Das Letzte seiner Art

Die Gründerzeit hat das alte Wien geprägt wie keine andere Epoche. Während in vielen Bezirken ein aufwändiger Historismus-Bau neben dem anderen steht, haben in der Brigittenau vergleichsweise wenige intakte Gebäude aus dem 19. Jahrhundert bis heute überdauert. Eines dieser Gründerzeithäuser wurde 2020 abgerissen – trotz gutem Bauzustand.

Schwindende Gründerzeit

Anders als die nahe Leopoldstadt hat der 20. Bezirk trotz guter Lage und leistbarer Miet- und Eigentumspreise lange ein Schattendasein geführt. Der alte Arbeiterbezirk ist auch nie wirklich in den Fokus von Denkmal- und Stadtbildschutz gekommen. Schutzzonen, die das gebaute Kulturerbe erhalten können, gibt es nur wenige. Obwohl der Bezirk über 80.000 Einwohner hat, stehen nur 63 Objekte unter Denkmalschutz – meist Gemeindebauten der Zwischenkriegszeit, die ohnehin nicht gefährdet sind, abgerissen zu werden.

Es ist das Schicksal einer Werkbank Wiens, deren historische Zeugnisse nach und nach ohne Aufsehen verschwunden sind. Während sich in der Nähe von Augarten und Wallensteinstraße noch Straßenzüge aus Historismus und Jugendstil finden, hat in anderen Grätzeln über Jahrzehnte hinweg die Abrissbirne regiert. Alleine im Jahr 2017 wurden drei historisch bedeutende Gründerzeithäuser im 20. Bezirk geschleift (Fotos unten). Die Immo-Branche hat die Brigittenau für sich entdeckt.

Dammstraße 33 wird abgerissen

Auch die Dammstraße war einst ein typisch gründerzeitliches Wohn- und Industriegebiet. Durch Bombenschäden, Abrisse und Errichtung großvolumiger Wohnbauten ist die Straße heute fast nicht wiederzuerkennen. Es dominieren Bauten der Nachkriegszeit und des späten 20. Jahrhunderts.

Nur das fast 150 Jahre alte Haus in der Dammstraße 33 hat sich bis 2019 erhalten:

Behörden: Haus nicht erhaltenswert

Seit 2018 können vor 1945 erbaute Häuser in Wien besser vor dem Abbruch geschützt werden. Entscheidend ist dieser Absatz aus der Bauordnung:

Der Abbruch von Bauwerken in Schutzzonen und Gebieten mit Bausperre sowie der Abbruch von Gebäuden, die vor dem 1.1.1945 errichtet wurden, ist spätestens vier Wochen vor dem geplanten Beginn der Arbeiten der Behörde vom Bauherrn schriftlich anzuzeigen.

Der Anzeige ist eine Bestätigung des Magistrats anzuschließen, dass an der Erhaltung des Bauwerkes infolge seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild kein öffentliches Interesse besteht. Nach Vorlage einer solchen Bestätigung darf mit dem Abbruch begonnen werden.

Das heißt: Wenn die Behörden einen Altbau als erhaltenswert einschätzen, darf kein Abbruch erfolgen. So wurde etwa ein Gründerzeithaus in der Liechtensteinstraße erfolgreich vor dem Abbruch gerettet (Foto unten).

Das Haus in der Dammstraße 33 schien den Behörden aber nicht schützenswert zu sein. Die nicht mehr original erhaltene Fassade und die durch Neubauten geprägte Umgebung haben den Ausschlag gegeben, wie die zuständige Magistratsabteilung bestätigt.

Der direkte Vergleich zeigt, dass der Fassadenschmuck irgendwann in den letzten Jahrzehnten teilweise entfernt worden war:

Dammstraße 33 vor dem Abriss

Dammstraße 33 nach dem Abriss

Das alte Haus war bestimmt weder ein Denkmal, noch ein unbedingt schützenswertes Schmuckstück. Trotzdem war der Fassadenschmuck teilweise erhalten – und z.T. sogar besser, als der mancher Häuser, die in den letzten Jahren in Schutzzonen aufgenommen worden sind.

Doch auch ein zweiter Punkt hat Gewicht: Die Frage der Ressourcen. Das Gründerzeithaus in der Dammstraße war – soweit erkennbar – in gutem Bauzustand. Vor etlichen Jahren dürfte es sogar renoviert worden sein. Auch die Fenster sind nicht alt gewesen. Dass ein baulich intaktes Gebäude einfach abgerissen wird, mag unter rein wirtschaftlichen Überlegungen Sinn ergeben, in Hinblick auf den Ressourcenverbrauch ist diese Praxis aber zumindest zu hinterfragen.

Stehen weitere Abrisse bevor?

Während in der Brigittenauer Dammstraße Fakten geschaffen wurden, stehen andere Häuser noch auf der Kippe: Zum Beispiel in der Favoritner Gudrunstraße und in der Lienfeldergasse in Ottakring. Beide Häuser weisen noch die originalen Fassaden aus dem 19. Jahrhundert auf. Beide Häuser stehen leer. Und auf beiden Häusern hängen (bzw. hingen) Transparente einer Abbruchfirma.

Letztlich rächt sich in diesen wie auch vielen anderen Fällen, dass nicht rechtzeitig Schutzzonen eingerichtet worden sind. In solchen Schutzzonen sind Häuser besser vor Abbrüchen und groben Veränderungen geschützt. Doch gerade in den Bezirken außerhalb des Gürtels fehlen Schutzzonen.

Zwar werden langsam auch in weniger zentralen Lagen Schutzzonen eingerichtet (z.B. in Kaisermühlen im 22. Bezirk), doch fallen diese mitunter klein aus (z.B. in Rustendorf im 15. Bezirk). Und jedes Haus, das nicht in eine Schutzzone aufgenommen wird, könnte künftig das Schicksal der vielen schon verlorenen Wiener Häuser ereilen.

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Vizebürgermeisterin und Stadträtin Kathrin Gaál untersteht die Geschäftsgruppe Wohnen. Zu dieser gehören u. a. die Baupolizei (kontrolliert die Einhaltung der Bauvorschriften u. dgl.), Wiener Wohnen (Gemeindewohnungen) und der Wohnfonds (Fonds für Neubau und Sanierung).
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(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)

Quellen: Die Anzahl der Denkmale ist der Denkmalliste (2019) des Bundesdenkmalamts entnommen. Der zitierte Paragraph ist § 62a Abs 5a aus der Wiener Bauordnung.

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