Obere Donaustraße 61: Vom Historismus-Bau zum Hotelblock

Das gut erhaltene Gründerzeithaus wurde 2008 demoliert. Der Abriss soll durch den Bau der U-Bahn notwendig geworden sein. Eine Schutzzone galt für das 1868 errichtete Gebäude nicht, auch unter Denkmalschutz stand es nicht.

2021 wurde an dieser Stelle ein Hotel mit wenig ambitionierter äußerer Gestaltung fertiggestellt.

Gründerzeithaus abgerissen

Die Initiative Denkmalschutz schrieb 2008 über den bevorstehenden Abriss:

Das 1868 erbaute Zinshaus in der Oberen Donaustraße 61 mit reich gegliederter frühhistoristischer Fassade, Runderker, Pilastergliederung und Vierpfeilerstiege stammt noch aus der Epoche vor der Hochgründerzeit und ist ein bedeutendes und immer rarer werdendes Beispiel eines gut erhaltenen Baudenkmals aus dieser Epoche in Wien (11 Jahre zuvor wurde das Nachbarhaus aus 1863 abgerissen). Wenige Häuser entfernt endet die Schutzzone im 2. Bezirk. Das Haus befindet sich direkt neben der U2-Station Schottenring am Donaukanal und liegt schräg hinter dem Schützenhaus von Otto Wagner und somit an sehr prominenter und einsichtiger Stelle.

Schützenhaus von Otto Wagner am Donaukanal in Wien-Leopoldstadt, daher das Gebäude Obere Donaustraße 61
Gründerzeithaus in der Oberen Donaustraße 61 - kurz vor dem Abriss; davor das Schützenhaus von Otto Wagner (Foto: 2007, Heardjoin, CC BY-SA 3.0)

Das Versagen der Altstadterhaltung

Viele alte Gebäude am Donaukanal fielen dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer oder wurden in der Nachkriegszeit abgerissen. So wäre es durchaus wichtig gewesen, zumindest die verbliebenen Häuser bestmöglich zu schützen. Doch wie so oft hat sich die Stadtpolitik dafür nicht interessiert. Durch den Abriss im Jahr 2008 wurde eines der letzten äußerlich intakten Gründerzeithäuser an der Oberen Donaustraße abgerissen.

Donaukanal, Franz-Josefs-Kai, Obere Donaustraße, Luftbild, 1950er-Jahre
Obere Donaustraße 61 im Jahr 1958 (Foto: WStLA/Bilderdienst der Stadt Wien)

Die Wiener Zeitung berichtete 2008 über den Abriss:

2004 kaufte die Wiener Bauträger-GmbH Consentia die Liegenschaft von einem anderen Bauunternehmer (…) Die U-Bahn-Bauer veröffentlichten 2003/04 ihre Detailzeichnungen zum U-Bahn-Zugang Herminengasse. Damit war der Segen des Magistrats für den Abbruch und die „Verwertung“ mit einem Neubau noch deutlicher vorgezeichnet. Mitkalkuliert war auch die Vertreibung der letzten Mieter (…) durch eine Enteignung wegen öffentlichen Interesses – was billiger kommt, als ihnen akzeptable Ersatzwohnungen anzubieten.

Der Abriss war durch die fehlende Schutzzone besonders einfach durchzuführen. Der inexistente Ensembleschutz hat 2014 nur wenige Hausnummern entfernt dazu geführt, dass ebenfalls ein erhaltenswertes Gründerzeithaus abgerissen wurde.

Auf dem Foto unten ist das Schützenhaus von Otto Wagner zu sehen, ein berühmtes Werk der Wiener Moderne, das auch unter Denkmalschutz steht. Dahinter ist der noch leere Bauplatz an der Oberen Donaustraße – wo früher das Gründerzeithaus stand.

Schützenhaus von Otto Wagner am Donaukanal in Wien-Leopoldstadt
Schützenhaus von Otto Wagner, erbaut 1904 - 1908; dahinter die Baulücke nach dem Abriss (Foto: 2017, Paul Korecky, CC BY-SA 2.0)

Neubau: Viel Fläche, wenig Gestaltung

Rund zehn Jahre lang lag das Grundstück nach dem Abbruch brach und wurde als Parkplatz genutzt. 2021 wurde der Neubau – ein Hotel – fertiggestellt. Der Auftraggeber des Neubaus ist das Unternehmen Immovate, das zum Wiener Immobilien-Investor Irma Investments gehört. Immovate über den Neubau:

Direkt am Wasser und an der Grenze zur Wiener City entsteht in der Oberen Donaustraße 61 ein neues Lifestyle-Hotel für junge und junggebliebene Geschäfts- und Städtereisende. Hier realisiert IMMOVATE ein architektonisches Highlight mit 179 Zimmern, Rooftop Bar, Fitnessstudio und modernem Event- und Seminarbereich.

Von der Stadt Wien – sprich: dem Wiener Baurecht – gibt es keine Vorgaben für die äußere Gestaltung von Neubauten. Neue Gebäude müssen sich in gewachsene Umgebungen nicht einfügen. Auch wenn es sich um Ortsbild-Schutzzonen handelt und auch wenn – wie im vorliegenden Fall – direkt neben einem denkmalgeschützten Gebäude gebaut wird. Auch einen unabhängigen Gestaltungsbeirat, der alle Entwürfe prüft und Änderungen erwirken kann, gibt es in Wien nicht. In Kombination mit der in Ostösterreich niedrigen Baukultur sind die Folgen verheerend – aber offenbar von den verschiedenen Stadtregierungen im Laufe der Zeit gewollt (1996-2001: SPÖ/ÖVP, 2001-2010: SPÖ, 2010-2020: SPÖ/Grüne, seit 2020: SPÖ/Neos). Denn es handelt sich um Gesetze, die natürlich geändert werden können. Doch das ist nicht erfolgt.

Obere Donaustraße 61: Hotelneubau von 2021 (Foto: 2021)

Die Architektur stammt vom Grazer Büro Innocad. Die noch im Entwurf sichtbare Fassade mit markantem Stein (Ziegel?) wurde aber so nicht gebaut. Die Fassade ist in der Ausführung glatt – und im Vergleich zum Entwurf sehr uninteressant. Hat der Investor vielleicht auf eine möglichst kostengünstige Ausführung bestanden? Architekten können sich letztlich nur soweit entfalten, wie es ein Auftraggeber zulässt. So können auch anfangs durchaus passable Entwürfe noch eine deutliche Verschlechterung erfahren (was häufig vorkommt). Im vorliegenden Fall war ein Teil des Problems aber von Anfang an klar: Die Planer haben sich mit der hochsensiblen Gegend nicht wesentlich auseinandergesetzt.

Generell wirkt das Gebäude von außen wenig ambitioniert. Die gold-verspiegelten Fenster erinnern an unattraktive Hotels und Bürobauten aus den 1980ern. Das Fassadenmaterial ist selbst im Vergleich zum nüchternen Bürohaus daneben, wo immerhin Steinplatten angebracht sind, maximal unspektakulär. Die Abschrägungen in den oberen Geschoßen sind zwar auf den ersten Blick in sich noch stimmig, aber letztlich bezugslos in den Stadtraum gesetzt. Die breite Fensterform wiederum negiert die in Wien lange Zeit übliche Form: schmale und hohe Fenster. Ob Elemente wie Erker und sonstige hervorstehende Bauteile durch den dortigen Bebauungsplan untersagt sind, oder ob sie dem Sparstift zum Opfer gefallen sind, lässt sich nicht sagen. Die glatte Front ohne strukturierende Elemente ist in jedem Fall für diesen einsichtigen Bauplatz ziemlich monoton.

Die am Dach befindlichen Aufbauten in Gewächshaus-Optik wirken bestenfalls wie ein schlechter Scherz und erinnern in ihrer Geste ein wenig an einen zeitgleich errichteten Wohnbau in Simmering. Das Motto bei beiden könnte gelautet haben: Architektur als grotesk-ulkige Mutprobe von Bauherren und Architekten.

Innocad beschreiben ihren Entwurf jedenfalls so:

Der stark exponierte Standort (…) erforderte besondere Aufmerksamkeit. Es wurde ein Ansatz mit starkem Fokus auf öffentlichem Ausdruck und Kommunikation gewählt, was zu einer charakteristischen Form und Identität führte. Architektonisch entsteht eine komplementäre Spannung zwischen dem regelmäßigen Raster des Bauprogramms aus großen Hotelfenstern und der tektonischen Faltung der Fassade, die einer Felsformation ähnlich ist (…) [Anmerkung: Das ist nicht so gebaut worden.]

Hängende Gärten, Bäume, begrünte Dächer und eine Vielzahl von Pflanzen klettern und wachsen zwischen mehreren Hütten, von denen jede eine einzigartige Funktion für die Stadt bietet. Zusammen lässt sich der Ort mit einem Park vergleichen, der optisch und ästhetisch mit den darüber liegenden Glashäusern interagiert (…) Eine zusätzliche „Gewächshaus“-Typologie sticht als klare Attraktion unter der Regelmäßigkeit und Beständigkeit der Nachbarhäuser hervor, die alle ähnliche Höhen und Merkmale aufweisen. Leicht auskragend über einer darunter liegenden Fensterreihe weist es deutlich auf einen außergewöhnlichen Raum hin, der mit dem Rest der Stadt interagieren möchte (…) [Anmerkung: Wie soll das mit der Stadt interagieren, wenn es sich um ein bezugsloses Element handelt?]

Goldbronzefarbene, leicht verspiegelte Fenster ragen leicht aus dem Gebäude heraus und bieten Sonnenschutz. Sie werden zu eigenständigen Möbelstücken, haben die Höhe einer Bank und werden zu „lebenden Fenstern“, kommunizieren mit Menschen und Gebäuden in der Nähe (…) Auf diese Weise verbinden sich selbst die Fenster der Hotelzimmer auf subtile Weise mit dem öffentlichen Außenraum.

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Vizebürgermeisterin und Stadträtin Kathrin Gaál untersteht die Geschäftsgruppe Wohnen. Zu dieser gehören u. a. die Baupolizei (kontrolliert die Einhaltung der Bauvorschriften u. dgl.), Wiener Wohnen (Gemeindewohnungen) und der Wohnfonds (Fonds für Neubau und Sanierung).
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(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)

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