Wie der Stephansplatz (wieder) schön wurde

Der Stephansplatz ist das unbestrittene Zentrum Wiens. Doch nicht immer hat es um Österreichs bedeutendste Kirche – den Stephansdom – eine schöne Fußgängerzone und viel Platz für alle gegeben. Jahrzehntelang waren Stephansplatz, Graben und Kärntnerstraße fest in der Hand des Autoverkehrs. Fahrende und parkende PKW bestimmten den öffentlichen Raum, Fußgänger wurden an den Rand gedrängt, die Innere Stadt galt als sterbender Bezirk.

– Fotos und Infos zu 140 Jahren Stephansplatz & Umgebung. Mit Schwerpunkt öffentlicher Raum und Verkehr.

Stephansplatz
Stephansplatz um 1900 (ÖNB), 1965 (Aradi Péter, Szenczi Mária, Fortepan 117292) und 2020

Das schöne 19. Jahrhundert

Das 19. Jahrhundert hat sich durch seine Architektur unübersehbar in das Wiener Stadtbild eingeschrieben. Die aufwendigen Fassaden, schönen Dächer und kunstvollen Portale sind das, was die Stadt bis heute auszeichnet und bei Bewohnern und Urlaubern so beliebt macht. Die Historismusbauten an der Ringstraße bilden zweifellos immer noch den Höhepunkt der Wiener Architektur.

Auftritt für das Trottoir

Nicht mehr unmittelbar sichtbar sind heute der Verkehr und die Gestaltung der Straßen in der Zeit vor 1900. So setzte sich die bis heute übliche Aufteilung in Gehsteig und Fahrbahn erst relativ spät durch. Um 1800 wurden die Gehwege vor den Häusern gepflastert – jedoch ohne Niveauunterschied zur Straßenmitte, sodass Fuhrwerke diese Wege leicht verstellen konnten. Erhöhte Gehsteige kamen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts auf.

Auf den folgenden Bildern sind die baulich abgesetzten Gehsteige schon deutlich zu sehen.

Trotzdem blieb der ganze Straßenraum auch für Fußgänger weiterhin zugänglich.

Fußgänger, Dame mit Schirm und Fuhrwerke am Stephansplatz, historische Aufnahme
1897: "Begegnungszone" am Stephansplatz (Foto: ÖNB/Lichtbildstelle)

Die Stadt als Begegnungszone

2013 wurde die gesetzliche Grundlage für die Begegnungszonen geschaffen. In diesen Zonen sind zumindest theoretisch alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt.

Doch das Prinzip dahinter ist eigentlich ein ganz altes, denn die längste Zeit waren quasi sämtliche Straßen und Plätze Begegnungszonen. Fußgänger, Fuhrwerke und Radfahrer teilten sich den Straßenraum (durchaus nicht immer friktionsfrei). So auch am Stephansplatz in den 1870er-Jahren:

Um 1874: "Begegnungszone" vor dem Riesentor des Stephansdoms, Blick in Richtung Rotenturmstraße (ÖNB/Burger)

Der Gehsteig erfuhr gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine sukzessive Aufwertung. Erst wurde das Radfahren, ab 1880 auch der gesamte Wagenverkehr auf dem Gehsteig verboten. Dazu der Historiker Sándor Békési:

Die darauffolgenden Jahrzehnte bis um 1910 könnten wir sozial- und kulturhistorisch als den Höhepunkt in der Entwicklung des Gehsteigs in Wien bezeichnen, ohne dass dies in planerischer Absicht entstanden wäre. In dieser Phase etablierte sich der Begriff „Bürgersteig“, aber auch die Verwendung von „Trottoir“ blieb. Die Passanten hatten in diesem Bereich der Straße so viel Spielraum wie vermutlich nie zuvor und – zumindest offiziell – keine Konkurrenz mit anderen Verkehrsteilnehmern zu befürchten. Zugleich konnten sie auch die Fahrbahn mehr oder weniger frei benutzen.

So war beispielsweise die Ecke Kärntnerstraße/Graben um 1900 für Fußgänger problemlos passierbar:

Die Wende kam mit dem Automobil und dem Umbau öffentlicher Flächen zugunsten des motorisierten Individualverkehrs, so Békési:

Um die Jahrhundertwende war in Folge des dichter und schneller werdenden Straßenverkehrs die Sicherheit der Fußgänger immer weniger gegeben – und vor allem: Sie schienen dem Verkehrsfluss auf der Fahrbahn immer mehr im Weg zu stehen.

Das massive Verdrängen von Fußgängern an die Straßenränder ist somit ein erst rund einhundert Jahre altes Phänomen.

1918: Graben und Stock-im-Eisen-Platz, links das (im Krieg zerstörte) erste Haas-Haus (ÖNB/Lichtbildstelle)

Auch der Stephansplatz war einst eine von Fußgängern, Fuhrwerken und Pferdeomnibussen gemeinsam genutzte Fläche, wie die Aufnahmen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert zeigen.

Die letzten Jahrzehnte des Pferdes

Noch bevor die erste Eisenbahn im damaligen Österreich ihren Betrieb aufnahm, verkehrten bereits die sogenannten Pferdeomnibusse (Fotos unten) in Wien. Um 1900 übernahm allmählich die elektrifizierte Straßenbahn den Nahverkehr.

Bis in die 1910er-Jahre waren Fuhrwerke am Stephansplatz allgegenwärtig.

Wo heute die Fiaker ihren Platz haben, standen schon in den 1900ern die Fuhrwerke (Foto unten).

1907: Stephansplatz/Schulerstraße (AKON/ÖNB)

Bereits in den letzten Jahren der Monarchie herrschte im Stadtzentrum ein zum Teil reges Verkehrsaufkommen.

Straßenlaternen

Ein heute nicht mehr vorhandenes Detail sind die alten Straßenlaternen. Solche kunstvollen Laternen fanden sich in vielen größeren Straßen und auf Plätzen in ganz Wien. Sie wurden fast alle demontiert.

Der Sinn für schöne Beleuchtungskörper ist in Wien gänzlich verlorengegangen. Heute bestimmen Hängeleuchten (inklusive der damit verbundenen Drähte in der Luft) und schmucklose Straßenlaternen das Stadtbild. An alte Modelle angelehnte Laternen sind selten geworden.

Die folgende Aufnahme zeigt den Stephansplatz im 1. Weltkrieg beim Trauerzug für den 1916 verstorbenen Kaiser Franz Josef. Zwei Jahre später endete die Monarchie.

1916: Begräbnis von Kaiser Franz Josef I. (ÖNB)

Die Automobile kommen

Das Auto hat das Straßenbild fundamental verändert. In Wien sind die frühen Meilensteine des Automobilismus:

  • 1892: Das erste Automobil Gottfried Daimlers fährt durch die Innenstadt.
  • 1899: Erste (ausschließliche) Automobilausstellung Wiens
  • 1908: Fahrverbot für Automobile in der Inneren Stadt wird aufgehoben
  • 1912: Insgesamt 5300 Autos in Wien registriert (bei über zwei Millionen Einwohnern)

Auch vor dem Stephansplatz machte diese Entwicklung nicht halt:

1929: Beginnender motorisierter Verkehr am Stephansplatz (ÖNB/AKON)

In den frühen 1930ern sind PKW und Busse bereits allgegenwärtig:

Fußgänger und Automobile am Stock-im-Eisen-Platz und Stephansplatz, 1930er, Stephansdom, Innere Stadt, Wien, historisches Foto
1932: Stephansplatz mit Auto- und Busverkehr (ÖNB)

Die höheren Fahrgeschwindigkeiten und steigenden Automobilzahlen sorgten für eine Neuaufteilung des öffentlichen Raums. Die bekannte Trennung von Fußgängern und KFZ ist auf dem Foto unten schon deutlich zu sehen.

Verkehrsinsel am Stock-im-Eisen-Platz, 1932
1932: Stock-im-Eisen-Platz und Graben mit Verkehrsinsel (ÖNB)

Der größte Teil der Straßen gehörte fortan den fahrenden und parkenden Autos, auch wenn es zur massenhaften Durchsetzung noch bis in die 1960er dauerte.

1937: Firmungswagen vor dem Stephansdom (ÖNB/Lichtbildstelle)

Zumindest für feierliche Anlässe wurde die Kutsche auch später noch genutzt. Die Fotos oben und unten zeigen Firmungswägen.

1937: Stephansplatz mit Firmungswägen und Autos im Hintergrund (ÖNB/Lichtbildstelle)

Die folgende Aufnahme zeigt den letzten Bundespräsidenten der 1. Republik, Wilhelm Miklas (1872-1956). Eine Fußgängerzone war der Stephansplatz damals aber nicht.

Wilhelm Miklas (rechts), der letzte Bundespräsident der 1. Republik, am Stephansplatz
1931: Wilhelm Miklas (rechts), der letzte Bundespräsident der 1. Republik, am Stephansplatz (ÖNB/Hilscher)

Die Kollateralschäden der Beschleunigung

Schon kurz nach 1900 kamen von offizieller Seite her Bedenken wegen der sich verschlechternden Luftqualität durch Automobile auf (wobei die Auswirkungen von Heizungen und Industrie damals sicher ein viel größeres Problem darstellten):

Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Automobile (…) durch die von denselben erzeugten Gase und Dämpfe die Beschaffenheit der Luft verschlechtern (…) Der Uebelstand der Belästigung besteht, wird in Zukunft voraussichtlich stärker werden und bedarf daher einer Abhilfe.“

Der durch den Autoverkehr erzeugte Lärm rief schon im Jahr 1912 Kritiker auf den Plan:

Nicht bloß in frequenteren Straßen, auch in abgelegenen Regionen der Stadt ist es schon gegenwärtig kaum mehr möglich, die Fenster offen zu halten, wenn man nicht jeden Augenblick durch die laut kreischenden Huppensignale aufgeschreckt werden will (…) Hiezu kommt das Pusten, das dröhnende Rasseln, Schwirren, Sausen und Brummen der Motoren (…)

Die höheren Fahrgeschwindigkeiten von Automobilen stellten die Gesellschaft vor ganz neue Probleme:

Bereits um 1900 bestimmten Autounfälle den öffentlichen Raum und (…) schafften es in die Schlagzeilen der Medien. Das Automobil wurde zum gefährlichen Fremdkörper im öffentlichen Raum. Seine gegenüber Pferdefuhrwerken und auch der Eisenbahn deutlich höhere Geschwindigkeit machte es zum öffent­lichen Streitfall. Das Fahrzeug wurde als Bedrohung und Gefahr für die öffentliche Ordnung angesehen (…)

Der Verkehrsunfall wurde bald auch zu einem Topos in der Literatur. Eine Szene aus Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“ (1930er):

(…) Diese beiden [eine Dame und ein Herr] hielten nun plötzlich ihren Schritt an, weil  sie vor sich einen Auflauf bemerkten. Schon einen Augenblick vorher war etwas aus der Reihe gesprungen, eine querschlagende Bewegung; etwas hatte sich gedreht, war seitwärts gerutscht, ein schwerer, jäh gebremster Lastwagen war es, wie sich jetzt zeigte, wo er, mit einem Rad auf der Bordschwelle, gestrandet dastand. Wie die Bienen um das Flugloch hatten sich im Nu Menschen um einen kleinen Fleck angesetzt, den sie in ihrer Mitte freiließen.

Von seinem Wagen herabgekommen, stand der Lenker darin, grau wie Packpapier, und erklärte mit großen Gebärden den Unglücksfall. Die Blicke der Hinzukommenden richteten sich auf ihn und sanken dann vorsichtig in die Tiefe des Lochs, wo man einen Mann, der wie tot dalag, an die Schwelle des Gehsteigs gebettet hatte. Er war durch seine eigene Unachtsamkeit zu Schaden gekommen, wie allgemein zugegeben wurde (…)

Der Herr sagte nach einigem Schweigen zu ihr: „Diese schweren Lastwagen, wie sie hier verwendet werden, haben einen zu langen Bremsweg.“ Die Dame fühlte sich dadurch erleichtert und dankte mit einem aufmerksamen Blick. Sie hatte dieses Wort wohl schon manchmal gehört, aber sie wusste nicht, was ein Bremsweg sei, und wollte es auch nicht wissen; es genügte ihr, dass damit dieser grässliche Vorfall in irgendeine Ordnung zu bringen war und zu einem technischen Problem wurde, das sie nicht mehr unmittelbar anging (…)

Austrofaschismus: Der Umbau Wiens zur Verkehrsstadt

Was in den alten Fotos nicht sichtbar wird, ist die zunehmende politische und wirtschaftliche Destabilisierung Österreichs während der 1. Republik. Die massive Inflation, die extreme politische Polarisierung und die bürgerkriegsartigen Zustände lähmten den jungen Staat. Dazu kamen der grassierende Antisemitismus und die wirtschaftliche Depression durch die Weltwirtschaftskrise.

Doch auch in dieser Zeit kam der Verkehr alles andere als zum Stillstand. Der ab 1933/34 bestehende Ständestaat …

… versuchte eine Neuordnung der Stadt Wien. Im historischen Zentrum sollten monumentale Bauwerke und Verwaltungsgebäude entstehen. Die historisch gewachsene Wohnbausubstanz sollte mittels einer Strategie der Assanierung in Richtung Verkehrsstadt verändert werden. Dafür wurde ebenfalls der Verkehrsbau mittels Brücken- und Straßenbau intensiviert. Die Peripherie der Stadt war als Gartenstadtgürtel angedacht.

Was der Historiker Andreas Suttner in seinem Buch „Das schwarze Wien“ beschreibt, hat seine Spuren im Bau der Höhenstraße und in Abrissen „verkehrsbehindernder“ Häuser hinterlassen. Weite Teile des alten Freihauses im 4. Bezirk (heute die Gegend um die Operngasse und Schleifmühlgasse) und zahlreiche Gebäude in der Wollzeile (darunter das denkmalgeschützte Palais Paar) wurden abgebrochen und durch teilweise schlichte Neubauten ersetzt. Breitere Straßen sollten dem steigenden motorisierten Verkehr Raum bieten.

Bezeichnenderweise gab die Stadtregierung von 1934-1938 mehr Geld für den Straßenbau aus als für den Wohnbau, die Errichtung von Familienasylen und die Sanierung von Althäusern zusammengerechnet. Auf den Stephansplatz hatten all diese Maßnahmen keine unmittelbare Auswirkung. Bebauung und öffentlicher Raum blieben bis in den 2. Weltkrieg hinein fast unverändert.

Auf den folgenden Fotos aus dem Jahr 1934 ist der Trauerzug für den Bundeskanzler bzw. austrofaschistischen Diktator Engelbert Dollfuß zu sehen, der bei einem Putschversuch von Nationalsozialisten ermordet worden war.

Am Vorabend der Zerstörung

Die Verbrechen des Nationalsozialismus und die Schrecken des einsetzenden Angriffskriegs gegen halb Europa scheinen auf dem untenstehenden Foto weit weg zu sein. Und doch hat sich die faschistische Herrschaft schon um 1940 fest in das Bild des Stephansplatzes eingeschrieben: Die Häuser ganz links und in der Mitte (Stephansplatz Nr. 9 u. 11) beherbergten zuvor das Warenhaus Rothberger.

Stephansplatz im 2. Weltkrieg, Wien, Innere Stadt
ca. 1940: Stephansplatz mit breiter Straße und im 2. Weltkrieg zerstörter Bebauung (WStLA/Reiffenstein)

Der jüdische Besitzer wurde 1938 enteignet, die Gebäude später durch Bombenangriffe weitgehend zerstört. Von der einst blühenden jüdischen Geschäftskultur sind in Wien heute nur mehr wenige Namen (Gerngross, Knize) geblieben.

Auf dem Foto unten ist noch das prächtige Gebäude Stephansplatz 8 zu sehen, das ebenfalls dem 2. Weltkrieg zum Opfer fiel.

1940: Blick vom Stephansplatz in Richtung Brandstätte, in der Mitte das im Krieg zerstörte Gebäude Stephansplatz 8 (ÖNB/Hennings)

Die gesamte Häuserzeile auf der rechten Seite am Foto unten wurde 1945 zerstört und nicht bzw. nur stark vereinfacht wiederaufgebaut.

Stephansplatz in der Nazizeit, ca. 1940
ca. 1940: Stephansplatz 8-12, im 2. Weltkrieg zerstört (WStLA/Foto Reiffenstein)

Die Aufnahmen unten zeigen ein Wien wenige Jahre vor den massiven Kriegszerstörungen. Ein Fünftel aller Häuser in der Stadt wurde im 2. Weltkrieg zerstört oder beschädigt.

Wiederaufbau

Zerstörter Stephansplatz

Nach dem Ende des 2. Weltkriegs und der Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus war der Stephansplatz nicht mehr alte: Der Stephansdom schwer beschädigt, das Haas-Haus und die ganze Häuserzeile gegenüber dem Eingangsportal des Doms zerstört, unzählige Häuser in der direkten Umgebung zertrümmert.

Die durch die Zerstörungen entstandenen „Lücken“ fallen bis heute auf: Es sind die Nachkriegsbauten mit ihren glatten Fassaden, die an die Folgen des Krieges erinnern. Viele alte Häuser wurden nicht wiederhergestellt.

Stephansdom mit zerstörtem Dach, 2. Weltkrieg, nach Brand, Wien, Innere Stadt, Kriegsschäden
1946: zerstörtes Haas-Haus u. beschädigter Stephansdom (ÖNB)

Stephansdom wird wiederaufgebaut

1945 wurde der Stephansdom bei einem Brand schwer beschädigt, das gotische Dach vollständig zerstört.

Der Wiederaufbau begann sofort nach dem Ende des Krieges, die feierliche Neueröffnung fand schon 1948 statt.

Der im Krieg beschädigte 136 Meter hohe Südturm wurde in den 1950ern restauriert und ist auch seither immer wieder eingerüstet.

Die neue Pummerin kommt

Die „Pummerin“ ist die größte Glocke des Stephansdoms (und auch die größte Österreichs). Die alte Pummerin, 1710 aus erbeuteten osmanischen Kanonenkugeln gegossen, stürzte im April 1945 beim Brand des Doms in die Tiefe und zerschellte. U.a. aus ihren Trümmern wurde eine neue Glocke gefertigt, die 1952 in Wien eintraf.

Stephansplatz, Pummerin, Riesenglocke, Stock im Eisen-Platz, Wien, Nachkriegszeit
1952: Die neue Pummerin (Glocke) wird gebracht. (ÖNB)

Geweiht von Kardinal Theodor Innitzer und später auf den (kleineren) Nordturm gehoben, erklang die über 21 Tonnen wiegende Glocke erstmals im Jahr 1957.

Staatsvertrag

Das untenstehende Foto erweckt den Eindruck, als sei der Stephansplatz schon in den 1950ern eine Fußgängerzone gewesen. Zu sehen ist, wie eine Menschenmenge am Tag des Staatsvertrags zum Gottesdienst strömt.

Menschen vor dem Wiener Stephansdom, Wien
15.5.1955: Menschenmenge vor dem Stephansdom (ÖNB)

Die "Blechlawine" donnert heran

Mit dem Wiederaufbau nach dem Krieg und dem einsetzenden Wirtschaftswunder veränderte sich auch das Wiener Straßenbild in rasantem Tempo. Stephansplatz, Graben und Kärntnerstraße wurden wieder zu zentralen Verkehrsachsen für den motorisierten Verkehr. Das Verkehrsaufkommen übertraf rasch alle in der Zwischenkriegszeit bekannten Ausmaße.

Stephansplatz wird zur Autostraße

Stephansplatz, Graben, Kärntner Straße und Kohlmarkt (heute alle Fußgängerzonen) waren damals auf die Bedürfnisse des aufstrebenden PKW-Verkehrs angepasst: Breite Straßen, viele Fahrspuren, zahlreiche Parkplätze.

Autoverkehr am Stephansplatz, zwischen Haas-Haus und Stephansdom, Innere Stadt, Wien
1964: dichter Autoverkehr am Stephansplatz (Aradi Péter, Szenczi Mária, Fortepan 117293)

Der schon in den 1930ern begonnene Umbau Wiens zur Verkehrsstadt nahm an Fahrt auf. Auf dem folgenden Foto ist zu sehen, wie Autos vor dem Haas-Haus an der Ecke zum Stock-im-Eisen-Platz parken.

Stephansplatz und Graben in den 1950ern, Haas-Haus, Wien
1950er: Blick vom Stephansdom auf Haas-Haus und Graben (ÖNB)

Alleine auf der Strecke Kohlmarkt-Graben-Tuchlauben waren 1950 über 10.000 PKW pro Tag unterwegs, in der Kärntnerstraße fast 8.000. Nur zwölf Jahre später wurden am Stock-im-Eisen-Platz über 31.000 PKW gezählt (innerhalb eines Tages).

Fiaker und Autos am Stephansplatz, Wien
1965: Autoverkehr und Fiaker am Stephansplatz (Fortepan, Romák Éva)

Die weite Fläche zwischen Stephansplatz, Graben und Kärntnerstraße – der Stock-im-Eisen-Platz – war für den Autoverkehr reserviert. Nur an den Rändern und über eine Verkehrsinsel konnten sich Fußgänger fortbewegen:

Die schon im frühen 20. Jahrhundert genutzte Bushaltestelle (Foto unten) vor dem Riesentor des Stephansdoms gibt es heute schon lange nicht mehr.

Ob sich die Menschen in den 1960ern vorstellen konnten, dass hier einst eine Fußgängerzone errichtet werden würde?

Autoverkehr und Fiaker am Stephansplatz und Stock-im-Eisen-Platz, im Hintergrund die Kärntner Straße und das Palais Equitable
1967: Verkehr am Stephansplatz, Blickrichtung Kärntnerstraße/Graben (Foto: Bauer Sándor, Fortepan 128344)

PKW-Zahlen explodieren

Binnen weniger Jahrzehnte schnellte die Anzahl der in Wien registrierten PKW in die Höhe, nur unterbrochen durch den 2. Weltkrieg. Im Vergleich zur Zeit direkt nach dem Krieg stieg die Zahl der PKW bis 1966 um das 56-fache.

In den 1980ern waren 76-mal so viele PKW in Wien gemeldet wie in der Zwischenkriegszeit – bei gleicher Fläche und einem Fünftel weniger Einwohner.

Ganz extrem gestiegen ist auch der Motorisierungsgrad: Kamen 1926 noch 3,5 PKW auf 1000 Einwohner, waren es 2018 mehr als 375. Eine Steigerung um mehr als das Hundertfache. All das hat sich auch im Straßenbild manifestiert – am Stephansplatz noch bis vor wenigen Jahrzehnten und im übrigen Wien bis heute.

So herrschte bereits in den frühen 1950ern reger Kraftfahrzeugverkehr am Stock-im-Eisen-Platz:

Kreuzung Graben/Kärntnerstraße/Stephansplatz im Jahr 1953
1953: Stock-im-Eisen-Platz (bei der Kärntner Straße) als riesige Kreuzung (ÖNB)

Nur für besondere Anlässe wurde der Platz vorübergehend autofrei (das Foto unten zeigt eine Demonstration von Studenten gegen die Erhöhung der Studiengebühren).

Demonstration am Stock im Eisenplatz
1953: Demonstration am (damals sonst befahrenen) Stock-im-Eisen-Platz (ÖNB)

Die Stadtregierung wollte das Auto mit aller Kraft zum Massenverkehrsmittel erheben. „Störende“ Gebäude wie die Reste des Schlosses Inzersdorf (Liesing) und die 1725 erbaute Rauchfangkehrerkirche (Wiedner Hauptstraße) wurden kurzerhand abgerissen, um Straßenbau und Verkehrsfluss nicht zu beeinträchtigen. Die Innere Stadt blieb von solchen Wahnsinnstaten zum Glück verschont.

220.00 Autos pro Tag im 1. Bezirk

Durch den steigenden motorisierten Verkehr wurde die Innere Stadt für Fußgänger immer unattraktiver. Lange galt das Stadtzentrum als „sterbender Bezirk“.

Über 220.000 Autos sind in den 1960ern Tag für Tag in den 1. Bezirk hineingefahren.

Autos und ein Bus der Linie 7 am Stephansplatz
1961: Verkehr am Stephansplatz (Foto: Wiener Linien)

Der berühmte Verkehrsplaner Hermann Knoflacher, der auch an der Planung unzähliger Fußgängerzonen beteiligt war, sagte über die Innere Stadt:

Damals [um 1960] war die Innenstadt so verstaut wie heute die Südosttangente. Das Zentrum Wiens war abgewohnt und abgewirtschaftet. Abends waren alle Rollos unten, die Stadt verwandelte sich nächtens in ein Rotlichtviertel: Da standen die Damen in den Hauseingängen, und es stank nach Abgasen.

Auf dem Stock-im-Eisen-Platz herrschte z. T. dichter Autoverkehr und selbst vor dem Riesentor des Stephansdoms erstreckte sich eine breite Fahrbahn bis in die Jasomirgottstraße (Foto unten).

1963: Fahrbahn vor dem Hauptportal des Stephansdoms (Bauer Sándor, fortepan 109364)

Erste Überlegungen für Fußgängerzonen in der Inneren Stadt kamen schon in den 1960ern auf. Wie auch bei späteren Verkehrsberuhigungen und zuweilen auch noch heute befürchteten die Geschäftsleute damals das Ausbleiben ihrer motorisierten Kundschaft. Bekanntlich passierte aber etwas ganz anderes: Durch die Fußgängerzone blühten Handel und Gastronomie auf, der Tourismus profitierte enorm und der Bevölkerung gefiel die Veränderung.

Graben, Stephansdom, 1960, Autos, Haas-Haus, Wien
1960: Wiener Stadtzentrum als Abstellplatz für Privatfahrzeuge (Fortepan 39028)

Parkplatz Stephansplatz

Vor dem Stephansdom war noch in den 1960ern ein großer Parkplatz eingerichtet. Das Foto unten erstaunt heute, aber letztlich ist es genau dieser Zustand, der auch heute noch viele öffentliche Räume prägt.

parkende Autos am Stephansplatz, neben dem Stephansdom, Wien
1963: Parkplatz auf dem Stephansplatz (Bauer Sándor, Fortepan 109366)

Fiaker und parkende Autos teilten sich den Stephansplatz.

Fiaker und Autos am Stephansplatz
1963: Fiaker und parkende Autos auf dem Stephansplatz (Bauer Sándor, Fortepan 109365)

Verdrängte Fußgänger

Mit der Massenmotorisierung staute es sich einerseits auf den Fahrbahnen, andererseits wurden die öffentlichen Räume in ganz Wien zu Abstellflächen für Privatgegenstände. Für Fußgänger blieb immer weniger Platz übrig, wie Sándor Békési beschreibt:

Um die Mitte der 1950er Jahre setzte mit zunehmendem Wohlstand auch die Breitenmotorisierung ein. Die Unfallzahlen schnellten in die Höhe, man sprach vom „Schlachtfeld Straße“. Dabei kamen vor allem Fußgänger zu Schaden (…) Das lange Warten auf Grün vor Schutzwegen wurde zur Regel. Die Straßenverkehrsordnung von 1960 verbot es sogar, den fußläufigen Verkehr auf dem Gehsteig durch „unbegründetes Stehenbleiben“ zu behindern. Mit ein Grund, warum sich das Trottoir zum monofunktionalen Fließraum entwickelte. Für viel mehr sollte auch nicht Platz sein: Vorgesehen waren damals in Nebenstraßen nur noch 1,25 Meter Mindestbreite [für Gehsteige].

Um noch mehr PKW auf öffentlichen Flächen abstellen zu können, wurden Schrägparkplätze in ganz Wien eingeführt (die großteils bis heute gültig sind):

Indes begannen die Autos die Straßen zu füllen, die Parkraumsituation wurde immer prekärer. Die Zauberlösung hieß: Schrägparken. Bis dahin durften Fahrzeuge in der Regel nur parallel zum Fahrbahnrand geparkt werden. Nun [1960er] begann man Schrägparkordnungen einzuführen, um mehr Stellplätze zu schaffen. Dies setzte in engeren Gassen wiederum Einbahnregelungen voraus. Einbahnstraßen erhöhten jedoch insgesamt das Verkehrsaufkommen und machten das Radfahren in der Stadt noch unattraktiver.

Dergestalt kam es zu einer radikalen Umwidmung und Neuverteilung des Straßenraums. Diese Art der Stellplatzvermehrung ging (und geht) auch unmittelbar auf Kosten der Fußgeher: Die hereinragenden Hecks und Motorhauben machten die Gehsteige noch schmäler – in der Extremform des Querparkens bis zu einem Drittel.

Stau im Stadtzentrum

Zwischen Haas-Haus und Stephansdom herrschte jahrzehntelang dichter PKW-Verkehr.

Autoverkehr am Stephansplatz, zwischen Haas-Haus und Stephansdom, Innere Stadt, Wien
1964: Stau vor dem Haas-Haus (Hunyady József, Fortepan 106666)

Lärm und die Abgase im Wiener Stadtzentrum müssen enorm gewesen sein.

Autoverkehr am Stephansplatz im Jahr 1964, im Hintergrund der Graben und das zweite Haas-Haus
1964: PKW-Verkehr am Stephansplatz, vor dem Haas-Haus (Foto: Hunyady József, Fortepan, 106656)

Auf dem Satellitenbild ist zu sehen, wie Stephansplatz und Stock-im-Eisen-Platz als breite Fahrbahnen dienten. Vor dem Stephansdom befand sich ein großer Parkplatz.

Luftaufnahme des Stephansplatzes, 1960er, Wien, Innere Stadt
1964: Stephansplatz mit breiter Fahrbahn und großem Parkplatz (WStLA/media wien)

Hier ein Blick vom Stephansdom auf den Stephansplatz:

1962: Stephansplatz (Fortepan 165116, Bernhardt Ágnes)

In der autoaffinen Zeit um die 1960er-Jahre wurden zahlreiche Straßenbahnen aufgelassen und somit dem PKW-Verkehr noch mehr Platz eingeräumt. Wäre es nach einigen Plänen der 1950er und 60er gegangen, sähe Wien heute überhaupt anders aus:

  • Für den Donaukanal war eine komplette Überplattung im Gespräch, um Raum für Parkplätze zu schaffen.
  • Über den Gürtel sollte eine Autobahn auf Stelzen gebaut werden, um den Autoverkehr noch mehr zu fördern.
  • Noch in den 1970ern gab es Pläne, den ganzen Naschmarkt abzureißen, um Platz für eine Stadtautobahn zu bekommen. Dieses (schon in der Zeit des Nationalsozialismus angedachte) Projekt wurde erst durch eine Bürgerinitiative gestoppt.

Das Zentrum Wiens wird wieder schön

Fußgängerzone kommt

Der erste Schritt in Richtung Fußgängerzone erfolgte 1971, als der Graben im Rahmen des „Weihnachtskorso“ autofrei wurde. Die Aktion war so erfolgreich, dass das Provisorium verlängert wurde. 1974 bekam Wien mit der baulichen Umgestaltung der Kärntnerstraße die erste „richtige“ Fußgängerzone (Architekten: Wilhelm Holzbauer, Wolfgang Windbrechtinger). Graben, Stephansplatz und Kohlmarkt folgten später.

Fußgängerzone am Graben wird eröffnet, Wien
1971: Eröffnung der Fußgängerzone am Graben (ÖNB/Kern F.)

Bis Anfang der 1990er wurden außerdem u.a. die Nebengassen der Kärntner Straße, der Stock-im-Eisen-Platz, der Minoritenplatz, die Hofburg und Teile von Lugeck und Tuchlauben zu verkehrsberuhigten Zonen.

Die Fußgängerzone im Zentrum Wiens ist heute eine Selbstverständlichkeit, den vorherigen Zustand mit Autoverkehr wünscht sich wohl niemand mehr zurück. Dass der Umgestaltung der Mariahilfer Straße Jahrzehnte später so massiver Gegenwind entgegenschlug, lässt fast an das Karl Kraus zugeschriebene Zitat denken: „Österreich ist das einzige Land, das aus Erfahrung dümmer wird“.

U-Bahn wird gebaut

Die U-Bahn ist in Wien im Vergleich zu anderen Städten noch relativ jung – abgesehen von der Stadtbahn (heute die Kernabschnitte von U4 und U6), die schon ab 1898 verkehrte. Während London, Paris und Budapest schon um 1900 unterirdische Bahnen in Betrieb hatten, hielt Wien lange an der Straßenbahn und später vor allem am motorisierten Individualverkehr fest.

Erst in den 1970ern kam die heutige U1 dazu. Die Station am Stephansplatz eröffnete 1978. Auch auf die Gestaltung der Straßen und Plätze hatte die U-Bahn eine starke Auswirkung. Hermann Knoflacher:

Der U-Bahn-Bau hat uns alle zum Umdenken gebracht. Die U-Bahn-Baustelle führte dazu, dass die Kärntner Straße und der Stephansplatz gesperrt wurden. Auf einmal sah man, wie schön das war.

U-Bahn-Baustelle am Stephansplatz, Stephansdom, U1, Wien, Innere Stadt
1975: U-Bahn-Bau am Stephansplatz (WStLA, Landesbildstelle Wien-Burgenland, Sterrer)

Die erste Ausbaustufe der U1 reichte vom Reumannplatz bis zum Karlplatz und kurz darauf bis zum Stephansplatz.

Spätestens mit der U-Bahn als Massentransportmittel verlor der PKW seine maßgebliche Rolle für den Verkehr im 1. Bezirk. Trotzdem wurde die Fußgängerzone letztlich viel kleiner als ursprünglich geplant, denn nach den ersten Erfolgen verließ die Politik der Mut schon wieder.

Zumindest konnte der Wiener Friedensaktivist Waluliso (1914-1996) in den 1980ern schon über einen autofreien Stephans- und Stock-im-Eisen-Platz spazieren:

Waluliso am Stephansplatz im Jahr 1982
1982: Waluliso am autofreien Stock-im-Eisen-Platz (TARS631)

Der Stephansplatz als Aushängeschild Wiens

Dass es in den 1970ern Widerstand gegen die Fußgängerzone im Herzen Wiens gab, ist heute kaum noch vorstellbar, so selbstverständlich ist der Vorrang für Fußgänger zumindest hier geworden.

Stephansplatz, Wien, Rotenturmstraße, Stephansdom
Früher eine stark befahrene Straße, heute Platz für alle: Stephansplatz vor dem Riesentor (Foto: 2020)

Abgesehen von dem gewonnenen Freiraum und der optischen Aufwertung ist die Verkehrsberuhigung im Zentrum der Inneren Stadt wohl eine der nachhaltigsten und besten Investitionen für den Wiener Tourismus überhaupt gewesen. Selbst die Wiener Wirtschaftskammer hat erkannt, dass Fußgänger- und Begegnungszonen gut fürs Geschäft sind und sich binnen weniger Jahre durch die gestiegenen Steuereinnahmen refinanzieren.

Passanten am Stephansplatz, Wien, 2008
2008: belebter Stephansplatz (Foto: Cha già José from Vienna, Wien DSC 7180, CC BY-SA 2.0)

Das Eck zwischen Stephansplatz, Graben und Kärntnerstraße ist ein touristisches Highlight und dank der autofreien Fläche trotz häufig vieler Passanten eigentlich erstaunlich ruhig.

Stephansplatz, Schanigärten, Fußgänger, Fußgängerzone, verkehrsberuhigt, Wien
2020: Fußgängerzone am Stock-im-Eisen-Platz und Stephansplatz

Vor dem Haas-Haus geben heute Fußgänger und Schanigärten den Ton an. Parkplätze und PKW-Verkehr sind hier nicht mehr vorstellbar. 

Fußgängerzone zwischen Graben und Stephansplatz, Haas-Haus, Wien
Stock-im-Eisen-Platz: links der Graben, rechts das Haas-Haus (Foto: 2020)

2017 hat der Stephansplatz wie die angrenzenden Fußgängerzonen eine neue Pflasterung aus Naturstein bekommen.

Fußgängerzone vor dem Wiener Stephansdom
Fußgängerzone am Stephansplatz, noch im Zeichen der Coronakrise (Foto: April 2020)

Der 1. Bezirk hat auch Jahrzehnte nach der Fertigstellung der Fußgängerzonen die meisten verkehrsberuhigten Straßen und Plätze im Verhältnis zu seiner Größe und Einwohnerzahl. Kein Bezirk bietet seinen Bewohnern auch nur ansatzweise so viel Fläche für Fußgängerzonen wie die Innere Stadt.

Stephansplatz mit 2017 erneuerter Pflasterung (Foto: April 2020)

Selbst bis zum alten Stephansdom reicht die Gestaltungsmacht der Wiener Magistrate: Die kaum hübsch anzusehenden silber-orangen Mistkübel kommen auch hier zum Einsatz. Die Straßenlaternen sind der Umgebung schon angemessener, kommen aber an die schmuckvollen Modelle der Jahrhundertwende bei weitem nicht heran.

Stephansplatz nahe Schulerstraße (Foto: 2020)

Wenn auch nicht an der Oberfläche, so ist doch selbst am Stephansplatz das Auto auch noch heute präsent: Neben dem größten Kirchenbau Österreichs befindet sich eine unübersehbare Einfahrt zu einer Parkgarage. Respektvoller Umgang mit der historischen Architektur und der Bedeutung des Platzes sieht anders aus.

Einfahrt in eine Parkgarage neben dem Stephansdom (Foto: 2020)

Vieles hat sich verändert, aber einer ist gleichgeblieben: Der Steffel (wie der Dom in Wien auch genannt wird) hat Fuhrwerke, Autostraßen und eine Fußgängerzone, Weltkriege, Brände und politische Umstürze gesehen. Ein beliebtes Motiv ist er geblieben.

Stephansdom und drei Haas-Häuser (jeweils links): um 1895, 1969 (Foto: Nagy Gyula, Fortepan 50083), 2020

Fazit: Weniger Autos - mehr Lebensqualität

Wie wurde der Stephansplatz also wieder schön? Die Antwort ist einfach: Die Autos sind weg.

Mit dem Wegfall der Fahrspuren und der Schaffung der Fußgängerzone haben die Bewohnerinnen und Bewohner das Zentrum ihrer Stadt zurückbekommen. Dabei wurde in gewisser Weise nur ein Zustand hergestellt, der die längste Zeit Normalität war, denn noch um 1900 waren quasi alle Straßen mehr oder minder auf den Fußgängerverkehr zugeschnitten. Ein Konzept, das heute schon wieder ganz modern wirkt.

Doch wie eingangs erwähnt hatte die damalige „Begegnungszone“ auch ihre Schattenseiten, denn im Zweifelsfall gaben Fuhrwerke den Ton an und machten auch vor Fußgängern vorbehaltenen Flächen nicht halt. Heute lassen sich die Vorteile von Vergangenheit und Gegenwart neu kombinieren:

  • Straßen, Gassen und Plätze können sich wieder an Fußgängern orientieren: Breite Gehsteige, Begegnungszonen oder Fußgängerzonen geben den Menschen den Raum, den sie früher schon hatten.
  • Um rasch voranzukommen sind U-Bahn, Schnellbahn, Straßenbahn und Busse die Verkehrsmittel der Wahl.
  • Baulich getrennte Radwege und Fahrradstraßen verhindern Konflikte zwischen Fußgängern, Radfahrern und Autofahrern.

Dieser kleinen Utopie steht freilich der motorisierte Individualverkehr ganz handfest im Weg. Doch in vielen Bezirken sinkt der PKW-Besitz seit Jahren – und darauf muss die Politik reagieren.

Feige Verkehrspolitik

Jahrzehnte sind seit der Umgestaltung von Stephansplatz, Graben und Kärntnerstraße vergangen. Abgesehen von der Mariahilfer Straße haben die Stadtregierungen kein einziges größeres Projekt zustande gebracht, was auch Hermann Knoflacher nachdenklich stimmen dürfte:

Wenn man daran denkt, dass man Ende der 1960er-, Anfang der 70er-Jahre ernsthaft daran gearbeitet hat, den 1. Bezirk gänzlich autofrei zu machen, dann sieht man erst, wie weit wir da zurückgefallen sind.

Die Umgestaltungen der letzten Jahre ergeben eine eher durchwachsene Bilanz:

  • Rotenturmstraße (1. Bezirk): Die 2019 zur Begegnungszone umgebaute Straße hat durch die Neugestaltung eine enorme Aufwertung erfahren. Trotz tausender Passanten täglich und dem hohen Platzverbrauch durch PKW gibt es zu gewissen Zeiten aber weiterhin Parkplätze.
  • Herrengasse (1. Bezirk): Seit dem Umbau zur Begegnungszone hat die Herrengasse eine schöne Pflasterung und passende Straßenlaternen. Die Parkplätze wurden entfernt. Eines der Vorzeigeprojekte.
  • Waltergasse (4. Bezirk): Eine 2019 umgebaute Gasse zwischen zwei Schulen, die auf einer Länge von 75 Metern keine Fußgängerzone geworden ist. Stattdessen sind Parkplätze und Durchfahrt temporär weiterhin gültig, inkl. Asphaltfläche in der Mitte.
  • Otto-Bauer-Gasse (6. Bezirk): Seit 2019 abschnittsweise eine Begegnungszone, deren Sinn durch die zeitweise vielen Parkplätze konterkariert wird. Immerhin wurde die nahe Königsegggasse zur Mini-Fußgängerzone.
  • Lange Gasse (8. Bezirk): Die erste Begegnungszone in der Josefstadt hat etliche Parkplätze – obwohl der Bezirk dicht bevölkert und dicht verbaut ist, folglich also freie Flächen für alle Bewohner fehlen.

Umgestaltungen in der Warteschleife

Bei den obigen Beispielen ist es zumindest zu Verbesserungen gekommen. Davon können die Bewohner und Besucher der folgenden Straßen nur träumen:

  • Wollzeile (1. Bezirk): Verkehrlich hat sich hier seit den 1960ern nichts verändert (viele Parkplätze, viel Asphalt, keine Begrünung). Dasselbe gilt für den Hohen Markt, den Platz ums Burgtheater und die Schottengasse.
  • Ringstraße (1. Bezirk): Die Prachtstraße Wiens schlechthin, z.T. bis in die Nebenfahrbahnen dem Autoverkehr untergeordnet (inkl. Parkplätzen). Alleine aus touristischen Gründen sind die vielen Fahrspuren fast schon peinlich.
  • Praterstraße (2. Bezirk): Politisches Hickhack wegen der Reduktion von drei auf zwei KFZ-Fahrspuren. Dabei stehen dem Autoverkehr derzeit bis zu fünf Spuren (drei Fahr- und zwei Parkspuren) zur Verfügung – mitten im Zentrum des 2. Bezirks.
  • Landstraßer Hauptstraße (3. Bezirk): Direkt vom Bahnhof Wien Mitte verlaufend; grau, breit, viel Asphalt, z.T. ohne Bäume. Viel Platz für den PKW-Verkehr, gefährlich für Radfahrer.
  • Reinprechtsdorfer Straße (5. Bezirk): In einem Bezirk mit extrem hoher Bevölkerungsdichte und extrem niedrigen Motorisierungsgrad (wenige Autos pro Einwohner) ist die wichtigste Straße vollständig dem Autoverkehr untergeordnet. Es fehlen Bäume, Radwege, schöne Pflasterungen, ansprechende Straßenlaternen.
  • Gumpendorfer Straße (6. Bezirk): Wenige Bäume, viel Platz für den motorisierten Verkehr, wenig Aufenthaltsqualität. Eine Umgestaltung wird seit längerem diskutiert.
  • Äußere Mariahilfer Straße (15. Bezirk): Viel Platz für den PKW-Verkehr, wenige Bäume im Vergleich zur inneren Mariahilfer Straße, gefährlich für Radfahrer. Und das im Bezirk mit den wenigsten Autos pro Einwohnern in ganz Österreich.
  • Josefstädter Straße (8. Bezirk): Die 1,1 km lange Hauptschlagader der bürgerlichen Josefstadt ist baumlos, voll von parkenden und fahrenden PKW und wird den dortigen schönen Häusern absolut nicht gerecht.
  • Wallensteinstraße (20. Bezirk): Extrem breite Fahrbahn, fast keine Bäume, keine baulich getrennten Radwege. Aufenthaltsqualität Fehlanzeige.

Es wird keine Maßnahme geben, die immer funktioniert. Manchmal kann eine Straße zu einer Begegnungszone, ein Platz zu einer Fußgängerzone umgebaut werden. In einem anderen Fall wird eine Reduktion von Fahrspuren und der Entfall von Parkplätzen schon eine große Verbesserung bringen. Bisweilen kann eine weniger zentrale Durchzugsstraße vielleicht sogar in der Mitte gekappt werden (um den Transitverkehr wegzubekommen). Und manchmal wird alleine die Pflanzung von Bäumen und das Verlegen eines schönen Pflasters ausreichen, um die Lebensqualität für alle zu heben. In jedem Fall ist klar: Verkehrsberuhigung hat viele Vorteile.

Hermann Knoflacher hält gar eine Reduktion des motorisierten Verkehrs um 90% für möglich. Die verbliebenen 10% würden sich auf Lieferanten, Fahrten für Behinderte, Handwerker und den öffentlichen Verkehr verteilen. Wie würden die obigen Straßen wohl aussehen, wenn 90% des Verkehrs einfach verschwinden würde?

Verkehrsberuhigung darf keine Ruhe geben!

Die Situation am Stephansplatz der 1960er gilt in ähnlicher Form noch heute – und zwar für fast ganz Wien, wie Sándor Békési schreibt:

Die Straßen werden in Wien allgemein von Automobilität beherrscht und sind nur eingeschränkt fußgängerfreundlich. So beanspruchen fahrende oder parkende PKW durchschnittlich mehr als zwei Drittel der Straßenfläche. Zumal für jene Mobilitätsform mit der schlechtesten Umweltbilanz, die lediglich für ein Viertel der Wege in der Stadt benutzt wird. Gehen ist hingegen die einfachste und demokratischste Art und Weise der Fortbewegung.

Menschen gewöhnen sich schnell an den Status quo, ob es nun um Verkehrslärm oder Verkehrsberuhigung, Parkplätze für PKW oder Freiräume für alle geht. Nicht anders ist es zu erklären, dass die Fußgängerzonen im 1. Bezirk einst stark kritisiert wurden, nun aber gerade als Paradebeispiel für erfolgreiche Verkehrsberuhigung gelten. 

Keine politische Partei würde sich heute die Autos auf Stephansplatz & co zurückwünschen. Nicht einmal der Boulevard käme auf die Idee, die Forderung nach einer „Schnellstraße Kärntnerstraße“ zu erheben. Aber trotzdem werden Vorschläge zur Verkehrsberuhigung wieder und wieder torpediert – auch von Teilen der Stadtregierung.

Es darf nicht sein, dass schöne und lebenswerte öffentliche Räume einfach aus politischem Opportunismus und durchschaubarem Taktieren schlechtgeredet, bekämpft und verunmöglicht werden. Alle Parteien und alle Bürgerinnen und Bürger müssen zusammenarbeiten, um unsere Stadt schöner zu machen. Gerade der Klimawandel und die oft kleinen Wohnungen, in denen viele Menschen leben, machen für alle nutzbare öffentliche Räume absolut notwendig.

Das Schlusswort gehört Hermann Knoflacher:

Städte für Menschen müssen von Menschen gehalten, belebt und verändert werden und Menschen sind Zweibeiner, die sich mit eigener Körperenergie fortbewegen und Menschen bleiben, solange sie Zweibeiner sind. Ihre Geschwindigkeit ist niedrig, was sich auch an der Gesundheit der Städte zeigt.

Je näher die Durchschnittsgeschwindigkeit einer Stadt, eines Viertels, einer Siedlung dem Fußgeher kommt, umso vitaler werden diese. Je mehr sich die Geschwindigkeit von der des Fußgehers entfernt, umso unwirtlicher wird die Stadt. Sie wird krank.

Kontakte zu Stadt & Politik

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+43 1 4000 01111

Die Bezirksvorstehungen sind die politischen Vertretungen der einzelnen Bezirke. Die Partei mit den meisten Stimmen im Bezirk stellt den Bezirksvorsteher, dessen Aufgaben u.a. das Pflichtschulwesen, die Ortsverschönerung und die Straßen umfassen.

Die Bezirksvertretungen sind die Parlamente der Bezirke. Die Parteien in den Bezirksvertretungen werden von der Bezirksbevölkerung gewählt, meist gleichzeitig mit dem Gemeinderat. Jede Partei in einem Bezirk kann Anträge und Anfragen stellen. Findet ein Antrag eine Mehrheit, geht er als Wunsch des Bezirks an die zuständigen Stadträte im Rathaus. (Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Sitze in der Bezirksvertretung im Dezember 2020.)
+43 1 4000 81261
 
Vizebürgermeisterin und Stadträtin Kathrin Gaál untersteht die Geschäftsgruppe Wohnen. Zu dieser gehören u. a. die Baupolizei (kontrolliert die Einhaltung der Bauvorschriften u. dgl.), Wiener Wohnen (Gemeindewohnungen) und der Wohnfonds (Fonds für Neubau und Sanierung).

(Die Reihung der Parteien orientiert sich an der Anzahl der Mandate im November 2020.)

Quellen und weitere Infos

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