Zwei Villen aus der Zwischenkriegszeit wurden abgerissen. Ein Gebäude haben die Behörden von vornherein zum Abriss freigegeben. Doch auch das Nachbarhaus durfte demoliert werden – obwohl die Architektur-Behörde dem Abriss nicht zugestimmt hat.
Warum so etwas möglich ist? Weil das Gebäude abbruchreif gewesen sein soll. Ermittelt wird die Abbruchreife in Wien durch private Gutachten, die Investoren beauftragen und bezahlen. Eine Lücke in der Bauordnung, die seit Jahrzehnten zu unschätzbaren Häuserverlusten führt.
Braungasse: Beste Lage am Wilhelminenberg
Im Hernalser Bezirksteil Dornbach, beim Wilhelminenberg, haben sich Häuser aus vielen Bauperioden erhalten. Gründerzeit (vor 1918), Zwischenkriegszeit und Bauten jüngeren Datums sind vertreten. Auffällig ist die teils hohe architektonische Qualität von Häusern aus der Zeit um und vor 1930.
Die beiden Einfamilienhäuser in der Braungasse 30 und 32 waren irgendwann in der Zwischenkriegszeit erbaut worden. Exakte Baujahre ließen sich nicht ermitteln. Bei beiden Häusern fielen die zeittypischen Formen der 1920er auf, darunter Elemente der Heimatschutz-Architektur. Das zeigte sich besonders beim rechten Haus (Braungasse 32), etwas weniger beim linken (Braungasse 30). 2022 kam für beide der Abriss.
Deutscher Investor ließ abreißen
Hinter dem Abriss steht ein Investor aus München. Auf dem Grundstück werden 28 „exklusive Eigentumswohnungen“ neu gebaut. Der Neubau – Investitionsvolumen: 15 Millionen Euro – firmiert unter der Bezeichnung „Yoko & John“. Das Motto: „Reduzierte japanische Architektur trifft auf englische Gartenkultur“. Der vorhandene Garten wird durch den Neubau jedenfalls deutlich kleiner.
Die Renderings zeigen zwei mehrstöckige Gebäude mit raumhohen Fenstern. Die äußere Gestaltung erscheint durchaus hochwertig, wenngleich auf die ältere Wiener Architektur bezogene Anschlüsse gänzlich fehlen. Ob die planenden Architekten je vor Ort waren? Verkaufspreise ließen sich bisher noch nicht finden. Günstig dürfte es nicht werden.
Anrainer wandten sich an die Politik - vergeblich
Im Vorfeld des Abrisses herrschte einige Aufregung im Grätzl. Bezirksbewohner wandten sich an Bezirksvorstehung (SPÖ), Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál (SPÖ), Planungsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) und Umweltstadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ). In ihrem Schreiben forderten sie den „Erhalt des historischen Ortsbildes von Dornbach, den nachhaltigen Schutz der Umwelt und des Klimas, der Biodiversität und der Lebensqualität“ und baten darum, das Gebiet …
… vor einer Verschandelung und nicht wiedergutzumachenden Bodenversiegelung und Zerstörung der Grünfläche und historischer Bausubstanz zu schützen.
Genützt hatte das nichts. Nur wenige Monate, nachdem WienSchauen in einem Artikel im Standard über die Häuser berichtet hatte, erfolgte der Abriss.
Villen aus der Zwischenkriegszeit abgerissen
Im Frühjahr 2022 kam der Abriss:
Von den Villen ist nichts geblieben:
Abgerissen: Braungasse 30
Das Einfamilienhaus war äußerlich noch original erhalten. Sogar die Fenster passten genau zur Bauperiode um 1920-1930. Das Haus wies die typischen Gestaltungselemente seiner Zeit auf, darunter die Verbindung der Fenster im Obergeschoß durch waagrechte Elemente, einen spitzen Giebel zur Straßenseite und eine wohl an die Heimatschutz-Architektur angelehnte Dachform. Das expressive Äußere lässt auch an den Jugendstil und die frühen Gemeindebauten der 1920er-Jahre denken.
Intransparente Abrissverfahren
Die für Architektur und Stadtgestaltung zuständige Magistratsabteilung 19 – gehörend zum Planungsressort von Stadträtin Ulli Sima (SPÖ) – sah das Gebäude als erhaltenswert an. Der Abbruch wurde untersagt. Geholfen hat das aber nichts.
Wie so oft konnte auch hier ein Eigentümer den Abbruch durchsetzen. Das funktioniert üblicherweise so: Ein Eigentümer beauftragt und bezahlt einen Gutachter. Die Behörden der Stadt Wien geben die Ergebnisse des Gutachtens in eine magistratsinterne Software ein. Ist das Ergebnis negativ (Sanierung sei zu teuer), wird der Abbruch erlaubt. Eigene Gutachten lassen die Behörden, soweit bekannt, meist nicht erstellen.
Die Prüfung von Gutachten und die Ausstellung von Abbruchbescheiden erfolgen durch Stellen im Wohnbauressort von Vizebürgermeisterin Kathrin Gaál (SPÖ), beteiligt sind die Magistratsabteilungen 37 (Baupolizei) und 25 (Technische Stadterneuerung). Die Details von Abbruchverfahren bleiben für Außenstehende intransparent. Ob die Behörden die betroffenen Gebäude vor Ort überhaupt je prüfen, ist ebenfalls unbekannt. Doch selbst wenn diese Prüfung vor Ort erfolgt, lässt sich eine hohe Fehleranfälligkeit vermuten, da ausschließlich Eigentümer, Gutachter und Beamte involviert sind, unabhängige Kontrollen aber fehlen.
Das offenbart die Defizite im Wiener Baurecht. Die erst 2018 unter Rot-Grün beschlossene Verschärfung hat letztlich nicht viel gebracht (Beispiele: Krieglergasse 12, Gudrunstraße 120, Leopoldauer Platz 9 und 11 u.v.m.). Für Investoren, die abreißen wollen, bedeutet diese Verschärfung bloß einen etwas umständlicheren Behördenweg. Nachhaltig effektiv ist der Abriss-Schutz nicht. Das heißt: Jedes historische Gebäude ist weiterhin potenziell gefährdet.
Abgerissen: Braungasse 32
Das Gebäude ist dem oben erwähnten Nachbarhaus baulich sehr ähnlich. Auffällig ist der große Dachgiebel. Auch die waagrechten Gliederungselemente im Obergeschoß sind erkennbar; das alte Dach ist ebenfalls erhalten. Ob bei dem Haus irgendwann Änderungen an der Fassade vorgenommen wurden, ist nicht bekannt.
Zwar mag das Haus durchaus seinen Charme gehabt haben (nicht von der grauen Farbe täuschen lassen!), ein seltenes Denkmal war es aber kaum. Zumindest hinsichtlich Ressourcen erscheint es aber problematisch, dass trotz offenbar intakter Bausubstanz abgerissen werden durfte. Die im Haus verbauten Rohstoffe sind jedenfalls verloren und auch die Bodenversiegelung nimmt durch den geplanten Neubau zu.
Trotz des augenscheinlich guten Erhaltungszustands wurde das Gebäude von vornherein zum Abbruch freigegeben. Damit war der „Umweg“ über die Abbruchreife und das dafür notwendige Gutachten nicht mehr nötig. Eine Kostenersparnis für den Investor und eine Vereinfachung für die Behörden.
Interessant ist die Einschätzung durch die zuständige Behörde. Folgender Zettel fand sich am Bauplatz:
Wie Politik und Behörden Abrisse fördern
Abbrüche sind besonders dann attraktiv, wenn sich im Neubau mehr Fläche errichten lässt. Genau das trifft in der Braungasse zu: Das Grundstück darf deutlich umfangreicher bebaut werden, als die abgerissenen Häuser an Fläche einnahmen. Durch niedrigere Raumhöhen und auf Effizienz getrimmte Grundrisse lässt sich viel mehr Fläche schaffen – in diesem Fall vier Geschoße.
Bei der Frage der bebaubaren Fläche kommt der Bebauungsplan ins Spiel. Dieser Plan legt fest, wie umfangreich auf einem Grundstück gebaut werden darf. Der Bebauungsplan in der Braungasse wurde 2006 im Gemeinderat beschlossen. Nicht nur fehlen in diesem Plan umfangreiche Schutzzonen, es wurden auch noch „Abrisswidmungen“ für viele Häuser festgelegt. Für den Plan haben SPÖ und ÖVP gestimmt, dagegen FPÖ und Grüne. Planungsstadtrat – und damit zuständig für die Bebauungspläne – war Rudolf Schicker (SPÖ). Die SPÖ regierte damals alleine, Bürgermeister war Michael Häupl.
Das Mietrecht ist meist nicht an Abrissen schuld
Das Beispiel in der Braungasse zeigt auch: Die Beschränkung im Mietrecht, die für Altbauten gilt, hat häufig keine so große Bedeutung für Abbrüche, wie ihm zuweilen zugeschrieben wird. Wenn im Neubau viel mehr Fläche möglich ist, warum sollte ein Investor das alte Gebäude dann stehen lassen, selbst wenn hohe Mieten möglich wären? Abgesehen davon werden Wohnungen von Bauträgern meist ohnehin verkauft und nicht vermietet. Mit dem Verkauf lassen sich meist deutlich mehr Einnahmen erzielen.
Das Mietrecht ist eher ein Problem für kleine Eigentümer, die Häuser und Wohnungen erhalten müssen, in denen Mieter mit sehr alten Verträgen wohnen. Für solche Fälle muss es dringend Änderungen geben – auch durch Sanierungsförderungen durch die Stadt Wien. Der Altstadterhaltungsfonds ist derzeit aber so niedrig dotiert, dass er nicht einmal im Ansatz ausreicht, um Eigentümer sanierungsbedürftiger Häuser effektiv zu unterstützen.
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