Im alten Kalksburg, nahe der Wiener Stadtgrenze, rollen die Bagger an. Wo jetzt noch eine große Grünfläche ist, werden bald neue Häuser stehen. Dafür wurde im Dezember 2020 auch ein schlichtes, aber gut erhaltenes Gebäude zur Gänze abgerissen. Um das zu erreichen, wurde sogar die Schutzzone verkleinert.
Kalksburg: Die Bagger kommen
Kalksburg, ursprünglich ein Dorf, das erst 1938 Teil Wiens wurde, ist vor allem bekannt für das Anton-Proksch-Institut. Die in den 1950ern gegründete Einrichtung gehört zu den größten Suchtkliniken Europas und behandelt heute u. a. Personen mit Drogen- und Alkoholabhängigkeit. Das Anton-Proksch-Institut bleibt auch weiterhin in Kalksburg und wird sogar deutlich vergrößert.
Direkt zwischen Anton-Proksch-Institut und dem historischen Torbogen liegt auch ein Pflegeheim des Ordens Caritas Socialis. Dieses Gebäude wird abgebrochen und an anderer Stelle durch einen Neubau ersetzt. In Kalksburg bleibt kein Stein auf dem anderen.
Dazu die Stadt Wien:
Für das Anton-Proksch-Institut und das Pflegezentrum CS Caritas Socialis sollen Neubauten errichtet werden, die den Anforderungen für zeitgemäße, moderne Pflegezentren beziehungsweise Sonderkrankenanstalten entsprechen. Auf der dadurch freigewordenen Fläche sollen Wohnungen gebaut werden.
Mit diesen umfangreichen Neubauvorhaben geht auch ein Teil des alten Grünareals verloren (siehe unten).
Weder das Gebäude des Anton-Proksch-Instituts, noch das des Pflegeheims ist architekturhistorisch von besonderer Relevanz. Unter Denkmalschutz steht nur der alte Schwibbogen, der die Breitenfurter Straße überspannt, und das Mackschlössl (erbaut um 1800). Beide bleiben erhalten.
Problematischer hingegen wird es auf der Breitenfurter Straße: Auf Nr. 529 stand bis Ende 2020 ein hübsch renovierter und original erhaltener Altbau. Das im Heimatschutz-Stil erbaute Gründerzeithaus nahm einen kleinen Teil jenes Areals ein, wo der Orden das Pflegezentrum neu errichten wird.
Dieses Gebäude war erhaltenswert – das sahen auch die Wiener Magistrate so. Die längste Zeit galt hier sogar eine Schutzzone. Diese Schutzzone umfasst(e) den ganzen Kalksburger Ortskern. Aber nur bis 2018.
Umwidmung mit Nebenwirkungen
Die rechtliche Grundlage für die Neubauten schuf die Stadt Wien 2018/2019, als ein großes Areal umgewidmet wurde. Der neue Bebauungsplan wird die Gegend entscheidend verändern:
Die Umwidmung erregte damals schon Unmut in der Bevölkerung, wie die Bezirkszeitung berichtete:
„Leider erhärtet sich bei uns der Verdacht, dass auf dem Grundstück Breitenfurter Straße 539 eine Gefälligkeitswidmung durchgeführt werden soll“, so Heinrich und Maria Hübner, die in der Nachbarschaft wohnen. Und auch Bezirksrat Ernst Paleta (Pro 23) befürchtet, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist.
Rechtlich dürfte aber alles einwandfrei verlaufen sein, denn der neue Flächenwidmungs- und Bebauungsplan trat einige Monate später in Kraft. Schon damals fielen zwei Punkte auf:
(1) Keine Schutzzone für erhaltenswerte Häuser
Bei jeder Umwidmung besteht die Möglichkeit, den Bebauungsplan so einzurichten, dass der historische Häuserbestand möglichst erhalten bleibt. Das ist einerseits durch eine korrekte Angabe der Bauklasse (Bauhöhe) möglich, andererseits durch das Einrichten einer Schutzzone.
Für viele erhaltenswerte Gebäude wurde aber keine Schutzzone festgelegt. Unter anderem für diese:
Nur die wenigsten dieser Gebäude stehen unter Denkmalschutz (Kollegium Kalksburg, Steinhaus). Doch auf eine umfassende Schutzzone für alle Gebäude wurde verzichtet. Dass einige Gebäude denkmalgeschützt sind, ist immerhin ein klarer Hinweis auf die historische Bedeutung dieser Gegend – was die Einrichtung einer Schutzzone nahelegt.
(2) Abrisswidmung für Gründerzeithaus
Das Gebäude in Breitenfurter Straße 529 wurde sogar aus der Schutzzone herausgenommen. Damit haben die Behörden den Ensembleschutz für Kalksburg sogar abgeschwächt.
Bezirk will Schutzzone erhalten
Umwidmungen werden auch in der Bezirksvertretung (dem Bezirksparlament) behandelt. Aus dem Protokoll:
Die Mitglieder der Bezirksvertretung des 23. Bezirkes stimmen dem vorliegenden Planentwurf unter der Bedingung zu, dass die derzeit im aktuell gültigen Plandokument 7246 westlich der Mackgasse festgelegte Schutzzone weiterhin erhalten bleibt. Weiters werden die zuständigen Stellen der Stadt Wien ersucht, die Bebauungsbestimmungen in diesem Bereich unverändert zu belassen.
Die Bezirksparteien stimmten mehrheitlich für die Umwidmung – aber mit Erhalt der Schutzzone. Nur die Grünen sprachen sich gegen die Umwidmung aus (da eine Verschlimmerung der Verkehrsbelastung durch die Neubauten befürchtet wurde).
Dass für viele Gebäude gar keine Schutzzone festgelegt wurde, war also für die Bezirksparteien anscheinend kein Thema. Einzig die Verkleinerung der schon vorhandenen Schutzzone (und damit der Abriss des Gründerzeithauses) wurde kritisiert.
Gemeinderat für Abriss und Neubau
Über Flächenwidmungs- und Bebauungspläne entscheidet letztlich der Gemeinderat (im Rathaus). Dort fand der Plan die Zustimmung von SPÖ, Grünen und FPÖ. Einschließlich der viel zu kleinen Schutzzone. Ob die Gemeinderäte mit den Details dieser Umwidmung überhaupt vertraut waren?
Historisches Gebäude abgerissen
Durch die Verkleinerung der Schutzzone trat ein ungewöhnlicher Fall für das kleine Gründerzeithaus ein:
- Bis 2018 galt es als erhaltenswert, da es in einer Schutzzone stand.
- Mit 2019 soll es plötzlich nicht mehr erhaltenswert sein (Schutzzone entfernt).
- Die 2018 verschärfte Bauordnung sollte auch Gebäude außerhalb von Schutzzonen vor dem Abbruch bewahren.
Der Bauplatz, auf dem das Gebäude stand, gehört zu dem Gebiet, wo das neues Pflegeheim gebaut wird. Tätig ist hier der Orden Caritas Socialis:
Der Pflegestandort der CS Caritas Socialis in Kalksburg soll mit gleicher Platzanzahl langfristig erhalten bleiben. Es ist daher der Abbruch der Bestandsgebäude (ausgenommen Schlößl und Torbogen) und eine Neuerrichtung in zwei aufeinander folgenden Bauphasen (…) vorgesehen.
Dazu das planende Architekturbüro:
Einem achtsamen Vorgehen entspricht zudem die größtmögliche Rücksichtnahme auf die naturräumlichen Gegebenheiten mit dem Ziel, eine große, geschlossene und dauerhaft gesicherte Grünzone zu erhalten. Diese Grünzone soll den Charakter der bestehenden Grünfläche fortführen und deren Freiraumfunktionen weiterhin erfüllen.
Auch das denkmalgeschützte Mack-Schlössel mit der prägnanten Durchfahrt Breitenfurter Straße bleibt in seinem Umfang erhalten, wird revitalisiert sensibel in den Neubau integriert und einer zeitgemäßen Nutzung zugeführt.
Vom Altbau in der Breitenfurter Straße ist hier nichts zu lesen. Dabei machte dieses Gebäude nur einen kleinen Teil des gesamten Baugebiets aus.
Dass der Bau von Pflegeeinrichtungen und Kliniken sehr zu begrüßen ist und keinesfalls verhindert werden sollte, versteht sich von selbst. Doch warum wurde das alte Gebäude nicht in den Neubau integriert? Hätte sich so nicht ein viel schonenderer Umgang mit der Umgebung erreichen lassen? Wie sinnvoll ist es, ein gut erhaltenes Haus ohne Not zu demolieren – gerade in Hinblick auf das Thema Ressourcen?
Behörden geben Gebäude zum Abbruch frei
2018 hat sich die Stadtregierung zum Schutz der historischen Häuser Wiens bekannt:
Gerade für eine moderne und wachsende Metropole ist es wichtig, dass wir unsere schönen und historisch gewachsenen Grätzl bewahren.
2020 scheint das zumindest für Kalksburg nicht mehr zu gelten. Die Baupolizei teilte auf Anfrage mit:
Seitens der MA 19 [Abteilung für Architektur und Stadtgestaltung] wird im Sinne des § 62a Abs. 5a BO hiermit bestätigt, dass an der Erhaltung des (…) Bauwerkes infolge seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild kein öffentliches Interesse besteht.
Die Magistratsabteilung 19 hat mit der Bauordnungsnovelle im Jahr 2018 eine wichtige Aufgabe dazubekommen: Soll ein vor 1945 errichtetes Gebäude abgerissen werden, braucht es die Zustimmung dieser Abteilung. Warum sahen die Beamten das Gründerzeithaus in der Breitenfurter Straße 529 nicht als erhaltenswert?
Ende 2020 erfolgte schließlich der Abriss:
Die Blöcke kommen
Der noch immer dörfliche Charakter Kalksburgs wird sich in den nächsten Jahren stark verändern, besonders an der Breitenfurter Straße. Umso höher die Bedeutung eines Pflegeheims ist, desto bedauerlicher ist es, dass dafür eine vergleichsweise nüchterne Architektursprache gewählt wurde (siehe Renderings unten).
Die Fassadenfront zur Breitenfurter Straße macht keinen besonders hochwertigen Eindruck. Rücksicht auf die Umgebung – z. B. auf das Mackschlössl – nimmt die Architektur nicht. Auffallend unattraktiv sind die Form der Fenster und die grauen Streifen, die den Anschein von Fensterbändern erzeugen. Der höhere Gebäudeteil wirkt in Kombination mit dem zweigeschoßigen Riegel geradezu beliebig.
In einer Seitengasse der Breitenfurter Straße entsteht das neue Anton-Proksch-Institut. Gestaltet von jenem Architekturbüro, das das umstrittene Hochhaus auf den Meidlinger Kometgründen geplant hat (weniger als 500 Meter vom Gelände des Schloss Schönbrunn entfernt).
Die etwas schmaleren hohen Fenster geben den Gebäuden eine gewisse Qualität, auch wenn die beliebige Anordnung der Fenster jeder klassischen Eleganz den Garaus macht (Renderings unten).
Bei beiden Neubauprojekten fällt auf:
- Die Farben Weiß und Grau dominieren, ein wenig aufgelockert durch gelbe bzw. rote Flächen.
- Die Fassaden sind zur Gänze glatt, schmucklos und kaum gegliedert. Klassische Dächer fehlen.
- Rücksicht auf die Umgebung haben beide Architekturbüros nicht genommen. Es sind Gebäude, wie sie überall stehen könnten.
Die Schönheit alter Heilanstalten
Nicht immer wurden Gesundheitseinrichtungen so nüchtern gestaltet wie heute in Kalksburg. Dazu ein kurzer Exkurs in die Vergangenheit:
Um 1900 und im frühen 20. Jahrhundert war die Wiener Medizin weltberühmt. Sigmund Freud (Psychoanalyse), Karl Landsteiner (Blutgruppen) und Theodor Escherich (E.-coli-Bakterium) sind nur drei unter vielen Namen. Auch das bauhistorische Erbe aus jener Zeit ist beachtlich. Ikonen wie Otto Wagner und Josef Hoffmann haben damals Heilanstalten entworfen. Beispiele:
Auch wenn diese Gebäude schmuckvoll gestaltet sind, steht doch die Funktion an erster Stelle. So beschrieb Otto Wagner den von ihm geplanten Pavillon des Wilhelminenspitals mit diesen Worten:
Der künstlerische Teil (…) hatte als Richtlinie die peinlichste Einhaltung der ökonomischen und zwecklichen Bedingungen und die Charakteristik des Hauses ins Auge zu fassen.
Demgemäß wurde alles Überflüssige vermieden und beschränkt sich die Formgebung der Außenerscheinung auf das Zeigen des Materials, auf ein kräftiges Hervortreten des die Fassaden schützenden Hauptgesimses, auf einige Aufschriften und jenen ökonomisch ganz unbedeutenden Schmuck, welcher dem Bauwerke ein freundliches, beinahe freudiges Aussehen geben sollte.
Ob sich diese Prinzipien auch heute noch anwenden ließen? Mit modernen Materialien und an die Erfordernisse unserer Zeit angepasst? Würden dann vielleicht sogar Gebäude entstehen, die auch noch in hundert Jahren einen Wert haben, anstatt alle paar Jahrzehnte durch neue Bauten ersetzt zu werden?
Das alte Kalksburg
Mit dem Gründerzeithaus an der Breitenfurter Straße 529 hat Kalksburg also eines seiner historischen Gebäude verloren. Erhalten sind aber durchaus noch einige andere – und wesentlich interessantere – Gebäude: Neben der Pfarrkirche (erbaut um 1800) und dem Mackschlössl (18. Jahrhundert) vor allem das Kollegium Kalksburg, ein vormaliges Jesuitenkonvikt (19. Jahrhundert).
Seit jeher war die Breitenfurter Straße die wichtigste Durchzugsstraße. Auf den Fotos unten ist zu sehen, wie die heute stark verkehrsbelastete Straße einst nur halb so breit wie heute war. Während der Verkehr heute unter zwei Bögen durchbraust, war ehemals nur ein einzelner Bogen passierbar. Irgendwann nach 1930 wurde eine ganze Häuserzeile demoliert, um die Straße zu verbreitern.
Das dörfliche Ortsbild Kalksburgs ist auch heute noch an vielen Stellen zu sehen. Getrübt wird die pittoreske Ansicht durch den pausenlos durchfahrenden motorisierten Verkehr.
Die Gebäude auf den Fotos oben und unten sind alle unter Denkmalschutz oder in einer Schutzzone. Doch wie das hier besprochene Beispiel in der Breitenfurter Straße zeigt: Wenn ein altes Gebäude im Weg ist, können durchaus Wege gefunden werden, dieses auch wegzubekommen.
Kontakte zu Stadt & Politik
- SPÖ Wien: kontakt@spw.at, Tel. +43 1 535 35 35
- ÖVP Wien: info@wien.oevp.at, Tel. +43 1 51543 200
- Die Grünen Wien: landesbuero.wien@gruene.at, Tel. +43 1 52125
- NEOS Wien: wien@neos.eu, Tel. +43 1 522 5000 31
- FPÖ Wien: ombudsstelle@fpoe-wien.at, Tel. +43 1 4000 81797
(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)
Verfall und Abrisse verhindern: Gemeinsam gegen die Zerstörung! (Anleitung mit Infos und Kontaktdaten)
Quellen und weitere Infos
- Bericht zu Umwidmung (Planentwurf Nr. 8256) in Kalksburg in der Bezirkszeitung: meinbezirk.at/liesing/c-lokales/von-schutzzone-zu-bauland-flaechenwidmung-in-kalksburg-sorgt-fuer-unmut_a2880836
- Die Grünen Liesing zur Umwidmung: liesing.gruene.at/themen/verkehr-und-mobilitaet/fuer-kalksburg-bessere-oeffis-statt-mehr-wohnungen
- Zitat der Stadtregierung zum Schutz historischer Bausubstanz aus der Presseaussendung vom 23. Juni 2018: ots.at/presseaussendung/OTS_20180623_OTS0009/vassilakougaal-stadt-wien-schuetzt-alte-bausubstanz
- Foto Lupus-Pavillon (2011): Thomas Ledl, Lupus Pavillon 3, CC BY-SA 3.0
- Foto ehem. Orthopädisches Krankenhaus Gersthof (2015): Thomas Ledl, Orthopädisches Krankenhaus Gersthof, CC BY-SA 4.0
- Foto Otto-Wagner-Spital (2018): Geolina163, Otto-Wagner-Spital Baumgartner Höhe 06, CC BY-SA 4.0
- Foto Sanatorium Purkersdorf (2014): Thomas Ledl, Purkersdorf Sanatorium Ostseite, CC BY-SA 3.0 AT
- Infos zum Sanatorium Purkersdorf: purkersdorf-online.at/kultur/sanatorium.php3, jugendstilwien.at/ort/sanatorium-purkersdorf-in-der-wiener-str-64-66-3002-purkersdorf-oesterreich/, de.wikiarquitectura.com/geb%C3%A4ude/sanatorium-purkersdorf/
- Zitat von Otto Wagner in: Die Neuen Kliniken des Wiener Allgemeinen Krankenhauses. Situierung – Bautypen – Formensprache, Monika Keplinger, Dissertation, 2010, S. 239
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