Der 7. Bezirk hat seit 2021 einen neuen Platz. Statt einer Nebenfahrbahn gibt es in der Burggasse nun mehr Begrünung, Bäume und viel Platz für alle. Die künftig Ruth-Klüger-Platz genannte Fläche ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie sich der öffentliche Raum nachhaltig aufwerten lässt. Es sind genau solche Orte, die es in Wien viel mehr braucht. Und zwar in allen Bezirken.
Burggasse: Die Neubauer Transitader
Dem Autoverkehr wird in Wien seit Jahrzehnten der rote Teppich ausgerollt. Oder eher: der graue Asphalt. Weite Teile des öffentlichen Raums sind in erster Linie für Pkw ausgerichtet. Was dabei meist zu kurz kommt: breite Gehsteige, Radwege, Bäume. Und schlicht Platz, um sich im öffentlichen Raum aufhalten zu können (Bänke etc.). Es ist eine Normalität, die meist gar nicht besonders auffällt (siehe auch hier).
Auch im 7. Bezirk – seit 2001 durchgehend von den Grünen regiert – wird das Auto vielerorts bevorzugt. Beispiel Burggasse: Die Gasse durchzieht den ganzen Bezirk und verbindet Gürtel und Innere Stadt. Der Anteil an Transitverkehr dürfte entsprechend hoch sein. Die Burggasse ist überwiegend etwa vier Spuren breit, obwohl es sich um eine Einbahn handelt. Den Pkw gehören drei Spuren (1 Fahrspur und zwei Parkspuren), Bussen und Taxis eine Spur. Einen baulich ausgeführten Radweg gibt es nicht.
Bis zu 7 Kfz-Spuren in der Burggasse
Vier Spuren ohne Einbahn sind nicht wenig. Aber es geht bzw. ging noch mehr. Bei der Kirchengasse waren bis 2020 ganze sieben Spuren für den motorisierten Verkehr reserviert. Das hat sich aber geändert.
Nebenfahrbahn wird zum Platz
Die drei Kfz-Spuren umfassende Nebenfahrbahn wurde 2020 umgebaut.
Aus einer Parkspur wurde 2020 eine Abbiegespur, aus zwei Park- und einer Fahrspur ein kleiner Platz mit Bäumen.
Umbau 2020
Die Umgestaltung begann rechtzeitig vor der Wien-Wahl und wurde durchaus medienwirksam in Szene gesetzt. Die guten politischen Kontakte der Bezirksvorstehung (Grüne) zur damaligen Planungsstadträtin Birgit Hebein (ebenfalls Grüne) mögen dazu beigetragen haben, dass das Projekt gestalterisch besonders hochwertig geworden ist.
Es handelt sich schon um das vierte größere Umgestaltungsprojekt unter Bezirksvorsteher Markus Reiter – nach den Baumpflanzungen in der Zieglergasse, der Begegnungszone in der Neubaugasse und dem Umbau von Teilen der Lindengasse.
Der neue Ruth-Klüger-Platz
Die von den Grünen im Vorfeld veröffentlichte Visualisierung deckt sich mit der gebauten Realität ziemlich genau.
Im Vergleich zu vorher fallen die hochwertige Pflasterung, die neuen Bäume und der angenehm breite Gehsteig auf.
Nach berühmter Literaturwissenschaftlerin benannt
Im Herbst 2020 beantragten die Grünen, die vormals „Burggassen-Anger“ genannte Fläche umzubenennen. Künftig soll der Platz an die 2020 verstorbene Holocaust-Überlebende und Literaturwissenschaftlerin Ruth Klüger erinnern:
Ruth Klüger verbrachte ihre frühe Kindheit in Wien Neubau, wo sie mit ihrer Familie in einem Gründerzeithaus Neubaugasse/Ecke Lindengasse wohnte. Von dort wurde sie 1942 als elfjähriges Kind gemeinsam mit ihrer Mutter von den Nazis vertrieben und in die Lager Theresienstadt, Auschwitz und Christianstadt deportiert. Kurz vor Kriegsende gelang Ruth Klüger gemeinsam mit ihrer Mutter die Flucht (…) 1947 emigrierte sie in die USA, studierte in New York Bibliothekswissenschaften und Germanistik an der University of California, Berkeley (…)
1992 veröffentlichte Ruth Klüger ihren berühmt gewordenen Text „Weiter leben. Eine Jugend“, eine vielschichtige und breit rezipierte Autobiografie. Ihr Verhältnis zu Wien, Ort ihrer Kindheit (…) blieb zeitlebens ambivalent und spannungsgeladen.
Kein "echter Platz"
Die Aufwertung eines kleinen Teils der Burggasse ist zweifellos gelungen. Was sich aber nicht recht einstellen will: Das Gefühl, auf einem richtigen Platz zu sein. Dafür ist die Fläche immer noch zu klein und immer noch ist in der Burggasse zu viel Platz für den motorisierten Verkehr reserviert. Vier Spuren für Kfz – trotz nicht vorhandenen Gegenverkehrs.
Ursprünglich umfangreichere Pläne?
Die Agenda-Gruppe im 7. Bezirk – ein Verein für Bürgerbeteiligung – erarbeitete schon 2004 eine Vision für die Burggasse: eine deutliche Verbreiterung des Gehsteigs, neue Bäume und weniger Platz für den Autoverkehr. Der Entwurf geht weit über das hinaus, was 2020 realisiert wurde.
Mehr wäre möglich gewesen
Im Vergleich zum Entwurf der Agenda von 2004 wird deutlich, dass der Umbau 2020 eigentlich verhältnismäßig konservativ ausgefallen ist:
- Immer noch stehen vier Spuren für den Kfz-Verkehr zur Verfügung: 1 Parkspur, 1 Bus-/Taxispur, 2 Fahrspuren
- Zur Kirchengasse wurde eine eigene Abbiegespur eingerichtet. Laut Bezirksvorstehung nur temporär wegen des U-Bahn-Baus. Danach soll die Spur entfernt werden. Bis dahin werden aber noch viele Jahre vergehen.
- An der linken Parkspur wurde überhaupt nicht gerüttelt.
- Die Burggasse ist auf einem viel längerem Abschnitt breit genug für eine Verkehrsberuhigung. Nur ein kleiner Teil wurde 2020 umgebaut.
Burggasse: Es gibt noch viel zu tun
Der Umbau des öffentlichen Raums und neue Bäume kosten Geld. Den Bezirken fehlen die Mittel, um umfangreiche Neugestaltungen alleine bewerkstelligen zu können. Sie sind auf Unterstützung aus dem Rathaus angewiesen. Auch die Umgestaltung weiterer Teile der Burggasse wird nur möglich sein, wenn auch das Planungsressort von Stadträtin Ulli Sima (SPÖ) mitspielt.
Öffentlicher Raum: Umdenken nötig!
Der Umbau in der Burggasse ist – gerechnet auf ganz Wien – nicht einmal ein Tropfen auf dem heißen Stein. So hochwertig die Umgestaltung auch ausgefallen ist, kann doch die räumlich sehr begrenzte Intervention die seit Jahrzehnten bestehenden Defizite nur ungenügend kompensieren.
- Es wird immer heißer: Trotzdem wird weiter Asphalt auf Gehsteigen, Plätzen und Parkplätzen verlegt. Asphalt ist der denkbar schlechteste Weg, um auf den Klimawandel zu reagieren. Doch die Gehsteigverordnung schreibt Gussasphalt als Bodenbelag vor. Sie wurde immer noch nicht geändert.
- Vertane Chancen: Bauarbeiten im öffentlichen Raum (z. B. Rohrwechsel) werden nur selten genutzt, um danach gleich umfassend neu zu gestalten und zu begrünen. Verbindliche Regeln aus dem Rathaus fehlen.
- Umgestaltungen bleiben den Bezirken überlassen: Wenn ein Bezirk nicht will, dann bleibt meist alles beim altem. Wenn es also in manchen Bezirken (6., 7., 15.) zahlreiche Umgestaltungen gibt, in anderen nur sehr wenige, dann liegt das vor allem an den Bezirksvorstehern. Die meisten Bezirksvorsteher begnügen sich mit dem Erhalt möglichst vieler Parkplätze – sodass der Ist-Zustand des öffentlichen Raums de facto auf dem Niveau der 1970er-Jahre eingefroren ist.
- Gestalterische Vorgaben fehlen: Umgebaut wird oft – die Resultate sind aber vielfach bescheiden (Beispiele: Seeparkquartier in der Seestadt Aspern, Ballhausplatz, Brücke in der Spittelau, Otto-Bauer-Gasse, Goldschlagstraße im 14. Bezirk). Damit das nicht mehr passiert braucht es: (1) präzise gestalterische Vorgaben, bis hin zum Bodenmaterial und der Art der Begrünung und (2) einen unabhängigen Gestaltungsbeirat, der alle Umbauten transparent prüft und Änderungen einfordern kann.
Detaillierte Infos zu den Vorteilen von Verkehrsberuhigung gibt es hier.
Kontakte zu Stadt & Politik
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+43 1 4000 07114
Die Bezirksvorstehungen sind die politischen Vertretungen der einzelnen Bezirke. Die Partei mit den meisten Stimmen im Bezirk stellt den Bezirksvorsteher, dessen Aufgaben u.a. das Pflichtschulwesen, die Ortsverschönerung und die Straßen umfassen.
- SPÖ: kontakt@spw.at, Tel. +43 1 535 35 35
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- Die Grünen: landesbuero.wien@gruene.at, Tel. +43 1 52125
- NEOS: wien@neos.eu, Tel. +43 1 522 5000 31
- FPÖ: ombudsstelle@fpoe-wien.at, Tel. +43 1 4000 81797
(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im Jänner 2021.)
Verfall und Abrisse verhindern: Gemeinsam gegen die Zerstörung! (Anleitung mit Infos und Kontaktdaten)
Quellen
- Kommt ein Platz für Ruth Klüger? (Bezirkszeitung, 5.1.2021)
- Ein Baum weg und sechs dazu (Bezirkszeitung, 22.7.2020)
- Burggasse: Ein Dorfplatz für das urbane Neubau (Kurier, 1.3.2020)
- Grüne – Antrag Ruth-Klüger-Platz (15.12.2020)
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