Ein historisches Gebäude im 15. Bezirk wird abgerissen. Im Februar 2022 wurden Fassadenschmuck demoliert und Fenster herausgerissen. Zu diesem Zeitpunkt war das Haus angeblich noch teilweise bewohnt. Das verweist auf den extremen wirtschaftlichen Druck, der auf der Liegenschaft lastet. Eigentümer ist die Firma J&P Immobilienmakler GmbH.
Das Gründerzeithaus, das nahe Mariahilfer Straße liegt, wurde von den Behörden sogar als erhaltenswert eingestuft. Der Abriss wurde trotzdem erlaubt. Dahinter stehen wiederkehrende Probleme:
- Gesetz und Behörden erlauben Abrisse von historischen Gebäuden aus wirtschaftlichen Gründen. Das Wiener Baurecht ist völlig unzureichend, um Altbauten zu schützen.
- Eigentümer dürfen auf Basis privat beauftragter Gutachten abreißen.
- Die Stadt Wien stellt keine ausreichenden Fördermittel für die Sanierung bereit.
- Behörden und Politik haben die Bebauungspläne sehr investorenfreundlich eingerichtet.
Hinweis: Der Artikel wurde mehrmals aktualisiert (zuletzt geändert am 19.7.2022); der Titel lautete anfangs „Zu wenig Wohnbauförderung: Abriss für Gründerzeithaus“.
Alte Häuser ohne Abriss-Schutz
Wer an die Mariahilfer Straße denkt, dem fällt wohl in erster Linie die bekannte Einkaufsstraße zwischen Westbahnhof und Museumsquartier ein. Doch die Mariahilfer Straße ist noch bedeutend länger: Sie verläuft weiter durch den 15. Bezirk und endet in der Nähe von Schönbrunn. Während die historischen Häuser der inneren Mariahilfer Straße durch Schutzzonen vor Abrissen geschützt und hervorragend renoviert sind, sieht es jenseits des Gürtels weniger rosig aus. So wurden erst 2020 zwei höchst erhaltenswerte Biedermeierhäuser abgerissen. Ähnlich verheerend war der Abriss eines riesigen Historismus-Gebäudes am nahen Mariahilfer Gürtel.
Keine Ortsbild-Schutzzone
Hat sich die Politik die längste Zeit nicht für den Schutz von Altbauten interessiert? Es hat den Anschein, denn gerade in den Bezirken außerhalb des Gürtels fehlen Ortsbild-Schutzzonen ganz besonders. Das betrifft auch die äußere Mariahilfer Straße und ihre Seitengassen, darunter die schmale Kranzgasse.
Bei der Umwidmung im Jahr 2000 hätte eine Schutzzone für die Gegend um die Kranzgasse eingerichtet werden können. Das hätte sich leicht rechtfertigen lassen, hat sich hierorts doch eine Vielzahl historischer Gebäude erhalten. Die fehlende Schutzzone ist wohl mit ein Grund, warum das Gründerzeithaus in der Kranzgasse 24 nun seinem Ende entgegensieht.
Kranzgasse 24: Gründerzeithaus vor Abriss
Im September 2021 erreichte WienSchauen eine anonyme Nachricht. Darin schildert ein Anrainer:
[I]n der Kranzgasse 24 [soll] wieder ein altes Zinshaus abgebrochen werden. Die Hofgebäude wurden bereits vom Bauträger Jelitzka und Partner Immobilienmakler GmbH als Grundeigentümer dem Erdboden gleichgemacht. Wieder soll hier ein im Ensemble der Straße prägendes Objekt einem schmucklosen Neubau weichen.
Hintergründe und Richtigkeit dieser Aussage können hier natürlich nicht nachgeprüft werden. Doch die Behörden bestätigen, dass ein Abbruch genehmigt ist.
Hofgebäude abgerissen
Die Liegenschaft in der Kranzgasse 24 ist nicht nur straßenseitig bebaut, sondern besitzt bzw. besaß auch einen Hof. 2021 wurden weite Teile der Hoftrakte demoliert, wie WienSchauen anonym zugespielte Aufnahmen zeigen:
Das Haus in der Kranzgasse – eine ehemalige Fabrik der Metallbaufirma Schinnerl – ist ein typischer Altbau im südlichen Rudolfsheim-Fünfhaus. Der Dekor verweist auf die frühe Gründerzeit, also auf ein Baujahr zwischen etwa 1840 und 1870.
Wie es zu dem aktuell renovierungsbedürftigen Zustand gekommen ist, lässt sich nicht sagen. Konnten sich frühere Eigentümer vielleicht nicht über die Zukunft des Hauses einigen? Stand das Haus möglicherweise im Eigentum einer betagten Person, die eine Sanierung nicht mehr zuließ bzw. zulassen konnte? Wollte man sich dem erheblichen Aufwand einer Renovierung nicht mehr aussetzen und hat das Haus deswegen verkauft? Das sind bloß Spekulationen.
Das Gebäude dürfte größtenteils leer sein – aber anscheinend nicht ganz. Entgegen anfänglichen Vermutungen (korrigiert am 2.2.2022) sollen noch ganz wenige Personen im Haus wohnen. Ob dem immer noch so ist (Stand: Mai 2022), ließ sich nicht eruieren.
Februar 2022: Fassade abgeschlagen!
Im Februar 2022 – Monate nach dem Erscheinen dieses Artikels – ließ der Eigentümer den historischen Fassadenschmuck abschlagen und Fenster herausreißen. Das Haus dürfte zu diesem Zeitpunkt noch bewohnt gewesen sein. Solche extremen Maßnahmen sind nicht ohne Vorbild: Schon bei den Biedermeierhäusern in der Mariahilfer Straße 166-168 und beim Haus Radetzkystraße 24-26 gingen die Eigentümer ebenso vor.
Sanierung früher geplant - aber abgebrochen
Allzu schlecht kann bzw. konnte der Bauzustand des Hauses wohl nicht sein, denn eine komplette Sanierung war vor Jahren offenbar ein Thema. Auf der Webseite eines Architekturbüros findet sich ein Hinweis auf ein Sanierungsprojekt, dessen Planung 2007 begonnen hatte. Warum es zum Abbruch der Planungen kam, ist nicht bekannt. Hatte das mit dem angeblichen Verkauf der ganzen Liegenschaft zu tun?
Eigentümer ist bekannter Immobilienmakler
Aktueller Eigentümer ist die J&P Immobilienmakler GmbH – ein Unternehmen im Umfeld von JP Immobilien. Zahlreiche oft gestalterisch hochwertige Projekte gehen auf JP zurück, darunter auch viele vorbildlich sanierte Altbauten. Doch in der Kranzgasse wird nicht in Richtung Sanierung und Dachausbau gearbeitet. Ein Abriss bzw. ein konkretes Projekt werden auf Anfrage aber nicht bestätigt. Doch die Fakten sprechen ohnehin für sich.
Warum das Haus erhaltenswert ist
Das Gründerzeithaus in der Kranzgasse 24 macht auf den ersten Blick einen unscheinbaren Eindruck. Dass dieses Haus kein seltenes Denkmal ist, versteht sich von selbst. Doch das muss es auch nicht sein, denn die Relevanz des Gebäudes liegt anderswo: es ist Teil eines historischen Ensembles, das diesen Teil Wiens prägt. Die Bedeutung des Hauses ist die Umgebung, und wie es mit dieser Umgebung harmoniert. Das dürfte auch die Argumentation der Magistratsabteilung für Architektur (MA 19) gewesen sein, als sie das Haus für schutzwürdig erklärt hat.
Auch der augenscheinlich nicht unproblematische Bauzustand darf nicht davon ablenken, dass etliche Häuser in Wien nicht viel anders aussehen. Deswegen braucht es mehr Fördermittel von der Stadt Wien, um Eigentümer bei der Sanierung zu unterstützen. Erst einmal renoviert und behutsam aufgestockt erlebt so manches Haus seine zweite Blüte. Auch in Rudolfsheim-Fünfhaus und in der unmittelbaren Umgebung des Hauses in der Kranzgasse 24 wurden in den letzten Jahren unzählige Häuser saniert und aufgestockt. Das zeigt: Sanierung funktioniert.
Würde jedes Haus mit renovierungsbedürftiger Fassade kurzerhand abgerissen, stünden viele Häuser, die heute frisch saniert sind, schon lange nicht mehr. Auch historische Städte, etwa in Italien und Spanien, wo die Sanierungsraten viel niedriger sind als in Wien, wären arm dran: Von einigen beliebten Städten wäre bald nicht mehr viel übrig, hätte dort die abrissfördernde Wiener Bauordnung das Sagen.
Davidstern-Dekor
Ein Detail am Rande bzw. unterm Gesims: Dort finden sich über die ganze Breite des Hauses hinweg kleine Davidsterne, die wohl noch aus der Errichtungszeit stammen. Verweist das vielleicht auf einen jüdischen Bauherrn oder Architekten? Oder handelt es sich bloß um Fassadenschmuck ohne weitere Bewandtnis?
Es könnte sich aber auch um den sogenannten Brauerstern handeln, das Zunftzeichen der Bierbrauer. Im 15. Bezirk gibt bzw. gab es zahlreiche Brauereien.
Kranzgasse 24: Abriss trotz Abriss-Schutz?
Außerhalb von Schutzzonen sah es die längste Zeit düster aus. Der inexistente Abriss-Schutz und die zu geringen öffentlichen Förderungen für Sanierungsmaßnahmen haben unzählige Abrisse wertvoller historischer Gebäude nach sich gezogen. Keineswegs war bzw. ist jedes alte Haus für das Stadtbild von Bedeutung. Aber zahlreiche Verluste sind unersetzlich, zumal viele Nachfolgegebäude gestalterische Qualität missen lassen.
2018 verschärfte die Rot-Grüne Stadtregierung nach langem Zuwarten die Bauordnung. Das Versprechen: mehr Schutz vor Abrissen für historische Gebäude, auch außerhalb von Schutzzonen. Doch dieser Schutz funktioniert in vielen Fällen nicht.
Neues Gesetz wirkungslos?
Warum darf das Gebäude in der Kranzgasse trotz verschärfter Bauordnung abgerissen werden? Die Antwort der Behörden:
[F]ür das gegenständliche Gebäude [wurde] die Bewilligung zum Abbruch erteilt. Es wurde zwar das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Gebäudes aus Stadtbildgründen festgestellt, jedoch hat die Berechnung der Sanierungskosten gegenüber den zu erwartenden Einnahmen einen Deckungsfehlbetrag in Höhe eines sechsstelligen Eurobetrages ergeben, der auch nicht durch Fördermittel abgedeckt werden kann.
Hinter dem Begriff des „Deckungsfehlbetrags“ versteckt sich eines der größten Probleme der Wiener Altstadterhaltung: Eigentümer können durch privat beauftragte und privat bezahlte Gutachten nachweisen lassen, dass die Sanierung eines Gebäudes teurer kommt als sich durch Mieteinnahmen erwirtschaften lässt. Was sich auf den ersten Blick simpel anhört, ist jedoch äußerst kompliziert und intransparent.
Intransparente "Abbruchreife"
Herangezogen für die Berechnung der Abbruchreife werden erwartbare Mieteinnahmen und öffentliche Förderungen. Das unflexible Mietrecht wird hier zum Problem, da Mieten in Altbauten gesetzlich auf einem im Verhältnis niedrigen Niveau gehalten werden. Während Mieten in Neubauten gänzlich unreguliert – und daher oft sehr hoch – sind, werden aufwendig zu erhaltende Altbauten quasi per Gesetz diskriminiert. Das führt zu Abrissen, viel häufiger aber schlicht zur Umwandlung in Wohnungseigentum: Da sich mit der Vermietung von Altbauten weniger verdienen lässt, verkaufen Entwickler die Wohnungen nach erfolgter Sanierung. Das dürfte dazu führen, dass das Angebot an Mietwohnungen in Altbauten laufend geringer wird.
Doch Abrisse bloß auf das Mietrecht zu schieben, greift zu kurz:
- Wie der Bauzustand eines Gebäudes wirklich ist, wissen nur Eigentümer, Gutachter und einige Beamte. Andere Stellen haben keine Einsicht in Abbruchverfahren.
- Die Details bei der Berechnung der Abbruchreife sind für Außenstehende unklar.
- Viele Bauträger wollen Wohnungen verkaufen, nicht vermieten. Trotzdem ziehen die Behörden bei der Berechnung der Abbruchreife die möglichen Mieteinnahmen heran.
- In Neubauten lassen sich meist mehr Geschoße errichten und somit mehr Einnahmen aus Miete bzw. Verkauf erwirtschaften. Das Mietrecht ist in vielen Fällen also nur ein vorgeschobener Grund für Abrisse.
- Auch in Ländern mit liberalem Mietrecht (Großbritannien, Frankreich) gibt es Denkmal- und Ensembleschutz, weil hohe Mieten alleine den Erhalt von Häusern nicht garantieren.
Entscheidend ist: Akzeptieren die Behörden von Eigentümern eingereichte Gutachten, darf abgerissen werden. Daran hat auch die 2018 verschärfte Bauordnung nichts geändert. Zahlreiche Abrisse gehen auf diese „Lücke“ im Gesetz zurück, darunter auch der Teilabriss eines Gebäudes des Otto-Wagner-Spitals.
Zu wenig Förderung von der Stadt Wien
So rächt sich auch die fehlende Schutzzone für das Haus in der Kranzgasse, denn nur Häuser in Schutzzonen werden vom Altstadterhaltungsfonds gefördert. Zwar ist das Budget dieses Fonds vergleichsweise gering, doch kann das durchaus den Unterschied zwischen Abriss und Erhalt bedeuten.
Für das Haus konnten also nur Fördermittel aus dem Wohnfonds berücksichtigt werden. Doch das reicht nicht, denn die gesetzlich festgelegten Bestimmungen erlauben keine ausreichende Förderung, um die „Abbruchreife“ effektiv abzuwenden. Ähnliches trug sich auch in Favoriten zu, wo ein Gründerzeithaus abgerissen wurde.
Die Berechnung der Abbruchreife, die Bauordnung und das Förderwesen müssen dringend reformiert werden. Zuständig dafür ist das Wohnbauressort von Stadträtin Kathrin Gaál (SPÖ). Neben einem Ende der „wirtschaftlichen Abbruchreife“ ist entscheidend, dass Eigentümer, die historische Häuser sanieren, unbedingt verstärkt finanziell unterstützt werden müssen.
Juli 2022: Abriss
Lange hatte sich der Abriss angekündigt – im Juli 2022 war es schließlich so weit (hinzugefügt zum Artikel am 19.7.2022):
Kontakte zu Stadt & Politik
- SPÖ: kontakt@spw.at, Tel. +43 1 535 35 35
- ÖVP: info@wien.oevp.at, Tel. +43 1 51543 200
- Die Grünen: landesbuero.wien@gruene.at, Tel. +43 1 52125
- NEOS: wien@neos.eu, Tel. +43 1 522 5000 31
- FPÖ: ombudsstelle@fpoe-wien.at, Tel. +43 1 4000 81797
(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)
Verfall und Abrisse verhindern: Gemeinsam gegen die Zerstörung! (Anleitung mit Infos und Kontaktdaten)
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