Das Gründerzeithaus in der Lacknergasse 31 darf abgerissen werden. Die Behörden halten das Gebäude für abbruchreif. Letztlich hat wohl der Bebauungsplan – ein viel höherer Neubau ist erlaubt – dazu beigetragen, dass es in Richtung Abriss statt Sanierung geht.
Dieser Artikel wurde am 28.6.2023 aktualisiert.
Höherer Neubau - Altbau kommt weg
Durch die Bebauungspläne legt die Stadt Wien fest, was wo und wie hoch gebaut werden darf. Das mächtige Instrument bestimmt somit auch den Wert von Grundstücken. Ausgearbeitet werden Flächenwidmungs- und Bebauungspläne von den Behörden (MA 21), beschlossen vom Gemeinderat.
Mit den Bebauungsplänen wird indirekt auch beschlossen, welche Häuser eher erhalten und welche eher abgerissen werden. Mittels Schutzzonen und einer exakten Höhenwidmung (bis hin zur Beschränkung der Zahl der Regelgeschoße) können Gebäude vor dem Abbruch bewahrt werden. Ein Neubau wird dann nämlich unattraktiv. Wird zugleich der Dachausbau flexibel erlaubt, lassen sich zwei wichtige Ziele kombinieren: der Erhalt des Bestandes und der maßvolle und verträgliche Bau neuer Flächen.
Der Fall des Altbaus in der Lacknergasse 31 ist typisch: Der Bebauungsplan erlaubt einen hohen Neubau, eine Ortsbild-Schutzzone gibt es weit und breit nicht. Dass überhaupt noch so viele alte Häuser in diesem Teil von Hernals erhalten sind, ist eher dem Zufall geschuldet. Die Botschaft der Politik: Dieser Teil Wiens darf ungehindert niedergerissen werden. Das ist zumindest die Konsequenz aus dem 2004 beschlossenen Bebauungsplan, der bis heute gilt. Der damals dafür zuständige Planungsstadtrat war Rudolf Schicker, Bürgermeister war Michael Häupl (beide SPÖ).
Lacknergasse 31: Alte Fassade erhalten
Das hochdekorierte gründerzeitliche Gebäude ist Teil eines gut erhaltenen Ensembles. Die Quaderung in der Erdgeschosszone, die Gesimse, Fenstereinfassungen und Verdachungen, sowie die Holzkastenfenster sind noch vollständig vorhanden und stellen ein wertvolles Zeugnis aus der Entstehungszeit dar. Die Geschichte des Bezirks kann anhand von derartigen Häusern, welche noch sämtliche bauzeitliche Details aufweisen, ablesbar bleiben.
Altbauten plötzlich abbruchreif?
Mit einer Gesetzesänderung im Jahr 2018 sollten die abrissfördernden Bebauungspläne wohl mit einem Schlag quasi ausgebessert werden. Eine Abriss-Genehmigungspflicht für vor 1945 erbaute Häuser wurde eingeführt. Auf diese Weise sollten erhaltenswerte Gebäude geschützt sein. So hatte auch das Haus in der Lacknergasse trotz fehlender Schutzzone noch eine Chance.
Die Differenz zwischen Widmung und Baugesetz hat aber Konsequenzen. Auf etlichen Grundstücken mit Abrisswidmungen (d. h. hoher Neubau und/oder viele niedrige Geschoße möglich) stehen plötzlich erhaltenswerte Häuser. Die Folgen: Entweder werden Altbauten so extrem aufgestockt, dass fast nichts mehr von ihnen übrigbleibt (im Extremfall nur eine einzelne Fassade). Oder Eigentümer beantragen Abbrüche aufgrund angeblicher Abbruchreife. Abbruchreife bedeutet, dass ein Haus mit den errechneten Mieteinnahmen nicht mehr sanierbar sei. Dabei handelt es sich freilich um rein fiktive Zahlen, die überdies mit dem eigentlich Wert des Grundstücks nichts zu tun haben. Ermittelt wird die Abbruchreife – soweit bekannt – durch von Eigentümern beauftragte Privatgutachten, die von der Behörde akzeptiert werden. Die Gutachten werden von der MA 25 geprüft, Abbrüche von der MA 37 genehmigt. Beide gehören zum Wohnbauressort von Stadträtin Kathrin Gaál (SPÖ).
An Gutachten und Abbruchverfahren gibt es häufig Kritik, etwa im Fall der Villa in der Pötzleinsdorfer Straße 90 (18. Bezirk). Weitere rezente Fälle von Abbruchreife: Hohenbergstraße 18 und Pohlgasse 36 (12. Bezirk), Rohrbacherstraße 29 (13. Bezirk), Linzer Straße 83 (14. Bezirk), Sperrgasse 13 und Rosinagasse 10-14 (15. Bezirk), Gentzgasse 4 (18. Bezirk).
Abriss Ende Juni 2023
Drei Wochen nach dem Erscheinen dieses Artikels wurde das Gebäude abgerissen.
Das Ensemble mit den Nachbarhäusern ist zerstört worden.
Winkt Wohnbauressort Abrisse durch?
Im April 2023 startete das Wohnbauressort medienwirksam die „Offensive Altbautenschutz“. Stadträtin Kathrin Gaál (SPÖ):
Die über 30.000 Altbauten der Stadt prägen seit Generationen das einzigartige Erscheinungsbild der Donaumetropole Wien. Sie spiegeln aber nicht nur die reiche Geschichte der Stadt wider. Denn der Schutz von Altbau ist gleichzeitig der Schutz von dringend notwendigem leistbaren Wohnraum.
Im Mai 2023 wurde angekündigt, dass die Initiative noch ausgeweitet wird. Wiederum Stadträtin Gaál:
Das bestehende Regulativ, die nun erfolgte Forcierung der Kontrolle und die geplante Einführung eines regelmäßigen Checks der Instandsetzungsmaßnahmen garantieren den langfristigen Fortbestand der Wiener Gründerzeithäuser
Was dabei nicht gesagt wird: Das Wohnbauressort erlaubt offenbar leichtfertig Abrisse wegen angeblicher Abbruchreife. Im Gemeinderat hat Georg Prack (Grüne) Details über die Abbruchreife erfragt. Die Antwort lässt aufhorchen: Viele Abrissansuchen von nachweislich erhaltenswerten Häusern wurden von der Baubehörde genehmigt. Auch die Adresse Lacknergasse 31 scheint in dieser Liste auf.
Einmal mehr wird deutlich, wie völlig unzureichend die gesetzlichen Schutzmaßnahmen sind (z. B. Erhaltungspflicht), wie leicht Abbrüche möglich sind (Abbruchreife per Privatgutachten erlaubt) und wie eklatant es an Sanierungsförderungen mangelt (auch um die Differenz auf die Sanierbarkeit zuzuschießen, z. B. mittels Altstadthaltungsfonds).
In der Nähe – ebenfalls Hernals – steht übrigens ein weiteres Haus vor dem Abriss: Leitermayergasse 24 (Foto unten).
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Quellen
- Gaál/Cech/Hillerer: Offensive Altbautenschutz wird ausgeweitet (Presseaussendung, 9.5.2023)
- Gaál/Cech/Hillerer: „Offensive Altbautenschutz“ startet (Presseaussendung, 16.4.2023)
- Zahlen zur wirtschaftlichen und technischen Abbruchreife (Anfrage von Georg Prack (Grüne), 33. Sitzung des Gemeinderates vom 25.1.2023)
- Zahlen zur wirtschaftlichen und technischen Abbruchreife (Antwort von Kathrin Gaál (SPÖ), 36. Sitzung des Gemeinderates vom 23.3.2023)
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