Das blaue Haus nähert sich seinem Ende. Nach dem Verkauf durch die Österreichischen Bundesbahnen und den Plänen für einen Neubau darf IKEA das riesige Gebäude aus dem 19. Jahrhundert abreißen, obwohl erst 2018 die Bestimmungen für Abrisse verschärft wurden. – Über die Hintergründe eines Abrisses.
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Fassade als Vorwand für Abriss?
Das blaue Haus liegt an der äußeren Mariahilfer Straße im 15. Bezirk, gleich neben dem Westbahnhof. Auf den ersten Blick könnte es als unauffälliger Nachkriegsbau durchgehen. Doch tatsächlich hat sich hier ein über 100 Jahre altes Gebäude aus der Gründerzeit erhalten. Im Gegensatz zum alten Bahnhof hat es sogar die Bombardements des 2. Weltkriegs ohne große Schäden überstanden. Die heutige vereinfachte Fassade geht auf eine Renovierung Mitte der 1950er zurück, bei der der alte Fassadenschmuck reduziert wurde, wie im Anfang 2019 auf Wienschauen.at berichtet.
Die nicht mehr original erhaltene Fassade mag der Grund sein, warum die Begeisterung der Stadtregierung groß war, als die Entwürfe für den Neubau vorgestellt wurden. Doch hat je eine Diskussion über den Wert des Altbaus stattgefunden? Wurde eine mögliche Nachnutzung überhaupt erörtert? Hätte nicht sogar die ursprüngliche Fassade wiederhergestellt werden können?
Der große Pluspunkt von Gründerzeithäusern ist ihre hohe Flexibilität: „Die traditionellen Gebäudestrukturen sind weitgehend nutzungsneutral und daher (…) für Veränderungen erstaunlich offen“, sagte der TU-Professor Erich Raith an anderer Stelle. So können etwa Wohnungen, Büros oder Hotelzimmer in diesen typischen Wiener Häusern realisiert werden.
Ob sich das blaue Haus auch für eine dieser Nutzungen geeignet hätte? Und wie flexibel kann ein Möbelhaus langfristig sein? Wird es vielleicht nach einer Generation schon veraltet sein und wieder abgerissen werden? Deutlich wird jedenfalls der enorme wirtschaftliche Druck, der auf Wiens Altbauten lastet.
Stadt stützt sich auf externes Gutachten
Die Abbruchpläne beschäftigten auch den Wiener Gemeinderat. Stefan Gara, Sprecher für Stadtentwicklung der NEOS, stellte die Anfrage, ob das blaue Haus erhaltungswürdig sei und ob es entsprechende Gutachten gebe.
Die Antwort der Geschäftsgruppe für Stadtentwicklung: Der Eigentümer – gemeint ist wohl: IKEA – hat ein externes Gutachten anfertigen lassen. Dieses besagt, dass das Gebäude „aufgrund tiefgreifender Veränderungen nicht mehr authentisch“ sei. Es weise „keine architektur- bzw. kulturgeschichtlich relevanten Merkmale“ auf, daher bestehe an der Erhaltung kein öffentliches Interesse. Einsicht in das Gutachten gibt es für die Öffentlichkeit jedoch nicht.
Aus der Antwort geht auch hervor, dass die Magistratsabteilung 19, die rein rechtlich über Abriss vs. Erhalt entscheidet, sich dem Ergebnis des Gutachtens angeschlossen hat. Damit steht den Abbrucharbeiten nichts mehr im Weg.
Gutachter mit guten Kontakten
Der vom Eigentümer – also wohl IKEA – beauftragte Gutachter ist ein Wiener Architekt, der schon seit 1998 als zertifizierter Sachverständiger arbeitet. Er ist auch Alleineigentümer und Geschäftsführer eines Architekturbüros mit 20 Mitarbeitern.
Den Angaben auf der eigenen Webseite zufolge fertigte das Büro u.a. Studien für den Fonds Soziales Wien und den wohnfonds_wien an – beide gehören zur Stadt Wien. Für die Magistratsabteilung 5 (Finanzwesen) und 21A (Flächenwidmung), sowie für die im Eigentum der Stadt stehende Wien Holding erstellte das Büro Stadtplanungsstudien, für die MA 34 (Bau- und Gebäudemanagement) Umbaupläne für ein öffentliches Gebäude. Für den Bauträger GESIBA, der im Eigentum der Wien Holding ist, wurden Pläne für einen Wohnbau entworfen.
Neben zahlreichen privaten Unternehmen gehörten noch folgende Magistratsabteilungen zu den Kunden des Büros: MA 18 (Stadtentwicklung und Stadtplanung), MA 19 (Architektur und Stadtgestaltung), MA 25 (Wohnservice) und MA 50 (Wohnbeihilfe). Seit 2012 ist der Architekt auch im Grundstücksbeirat des wohnfonds_wien, der zum Wohnbauressort gehört. Geschäftsführer des wohnfonds ist ein früherer Mitarbeiter und interimistischer Leiter der Magistratsabteilung 21 – also jener Abteilung, die für die Flächenwidmungs- und Bebauungspläne verantwortlich ist.
Bezirksparteien stimmen für Neubau
In Vorbereitung auf den Abriss und Neubau ändert die Stadt derzeit den Flächenwidmungs- und Bebauungsplan. Wie immer bei solchen Änderungen wurde auch in der Bezirksvertretung – also im Bezirksparlament – darüber abgestimmt. In Rudolfsheim-Fünfhaus stimmten SPÖ, Grüne, Wien Anders, ÖVP und NEOS für den neuen Plan, die FPÖ als einzige Partei dagegen.
Laut Protokoll war auch ein Vertreter der für Flächenwidmungs- und Bebauungspläne zuständigen Magistratsabteilung 21 anwesend. Was genau besprochen wurde, bleibt aber unklar, denn wörtliche Protokolle gibt es bei solchen Sitzungen nicht. Auch wurden „Ton- und Bildaufnahmen von der Vorsitzenden untersagt“, wie zu lesen ist.
Der Erhalt des blauen Hauses ist allerdings nicht direkt vom Ergebnis dieser Abstimmung abhängig. Für den Abbruch vor 1945 errichteter Gebäude braucht es die Zustimmung der für Architektur zuständigen Magistratsabteilung 19. Vielleicht hätte aber eine deutliche Ablehnung des neuen Flächenwidmungsplans durch die Bezirksparteien zumindest eine Diskussion über den Erhalt des blauen Hauses in Gang gesetzt.
"Absegnen ja, mitreden nein"
Wenn es um Flächenwidmungs- und Bebauungspläne geht, werden fast alle Entscheidungen im Rathaus und der zuständigen Magistratsabteilung 21 getroffen. Unter der Überschrift „Absegnen ja, mitreden nein“ kritisiert das Linksbündnis Wien Anders auf seiner Facebook-Seite: „Ob die Bezirksvertretung als gewähltes Gremium von Rudolfsheim-Fünfhaus Ja oder Nein zur Flächenwidmung sagt, ist ohne Relevanz oder auf wienerisch wurscht.“
Tatsächlich sehen die Stadtverfassung (§ 103g) und die entsprechenden Verordnungen bloß ein Anhörungsrecht für die Bezirke vor. Eine Anhörung „stellt jedoch keine Verpflichtung dar, alle Wünsche der Bezirksorgane tatsächlich (…) zu berücksichtigen.“
Keine Lobby für das blaue Haus
Noch einmal zur oben erwähnten Anfrage der NEOS: Ob die Partei das blaue Haus erhalten will oder nicht, geht aus dem Text der Anfrage nicht hervor. Da die NEOS-Bezirksräte der Flächenwidmung für den Neubau zugestimmt haben, dürfte die Partei aber zumindest nicht gegen den Abbruch sein.
NEOS-Planungssprecher Gara hat sich übrigens kürzlich für den Erhalt der gefährdeten AKH-Kliniken und 2018 auch für Schutzzonen ausgesprochen. Die Haltung der Partei zum Schutz alter Häuser bleibt aber unklar. Kürzlich stimmten die NEOS in Hernals gegen neue Schutzzonen, die Abrisse historischer Gebäude verhindern können. Auch der (rot-grünen) Verschärfung der Bauordnung zum besseren Schutz alter Häuser verweigerten sie 2018 die Zustimmung.
Kontakte zu Stadt & Politik
- SPÖ: kontakt@spw.at, Tel. +43 1 535 35 35
- ÖVP: info@wien.oevp.at, Tel. +43 1 51543 200
- Die Grünen: landesbuero.wien@gruene.at, Tel. +43 1 52125
- NEOS: wien@neos.eu, Tel. +43 1 522 5000 31
- FPÖ: ombudsstelle@fpoe-wien.at, Tel. +43 1 4000 81797
(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)
Verfall und Abrisse verhindern: Gemeinsam gegen die Zerstörung! (Anleitung mit Infos und Kontaktdaten)
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