Rohrbacherstraße 29: Verfall und Abriss

In Hietzing wurde ein Jahrhundertwendehaus abgerissen. Das Gebäude in der Rohrbacherstraße im Bezirksteil Ober Sankt Veit war offenbar schon jahrelang verfallen – trotz Erhaltungspflicht. Die Behörden hatten das Haus wegen „Abbruchreife“ zum Abriss freigegeben.

Dieser im März 2023 erschienene Artikel wurde mehrfach aktualisiert (zuletzt im Juni 2024).

schadhafte Fenster eines Gründerzeithauses in 1130 Wien
Rohrbacherstraße 29: erbaut 1900, Abriss 2024 (Foto: Jakob Ehrlich, 2023)

Abriss für Gründerzeithaus

Das Wohnhaus in der Rohrbacherstraße 29 war im Jahr 1900 erbaut worden. Die gegliederte Fassade war komplett erhalten, wenngleich auf Fotos vom Februar 2023 schon sichtlich schadhaft. Bereits im Jahr 2009 tauchte die Adresse in einem Artikel auf der Webseite www.1133.at auf, wo von „deutlichen Verfallserscheinungen durch offensichtliche Leerstehung“ mehrerer Häuser zu lesen ist.

Wie kam es zu dem schlechten Bauzustand? Warum war das Gebäude nicht schon lange saniert worden? Warum hatte die Baupolizei nicht rechtzeitig eine Reparatur eingefordert?

desolater Altbau in Wien-Hietzing, Historismus-Architektur, Ober Sankt Veit
Rohrbacherstraße 29 (Foto: 2023)

Das Gebäude stand weder unter Denkmalschutz (für den der Bund zuständig ist) noch in einer Schutzzone (verhängt von der Stadt Wien). Die Architektur war aber zweifellos erhaltenswert. Nach der Gesetzesreform von 2018 sollte das Gebäude, da vor 1945 erbaut, eigentlich geschützt sein. Doch wie so oft wurde der Abbruch trotzdem erlaubt. Die Baupolizei erklärte:

Im Oktober 2022 musste für dieses Gebäude die Abbruchbewilligung erteilt werden, da die wirtschaftliche Abbruchreife nachgewiesen und auch von den Sachverständigen der MA 25 – Technische Stadterneuerung geprüft und bestätigt wurde. Es ist daher leider nicht mehr möglich, mittels Bauaufträgen eine Sanierung des Gebäudes zu verlangen.

Die Magistratsabteilung 25 ist jene Behörde, die die von Eigentümern eingebrachten Gutachten prüft. Anhand dieser Privatgutachten, die die Wirtschaftlichkeit einer möglichen Sanierung zum Inhalt haben, wird die Abbruchreife berechnet und genehmigt. Weitere Gutachten beauftragt die Behörde – soweit bekannt ist – nicht. Das stellt ein großes Problem dar, denn die Gutachten werden demnach ausschließlich von jenen beauftragt und bezahlt, die Häuser abreißen wollen.

Hinweis: Mit der Baurechtsnovelle Ende 2023 hat sich der Umgang mit Gutachten geändert. Es ist angekündigt, dass die Behörde nun selbst entsprechende Gutachten beauftragt (eingefügt in den Artikel im Dezember 2023).

Bereits 2018 machte das Haus einen verlassenen Eindruck:

Im Februar 2023 bot sich ein wüster Anblick:

Mai 2023: Abriss startet

Zwei Monate nach dem Erscheinen dieses Artikels wurde mit dem Abriss begonnen.

Gründerzeithaus wird abgerissen
Rohrbacherstraße 29 (Foto: anonym, Mai 2023)

Abbruchreif?

Im März 2023 berichtete der Kurier:

Im Falle des Hauses in der Rohrbacherstraße 29 lag der Ertragswert der Liegenschaft nach Instandsetzung bei etwas mehr als 1,3 Millionen Euro, der Sanierungsaufwand bei etwas mehr als 1,4 Millionen Euro. Das ergibt einen Deckungsfehlbetrag von 105.000 Euro – und damit die offizielle Erlaubnis, das Haus abzureißen.

Ende 2023 wurde die Wiener Bauordnung reformiert. Dabei ist der Abriss-Schutz für Altbauten verschärft worden, wie meinbezirk.at berichtete:

Für das 1900 erbaute Haus in der Rohrbacherstraße 29 kommt die Novelle zu spät. (…) Seit vielen Jahren zeigt sich das Haus im Verfallszustand. Im Oktober 2022 erteilte die Baupolizei die Abbruchbewilligung aufgrund wirtschaftlicher Abbruchreife. Eine ablehnende Stellungnahme des Bezirks konnte den Abriss nicht verhindern. Was nach dem Abbruch auf dem Grundstück passiert, ist unbekannt.

Jänner 2024: Ruine steht noch

Auch Monate nach dem Erscheinen dieses Artikels war der Abbruch noch nicht gänzlich erfolgt.

Rohrbacherstraße 29 im Jänner 2024 (Foto: privat)

Abriss

Ende Mai wurde der Abriss fortgesetzt. Kurz danach war von dem Haus nichts mehr zu sehen.

Erhaltungspflicht wirkungslos?

Wer sich aufmerksam durch Wien bewegt, wird nicht selten auf Häuser stoßen, die eine Sanierung schon mehr als nötig haben. Leerstand und Verfall sind keine Seltenheit. Was im Einzelnen dahinter steckt und wie die Eigentumsverhältnisse sind, die dazu geführt haben, ist oft schwierig zu eruieren. Gefährlich wird es dann, wenn Fenster in kaum oder gar nicht bewohnten Häusern lange Zeit offen stehen oder Dächer nicht repariert werden. Dann ist auch an drohende Abrisse zu denken. (Wer derartiges beobachtet, findet hier Hinweise, was zu tun ist.)

Eigentlich sollte es das gar nicht geben, denn es gilt eine Erhaltungspflicht. Jedes Gebäude muss „in gutem, der Baubewilligung und den Vorschriften dieser Bauordnung entsprechendem Zustand erhalten werden“, so das Wiener Baurecht. Doch eingefordert wird das manchmal anscheinend nur dort, wo die zuständige Baupolizei (MA 37) wieder und wieder darauf aufmerksam gemacht wird. Ein weiteres Problem scheint im Wiener Baugesetz zu liegen, das den Behörden nicht genügend Möglichkeiten einräumt, den Erhalt umfassend einzufordern. Eine Anpassung der Erhaltungspflicht an das effektive Salzburger Altstadterhaltungsgesetz wäre sinnvoll.

Mietrecht und Bebauungsplan fördern Abrisse

Mieten im Altbau sind gesetzlich begrenzt, daher günstiger als marktübliche Neubaumieten. Die Interessen und Auswirkungen sind komplex:

  • Viele Menschen sind auf unter dem Marktpreis liegende Mieten angewiesen. Sie könnten sich sonst oft keine Wohnung leisten. Eine radikale Mieterhöhung würde teils zu Armut oder gar Obdachlosigkeit führen.
  • Eigentümer haben durch niedrige Mieten mitunter zu geringe Einnahmen, um Häuser umfassend zu erhalten und zu sanieren. Viele Baumaßnahmen sind zudem sehr kostspielig (Heizungstausch, Dachsanierung, Lifteinbau usw.). Das macht die Vermietung von Altbauten unattraktiv.
  • Niedrige Mieten tragen dazu bei, dass alte Häuser abgerissen werden oder dass saniert wird und die Wohnungen dann an Eigennutzer verkauft werden. Das wird vor allem von Unternehmen vorangetrieben, die Häuser von Privatpersonen kaufen.

Der vom Wiener Gemeinderat beschlossene Bebauungsplan hat ebenfalls seine Tücken:

  • Fehlen Ortsbild-Schutzzonen und sind die maximal erlaubten Bauhöhen höher als die alten Gebäude, macht das Abrisse wahrscheinlicher.
  • Meist ist nur die maximal erlaubte Bauhöhe im Bebauungsplan angegeben, aber nicht die maximal erlaubte Geschoßzahl. So werden Altbauten mit hohen Geschoßen durch Neubauten mit niedrigen Geschoßen ersetzt.

Sanierung zu wenig gefördert

Stark sanierungsbedürftige Häuser können gerade dann zum Problem werden, wenn sie im Besitz von Privatpersonen sind – also nicht Eigentum von Bauträgern oder größeren Unternehmen. Es braucht also effektive Sanierungsangebote vonseiten der Stadt Wien, damit erhaltenswerte Häuser nicht verfallen. Teils gibt es diese Angebote schon, aber das dürfte nicht ausreichen.

In Abbruchverfahren treten immer wieder Fehlbeträge auf die Wirtschaftlichkeit auf (herangezogen zur Berechnung werden die Mieteinnahmen). Dieser Fehlbetrag wird manchmal durch Förderungen kompensiert, häufig aber nicht. Ist der Fehlbetrag nicht gedeckt, kommt es zum Abriss. Kurz gesagt: Wäre der Altstadterhaltungsfonds ausreichend hoch dotiert, würden also genügend Geldmittel für die Sanierung bereitgestellt, ließen sich die meisten Fälle von „wirtschaftlicher Abbruchreife“ verhindern. Damit könnten erhaltenswerte Häuser gerettet und die darin befindlichen Wohnungen erhalten werden, ebenso die in Gebäuden gespeicherten Ressourcen.

Das Problem mit der Abbruchreife

Abrisse wegen angeblicher Abbruchreife sind in Wien ein großes Problem. Details zur Abbruchreife, deren Berechnung und Kritik daran finden sich auch in den Artikeln zu folgenden Gebäuden, die wegen Abbruchreife demoliert werden bzw. wurden: Pötzleinsdorfer Straße 90, Gentzgasse 4, Rosinagasse 10-14, Krieglergasse 12, Hohenbergstraße 18, Kaiserstraße 31, Braungasse 30.

Kontakte zu Stadt & Politik

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Die Bezirksvorstehungen sind die politischen Vertretungen der einzelnen Bezirke. Die Partei mit den meisten Stimmen im Bezirk stellt den Bezirksvorsteher, dessen Aufgaben u.a. das Pflichtschulwesen, die Ortsverschönerung und die Straßen umfassen.

(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate nach der Wahl 2020.)

+43 1 4000 81261
 
Vizebürgermeisterin und Stadträtin Kathrin Gaál untersteht die Geschäftsgruppe Wohnen. Zu dieser gehören u. a. die Baupolizei (kontrolliert die Einhaltung der Bauvorschriften u. dgl.), Wiener Wohnen (Gemeindewohnungen) und der Wohnfonds (Fonds für Neubau und Sanierung).

(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)

Quellen

WienSchauen.at ist eine unabhängige, nicht-kommerzielle und ausschließlich aus eigenen Mitteln finanzierte Webseite, die von Georg Scherer betrieben wird. Ich schreibe hier seit 2018 über das alte und neue Wien, über Architektur, Ästhetik und den öffentlichen Raum.

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