In Meidling steht seit 2019 ein Wohnhaus, das sich mit seiner Architektur von vielen anderen Wiener Neubauten deutlich unterscheidet. Besonders auffällig ist die moderne Interpretation eines Turms an der Ecke.
WienSchauen berichtet regelmäßig über Neubauten in Wien, die sich oft durch eine minimalistische bzw. geradezu harte äußere Gestaltung auszeichnen. Aber nicht immer geht es in diese Richtung. Im 12. Bezirk haben Daneshgar Architects ein Wohnhaus entworfen, das alte und neue Aspekte vereint – wenn auch vielleicht nicht auf den ersten Blick.
Durch seine Größe bricht der Neubau zwar mit den direkt angrenzenden Vorstadthäusern. Aber das Gebäude nimmt Bezug auf die Architektur des späten 19. Jahrhunderts, also auf das klassische Wiener Gründerzeithaus. Die Fassade zeigt eine klar erkennbare Regelmäßigkeit, das Erdgeschoß öffnet sich durch seine Nutzung nach außen, die Ecke wird durch einen turmartigen Aufbau akzentuiert. Bauherr ist der Bauträger Ulreich aus Wien.
Balkone und Fenster wechseln sich nach Art eines Schachbrettmusters ab, sodass der Rhythmus immer erkennbar bleibt, ohne Monotonie aufkommen zu lassen. Die schmalen hohen Fenster erinnern in ihrer Form an die Gründerzeit, in ihrer Höhe auch an die 1960er. Die Balkone sind alle auf die Ecke des Hauses hin ausgerichtet.
Gefertigt sind die Balkone aus Holz.
Im Erdgeschoß befindet sich eine Apotheke. Die Nutzung der Erdgeschoßzone für Geschäfte und Lokale ist für ältere Häuser typisch, wird bei vielen Neubauten aber vernachlässigt. Teilweise hat das auch mit Vorschriften zu tun, die den Bau von Garagen und eines eigenen Eingangs für den Müllraum erzwingen. So bleibt bei kleineren Grundstücken schlicht kein Platz für Geschäftsflächen.
Das Gebäude in der Arndtstraße hat bei allen Fenstern und Balkontüren eingebaute Außenrollos. Diese sind so angebracht, dass sie im offenen Zustand kaum auffallen, da sie nicht außen an der Fassade montiert sind. Ein solch hochwertiger Sonnenschutz ist beispielsweise in Italien schon seit Jahrzehnten gängig, in Österreich aber noch keineswegs Standard.
Das Gebäude wurde 2020 für den FIABCI-Preis nominiert, einer Auszeichnung der Immobilienwirtschaft. Auf der Webseite von FIABCI steht – wohl verfasst vom Bauherrn – über den Turm:
Blickfang ist der etwa zehn Meter hohe, hervorstehende Eck-Turm, der auf die historischen Eckhäuser Wiens Bezug nimmt und gleichzeitig die Höhenentwicklung der Nachbarbebauung im Westen berücksichtigt (…) Der nachträglichen Errichtung des Turms gingen ein Diskurs und Kampf mit Behörden und Anrainern voraus. Mit der per se nicht rentablen Turmerrichtung sollte ein Statement gesetzt werden: Auch die Vorstadt hat Design verdient und in der städtischen Verdichtung gibt es Luft nach oben.
Zuvor befand sich an der Adresse übrigens ein weitgehend dekorloses zweistöckiges Gründerzeithaus, das etwa 2017 abgebrochen wurde. Davor hatte der Bauträger den Altbau zeitweise für die Unterbringung von Flüchtlingen zur Verfügung gestellt.
Quellen
- Zitat zum „Skyfall“ auf der Webseite von FIABCI
- Wohnprojekt gegen Abschiebungen (Der Standard, 16.9.2010)
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