Das Jahrhundertwendehaus in der Cobenzlgasse 69 in Grinzing wurde zum Abriss freigegeben. Die Behörden halten das äußerlich einwandfrei erscheinende Gebäude für abbruchreif.
Was ist los im SPÖ-geführten Wohnbauressort? Wie lange wird die Stadtregierung noch zusehen, wie ein Haus nach dem anderen abgerissen wird?
Das Gebäude wurde im Juli 2023 abgerissen (aktualisiert und Fotos hinzugefügt am 29.7.2023).
Weinort Grinzing: Nur teilweise geschützt
Grinzing ist berühmt für seine Heurigen und den gut erhaltenen historischen Ortskern. Ein Ensemble aus 80 Häusern steht seit 2019 sogar unter Denkmalschutz – das halt Seltenheitswert, denn in den meisten Fällen stellt das Denkmalamt nur einzelne Häuser unter Schutz. Für den Denkmalschutz ist der Bund zuständig, für den großflächigeren Ortsbildschutz aber die Stadt Wien. Zwar gilt im Kern von Grinzing eine von der Stadt Wien eingerichtete Ortsbild-Schutzzone. Diese Schutzzone wurde jedoch 2005 seltsamerweise verkleinert. Noch 2007 und 2008 wurden zwei bedeutende Villen abgerissen.
Die unzureichenden Schutzmaßnahmen werden in der Umgebung des Grinzinger Ortskerns besonders augenfällig, zum Beispiel im oberen Abschnitt der Cobenzlgasse. Der dortige Bebauungsplan, der für eine große Zahl von Grundstücken gilt, wurde zuletzt 1998 aktualisiert, ist also längst veraltet. Dabei wurde für kein einziges Haus eine Schutzzone festgelegt. Teilweise darf deutlich höher und größer gebaut werden – also größer und höher als die dort stehenden Altbauten.
Sinnvoll wäre es gewesen, mittels Bebauungsplan historisch und für das Stadtbild relevante Gebäude und die darin verbauten Ressourcen möglichst zu erhalten und Sanierung und sanften Weiterbau zu fördern. Stattdessen war 1998 entschieden worden, dass in diesem Teil Grinzings ungehindert abgerissen werden darf. Bürgermeister war zu jener Zeit Michael Häupl (SPÖ), zuständig für die Bebauungspläne war Stadtrat Bernhard Görg (ÖVP).
Abrisswidmung für Jahrhundertwendehaus
Bei der Adresse Cobenzlgasse 69 fehlt nicht nur die Schutzzone – es gilt zudem quasi eine „Abrisswidmung“. Das heißt: Ein Neubau darf deutlich größer werden als das Bestandsgebäude. Durch solche Widmungen werden Altbauten unter Druck gesetzt (weiteres Beispiel: Lacknergasse 31 im 17. Bezirk).
Wohnbauressort: Ganz Wien abbruchreif?
Mit einer Gesetzesänderung im Jahr 2018 wurde eine Abriss-Genehmigungspflicht für vor 1945 erbaute Häuser eingeführt. Eine längst überfällige Reform, die in der Praxis aber vielfach nicht funktioniert. Der Abriss-Schutz wird nämlich umgangen, indem nun Abbrüche aufgrund von „Abbruchreife“ beantragt werden. Abbruchreife heißt, ein Haus sei angeblich wirtschaftlich nicht mehr zu sanieren. Die von Eigentümern eingereichten Gutachten werden von der Magistratsabteilung 25 geprüft, Abbrüche von der MA 37 genehmigt. Beide gehören zum Wohnbauressort von Stadträtin Kathrin Gaál (SPÖ).
Das Wohnbauressort fällt seit langem durch eine Laissez-faire-Haltung gegenüber Abbrüchen auf: Es werden laufend Abrisse von Häusern genehmigt, die die Architekturbehörde (MA 19) für erhaltenswert erklärt hat und die demnach eigentlich stehen bleiben müssten. Altstadterhaltung funktioniert in Wien nur in der millionenschweren Werbemaschinerie des Rathauses – aber nicht in der Realität.
Bekannt wurde die Abbruchgenehmigung durch eine Antwort auf eine Anfrage im Gemeinderat.
Unten ist die vollständige Liste. (Nebenbemerkung: Für nach 1945 erbaute Häuser gibt es überhaupt keinen gesetzlichen Abriss-Schutz. Sie scheinen in der Liste deswegen nicht auf.)
Hintergründe und weitere Pläne für die Adresse Cobenzlgasse 69 sind nicht bekannt. Äußerlich macht das Haus jedenfalls einen unauffälligen Eindruck. Unklar bleibt, in welchem Zustand das Haus tatsächlich ist, ob es Schäden aufweist oder nicht, und wie gut oder schlecht es im Inneren aussieht. Noch – Stand: Mitte Juni 2023 – ist der Abriss nicht erfolgt.
In der letzten Zeit wurden u.a. auch folgende Häuser wegen angeblicher Abbruchreife zum Abriss freigegeben: Hohenbergstraße 18, Pohlgasse 36 (12. Bezirk), Rohrbacherstraße 29 (13. Bezirk), Linzer Straße 83 (14. Bezirk), Sperrgasse 13 und Rosinagasse 10-14 (15. Bezirk), Gentzgasse 4, Pötzleinsdorfer Straße 90 (18. Bezirk).
Abriss im Juli 2023
Ende Juli erreichte WienSchauen die Nachricht, dass das Haus abgebrochen wurde.
Kontakte zu Stadt & Politik
www.wien.gv.at
post@bv19.wien.gv.at
+43 1 4000 19114
Die Bezirksvorstehungen sind die politischen Vertretungen der einzelnen Bezirke. Die Partei mit den meisten Stimmen im Bezirk stellt den Bezirksvorsteher, dessen Aufgaben u.a. das Pflichtschulwesen, die Ortsverschönerung und die Straßen umfassen.
- ÖVP: doebling@wien.oevp.at
- SPÖ: wien.doebling@spoe.at
- Die Grünen: doebling@gruene.at
- NEOS: wien@neos.eu
- FPÖ: ombudsstelle@fpoe-wien.at
(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate nach der Wahl 2020.)
- SPÖ: kontakt@spw.at, Tel. +43 1 535 35 35
- ÖVP: info@wien.oevp.at, Tel. +43 1 51543 200
- Die Grünen: landesbuero.wien@gruene.at, Tel. +43 1 52125
- NEOS: wien@neos.eu, Tel. +43 1 522 5000 31
- FPÖ: ombudsstelle@fpoe-wien.at, Tel. +43 1 4000 81797
(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)
Verfall und Abrisse verhindern: Gemeinsam gegen die Zerstörung! (Anleitung mit Infos und Kontaktdaten)
Quellen
- Zahlen zur wirtschaftlichen und technischen Abbruchreife (Anfrage von Georg Prack (Grüne), 33. Sitzung des Gemeinderates vom 25.1.2023)
- Zahlen zur wirtschaftlichen und technischen Abbruchreife (Antwort von Kathrin Gaál (SPÖ), 36. Sitzung des Gemeinderates vom 23.3.2023)
- Grinzinger Ortskern steht unter Denkmalschutz (Kurier, 30.12.2019)
- Denkma(il). Nachrichten der Initiative Denkmalschutz Nr. 4 / Februar 2010 – S. 7 und 14 thematisieren Grinzing
WienSchauen.at ist eine unabhängige, nicht-kommerzielle und ausschließlich aus eigenen Mitteln finanzierte Webseite, die von Georg Scherer betrieben wird. Ich schreibe hier seit 2018 über das alte und neue Wien, über Architektur, Ästhetik und den öffentlichen Raum.
Wenn Sie mir etwas mitteilen möchten, können Sie mich per E-Mail und Formular erreichen. WienSchauen hat auch einen Newsletter: