Seeparkquartier: Oasen für die Asphaltwüste

2020 wurde die Fußgängerzone im Seeparkquartier der Seestadt Aspern angelegt. Das Resultat: eine graue Asphaltfläche. Die Kritik an der Gestaltung war so laut, dass in den Folgejahren schon wieder nachgebessert werden musste. Bäume, Grünflächen und Wasserspiele sind dazugekommen, der Asphalt hingegen ist geblieben. Eine komplette Neugestaltung wäre wohl besser gewesen.

Fußgängerzone in einem Neubaugebiet in Wien, Bäume, Leute, Gebäude, U-Bahn-Trasse
Die Fußgängerzone im Seeparkquartier wurde nachträglich begrünt. (Foto: 2024)

Fehlplanung im Herzen der Seestadt

Ein „urbaner Aufenthalts- und Bewegungsraum“, eine „zügige und attraktive Wegeverbindung“ sollte er werden.[6] Geworden ist der öffentliche Raum im Seeparkquartier im Wesentlichen eine Asphaltfläche mit einigen Bäumen. Das entspricht so auch dem Ergebnis eines Architekturwettbewerbs. Gewonnen hatte das Büro Rotzler Krebs Partner GmbH, das über die Fußgängerzone im Seeparkquartier schreibt:

Nach einer kritischen Lektüre der vorhandenen Vielfalt an Gestaltungsansätzen in der Seestadt schlagen wir für das zentrale Seeparkquartier eine zurückhaltende Freiraumgestaltung vor: ein vielversprechender Möglichkeitsraum; subtil und bewusst mehrdeutig. Das organische Platz- und Gassengeflecht zeichnet sich durch eine kontinuierliche Belagsausbildung und einen urban konnotierten Materialkanon mit Asphalt, Granit, Kies und Gusseisen aus. [5]

Was sich blumig anhört, schädigt in der Realität die städtebaulich hervorragende Planung des Quartiers, denn die Anordnung der Gebäude ist durchdacht, Monotonie wird in Bezug auf Bauhöhen und Abstufungen vermieden. Zwar ist die Tristesse einiger Fassaden gewöhnungsbedürftig, doch wurde immerhin auf die Erdgeschoßzonen und Geschäftsflächen geachtet. Ein gut geplanter und detailreich gestalteter öffentlicher Raum hätte die Vorzüge des Quartiers weiter stärken können. Freundlich, einladend und grün, um über die Seestadt hinaus zu strahlen.

Gekommen ist es ganz anders. „Gerhard Schuster, Vorstand der Entwicklungsgesellschaft Wien 3420 Aspern Development AG, argumentiert die Vorgangsweise (…) damit, dass man im Seeparkquartier auch zahlreiche Flächen etwa für Märkte oder Feste vorgesehen habe.“[4] Sind Märkte auf hochwertigen Bodenbelägen und zwischen Bäumen nicht möglich?

Das durchwachsene Ergebnis war schon vor Baubeginn absehbar. Einsicht hatte der Errichter, die Aspern Development AGdamals nicht gezeigt. WienSchauen hat den Wettbewerb und das Ergebnis in einem Artikel dokumentiert. So sah es kurz vor der Fertigstellung im Seeparkquartier aus:

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Öffentlicher Raum in der Seestadt Aspern: Simone-de-Beauvoir-Platz (Foto: August 2020)

Mehr Grün auf dem Grau

Der zentrale öffentliche Raum im bekanntesten Stadtentwicklungsgebiet Wiens; eine Fußgängerzone mit vielen Geschäftsflächen; ein Freiraum, der alleine durch die umgebenden Gebäude und ihre Höhe prominenten Charakter hat – das Seeparkquartier ist kein beliebiges Neubaugrätzl. Die landschaftsplanerische Peinlichkeit konnte die Stadt schwerlich auf sich sitzen lassen. Es wurde nachgebessert. 2022 wurden „25 neue XXL-Bäume und 1.000 Quadratmeter neue Stauden- und Gräserbeete“ eingesetzt.[1] Im Folgejahr kamen noch „12 neue XXL-Bäume, 9 Grünbeete und 4 Wasserspiele“ dazu.[2]

Seestadt Aspern, Baustelle
Der Wangari-Maathai-Platz wurde begrünt. (Foto: 2023)

Die mangelnde Begrünung des öffentlichen Raums ist auch in anderen Teilen der Seestadt ein Thema, worauf die Bürgerinitiative SeeStadtgrün in einer Petition aufmerksam gemacht hat: „Es sind überwiegend hochverdichtete Schotterflächen, die zwar in der Statistik als Grünraum zählen, aber in der Realität keine Pflanzen auf ihrer Oberfläche wachsen. Sie heizen sich im Sommer stark auf, erhöhen die Feinstaubbelastung und lassen nur eine minimale Menge Regenwasser versickern, was auch das Wachstum der Bäume in diesen Flächen beeinträchtigt.“[7]

Karte mit Grünflächen in der Seestadt Aspern
Seeparkquartier (Karte: © ViennaGIS, Stand: 2024, Bearbeitung: Georg Scherer)

Ein neuer Architekturwettbewerb wurde für den nachträglichen Umbau des Seeparkquartiers nicht abgehalten. Die Stadt hat selbst gebaut und zum großen Teil auch selbst bezahlt.[3] Das Ergebnis wurde im Rahmen der Aktion „Raus aus dem Asphalt“ als Fortschritt verkauft. Preisgünstiger wäre es gekommen, das Problem schon frühzeitig, also in der Planungsphase, erkannt und behoben zu haben.

Der noch neue Asphalt wurde beim Umbau wieder aufgeschnitten, was dauerhafte Spuren hinterlassen hat:

Begrünung nach Fehlplanung

Die folgende Fotostrecke zeigt, wie sich die Fußgängerzone im Seeparkquartier durch den nachträglichen Umbau verändert bzw. nicht verändert hat.

Neue Grünflächen

Auf den zentralen Plätzen der Fußgängerzone wurden neue Grünflächen angelegt und weitere Bäume gepflanzt. Die hinzugefügten Wasserspiele mögen Kindern Freude bereiten, ihre Effektivität zur Reduktion von Hitze darf aber bezweifelt werden.

Nicht überall umgebaut

In den Seitengassen dominieren nach wie vor weite Asphaltflächen. Die Bäume entstammen noch der ursprünglichen Planung.

Asphalt ist geblieben

Weitgehend unverändert im gesamten Seeparkquartier ist der Bodenbelag. Der Asphalt ist fast überall geblieben, nur an einigen Stellen wurde gepflastert. Das Ausmaß an Versiegelung entspricht damit dem Durchschnitt der meisten Straßen in Wien: Gehsteige aus Asphalt, Parkplätze aus Asphalt, Fahrbahnen aus Asphalt (siehe Artikel). Das fällt außerhalb von Fußgängerzonen oft nur deswegen nicht auf, weil parkende Autos die Sicht auf den Asphalt verstellen.

Mit weitem Vorsprung vor Pflasterflächen (orange) ist Asphalt (gelb) der am meisten genutzte Belag für Verkehrsflächen im Seeparkquartier.

Karte mit Bodenbelägen im Seeparkquartier der Seestadt Aspern
Seeparkquartier (Karte: © ViennaGIS, Stand: 2024, Bearbeitung: Georg Scherer)

Asphalt ist in mehrerlei Hinsicht ein Problem:

  • Er speichert Wärme sehr stark, was die Bildung von urbanen Hitzeinseln fördert.
  • Asphalt versiegelt den Boden, sodass Regenwasser nicht ins Erdreich sickern kann, wo die Bäume wurzeln.
  • Die Ästhetik entspricht eher einem Autobahn-Parkplatz anstatt einem freundlichen urbanen Platz.
  • Bei Bauarbeiten im Untergrund muss der Belag immer wieder aufgeschnitten und neu verlegt werden. Es entsteht die Optik eines Flickenteppichs, wie im Seeparkquartier bereits zu sehen.
Fußgängerzone im Seeparkquartier der Seestadt Aspern, Brunnen, Bäume, Grünflächen, Asphalt
Eva-Maria-Mazzucco-Platz (Foto: 2024)

Schaltkästen: Ging es nicht ohne?

Eine weitere Planungsschwäche: Wie überall in Wien sind auch im Seeparkquartier Schaltkästen für elektrische Leitungen aufgestellt (Glasfaserkabel?). Anstatt die Chance zu nutzen und die technische Infrastruktur unterhalb der Oberfläche anzuordnen und mittels Kollektorgängen (Sammelkanälen) zugänglich zu halten, wurde auf eine veraltete Planung gesetzt. So ist zu befürchten, dass bei jeder Neuverlegung alles aufgegraben werden muss. So wird die Asphaltdecke mit der Zeit immer unansehnlicher.

Schaltkasten vor einem Haus mit Holzfassade, Sessel, Grünflächen, Bäume, Schaufenster
Schaltkasten am Simone-de-Beauvoir-Platz (Foto: 2024)

Besser planen auf Niederländisch

Jetzt ein Blick weg von Wien und hin in die Niederlande. In der Gestaltung des öffentlichen Raums, der Verkehrsorganisation und in der neuen Architektur zeigen sich zum Teil markante Unterschiede gegenüber Wien.

  • Architektur: In den Niederlanden entsteht mitunter spektakuläre neue Architektur; ebenso Wohnhäuser, die an lokale Traditionen anschließen und sich ins Umfeld einpassen. Letzteres auch deswegen, da es Gestaltungsbeiräte gibt, die Entwürfe bewerten und genehmigen. In Wien hingegen muss interessante neue Architektur mit der Lupe gesucht werden; es dominieren Wohnhäuser, die bloß das Minimum des Baugesetzes erfüllen. Für Politik, Behörden, Architekten und Bauherren ist es hierzulande etwas völlig Normales, wenn ohne Berücksichtigung der Umgebung neu gebaut wird; es werden Brüche produziert, deren Mehrwert sich nicht erschließt. Nicht selten wird sichtlich billig gebaut – gerade im privaten Sektor. Immerhin kann Österreich, vor allem Wien, im sozialen Wohnbau gehörig punkten, während in den Niederlanden hohe Wohnungspreise ein Problem sind und neidisch nach Wien geblickt wird. Die Qualität im sozialen Wohnbau ist in Wien oft deutlich höher als im freifinanzierten.
  • Bodenbelag: In Wien ist Asphalt der Standardbelag für Fahrbahnen, Gehsteige, Parkplätze und Radwege. In den Niederlanden sind Pflasterbeläge aus Stein und Klinker häufig zu finden.
  • Begrünung ist in den Niederlanden vielerorts sehr präsent. Viele Gemeinden erlauben private Begrünung im öffentlichen Raum (Grünstreifen vor Fassaden). In Wien hingegen gibt es immer noch ganze Straßenzüge ohne Bäume. Erst in den letzten Jahren ist die Politik sichtlich aktiv beim Begrünen des öffentlichen Raums.
  • Radverkehr: In den Niederlanden hat das Fahrrad einen hohen Stellenwert; Radwege sind klar erkennbar, oft baulich ausgeführt und meist farblich hervorgehoben. Sie reichen über Gemeindegrenzen hinweg. In Wien wird erst seit einiger Zeit an einem brauchbaren Radwegnetz gebaut; das Ausbautempo ist beachtlich, die Qualität passt aber im Detail nicht immer.

Utrecht

Viele Straßen, Gassen und Plätze sind begrünt (siehe Artikel). Asphalt ist vor allem auf Fahrbahnen höherrangiger Straßen verlegt, nicht aber in Fußgängerzonen und auf Plätzen.

Im Stadtentwicklungsgebiet Leidsche Rijn findet sich ein durchdacht geplanter zentraler Platz. Die von Läden und Gastronomie umgebene Freifläche hat Bäume und Wasserspiele in der Mitte. Dass durchaus freier Platz gelassen wurde und nicht jeder Quadratmeter mit Gegenständen oder größeren Grünflächen besetzt ist, erweist sich als Vorteil: Die Freifläche kann unterschiedlich genutzt werden, während die Bäume Schutz vor Hitze bieten. Der Bodenbelag in der Mitte ist wahrscheinlich wasserdurchlässig.

Alkmaar

In der über 100.000 Einwohner großen Stadt finden sich vielerorts versickerungsfähige Bodenbeläge. Erstaunlich ist, wie zum Beispiel ein bloßer Parkplatz (Foto unten) materiell und fachmännisch hochwertiger ausgeführt ist als die zentrale Fußgängerzone in Wiens größtem Stadtentwicklungsgebiet.

Parkplatz mit Klinkerpflaster, Autos
Kwerenpad in Alkmaar (Foto: 2024)

Delft

Im Stadtentwicklungsgebiet am Bahnhof (siehe Artikel) wird viel Wert auf attraktive Architektur und öffentliche Räume gelegt.

Amsterdam

Die folgenden Fotos sind aus den Neubaugebieten der niederländischen Hauptstadt.

Leiden

Haarlem

Den Haag

Kontakte zu Stadt & Politik

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Die Bezirksvorstehungen sind die politischen Vertretungen der einzelnen Bezirke. Die Partei mit den meisten Stimmen im Bezirk stellt den Bezirksvorsteher, dessen Aufgaben u.a. das Pflichtschulwesen, die Ortsverschönerung und die Straßen umfassen.

+43 1 4000 81261
 
Vizebürgermeisterin und Stadträtin Kathrin Gaál untersteht die Geschäftsgruppe Wohnen. Zu dieser gehören u. a. die Baupolizei (kontrolliert die Einhaltung der Bauvorschriften u. dgl.), Wiener Wohnen (Gemeindewohnungen) und der Wohnfonds (Fonds für Neubau und Sanierung).

(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)

Quellen

Fotos

  • Amsterdam Zuid (2022): Nanda Sluijsmans, CC BY-SA 2.0
  • Amsterdam Zuid (2021): Nanda Sluijsmans, CC BY-SA 2.0
  • Zuidplein (2021): Nanda Sluijsmans, CC BY-SA 2.0
  • Park Spoorloos (2020): Nanda Sluijsmans, CC BY-SA 2.0
  • Sofern nicht anders gekennzeichnet sind alle Fotos auf dieser Webseite © Georg Scherer / wienschauen.at

WienSchauen.at ist eine unabhängige, nicht-kommerzielle und ausschließlich aus eigenen Mitteln finanzierte Webseite, die von Georg Scherer betrieben wird. Ich schreibe hier seit 2018 über das alte und neue Wien, über Architektur, Ästhetik und den öffentlichen Raum.

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