sommerhöchsttemperatur besonders stark ausfallen: Die Forscher prognostizieren für die österreichische Hauptstadt sommerliche Maximaltemperaturen, die um bis zu 7,6 Grad höher liegen als 1850. Spitzenreiter in dieser Liste aller 520 Städte ist die slowenische Hauptstadt Ljubljana mit plus 8 Grad. [29]

Hitze geht mit Gefahren für die Gesundheit einher (Der Standard, 2021):

Ist es heiß, beginnt der Körper mit einem Hitzeabwehrmechanismus: dem Schwitzen. Dabei gehen Flüssigkeit und Mineralstoffe verloren. Um für Abkühlung zu sorgen, pumpt das Herz auch mehr Blut in die Hautgefäße, diese weiten sich. Dadurch sinkt der Blutdruck, der Kreislauf wird geschwächt. Das kann dazu führen, dass das Gehirn nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird – es kommt zu Schwindel, Kopfschmerzen und Konzentrationsstörungen (…)

Studien belegen, dass es vermehrt zu Schlafstörungen kommt, Aggressionen, Ängste und Depressionen nehmen zu. Insgesamt nimmt die körperliche und geistige Leitungsfähigkeit durch den Hitzestress teils stark ab. Im Extremfall führt Hitze zum vorzeitigen Tod (…) [53]

Die Aufheizung wird besonders für ältere Menschen und chronisch Kranke immer mehr zum Problem. Gerade in den dicht verbauten Bezirken wird deutlich, dass die Stadt noch viel zu wenig auf den Klimawandel vorbereitet ist. Soll Wien trotz des Klimawandels lebenswert bleiben, braucht es dringend mehr Bäume und mehr entsiegelte Flächen (also solche ohne Asphalt).

Asphalt als Normalfall

Asphalt, breite Straßen, viele Parkplätze und viel zu wenig Begrünung sind die Normalität. Zugleich werden Maßnahmen zu Umgestaltung von politischen Entscheidungsträgern immer wieder verhindert. Die entsprechenden Diskussionen sind Legion.

Der Wiener Integrationsmonitor:

Eine lebenswerte Stadt muss die gesundheitlichen Anforderungen auch an in Zukunft zahlreicheren Hitzetagen erfüllen. Hinzu kommt, dass der städtische Raum wieder unmittelbar für das Leben der Menschen bereitgestellt wird und nicht mehr auf die „Erholungsfahrt“ ins Grüne verweist. [4]

Doch Asphalt ist ein großes Problem, nicht zuletzt bzgl. Feinstaub:

Die Feinstaubsaison beginnt eigentlich im Herbst. Dann schweben mehr der winzigen Partikel in der Luft, die bei der Verbrennung von Diesel oder Benzin entstehen bzw. durch Ölheizungen oder offene Feuer in die Atmosphäre gelangen. Im Sommer dürfte vor allem sekundärer Feinstaub die Luft verschmutzen (…) Asphalt dürfte dabei eine wichtige Quelle für jene Chemikalien sein, aus denen sekundärer Feinstaub entsteht. Im Sommer schwitzt der Asphalt diese organischen Verbindungen gewissermaßen aus – ein Umstand, den man an heißen Tagen in der Stadt auch riechen kann (…)

[Die Forscher] konnten zeigen, dass an der Südküste Kalifornierns mehr Feinstaub durch Asphalt in die Atmosphäre gelangt als durch die Verbrennungsmotoren von Autos oder Motorrädern im gesamten Straßenverkehr (…) [54]

Asphalt ist in Wien allgegenwärtig (siehe Artikel). Beispiele:

Hitzeprobleme

Zum Thema urbane Hitzeinseln:

[S]tädtische Gebiete sind durch trockene, undurchlässige Oberflächen wie herkömmliche Dächer, Bürgersteige, Straßen und Parkplätze gekennzeichnet. Mit der Entwicklung der Städte geht immer mehr Vegetation verloren, und immer mehr Flächen werden gepflastert oder mit Gebäuden bedeckt. Die veränderte Bodenbedeckung führt zu weniger Schatten und Feuchtigkeit, die städtische Gebiete kühl halten. Bebaute Gebiete verdunsten weniger Wasser, was zu erhöhten Oberflächen- und Lufttemperaturen beiträgt (…)

Blätter und Äste verringern die Sonneneinstrahlung, die den Bereich unter dem Blätterdach eines Baumes oder einer Pflanze erreicht. Die Menge des Sonnenlichts, die durch die Baumkronen durchgelassen wird, variiert je nach Pflanzenart. Im Sommer erreichen in der Regel 10 bis 30 Prozent der Sonnenenergie den Bereich unter einem Baum. Der Rest wird von den Blättern absorbiert und für die Photosynthese genutzt, und ein Teil wird in die Atmosphäre zurückgeworfen. (…) Die Beschattung senkt die Oberflächentemperaturen unterhalb der Baumkronen. Diese kühleren Oberflächen reduzieren wiederum die Wärme, die in Gebäude und die Atmosphäre gelangt (…)

Bäume und Pflanzen nehmen über ihre Wurzeln Wasser auf und geben es über ihre Blätter ab – diese Wasserbewegung wird „Transpiration“ genannt. (…) Verdunstung, die Umwandlung von Wasser von einer Flüssigkeit in ein Gas, erfolgt auch aus dem Boden um die Vegetation herum und von Bäumen und Vegetation, wenn sie Niederschläge auf Blättern und anderen Oberflächen auffangen. Diese Prozesse werden zusammen als Evapotranspiration bezeichnet. Die Evapotranspiration kühlt die Luft ab, indem sie die Wärme der Luft nutzt, um Wasser zu verdampfen. Die Evapotranspiration kann allein oder in Kombination mit einer Beschattung dazu beitragen, die sommerlichen Spitzenlufttemperaturen zu reduzieren (…)

Die Beschattung von Parkplätzen und Straßen kann ein wirksames Mittel zur Kühlung einer Gemeinde sein. Bäume können an den Rändern und in den Mittelstreifen von Parkplätzen oder entlang von Straßen gepflanzt werden. Strategisch platzierte Schattenbäume können auch Spielplätzen, Schulhöfen, Ballspielplätzen und ähnlichen Freiflächen zugute kommen (…) Bäume und große Sträucher können auch Gehwege beschatten, um deren Oberflächentemperaturen zu senken. Die Anpflanzung von Bäumen in regelmäßigen Abständen von 6 bis 12 Metern auf beiden Seiten einer Straße sowie entlang von Mittelstreifen ist eine gängige Methode, um wertvollen Schatten zu spenden. [56]

Die Karte unten zeigt, welche Gebiete besonders anfällig für Hitze sind. Wenig überraschend: Je dichter bebaut und je weniger Grünflächen, desto heißer (aber auch derzeit noch weniger dicht bebaute Flächen sind darunter).

Wiener Stadtklimaanalyse, Karte, Hitze, urbane Hitzeinseln
roter = heißer bzw. für Hitze anfälliger (Wiener Stadtklimaanalyse, 2020)

Grünflächen: Wichtig für die Gesundheit

Der unmittelbare Kontakt zu Naturlandschaften hat nachweislich Auswirkungen auf Wohlbefinden, kindliche Entwicklung, Gesundheit, Stimmung, Rekonvaleszenz und Mortalität:

[P]sychoevolutionäre Theorien gehen davon aus, dass Menschen von Geräuschen wie Vogelgezwitscher und brechenden Wellen und Anblicken wie buntem Laub aufgrund der natürlichen Selektion angezogen werden, da solche Erfahrungen die Anwesenheit von Beute und die Möglichkeit, Schutz zu finden, sowie Ruhe, Komfort, Erholung von Stress und die Wiederherstellung der Aufmerksamkeitsressourcen (…) signalisieren. [5]

Grünflächen haben eine klare Bedeutung für die Gesundheit. Inwiefern aber von Kausalität (Grünflächen „bewirken“ Gesundheit) oder Korrelation (gesündere Leute leben in grüneren Umgebungen, evtl. aufgrund von höheren Einkommen) lässt sich aus der hier zitierten Studie nicht ableiten:

[D]er prozentuale Anteil von Grünflächen im Lebensumfeld der Menschen [hat] einen positiven Zusammenhang mit dem wahrgenommenen allgemeinen Gesundheitszustand der Bewohner. Grünflächen scheinen mehr als nur ein Luxus zu sein, und folglich sollte die Entwicklung von Grünflächen in der Raumplanungspolitik einen zentraleren Platz einnehmen. [6]

Erholungsräume sollten so nah sein, dass nicht lange Wege werden, um sich vom eigenen Wohngebiet erholen zu müssen:

Eine lebenswerte Stadt muss die gesundheitlichen Anforderungen auch an in Zukunft zahlreicheren Hitzetagen erfüllen. Hinzu kommt, dass der städtische Raum wieder unmittelbar für das Leben der Menschen bereitgestellt wird und nicht mehr auf die „Erholungsfahrt“ ins Grüne verweist. [4]

Naturstein und helle Beläge statt Asphalt

Asphalt speichert Hitze gut und versiegelt den Boden, sodass Regenwasser nicht einsickern kann. Dazu kommt noch die unattraktive Optik dieses Baustoffs, die sich bei Ausbesserungen durch Bauarbeiten noch verschlechtert. In Wien wird Asphalt nicht nur für Fahrbahnen, sondern auch für Gehsteige, Plätze und Parkplätze verwendet. Naturstein und helle Straßenbeläge sind mikroklimatisch besser: Sie heizen sich wenig stark auf und sind auch ästhetisch die bessere Wahl (Beispiele von Bodenbelägen in Europa sind in diesem Artikel).

Durch helle Straßenbeläge und Pflastersteine lassen sich die Temperaturen senken:

„Schwarze Flächen nehmen die Wärmestrahlung der Sonne intensiv auf, speichern sie sehr gut im Inneren und reflektieren nur einen sehr geringen Anteil. Bei hellen Flächen ist das jedoch anders. Bei den hellen Pflastersteinen und Terrassenplatten werden nämlich die Sonnenstrahlen größtenteils reflektiert und die Wärme gelangt erst gar nicht in den Belag“, erklärt Gernot Brandweiner, Geschäftsführer des Verbands Österreichischer Beton- und Fertigteilwerke. [55]

Mehr Platz für Begrünung

Verkehrsberuhigung geht meist mit der Pflanzung von Bäumen und Sträuchern einher. Das verringert die Hitzebelastung. Bäume haben für den urbanen Raum eine enorme Bedeutung. Neben einer optischen Aufwertung ergeben sich auch ganz handfeste Vorteile, wie die Wiener Behörden mitteilen:

Ein ausgewachsener Stadtbaum spendet bis zu 150 Quadratmeter Schatten, kühlt seine Umgebung im Sommer um bis zu 3 Grad und verdunstet gut 400 Liter Wasser pro Tag. [7]

Werden Straßen zu Fußgängerzonen umgebaut, lassen sie sich noch einfach begrünen – denn dann sind keine unterirdischen Rohre und Leitungen im Weg, die Baumpflanzungen erschweren.

(7) Weniger Autos - mehr Umsatz

Wo ist es schöner: Auf engen, überfüllten Gehsteigen, eingeklemmt zwischen parkenden Fahrzeugen und Hausmauern? Oder auf breiten Gehsteigen und in Fußgängerzone, wo es viel Platz für alle gibt?

Die simple Feststellung, dass mehr Platz für Fußgänger auch den öffentlichen Raum und ganze Straßenzüge aufwertet und handfeste wirtschaftliche Vorteile bringt, ist durch viele Beobachtungen und Studien belegt. Die Kernaussagen:

  • Verkehrsberuhigung = mehr Leute unterwegs: Sind Straßen verkehrsberuhigt, werden diese auch nachweislich intensiver von Fußgängern genutzt.
  • Die Kosten für Umgestaltungen rentieren sich: Mehr Umsatz bei Geschäften generiert auch mehr Steuereinnahmen.
  • Niedriges Kfz-Tempo wird von Fußgängern als positiv empfunden. Straßen mit hohen Geschwindigkeiten werden eher gemieden.
  • Wer zu Fuß zum Einkaufen kommt, gibt tendenziell auch mehr Geld aus. Der Grund: Fußgänger kommen zum Einkaufen häufiger als Personen mit anderen Verkehrsmitteln.[13]

Aus den Studien:

  • „Den Verkehr in Geschäftsstraßen zu beruhigen oder sie zu sanieren, bringt Umsatz, Jobs und Steuereinnahmen. Einkaufsstraßen umzubauen, zahlt sich auch langfristig aus. Der Grund: Fertig sanierte oder umgestaltete Shoppingmeilen werden stärker besucht. Davon profitiert die Unternehmerschaft – und in weiterer Folge auch die öffentliche Hand.“[50]
  • „Madrid hat sein zentrales Geschäftsviertel in der Weihnachtszeit 2018 zum ersten Mal für den Autoverkehr gesperrt. Eine von Spaniens zweitgrößter Bank durchgeführte Analyse hat ergeben, dass die Kassentransaktionen im Vergleich zum Vorjahr durch diese Maßnahme erheblich gesteigert wurden. Die Sperre hatte noch einen weiteren Vorteil: sauberere Luft.“[51]
  • Im Rahmen einer Studie aus dem Jahr 1992 in der britischen Stadt Leicester kamen Forscher zu dem Schluss, dass „eine starke positive Beziehung zwischen den prozentualen Leerstandsraten und dem motorisierten Verkehrsfluss besteht. Die Ergebnisse machen deutlich, dass der Leerstand von Ladenlokalen mit zunehmendem Verkehrsaufkommen steigt.“[28]
  • In einer 1994 durchgeführten Studie in sechs Städten der Midlands (Großbritannien) zeigten Forscher, dass „die Bereitstellung von Parkplätzen keinen Einfluss darauf hat, ob Geschäfte geschlossen werden oder im Geschäft bleiben.“[28]
  • „Studien zeigen, dass der Anteil leerstehender Geschäftslokale mit dem KFZ-Verkehrsaufkommen der angrenzenden Straße zusammenhängt. In New York ist beispielsweise nach der Durchführung von Verkehrsberuhigungsmaßnahmen und dem Neubau von Radwegen diese Entwicklung belegt. Der Leerstand ging um über 45% zurück, das Radverkehrsaufkommen verdoppelte sich und der Umsatz bestehender Geschäfte stieg aufgrund der höheren Aufenthaltsqualität und gerechteren Flächenverteilung um 43%.“[32]
  • Der Geschäftsumsatz ist höher:

Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der Passantenfrequenz einer Straße und dem Umsatz der Unternehmen in der Straße. Durch verbessernde Umbaumaßnahmen kann die Passantenfrequenz in der Straße gesteigert werden. [18]

  • In einer Studie von 2008 wurden Passanten in der Thaliastraße (16. Bezirk, Wien) befragt:

70 Prozent der befragten Personen haben ihren Wohnsitz im Bezirk Ottakring, in etwa gleich viel kommen aus den Nachbarbezirken bzw. anderen Bezirken Wiens (12 bzw. 13 Prozent), der Rest aus den Bundesländern Burgenland und Niederösterreich. Rund 55 Prozent der Befragten gab an, am Befragungstag in der Thaliastraße bereits eingekauft zu haben oder dies vorzuhaben. Rund 11 Prozent der befragten Personen gab an, nie in der Thaliastraße einzukaufen. Bezüglich des Hauptverkehrsmittels, mit dem die Thaliastraße erreicht wurde, besteht kein Unterschied zwischen der Gruppe jener, die zum Einkaufen in der Thaliastraße war und der Gruppe jener, die nicht zum Einkauf in der Thaliastraße waren. Nicht ganz zwei Drittel kamen zu Fuß, weniger als 10 Prozent benutzten einen Pkw. [3]

  • Wiederum Thaliastraße:

Knapp 80 Prozent der zu Fuß Gehenden war vor nicht mehr als zwei Tagen das letzte Mal in der Thaliastraße [in Wien-Ottakring] einkaufen. Dagegen war nur knapp die Hälfte der NutzerInnen anderer Verkehrsmittel vor nicht mehr als zwei Tagen zum letzten Mal zum Einkauf in der Thaliastraße. Im Durchschnitt besuchen die zu Fuß Gehenden die Thaliastraße 3,3 mal pro Woche zum Einkaufen, die NutzerInnen anderer Verkehrsmittel dagegen nur rund 2,2 mal pro Woche (…) Zusammenfassend kann aus den Befragungsergebnissen geschlossen werden, dass in der Thaliastraße zu Fuß Gehende pro Woche mehr ausgeben als die NutzerInnen anderer Verkehrsmittel. [13]

  • Die meisten Einkäufer (Einkaufsstraßen und Einkaufszentren) kommen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und zu Fuß:

Im Jahr 2008 führte die Wirtschaftskammer Wien (…) erstmals wieder eine PassantInnenbefragung durch. Die Ergebnisse dieser Befragung zeigen, dass bei der Verkehrsmittelwahl dem öffentlichen Verkehr und dem zu Fuß Gehen mit rund 47 bzw. 38 Prozent die größte Bedeutung zukommt. Der Anteil jener, die mit dem Auto in die Einkaufsstraßen kommen, ist dagegen mit 13 Prozent gering.

Dies deckt sich mit Ergebnissen der sozialwissenschaftlichen Grundlagenforschung der MA 18, die besagen, dass bis zu 34 Prozent der Befragten ihre Einkäufe und Besorgungen hauptsächlich zu Fuß erledigen. Dies ist umso bemerkenswerter, da diese Umfrage auch Großeinkäufe in Einkaufszentren einschließt. [13]

  • Aus einer finnischen Studie von 2013:

Die Kaufleute in Fußgängerzonen überschätzen den Anteil der zu Fuß Gehenden, jene in Pkw-Straßen unterschätzen ihn dagegen. Besonders auffällig ist die sehr hohe Überschätzung des Pkw-Anteils durch die Kaufleute in Pkw-Straßen sowie die generelle Unterschätzung des Anteils der Radfahrenden und der ÖV-NutzerInnen. [13]

  • Studienergebnisse u. a. aus Großbritannien:

Aus Fallstudien geht hervor, dass gut geplante Verbesserungen dieser öffentlichen Räume die Passantenfrequenz und den Umsatz um bis zu 40 % steigern können. (…) In Dublin führte die Neugestaltung des Temple-Bar-Viertels zu einem Anstieg der Beschäftigung um 300 % vor dem Wirtschaftsboom. Auch in den Kulturvierteln von Sheffield und Manchester kam es zu einem Beschäftigungszuwachs, wenngleich weniger stark. [37]

  • Verkehrsberuhigung fördert das Geschäft. Aber mit einer gewissen Anpassungszeit muss gerechnet werden:

Es gibt eindeutige Belege für die erwiesenen Vorteile begrenzter Straßensperrungen, und eine große Zahl von Studien in Europa und anderswo zeigt, dass die Einzelhandelsaktivität im Allgemeinen verbessert wird. In dem Bericht wird jedoch auch darauf hingewiesen, dass es während einer Übergangszeit von ein bis zwei Jahren zu einem Rückgang des Umsatzes kommen kann. [36]

  • Eine weitere Studie kam zum Ergebnis, dass …

… Kunden, die mit dem Auto einkaufen, für den Handel im Stadtzentrum von Leicester [UK] nicht von überragender Bedeutung sind. Zahlenmäßig sind Buspassagiere viel wichtiger. Geschäfte im Stadtzentrum profitieren, wenn überhaupt, nur wenig von Parkplätzen in ihrer Nähe. Die Qualität des Einkaufens und der Einkaufsumgebung ist für die Belebung des Handels von größerer Bedeutung. Auch das Vorbeigehen an den Geschäften ist ein wichtiger Faktor für die Generierung von Umsatz. [28]

  • Verkehrsberuhigungsmaßnahmen (Umbauten) bringen Steuereinnahmen und Arbeitsplätze (Bericht von 2019):

Laut WKW [Wirtschaftskammer Wien] (…) bringen diese Zonen [u. a. Stephansplatz, Rotenturmstraße, Herrengasse] nach ihrer Fertigstellung insgesamt 9,1 Millionen Euro Wertschöpfung im Jahr und 122 Jobs. Allein in der Herrengasse gebe es eine jährliche Wertschöpfung von 1,1 Millionen Euro. Alle fünf Projekte zusammen sollen für die Dauer der Bauphase zudem 277 Arbeitsplätze geschaffen haben oder schaffen und dem Staat 14,8 Millionen Euro an Steuern und Abgaben bringen. [19]

  • Aus einer Studie aus Neuseeland (2014) …

… liegen Daten über die Umsätze vor, während und nach der Umgestaltung der Einkaufsstraßen im Fort Street Area in Aukland (…) Während der Bauphase war ein leichter Rückgang der Einzelhandelsumsätze zu beobachten. Die Bewirtungsumsätze stiegen dagegen deutlich an. Der Konsum der Bauarbeiter ist eine mögliche Erklärung für diesen Anstieg. Im Jahr nach der Einführung des Shared Space lagen die Einzelhandelsumsätze rund 16 Prozent über dem Niveau des Jahres vor dem Umbau. Im selben Zeitraum verfünffachten sich die Bewirtungsumsätze. Der Gesamtumsatz wurde mehr als verdoppelt. [13]

  • Eine Studie aus Edinburgh (Schottland) aus dem Jahr 2000:

Umfragen unter Fußgängern ergaben, dass die meisten Personen mit dem Bus anreisten (39,5 %), gefolgt von Personen, die zu Fuß unterwegs waren (25,2 %). Das Auto hatte einen Anteil von weniger als 25 % an der Gesamtverkehrsleistung. [28]

  • Fußgängerzonen sind bei Geschäftsbetreibern beliebt, wie eine Umfrage unter Händlern in Finnland zeigte:

Im Falle eines Umzugs würden zwei Drittel der befragten Geschäftsleute mit aktuellem Standort in einer Fußgängerzone wieder einen solchen wählen. Die Hälfte der Geschäftsleute mit einem aktuellen Standort in einer Pkw-Straße würden im Falle eines Umzugs einen Standort in einer Fußgängerzone wählen.[13]

  • Eine Studie aus Bristol:

Es ist üblich, dass Einzelhändler mehr Autozufahrten und Parkplätze anstreben und sich gegen Maßnahmen zur Förderung des Zufußgehens, Radfahrens und der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel wehren – obwohl Fußgänger-Einkaufszonen in der Regel wirtschaftlich am erfolgreichsten sind. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Vitalität des Einzelhandels am besten durch Verkehrsberuhigung, Verbesserungen des öffentlichen Verkehrs und eine Reihe von Maßnahmen zur Verbesserung des fußläufigen Umfelds gefördert würde (…)

Die Einzelhändler überschätzten die Bedeutung des Autoverkehrs um fast 100 %; sie schätzten, dass 41 % ihrer Kunden mit dem Auto anreisten, während dies nur 22 % getan hatten. Tatsächlich kam mehr als die Hälfte der Kunden zu Fuß in die Geschäfte. [57]

  • Fußgängerzonen sind auch deswegen erfolgreich, weil Fußgänger Autoverkehr meiden und folglich auch Einkaufsstraßen, die verkehrsbelastet sind. Aus einer britischen Studie:

Es wird oft angenommen, dass mehr Parkplätze die Antwort auf die Probleme der Hauptstraßen sind. Studien in ganz Europa haben jedoch gezeigt, dass die Qualität des öffentlichen Raums mit der von den Menschen wahrgenommenen Attraktivität eines Gebiets zusammenhängt, zur Lebensqualität beiträgt und Einfluss darauf hat, wo sie einkaufen.

Auch Fußgängerzonen werden für die sinkenden Umsätze verantwortlich gemacht, wobei die zahlreichen Faktoren, die dazu beitragen, außer Acht gelassen werden. Im Gegensatz zu dieser Behauptung gibt es stimmige Beweise dafür, dass die Kunden Fußgängerzonen mögen und den Verkehr nicht mögen. [37]

  • In einem Bericht der Wiener Wirtschaftskammer von 2019 ist festgehalten:

Wenn gebaut wird, dann ist das gut für die Wirtschaft. (…) Pro einer Million Euro an Investitionen für die Wiener City Projekte werden somit 1,2 Mio. Euro an zusätzlicher Wertschöpfung generiert. Jede eingesetzte Million Euro der notwendigen Investitionen schafft durchschnittlich 10 Jobs. Die meisten Arbeitsplätze werden dabei in den Branchen Bau, Handel, Produktion sowie wirtschaftliche und wissenschaftlich-technische Dienstleistungen geschaffen. Die zusätzlichen Beschäftigten werden mit insgesamt rund 14 Mio. Euro entlohnt. Von der eingesetzten Gesamtinvestitionssumme in die City Projekte [Stephansplatz, Herrengasse, Rotenturmstraße, Schwedenplatz und Michaelerplatz] fließen bereits in der Bauphase 40 Prozent (ca. 15 Mio. Euro) in Form von Steuern und Abgaben wieder an die öffentliche Hand zurück. [18]

Verkehrsberuhigung, Kärntner Straße, Autostraße vs. Fußgängerzone, Wien
Kärntner Straße - 1962 vs. 2019 (Foto links: Jakab Antal, Fortepan 201720; rechts: Jorge Franganillo, CC BY 2.0)

Auto wird überschätzt

Wird der öffentliche Raum umgestaltet, ist die Klage über jeden umgenutzten („verlorenen“) Parkplatz oft groß. Doch Studie um Studie und Beispiel um Beispiel wird klar: Die Bedeutung von Parkplätzen wird massiv überschätzt. Die meisten Menschen kommen zu Fuß oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zum Einkaufen. Straßen, die voll mit geparkten Fahrzeugen sind, laden nicht zum Einkaufen oder Einkehren ein. (Diese Punkte beziehen sich alle auf den urbanen Raum, nicht auf ländliche Gegenden.)

  • Weniger Autofahrer als gedacht: Geschäftsinhaber überschätzen den Anteil an Kunden, die mit dem Auto kommen. Besonders außerhalb von Fußgängerzonen wird der Anteil weit überschätzt.[13]
  • Verkehrsberuhigte Geschäftsstraßen sind erfolgreicher als auf den Autoverkehr ausgerichtete Straßen.[19]
  • Eine Umfrage der Wirtschaftskammer in Wien von 2008 ergab: Zum Einkaufen kommen 47% mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und 38% zu Fuß. Nur 13% kommen mit dem Auto.[13]
  • Eine 2008 durchgeführte Umfrage unter Passanten in der Thaliastraße im 16. Wiener Gemeindebezirk ergab, dass weniger als 10% mit dem Pkw gekommen waren. Die meisten kamen zu Fuß.[13]
  • Gut geplante Sperren von Straßen und Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung führen nicht zu Stau und Verkehrsproblemen. 2008 wurde beispielsweise die Wiener Ringstraße auf einem zentralen Abschnitt für längere Zeit gesperrt. Das Verkehrschaos ist ausgeblieben. Trotz des dadurch an prominenter Stelle (nahe Hofburg) gewonnenen Platzes wurde die Sperre nicht beibehalten.[23]

Die folgende Grafik ist das Ergebnis einer Erhebung in vier Wiener Geschäftsstraße (Favoritenstraße, Kärntner Straße, Landstraßer Hauptstraße und Mariahilfer Straße) unter einkaufenden Personen.

Balkendiagramm, "Vergleich des tatsächlichen Modal Split mit dessen Einschätzung durch die Geschäftsleute"
Grafik: "Die Förderung des Zu Fuß Gehens als wesentliches Element einer zukunftsfähigen Umwelt- und Verkehrspolitik für die Stadt Wien (ZEUS)" (2016), S.100

Ein vergleichbares Ergebnis erbrachten Daten aus Graz:

Balkendiagramm, "Graz 2003"
Grafik: "Die Förderung des Zu Fuß Gehens als wesentliches Element einer zukunftsfähigen Umwelt- und Verkehrspolitik für die Stadt Wien (ZEUS)" (2016), S.101

Geschäftsinhaber überschätzen die Bedeutung des Autos. Viele Kunden kommen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, mit dem Rad oder zu Fuß, viele wohnen in der Nähe des Geschäfts. Kunden, die mit dem Auto kommen, geben tendenziell sogar am wenigsten aus. Aus einer Berliner Studie:

Unsere Ergebnisse zeigen, dass Händler die Autonutzung überschätzen und den aktiven Verkehr unterschätzen. Außerdem wohnen potenzielle Kunden häufiger in der Nähe ihres Einkaufsziels, als von den Händlern angenommen (…) Während nur 6,6 % der Kunden mit dem Auto zum Einkaufen kamen, schätzten die Händler, dass im Durchschnitt 21,6 % ihrer Kunden dieses Verkehrsmittel nutzen (…) Außerdem unterschätzten sie die Nutzung von Verkehrsmitteln, Fußgängern und Fahrrädern (…)

Es wurde festgestellt, dass die Händler die Entfernung, die Kunden zurücklegen, um ihr Geschäft zu besuchen, überschätzen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass mehr als die Hälfte (51,2 %) der Kunden weniger als 1 Kilometer von der Einkaufsstraße entfernt wohnen. Im Gegensatz dazu schätzten die Händler, dass im Durchschnitt nur 12,6 % der Kunden innerhalb dieser Entfernung wohnen (…)

Käufer, die mit dem Auto anreisten, gaben im Durchschnitt 23,45 € aus, während Radfahrer und Fußgänger 11,98 € bzw. 11,63 € ausgaben (…) Autofahrer machen jedoch nur 6,58 % der Stichprobe aus und geben an, die Straßen seltener zu besuchen als Radfahrer und Fußgänger (…) Die Ergebnisse zeigen, dass Autofahrer mit 8,7 % den geringsten Anteil an den Einnahmen haben, verglichen mit Fußgängern (61 %), Verkehrsmittelnutzern (16,5 %) und Radfahrern (13,5 %). Das heißt, obwohl die Ausgaben pro Besuch weniger als halb so hoch sind wie die der Autonutzer, trägt der höhere Anteil der Nutzer von Verkehrsmitteln und aktiven Verkehrsmitteln in Verbindung mit der größeren Häufigkeit der Besuche dazu bei, dass diese Verkehrsmittel den größten Teil der Gesamteinnahmen (91 %) beisteuern. [38]

Britische Studien:

Verbesserungen des öffentlichen Raums in Peace Gardens, Sheffield führten zu einer Zunahme der Frequenz von 35 Prozent und einer Steigerung des Umsatzes um 4,2 Millionen Pfund.

Verbesserungen für FußgängerInnen in Coventry und Bristol führten zu einer 25 prozentigen Steigerung der Frequenz und einem Umsatzplus von 1, Millionen Pfund (…)

Die Umsetzung eines Shared Space in der New Road in Brighton brachte eine 162 prozentige Erhöhung der Frequenz (…)

Nach Einführung der diagonalen Fußgängerquerung am Oxford Circus erhöhte sich der Umsatz des dortigen Nike-Standorts um 25 Prozent (…) [13]

(8) Öffis und Radfahren als Wirtschaftsmotor

Radfahren im urbanen Raum ist nicht nur praktisch und gesund, sondern stärkt auch die Wirtschaft:

  • Radfahrer besuchen den lokalen Einzelhandel häufiger als PKW-Einkäufer.
  • „RadfahrerInnen geben zwar pro Einkauf weniger Geld als AutofahrerInnen aus, kommen aber deutlich häufiger wieder und bringen daher mehr Umsatz als motorisierte KundInnen. Ausgaben, die sonst für Treibstoffe ins Ausland wandern, bleiben beim heimischen Handel.“[31]
  • „Je mehr Geschäfte passiert werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit eines Impulskaufs. Auf Grund geringer Geschwindigkeiten und der unmittelbaren Sinneserfahrung gilt dies besonders für Fußgänger und auch Radfahrer, wenn ihnen einladende Infrastruktur bereitgestellt wird.“[32]
  • Radverkehr sichert die Struktur der Ortskerne und Innenstädte: Fahrradnutzende Personen kaufen eher dort ein, wo sie wohnen und arbeiten. Die Kaufkraft fließt nicht ab.
  • Radfahrer bringen mehr Umsatz als motorisierte Kunden.
  • Die Hälfte aller Einkäufe wiegt weniger als 5 kg. 70% der Einkäufe lassen sich per Fahrrad oder Korb nach Hause transportieren.
  • Angebot erzeugt Nachfrage: „Schafft eine Gemeinde oder Stadt gute Bedingungen zum Radfahren, dann wird dort häufiger Rad gefahren.“
  • Bei guter Radfahr-Infrastruktur können E-Fahrräder zu signifikanten Verlagerungen vom Auto auf das Fahrrad führen.
  • „Abstellanlagen für Fahrräder sind im Vergleich mit Pkw-Stellplätzen deutlich günstiger und benötigen nur einen Bruchteil des Platzes.“[33]
  • „Radfahrer bieten im Jahresdurchschnitt die höchste Kundenrentabilität.“[32]
  • Laut einer australischen Studie wird dem „Radverkehr eine 3-fach höhere wirtschaftliche Bedeutung zugerechnet.“[32]
  • Unzureichende Radwege behindern die alltägliche Radnutzung: Jeder Fünfte, der das Fahrrad zum Einkaufen nicht benutzt, gibt in einer Umfrage als Grund an, sich nicht sicher beim Radfahren zu fühlen.
  • 40 Prozent der privaten Autofahrten in Österreich sind kürzer als fünf Kilometer, jede fünfte Autofahrt ist sogar kürzer als zweieinhalb Kilometer. Für viele Strecken ist Radfahren also eine mögliche Alternative.
  • Jeder mit dem Auto gefahrene Kilometer verursacht gesamtgesellschaftliche Kosten. Beim Radfahren und Zufußgehen ist es das Gegenteil.

Zum Thema öffentliche Verkehrsmittel und wirtschaftliche Effekte:

  • „Investitionen in Bahn- und Radfahrinfrastruktur sowie Verkehrsberuhigungsmaßnahmen haben größere Beschäftigungseffekte als der Bau von Autobahnen.“[46]
  • „Die Verlagerung von Kfz-Verkehr auf nachhaltige Mobilität bringt ein Beschäftigungsplus.“[46]
  • „Investitionen in Bahninfrastruktur und öffentlichen Verkehr bringen bei gleicher Investitionssumme eine fast dreimal so hohe Wertschöpfung wie Ausgaben für Straßenbauten und führen zu deutlich höheren Beschäftigungseffekten.“[46]
  • „Ein Ausbau der Straßeninfrastruktur schafft zusätzlichen Kfz-Verkehr, der negative externe Effekte bewirkt. Es entstehen ungedeckte Kosten für die Allgemeinheit und die öffentliche Hand, etwa im Gesundheitssystem oder durch die Abwertung von Tourismus- und Wohngebieten durch Verkehrslärm.“[46]

Warum handelt die Politik nicht?

Das Platzproblem, die Ungerechtigkeit bei der Verteilung des öffentlichen Raums und die Vorteile von Verkehrsberuhigung sind den Beamten im Wiener Planungsressort längst bekannt. Das Problem ist die Politik:

  • In vielen Bezirken wird quasi Politik gegen die eigene Bevölkerung gemacht: Selbst wichtige Plätze dürfen weiter als Asphaltflächen und Parkplätze genutzt werden, Straßen sind zugeparkt, Bäume und Begrünung fehlen vielerorts.
  • Selbst lokale Einkaufsstraßen werden nicht verkehrsberuhigt und aufgewertet, sodass die Menschen anderswo einkaufen (oft in Einkaufszentren). Das schwächt die Einkaufsstraßen und schafft mehr Verkehr.
  • In Wien sind für Straßen und Plätze vor allem die Bezirksvorstehungen zuständig, nicht die Stadtregierung. Wenn also nur in wenigen Bezirken umfassende Verbesserungen kommen, dann liegt das an den jeweiligen Parteien in den Bezirken. In erster Linie an der jeweils stimmenstärksten Partei, die die Bezirksvorsteher stellen.
  • Die meisten Bezirksvorsteher wollen keine nachhaltige Verkehrsberuhigung. Sie ignorieren damit auch die Erkenntnisse zahlreicher Studien (die teilweise sogar von der Stadt selbst beauftragt bzw. durchgeführt wurden).
  • Finanziert werden Umbauten in erster Linie durch das Budget aus dem Planungsressort (gehört zur Stadtregierung). Wenn also die zuständige Stadträtin (derzeit Ulli Sima, SPÖ) nicht will, geht gar nichts.
  • Viele Straßen und Plätze wurden schon verkehrsberuhigt. Das wird als selbstverständlich hingenommen, war aber ehedem genauso umstritten. Hätte sich die Politik in der Vergangenheit nicht getraut, diese Maßnahmen zu setzen, wären selbst die bekannten Fußgängerzonen am Stephansplatz & co nie entstanden.
  • Verkehrsberuhigung hat sich vielfach bewährt. Doch das Muster ist immer gleich: Die Skepsis und Angst ist anfangs groß, das Auto wird als unentbehrlich gesehen. Dann wird umgebaut. Und am Ende ist die Zufriedenheit groß. Ein paar Jahre später ist die Aufregung vergessen und nur die wenigsten dürften den Vorzustand wiederhaben wollen.

Quellen und weitere Infos

Artikel auf WienSchauen über Verkehrsberuhigung

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WienSchauen.at ist eine unabhängige, nicht-kommerzielle und ausschließlich aus eigenen Mitteln finanzierte Webseite, die von Georg Scherer betrieben wird. Ich schreibe hier seit 2018 über das alte und neue Wien, über Architektur, Ästhetik und den öffentlichen Raum.

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