Drei Gründerzeithäuser in Penzing haben einen Dachausbau bekommen. Nicht weiter aufregend, wäre da nicht die Ästhetik. Es ist erstaunlich, dass es dieses Projekt durch die behördliche Genehmigung geschafft hat.
"Moderne, innovative Architektur"
„Klassischer Altbau trifft auf moderne, innovative Architektur“ – so wirbt eine Immobilien-Webseite für ein Sanierungs- und Dachausbauprojekt im 14. Bezirk. Drei Häuser aus dem späten 19. Jahrhundert wurden von 2020-2021 saniert und aufgestockt. Anstatt den Dachausbau mit Rücksichtnahme auf die charakteristische Altbau-Architektur zu planen, wurden grell leuchtende Kuben auf die Häuser gestapelt.
Geworben wird für Wohnungen „in pulsierender Lage“, womit wohl die durch Autoverkehr belastete und teils zur Verramschung tendierende Hütteldorfer Straße gemeint ist. Weiter heißt es mit schwankender Grammatik:
Baumeister Ludwig Zatzka errichtete um die Jahrhundertwende dieses wunderschöne Gründerzeit-Haus in der Breitenseer Straße (mit Deckengemälde seines Bruders) sowie Poschgasse und angrenzendes Haus in der Kuefsteingasse. Als Ganzes bilden die Häuser ein Ensemble und beinhalten ebenso eine kleine Kapelle.
Geplant wurden Umbau und Dachgeschoßausbau von einem Büro aus Wien:
Das Architekturbüro GRESSENBAUER und die Eigentümervertretung setzten in langjähriger Planung und Bauzeit ein außergewöhnliches Dachgeschoß-Projekt mit Freiflächen und Blick zwischen Otto-Wagner-Kirche und Gloriette um.
Das Projekt fand auch Erwähnung in einem ORF-Beitrag:
Der Stadtplaner Reinhard Seiß kritisierte die Flut an „schlecht gestalteten Neubauten“. Die Stadt lege keinen Wert auf die optische Erscheinung abseits der Innenstadt. „Man sagt, man will Vielfalt, man will der Kreativität der Architekten da nichts in den Weg legen. Aber, dass das nicht immer die besten Architekten sind und dass dadurch vor allem die Immobilienbranche angeheizt wird, ist offenbar kein großes Problem für die Stadt Wien.“ Als Beispiel nannte er einen Dachausbau in Penzing, der sich über drei Gründerzeithäuser erstreckt.
2018 hat die Ecke noch so ausgesehen. Das hier noch sichtbare komplett erhaltene Gesims wurde beim Umbau zerstört:
Das Gebäude an der Ecke wurde zusätzlich um ein Regelgeschoß aufgestockt, wobei zumindest teilweise anhand der bestehenden Fensterachsen weitergebaut wurde. Der grelle Dachausbau sticht an dieser Ecke besonders hervor.
Von den drei umgebauten und aufgestockten Gebäuden fällt eines besonders auf: Das vom Wiener Architekten Ludwig Zatzka entworfene und 1892 erbaute Haus Breitenseer Straße 8. Zatzka plante auch die anderen beiden Häuser, doch dürften beide nur noch teilweise die Originalfassaden tragen. Falls auch die anderen Häuser einst einen ähnlichen Fassadendekor wie Breitenseer Straße 8 hatten, wurde durch den Umbau zudem noch die Chance vertan, den Dekor anhand alter Pläne zu rekonstruieren. Weit problematischer ist aber, dass selbst das am besten erhaltene Haus ästhetisch völlig unpassend aufgestockt wurde. Anstatt beispielsweise ein Dach mit Neigung und Gaupen zu errichten, wurden auch hier gelb-orange Würfel aufgesetzt.
Warum wird das genehmigt?
Warum wollten Auftraggeber und Architekt mit dem Bestand auf eine solche Weise brechen? Fehlte es an der Vorstellungskraft, wie sich Altbauten behutsam umbauen und aufstocken lassen? Sollte Aufmerksamkeit erregt dadurch die Vermarktung angekurbelt werden? Was auch immer zu dem Resultat geführt hat – der Plan wurde von den Behörden genehmigt. Zuständig für die Genehmigung ist die Magistratsabteilung 19, die zum Planungsressort von Stadträtin Ulli Sima (SPÖ) gehört.
Die Details des Genehmigungsprozesses lassen sich von außen nicht eruieren. Wie jede Behörde ist aber auch die MA 19 an die Wiener Bauordnung gebunden. Die Beamten können also nicht nach Gutdünken eingereichte Entwürfe einfach ablehnen. Bei der Bauordnung liegt jedenfalls einiges im Argen: Es gibt keinen Passus, der vorschreibt, dass ein Dachausbau an die Architektur des jeweiligen Gebäudes angepasst sein muss. Auch bei Neubauten lässt der Gesetzgeber weitgehend Beliebigkeit walten. Harmonische Gestaltung, Anpassung an die Umgebung und eine durch einen vollwertigen Gestaltungsbeirat erfolgende Qualitätssicherung sind nicht vorgesehen. Selbst in Schutzzonen darf weitgehend beliebig gebaut werden. Orientierung an der Umgebung in Bezug auf Material, Farbe, Fensterachsen, Dekor, Geschoßhöhe und Ausgestaltung der Erdgeschoßzone wird nicht eingefordert. Das Ergebnis nicht selten: bestürzende Neubauten.
Dachausbau geht auch anders
Das Ausbauen von Dächern ist eine Sache für sich: Wer im Dachgeschoß wohnt, ist der sommerliche Hitze viel stärker ausgesetzt. Die Wohnungen sind trotzdem beliebt und oftmals außerordentlich teuer. Nicht selten lohnt sich die Sanierung eines Gebäudes aber überhaupt erst über den Ausbau des Dachgeschoßes. Ästhetisch ist bei Dachausbauten alles zu finden: vom dezenten Einbau neuer Fenster bis zu rücksichtsloser und billig wirkender Architektur.
Der Dachausbau ist aber sinnvoll. So kann neuer Wohnraum in alten Häusern geschaffen werden. Die Häuser bleiben erhalten, es muss nicht von Grund auf neu gebaut werden. Die neuen Wohnungen profitieren auch gleich von der vorhandenen Infrastruktur. Entscheidend ist aber, unter welchen Besitzverhältnissen ein Dachausbau erfolgt, wie im Zuge des Ausbaus mit Bewohnern des Hauses umgegangen wird – Schikanen gegenüber Altmietern kommen immer wieder vor – und wie die neuen Geschoße mit Haus und Umgebung harmonieren. Es folgen drei Beispiele.
Bei einem 1893 errichteten Gebäude im 3. Bezirk wurde nicht nur das Dach ausgebaut und durch ein zeitgemäßes Türmchen an der Ecke akzentuiert, sondern auch der nicht erhaltene Dekor auf einer Fassadenfront rekonstruiert. Die Kubatur des Turms ist zumindest in groben Zügen an typische Dächer aus der Zeit vor und um 1900 angelehnt.
Herausragend ist ein Um- und Ausbauprojekt im 7. Bezirk. Ein Biedermeierhaus hat ein neues Regelgeschoß und ein Dachgeschoß bekommen – gehalten in attraktivem Kupfer:
Wie sich Alt und Neu vereinen lassen, zeigt ein Beispiel aus dem 4. Bezirk, nahe Schwarzenbergplatz. Das planende Architekturbüro BWM:
Das repräsentative Gebäude in der Gußhausstraße mit seiner stark plastischen Fassade wurde 1903 vom bekannten Wiener Architekten Julius Goldschläger als bürgerliches Wohnhaus errichtet. Das für Wien außergewöhnliche Mansarddach, das nur in der unmittelbaren Umgebung ensembletypisch ist, wurde 1957 durch ein flaches Dachgeschoß ersetzt, das Haus seither als Bürogebäude genutzt. BWM Architekten gewannen einen geladenen Wettbewerb zum Gesamtumbau mit dem Konzept der Rückführung des Dachvolumens in Anlehnung an den originalen Zustand.
Das Haus in der Gußhausstraße hat durch den Dachausbau eine deutliche Aufwertung erfahren – nicht nur in Bezug auf die Fläche. So hat das Dach früher ausgesehen:
Kontakte zu Stadt & Politik
- SPÖ: kontakt@spw.at, Tel. +43 1 535 35 35
- ÖVP: info@wien.oevp.at, Tel. +43 1 51543 200
- Die Grünen: landesbuero.wien@gruene.at, Tel. +43 1 52125
- NEOS: wien@neos.eu, Tel. +43 1 522 5000 31
- FPÖ: ombudsstelle@fpoe-wien.at, Tel. +43 1 4000 81797
(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)
Verfall und Abrisse verhindern: Gemeinsam gegen die Zerstörung! (Anleitung mit Infos und Kontaktdaten)
WienSchauen.at ist eine unabhängige, nicht-kommerzielle und ausschließlich aus eigenen Mitteln finanzierte Webseite, die von Georg Scherer betrieben wird. Ich schreibe hier seit 2018 über das alte und neue Wien, über Architektur, Ästhetik und den öffentlichen Raum.
Wenn Sie mir etwas mitteilen möchten, können Sie mich per E-Mail und Formular erreichen. WienSchauen hat auch einen Newsletter: