Alsegger Straße 35: Wird erhaltenswerte Villa abgerissen?

Die 1895 erbaute Villa wurde von der Architekturbehörde als erhaltenswert eingestuft. Trotzdem will der Eigentümer das Gebäude abreißen. Das Dach und ein Holzaufbau wurden bereits entfernt. Die Bausubstanz ist der Witterung schutzlos ausgesetzt. Wieder einmal erweist sich der Wiener Altbau-Schutz als komplett unbrauchbar.

Dieser Artikel wurde im November 2024 aktualisiert.

Villa aus der Jahrhundertwende in Wien-Währing, Gebäude mit entferntem Dach, historische Fassade
Alsegger Straße 35: Das Dach der Villa wurde entfernt, ein Abbruchverfahren läuft. (Foto: April 2023)

Jahrhundertwende-Villa

Es ist zu einer traurigen Normalität geworden: Häuser sind durch Schutzzonen oder durch ihr Alter eigentlich baurechtlich geschützt. Trotzdem kommt es immer wieder zu Verfall und Abrissen, meist aufgrund von angeblicher „Abbruchreife“. Diese durch Privatgutachten zu belegende „Umgehung“ des Abriss-Schutzes ist eine klaffende Lücke im Wiener Baurecht, die immer noch nicht repariert ist.

Währing ist gleich mehrfach betroffen: Nach dem Abriss eines Biedermeierhauses (Gentzgasse 4) und einer Historismus-Villa (Pötzleinsdorfer Straße 90) ist eine prachtvolle Jahrhundertwende-Villa in Gefahr. Die Villa in der Alsegger Straße 35 ist ein Werk des Architekten Paul Oberst (1851-1910), der aus Währing stammte und dort zahlreiche Häuser plante. Sie erschien anfangs sogar als Positivbeispiel, wie die Behörden durch eine 2018 beschlossene Gesetzesnovelle Abrisse effektiv verhindern können. 2021 berichtete das Bezirksblatt:

Vor einem Abbruch hat die MA 19 (Abteilung für Architektur und Stadtgestaltung) kürzlich ein Architekturjuwel in Währing gerettet. Man kam zum Schluss, dass das Haus „kulturgeschichtlich relevante Merkmale“ aufweist und der Erhalt im öffent­lichen Interesse liegt. „Ich bin froh, dass die MA 19 hier mit ihrer Fachexpertise zur Stelle ist und sich auch um den historischen Bestand kümmert“, so Planungsstadträtin Ulli Sima.

Die Freude von Stadträtin Sima dürfte sich inzwischen getrübt haben, denn von einem sicheren Erhalt kann 2023 keine Rede mehr sein.

alte Aufnahme der Villa in der Alsegger Straße 35
Alsegger Straße 35 im ursprünglichen Zustand (Foto: 1998, MA19/Stadt Wien)

Teilabriss trotz Erhaltungswürdigkeit

Obwohl das 1895 errichtete Gebäude von der Architekturbehörde als erhaltenswert eingestuft und der Abbruch untersagt worden ist, wurden das Dach und ein kunstvoller hölzerner Aufbau entfernt. Die Bausubstanz ist dadurch – wie beim Biedermeierhaus in der Schönbrunner Straße 276 – der Witterung schutzlos ausgesetzt. Das Bezirksblatt berichtete im April 2023:

Dem Haus fehlt mittlerweile das schützende Dach und bei Regen fließt das Wasser bis in das Erdgeschoß hinunter. Offenbar bereitet der Eigentümer die „wirtschaftliche Abbruchreife“ vor. Eine Sanierung würde dann nämlich nicht mehr leistbar sein. Allerdings ist jetzt noch die Baupolizei am Zug, die sich bisher aber um das Haus nicht sonderlich angenommen hat.

Angesichts dieser Vorgänge erscheint die Ankündigung von Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál (SPÖ) kaum ernst zu nehmen, wenn sie mit der Baupolizei im April 2023 eine „Offensive Altbautenschutz“ ausruft, um „Gründerzeithäuser vor dem Verfall zu bewahren“.

Altbau in Währing nach Teilabriss
Alsegger Straße 35 mit entferntem Dach (Foto: April 2023)

Firma ist Eigentümer

Auf dem Haus war längere Zeit ein Plakat zu sehen, mit dem für den Verkauf geworben wurde. Die Liegenschaft ist derzeit (Stand: April 2023) im Eigentum der Alsegger Straße 35 Projektentwicklung GmbH. Das Unternehmen gehört zur Hälfte der Steinbauer Bau- und Immobilientreuhand GmbH. Die andere Hälfte gehört der REKO Holding GmbH, die zu einer Firma für Beschichtungstechnik und Malerarbeiten gehört.

Der Zustand des Hauses im Jahr 2021 – vor dem teilweisen Abriss:

Haus mehrmals verkauft

Seit 2022 scheint die Alsegger Straße 35 Projektentwicklung GmbH als Eigentümer auf. Die Firma kaufte die Liegenschaft von der Realfortis GmbH um einen niedrigen Millionenbetrag. Die Realfortis GmbH wiederum kaufte das Gebäude 2019 von einer Privatperson um einen etwas niedrigeren Betrag (Differenz Kauf/Verkauf ohne Steuern und Gebühren: 550.000 Euro). Diese Privatperson kaufte das Gebäude 2015 von einer anderen Privatperson (Differenz Kauf/Verkauf ohne Steuern und Gebühren: 975.000 Euro). Der Verkaufspreis ist binnen sieben Jahren um mehr als das Dreifache gestiegen.

Fassade einer Villa aus der Jahrhundertwende in Wien-Währing
(Foto: April 2023)

Abriss per Gericht?

Einige Details über das Haus finden sich in einer Antwort des SPÖ-geführten Wohnbauressorts auf eine Anfrage der Grünen. Wohnbausprecher Georg Prack hatte Details über die Abbruchreife erbeten, die sonst nicht öffentlich bekanntgemacht werden. Beim Haus in der Alsegger Straße 35 stützte sich die Behörde, wie in anderen Fällen, auf Privatgutachten:

Es ist in allen angeführten Fällen wie im Merkblatt über die wirtschaftliche Abbruchreife vorgesehen, ein Gutachten seitens der Bewilligungswerber*innen übermittelt worden und von der MA 25 überprüft worden.

Ergänzende externe Gutachten durch unabhängige Sachverständige wurden nicht eingeholt, aber ein Gutachten der Behörde angefertigt:

Es wurde in allen genannten Fällen von der MA 37 ein Sachverständigengutachten eines Amtssachverständigen der MA 25 zur Frage der wirtschaftlichen Abbruchreife beauftragt.

Zum Haus in der Alsegger Straße 35 erklärte Stadträtin Gaál:

Vom Verwaltungsgericht Wien wurde (…) die Abbruchbewilligung erteilt, obwohl sie zunächst von der MA 37 versagt wurde (…) Es wurde dagegen Revision beim VwGH erhoben und dieser Revision aufschiebende Wirkung zuerkannt, sodass das Gebäude derzeit nicht abgebrochen werden darf.

Gesetze unzureichend

Wenn sich Abrisse tatsächlich auf dem Rechtsweg durchsetzen lassen, verweist das auf grundlegende Probleme: Erhaltungspflicht und Abbruchreife sind im Wiener Baurecht offenkundig unzureichend geregelt. Ebenso fehlt es an öffentlichen Förderungen, um Fehlbeträge auf die Sanierbarkeit zuschießen zu können. Alleine die Tatsache, dass es erlaubt ist, das Dach eines erhaltenswerten Hauses ersatzlos zu entfernen, zeigt schon dringenden Reformbedarf. Dass über fünfzig Jahre nach dem ersten Altstadterhaltungsgesetz (1972) immer noch darauf hingewiesen werden muss, lässt nur einen Schluss zu: Den wechselnden Regierungen ist die Erhaltung des historischen Baubestandes und der architektonischen Schätze der Stadt weitgehend gleichgültig gewesen. Die Zerstörung der Wiener Altbauten – das Ausmaß lässt sich kaum abschätzen – wurde demnach politisch geduldet oder gar gewollt. Als seither durchgehend den Bürgermeister stellende Partei muss sich allem voran die SPÖ diese Kritik gefallen lassen.

(Anmerkung: Nach dem Erscheinen des Artikels ist es zu einer Gesetzesänderung in Wien gekommen. Mit einer Reform des Baurechts Ende 2023 wurden die Kriterien für die wirtschaftliche Abbruchreife verschärft, ebenso die Erhaltungspflicht. Ob das für die Villa in der Alsegger Straße nicht rechtzeitig gekommen ist?)

2024: Kein Dach, keine Sanierung

Auch eineinhalb Jahre nach dem Erscheinen dieses Artikels hat sich immer noch nichts getan. Fenster stehen offen, das Dach fehlt, die Schäden im Inneren lassen sich erahnen.

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Vizebürgermeisterin und Stadträtin Kathrin Gaál untersteht die Geschäftsgruppe Wohnen. Zu dieser gehören u. a. die Baupolizei (kontrolliert die Einhaltung der Bauvorschriften u. dgl.), Wiener Wohnen (Gemeindewohnungen) und der Wohnfonds (Fonds für Neubau und Sanierung).

(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)

Quellen

WienSchauen.at ist eine unabhängige, nicht-kommerzielle und ausschließlich aus eigenen Mitteln finanzierte Webseite, die von Georg Scherer betrieben wird. Ich schreibe hier seit 2018 über das alte und neue Wien, über Architektur, Ästhetik und den öffentlichen Raum.

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