Wer heute „Wien Mitte“ hört, denkt wahrscheinlich an ein großes Einkaufszentrum und den Bahnhof, der sich darunter befindet. Viele werden auch noch die einigermaßen triste Markthalle in Erinnerung haben, die bis 2008 hier geöffnet hatte. Weniger bekannt ist vielleicht, dass es an diesem Ort einst einen historischen Bahnhof und riesige Markthallen aus der Gründerzeit gab. Ein letzter Rest des alten Bahnhofs ist bis heute erhalten – und schier hoffnungslos heruntergekommen.
Hinweis: Der 2019 erschienene Artikel wurde mehrmals aktualisiert (zuletzt im September 2022).
Bahnhof aus der Gründerzeit
Blick zurück ins 19. Jahrhundert. Mit dem Bau der ersten Eisenbahnstrecken in der Monarchie wurde auch der Grundstein zum Bahnhof Hauptzollamt gelegt, dem Vorläufer von Wien Mitte. Der Bahnhof lag am damals weitgehend unbebauten Gelände zwischen dem Wienfluss und der Landstraße, die zu der Zeit gerade Teil der Stadt wurde (Eingemeindung 1850). Bereits ab 1860 herrschte durchgehender Fahrbetrieb, zwei Jahrzehnte später verkehrten schon regelmäßig Züge zwischen Meidling und Landstraße.
Der Bahnhof lag am damals weitgehend unbebauten Gelände zwischen dem Wienfluss und der Landstraße, die zu der Zeit gerade Teil der Stadt wurde (Eingemeindung 1850). Bereits ab 1860 herrschte durchgehender Fahrbetrieb, zwei Jahrzehnte später verkehrten schon regelmäßig Züge zwischen Meidling und Landstraße.
Historische Markthallen
Einige Jahre nach dem Bau des Bahnhofs Hauptzollamt wurde die Großmarkthalle (Architekt: Friedrich August von Stache) errichtet. Durch die unmittelbare Nähe zum Bahnhof konnten landwirtschaftliche Produkte nun direkt mit der Bahn in die Stadt transportiert werden, was auch 150 Jahre später noch sehr fortschrittlich erscheint. Zwei weitere Hallen an der nahen Invalidenstraße folgten – 1899 die Neue Fleischhalle und 1906 die Viktualienhalle. Noch in den 1930ern wurde ein Erweiterungsbau errichtet.
Zwei weitere Hallen an der nahen Invalidenstraße folgten – 1899 die Neue Fleischhalle und 1906 die Viktualienhalle. Noch in den 1930ern wurde ein Erweiterungsbau errichtet.
Die Großmarkthalle war noch in den späten 1970er-Jahren in gutem Zustand (Foto unten).
Radikalabriss in der Zweiten Republik
Wie alle Bahnhofsareale hatten auch der Bahnhof Hauptzollamt und seine Umgebung stark unter den Luftangriffen des 2. Weltkriegs zu leiden. Trotzdem überdauerten sie bis weit in die Zweite Republik. Der Bahnhof wurde in den 1960ern abgebrochen.
In den 1970ern war auch für die Markthallen endgültig Schluss. Anstelle der Großmarkthalle ragen heute das Hilton-Hochhaus, eine Bankzentrale und ein Kinokomplex in die Höhe.
Neubauarchitektur: Funktional, schnörkellos, kurzlebig
Wien Mitte: Abriss und Neubau
Das Einkaufszentrum, die Detailmarkthalle und der Busbahnhof wurden in den 1970ern gebaut – und überlebten nur knapp 40 Jahre.
Vordere Zollamtsstraße: Vom Theater zum Bürohaus
Auch in der nahen Vorderen Zollamtsstraße 13 zeigt sich die Kurzlebigkeit: Direkt gegenüber der alten Station Hauptzollamt öffnete 1905 das Bürgertheater seine Pforten (siehe Foto oben), doch wurde es bereits 1960 wieder abgerissen und durch ein Bürohaus ersetzt. Dieses wiederum wurde 1988-1992 und dann erneut 2012 grundlegend umgebaut und umgestaltet.
Solch kurze Zeitspannen können sich mit den Dimensionen der Gründerzeit, die nun schon ein Jahrhundert zurückliegt, kaum messen. Was wäre wohl, stünden die alten Markthallen, das Bürgertheater und der historische Bahnhof heute noch? Die kulturelle und touristische Bedeutung lässt sich erahnen.
Wien Mitte wird neu - aber der Altbau verfällt
So ist vom alten Bahnhof Hauptzollamt also nur ein kleines Verwaltungsgebäude – vielleicht die Fahrdienstleitung – übrig geblieben, das auch in der Denkmalliste des Bundesdenkmalamts aufscheint. Während der Planungen für den Neubau von Wien Mitte hatte niemand daran gedacht, auch für das historische Relikt Sorge zu tragen. Der Bürokomplex samt „The Mall“ wurde 2015 um eine geschätzte halbe Milliarde Euro an einen internationalen Investor verkauft. Für das über 100 Jahre alte Verwaltungsgebäude in der Unteren Viaduktgasse fiel davon kein Cent ab. Es dürfte einzig dem Denkmalschutz zu verdanken sein, dass es nicht schon längst dem Erdboden gleichgemacht wurde.
Verwaltungsgebäude des Bahnhofs Hauptzollamt im Jahr 2019
Angesichts des traurigen Bauzustandes könnte die Einschätzung aufkommen, dass sich eine Renovierung nicht lohnen würde. Dass ohnehin schon fast alles vom alten Bahnhof weg ist. Und dass das Haus ja nicht „schön“ sei. – Doch genau solche Überlegungen könnten auch in den 1960ern und 1970ern vorgeherrscht haben. Entsprechend verheerend war das Resultat für den alten Bahnhof und die Markthallen.
Abriss oder Sanierung?
Das Grundstück, auf dem das Gebäude steht, gehört immer noch den ÖBB. Laut ÖBB wurde ein Baurechtsvertrag mit einem privaten Wiener Immobilienunternehmen geschlossen. Ein Baurechtsvertrag sieht vor, dass das Grundstück selbst zwar nicht verkauft wird, das darauf befindliche Gebäude aber schon. Da das private Immobilienunternehmen ein denkmalgeschütztes Gebäude erworben hat, wird ein Abriss nicht so einfach möglich sein.
Zwar ist schon vorsichtig von einer geplanten Sanierung zu hören gewesen, nähere Informationen oder ein offiziell angekündigtes Projekt gibt es aber noch nicht. Nach Weltkriegen und Abrisswellen wird das alte Haus hoffentlich noch einige Zeit ohne Renovierung durchhalten – selbst im hohen Alter von über 100 Jahren.
2020: Der Verfall geht weiter - trotz Denkmalschutz
An dieser Stelle endete der ursprüngliche Artikel vom März 2019. Auch viele Monate später hat sich am Zustand des Gebäudes nichts geändert. Nach wie vor sind die Schäden an Fassade und Gesims nicht repariert, obwohl das Gebäude unter Denkmalschutz steht und folglich eine strenge Erhaltungspflicht gilt.
Die Baupolizei teilte mit, dass der Baurechtsnehmer „Architekten mit der Planung beauftragt [hat], wie unter den Vorgaben des Denkmalschutzes und der Bauordnung für Wien eine angemessene Erweiterung des Gebäudes erfolgen kann. (…) Im Zuge dieses Projektes, das auf Grund der Rahmenbedingungen hohe Komplexität aufweist, soll auch die Sanierung des bestehenden Gebäudes erfolgen.“
Zudem werden die Behörden die Planungen weiter beobachten und bei Bedarf Reparaturaufträge erteilen. So ist also das letzte Wort noch nicht gesprochen. WienSchauen bleibt an dem Fall dran. Der Artikel wird aktualisiert, sobald es Neuigkeiten gibt.
2021: Sanierungsprojekt angekündigt
Zwar wurde das Gebäude auch 2021 nicht saniert, aber immerhin ließ ein Bericht im ORF aufhorchen. Demnach sei eine Sanierung mit angrenzenden Neubauten geplant. Die Initiative Denkmalschutz meldete mit Verweis auf den ORF-Bericht:
Seit 18 Jahren beschäftigt sich Projektentwickler Peter Schneyder mit diesem ehemaligen Verwaltungsgebäude des Frachtenterminals, das er von der ÖBB per Baurechtsvertrag erworben hat. Es stellt den letzten verbleibenden Teil des von Otto Wagner gestalteten Bahnhof Hauptzollamt dar. Seit 2015 gibt es ein Baurecht und viele Pläne, die ob der vielen Zwänge (kleines eingezwicktes Grundstück, direkt neben den Bahn-Gleisen) nicht so einfach umzusetzen sind. Jetzt scheint endlich ein konkretes Projekt vor der Umsetzung zu stehen. Am Areal soll jetzt eine siebenstöckige Gästeunterkunft entstehen, die das kleine, einstöckige Verwaltungsgebäude von zwei Seiten einrahmen und seinen schrägen Wänden auch überragen soll.
2022: Dach repariert
Das Dach des Gebäudes soll jahrelang in einem sehr schlechten Zustand gewesen sein. Zumindest das dürfte 2022 einigermaßen behoben worden sein (siehe Foto unten). So wurden wohl undichte Stellen abgedeckt. Vielleicht erfolgte die Reparatur auf Drängen der Baupolizei, die Bauaufträge erteilen kann, wenn Gebäude beschädigt sind.
Kontakte zu Stadt & Politik
www.wien.gv.at
post@bv03.wien.gv.at
+43 1 4000 03110
Die Bezirksvorstehungen sind die politischen Vertretungen der einzelnen Bezirke. Die Partei mit den meisten Stimmen im Bezirk stellt den Bezirksvorsteher, dessen Aufgaben u.a. das Pflichtschulwesen, die Ortsverschönerung und die Straßen umfassen.
- SPÖ: wien.landstrasse@spoe.at
- Die Grünen: landstrasse@gruene.at
- ÖVP: landstrasse@wien.oevp.at
- NEOS: wien@neos.eu
- FPÖ: ombudsstelle@fpoe-wien.at
- Links: kontakt@links-wien.at
(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im Dezember 2020.)
- SPÖ: kontakt@spw.at, Tel. +43 1 535 35 35
- ÖVP: info@wien.oevp.at, Tel. +43 1 51543 200
- Die Grünen: landesbuero.wien@gruene.at, Tel. +43 1 52125
- NEOS: wien@neos.eu, Tel. +43 1 522 5000 31
- FPÖ: ombudsstelle@fpoe-wien.at, Tel. +43 1 4000 81797
(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)
Verfall und Abrisse verhindern: Gemeinsam gegen die Zerstörung! (Anleitung mit Infos und Kontaktdaten)
Quellen
- Bahnhof Hauptzollamt (Wien-Mitte): Letztes Relikt vor Revitalisierung (Initiative Denkmalschutz)
- Zwischen Hoffen auf Wunder und Abrissbescheid (Die Presse, 1.12.2020)
WienSchauen.at ist eine unabhängige, nicht-kommerzielle und ausschließlich aus eigenen Mitteln finanzierte Webseite, die von Georg Scherer betrieben wird. Ich schreibe hier seit 2018 über das alte und neue Wien, über Architektur, Ästhetik und den öffentlichen Raum.
Wenn Sie mir etwas mitteilen möchten, können Sie mich per E-Mail und Formular erreichen. WienSchauen hat auch einen Newsletter: