Am Kempelenpark im 10. Bezirk wird ein neues Wohngebiet errichtet. Den neuen Häusern muss ein Gebäudekomplex weichen, der erst in den 1980ern errichtet wurde. Warum wurde nicht auf Umbau, Sanierung und Aufstockung gesetzt, um Ressourcen zu sparen?
Bürokomplex weicht Neubauten
Die Kreta ist ein Bezirksteil von Favoriten, der zwischen der Ankerbrotfabrik und den Gleisen der Ostbahn liegt. Einst durch Armut geprägt und auch in der jüngeren Vergangenheit noch als sozialer Brennpunkt bekannt, ist die Kreta heute im Wandel. Einen Anteil daran wird das Bauprojekt auf den ehemaligen Gründen der Firma Siemens haben. Die vor allem aus den 1980ern stammenden Gebäude, in denen früher rund 2400 Menschen arbeiteten, werden dabei vollständig abgerissen.[1]
Gebäude aus den 1980ern
Ab 1986 wurden die meisten Gebäude am Areal errichtet. Nach nicht einmal 40 Jahren Lebensdauer fahren die Abrissbagger auf. Damit stellt sich die Frage nach dem verantwortungsvollen Umgang mit den in den Gebäuden gespeicherten Ressourcen (graue Energie), da die „Erhaltung von Gebäuden im Allgemeinen zu geringeren Emissionen führt als ein Neubau.“ Selbst eine Sanierung ohne zusätzliche Fassadendämmung kann eine bessere CO²-Bilanz aufweisen als ein Abriss mit anschließendem Neubau.[4]
Die Sanierung und Neunutzung von Gebäuden stellt eine ökologische Einsparung gegenüber Abriss und Neubau dar. Es kann „zwischen 10 und 80 Jahren dauern, bis ein neues, energieeffizientes Gebäude durch einen effizienteren Betrieb die negativen Auswirkungen auf den Klimawandel, die während des Bauprozesses entstanden sind, überwunden hat.“[5]
Neues Wohnquartier wird errichtet
Das Areal wird künftig als Wohngebiet dienen:
Der bislang reine Gewerbestandort soll nachverdichtet und im Rahmen der weiteren Projektentwicklung durch für diesen Standort passende Nutzungskombination von Wohnen und Gewerbe aufgewertet werden. Der Nutzungsschwerpunkt liegt auf Wohnen, wobei umgerechnet zwei Drittel der Wohnflächen dabei dem geförderten Wohnbau zur Verfügung gestellt werden. [1]
Insgesamt werden 1100 Wohnungen gebaut.[2] Damit wird an die großvolumige Bebauung im nahen Sonnwendviertel angeschlossen. Auch andere Nutzungen als Wohnen werden berücksichtigt:
Ein Baufeld mit reiner Gewerbenutzung sowie Geschäftsflächen in den Sockelzonen der anderen Gebäude schaffen Platz und die geeigneten Rahmenbedingungen für die Ansiedelung verschiedenster Betriebe. Das Quartier wird durch attraktive, unterschiedlich nutzbare Erdgeschoßzonen belebt und überdies die Nahversorgung vor Ort deutlich verbessert. [3]
Angesichts des Abrisses ist der Verweis auf einen vorgeblich ressourcenschonenden Umgang, wie auf der Webseite der Stadt Wien zu lesen, nicht ganz nachvollziehbar:
Zentral für das neue Stadtviertel ist der schonende Umgang mit Ressourcen, die Anpassung an die Klimaerwärmung, umweltfreundliche Mobilität und viel Grün- und Freiraum. (…)
Ein Architekturwettbewerb wurde 2023 durchgeführt. Derzeit werden die ersten Abbrucharbeiten unter Beachtung von Aspekten der Kreislaufwirtschaft (Weiterverwendung von Materialien aus alten Gebäuden) durchgeführt. [2]
Wo liegen die Prioritäten?
Eine Stadt ist ein komplexes System, das in ständiger Veränderung begriffen ist. Unterschiedliche gesellschaftliche Tendenzen, Notwendigkeiten und politische Zielsetzungen treffen auf ein sich wandelndes wirtschaftliches Umfeld und einen laufend weiterentwickelnden rechtlichen Rahmen. Eine stark wachsende Stadt wie Wien muss für die Schaffung neuen Wohnraums sorgen, um einem Überschießen der Mietpreise entgegenzuwirken. Gleichzeitig gilt es, sorgsam mit Boden und unversiegelter Fläche umzugehen, also nicht zu niedrig und zu weitflächig zu bauen. Bei jeder Entwicklung muss auch auf den Verkehr geachtet werden, denn wird am Stadtrand gebaut, ist eine Zunahme des Autoverkehrs mangels Öffi-Anbindung die logische Folge. Nicht zuletzt gilt es, die bestehende Stadt zu bewahren, sprich: Erhalt von stadtbildprägenden Gebäuden und von in Gebäuden gespeicherten Ressourcen. All das ist dann freilich noch unvermeidlich durchzogen von wirtschaftlichen Interessen auf allen Ebenen.
Wie diese Prioritäten gewichtet werden, wird stets vom Einzelfall abhängen. Wenn im Falle des Kempelenparks entschieden wurde, dass man die Fläche vor allem für dringend benötigten Wohnraum nutzen will, ist das nachvollziehbar. Entscheidend ist aber: Hätte sich diese Zielsetzung nicht auch unter der Prämisse des nachhaltigen Umgangs mit den Bestandsgebäuden erreichen lassen – d.h. Umbau, Sanierung und Aufstockung statt Abriss und Neubau? Wurde diese Option ernsthaft erwogen oder nicht? Wenn ja, warum wurde der Gebäudekomplex trotz des jungen Baualters als nicht adaptierbar eingeschätzt? Wenn nein, wie kann die Stadt dann von sich behaupten, eine „Klimamusterstadt“ zu sein?
Abrisse
2024 wurde ein langer Trakt an der Quellenstraße abgerissen:
Auch von einem weiteren Gebäude ist Anfang 2025 nichts mehr zu sehen:
Viel Fläche hinter viel Waschbeton
Der große Gebäudekomplex zeichnet sich durch zahlreiche Abstufungen und Rücksprünge aus, was dem Komplex etwas von seiner farb- und materialbedingten Monotonie nimmt. Interessant angeordnet und integriert sind die – sofern diese Beobachtung korrekt ist – Türme für Lifte und/oder Stiegenhäuser. Die Waschbetonfassade betont die Vertikale, die Fenster sind in einem strengen Raster angeordnet. Man stelle sich hier Fassadenbegrünung vor, Pflanzengefäße vor den Fenstern, angehängte Balkone, neue Dachkonstruktionen aus Holz und bunte Bemalung. Die nüchterne Architektur der 1980er hätte als Ausgangspunkt für eine vielfältige und verspielte Erweiterung dienen können.
Umbau statt Abriss: Beispiele
In Wien finden sich unzählige Beispiele von Altbauten, die modernisiert wurden und neu genutzt werden. Aber auch deutlich jüngere Gebäude lassen sich adaptieren. Ein architektonisch herausragendes Beispiel ist das ehemalige Studentenheim in der Lerchenfelder Straße (8. Bezirk), das zu einem Hotel umgebaut wurde. Die Fassade aus den 1960ern blieb dabei erhalten, das Gebäude wurde auf zeitgemäße Weise aufgestockt.
Weitere Umbau-Beispiele:
Kontakte zu Stadt & Politik
- SPÖ: kontakt@spw.at, Tel. +43 1 535 35 35
- ÖVP: info@wien.oevp.at, Tel. +43 1 51543 200
- Die Grünen: landesbuero.wien@gruene.at, Tel. +43 1 52125
- NEOS: wien@neos.eu, Tel. +43 1 522 5000 31
- FPÖ: ombudsstelle@fpoe-wien.at, Tel. +43 1 4000 81797
(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)
Verfall und Abrisse verhindern: Gemeinsam gegen die Zerstörung! (Anleitung mit Infos und Kontaktdaten)
Quellen
- [1] Am Kempelenpark – Städtebauliches Leitbild (2019)
- [2] Am Kempelenpark – Neues Quartier für Favoriten (Stadt Wien)
- [3] Am Kempelenpark (Webseite des Projekts)
- [4] Circular Construction In Regenerative Cities (CIRCuIT) (Projekt von 2019-2023), S. 1-3 [11]
- [5] The greenest building: Quantifying the environmental value of building reuse (National Trust for Historic Preservation (USA), 2011/2012), S. VI
- Foto Triester Straße 64: Thomas Ledl, Philips-Haus, Triester Straße 64 V2, CC BY-SA 4.0
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