Bei einer Sanierung in Ottakring wurden Teile des Schmucks von einer alten Hausfassade abgeschlagen. Es handelt sich nicht um eine Reparatur, sondern um eine dauerhafte Entfernung. Genehmigt wurde das von der Wiener Magistratsabteilung für Architektur.
Hinweis: Nach dem Erscheinen dieses Artikels wurden der zerstörte Dekor wiederhergestellt und die neuen hohen Fenster entfernt. Damit ist der frühere Zustand der Fassade wiederhergestellt. (Artikel aktualisiert im Juli 2023)
Dekor bei Umbau abgeschlagen
Wien ist bekannt für seine alten Häuser. Viele alte Häuser sind auch deswegen so attraktiv, weil die Fassaden entsprechend aufwendig dekoriert wurden. Der Umgang mit diesen Häusern entspricht aber kaum einer sorgsamen Pflege des bauhistorischen Erbes: Abrisse, katastrophale Balkone, Zerstörung von Fassaden, Abschlagen von Dekor und völlig unpassende Dachausbauten sind die gängige Praxis. Eine neue Entwicklung findet sich im 16. Bezirk, nahe Yppenplatz. Keine komplette Entfernung, sondern ein teilweises Abschlagen von Fassadenschmuck.
Das Gesims unter einigen Fenstern wurde vor bzw. im März 2022 abgeschlagen. Es handelt sich, wie die Recherche ergeben hat, um dauerhafte Veränderungen und nicht um eine Reparatur beschädigter Fassaden- oder Mauerteile. Ziel ist der Einbau neuer größerer Fenster.
Abgeschlagen wurden gliedernde Elemente in den oberen beiden Geschoßen
Behörde erlaubt Umbau
Genehmigt wurde der Umbau von der Magistratsabteilung 19, die zum Planungsressort gehört. Zuständige Stadträtin ist seit 2020 Ulli Sima (SPÖ). Laut der Behörde wurde der Umbau mit der Begrünung genehmigt, das Haus „dem Wandel der Zeit entsprechend attraktiv zu erneuern.“ Es wird auf eine „zeitgemäße“ Anpassung verwiesen. Das ist problematisch, denn wer die mitunter niedrige gestalterische Qualität im zeitgenössischen Wohnbau kennt – Stichwort: bestürzende Neubauten -, kann sich ausmalen, was auf alte Häuser in der Folge noch zukommt.
Gebäude von bekanntem Architekten erbaut
Mit dem Umbau wird auch ein Werk des Architekten Max Fleischer (1841-1905) beeinträchtigt. Der aus Mähren (im heutigen Tschechien) stammende Architekt wurde berühmt durch seine zahlreichen Synagogenbauten in der ganzen Monarchie. Er nahm auch aktiv am Leben der israelitischen Kulturgemeinde teil und arbeitete an der Errichtung des neuen Wiener Rathauses mit. Von Fleischers in Wien gebauten Synagogen ist keine einzige erhalten; alle wurden 1938 zerstört. Das Architektenlexikon:
Das Renommee Max Fleischers zu seinen Lebzeiten ist nicht nur auf seine architektonische Virtuosität zurückzuführen, die stets dem Historismus verhaftet blieb und damit dem Repräsentationsbedürfnis der Epoche im hohen Maße Rechnung trug. Ebenso verdankte Fleischer seinen herausragenden Ruf dem Umstand, dass er für seine Synagogen-Bauten nicht nach eigenen Ausdrucksformen suchte, sondern die Synagogen weitgehend dem christlichen Kirchenbau annäherte. Auf diese Weise integrierte er die Synagogen ebenso harmonisierend in das Stadtbild wie die Wohn- und Geschäftshäuser, die sich stilistisch den umliegenden Gebäuden des Späthistorismus einfügen.
Das Wohnhaus in der Friedmanngasse 29 wurde 1875 erbaut. Es war offenbar Fleischers allererstes dokumentiertes Werk.
2023: Zerstörung rückgängig gemacht
Was hat den Bauherrn dazu bewogen, den Dekor bei einigen Fenstern abzuschlagen? Das bleibt unbekannt. Interessanterweise wurde diese Zerstörung aber tatsächlich wieder repariert. Über ein Jahr nach dem Erscheinen dieses Artikels präsentierte sich die Fassade wieder in ihrem früheren Zustand. Weiterhin auffällig sind die uneinheitlichen Fensterfarben und die unpassenden Fenster im Erdgeschoß.
Dekor ist kein Zufall
Die Häuser der Gründerzeit (ca. 1850-1918) sind in vielen Bezirken allgegenwärtig. Die charakteristische Architektur ist kein Zufall. Im damals gängigen Historismus wurde auf die Architektur früherer Epochen Bezug genommen und bald strenger, bald lockerer für die Ausschmückung von Gebäuden genutzt. Selbst bei Häusern in typischen Arbeiterbezirken griffen Architekten und Baumeister darauf zurück. Als Vorbild fungierten dabei wohl vor allem die aufwendiger gebauten – und in der Bausubstanz meist besseren – Zinshäuser der inneren Bezirke. Der Dekor wurde damals in Fabriken hergestellt, sodass bei der Planung aus fertigen Listen gewählt werden konnte. Die Gründerzeit war auch eine Zeit massiver privater Bautätigkeit, extremer Immobilienspekulation und einheitlicher blockweiser Verbauung neu eingemeindeter Gründe.
Der Wiener Historismus orientierte sich maßgeblich an der italienischen Renaissance, also der Zeit um etwa 1500. Die am Beginn der Frühen Neuzeit angewandten Formen finden sich also nicht zufällig in vielfacher Abwandlung auf vielen Häusern in Wien wieder. Das heißt auch: Der einfache Fassadendekor am Haus in der Friedmanngasse 29 ist mit einer gewissen Überlegung ausgesucht und platziert worden. So steht das an sich völlig unscheinbare Ottakringer Haus in einer Tradition, die über fünfhundert Jahre zurückreicht. Auffällig sind die Ausschmückung der Fenster und die horizontalen Elemente (herausragende „Balken“).
Hier das Haus in der Friedmanngasse 29 vor dem Umbau:
Die Vorbilder der alten Wiener Häuser
Selbst bei vielen sehr einfachen Gründerzeithäusern wurde auf alte historische Gestaltungselemente zurückgegriffen. Es folgen einige Beispiele, die kursorisch zeigen, wie manche Formen mühelos die Jahrhunderte überschreiten.
Den Anfang macht der Palazzo Marino im Zentrum Mailands. Das Privatpalais gegenüber der Scala wurde von 1557 bis 1563 errichtet. Der Dekor um die Fenster findet sich in ähnlicher Form auch an einigen repräsentativen Gebäuden in Wien.
Einer der berühmtesten Renaissancearchitekten war Andrea Palladio. Ein bekanntes Werk, der Palazzo Thiene, steht im norditalienischen Vicenza:
Klassizistische Elemente wie Pilaster („herausstehende Pfeiler“) und Reliefs kennzeichnen dieses Gebäude im Zentrum von Triest:
Der Dekor um die Fenster variiert stets im Detail – die grundlegenden Gestaltungselemente sind aber immer ähnlich. Besonders auffällig wird das bei den Fensterverdachungen:
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Quellen
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