Nein, das am besten erhaltene Haus in Neubau war es bestimmt nicht. Und wohl auch nicht das prächtigste oder das historisch bedeutendste Gebäude des Bezirks. Aber doch gehörte das Biedermeierhaus in der Zieglergasse 52 zu einem immer rareren Gebäudetypus in Wien: Dem Vorgründerzeithaus.
Eine ganze Epoche verschwindet
Wien hat sein größtes Bevölkerungswachstum und sein heutiges Erscheinungsbild maßgeblich der Gründerzeit (ca. 1848-1918) zu verdanken. Alleine in der Zeit zwischen 1857 und 1910 hat sich die Bevölkerung im Zuge der industriellen Revolution von 676.434 auf 2,031.000 mehr als verdreifacht. Die alten Befestigungsanlagen wurden geschleift, die Ringstraße angelegt, ganze Bezirke binnen weniger Jahre quasi aus dem Boden gestampft. Im Jahr 1850 sind 34 Vororte zu Wien dazukommen. Auch der Bezirk Neubau wurde damals eingemeindet.
Die ein- bis dreigeschoßigen, oft unscheinbaren Häuser in vielen Bezirken sind die letzten Zeugen aus den Jahrzehnten vor der Aufbruchstimmung der Gründerzeit. Und immer mehr dieser Häuser wurden und werden abgerissen oder dem Verfall preisgegeben. Zu groß ist die Rendite, wenn höhere, modernere Wohnhäuser mit Garagen und Balkonen an ihre Stelle treten.
Haus mit Seltenheitswert
Einer dieser letzten Zeugen aus der Vorgründerzeit war das kleine Wohnhaus in der Zieglergasse 52 (Baujahr 1834). Umgeben von höheren Alt- und Neubauten stach es erst auf den zweiten Blick ins Auge.
Keine Schutzzone gegen Hausabrisse
Die Stadt Wien kann alte Häuser mit einer Schutzzone vor dem Abriss bewahren. Der ganze historische Stadtkern und viele Grätzl in den Innen- und Außenbezirken liegen in solchen Zonen. In der Zieglergasse jedoch klafft ein großes Loch in der Schutzzone. Mitten drin: Hausnummer 52.
Schutzwürdigkeit seit 1997 bekannt?
Laut Daten der Stadt Wien wurde das Haus 1997 inventarisiert, das heißt: Seit über 20 Jahren dürfte seine historische Bedeutung bekannt sein. Warum wurde dann 2002 bei der Planänderung keine Schutzzone festgesetzt? Warum wurden aber nur ein paar Meter weiter ganze Häuserzeilen in die Schutzzone hineingenommen? Und warum gilt hier eine so hohe Bauklasse, dass ein Abriss quasi schon mit einkalkuliert und ein Neubau viel rentabler wird?
Dachausbau war schon genehmigt
Noch kurz vor Beginn der Abbrucharbeiten fand sich beim Tor eine Hinweistafel, auf der zu lesen war, dass für 2012 ein Dachgeschoßausbau bereits fertig genehmigt war. Warum letztlich anders entschieden wurde, ist unklar.
Hektischer Abriss
2018 kündigt sich eine Änderung der Bauordnung an: Abbrüche von Althäusern werden genehmigungspflichtig – auch außerhalb von Schutzzonen. Damit wird eine jahrelange Forderung von Denkmalschützern umgesetzt. Auch das Haus in der Zieglergasse scheint gerettet.
Aber der Eigentümer kommt der Gesetzesänderung zuvor: Nur wenige Tage vor Inkrafttreten der neuen Bauordnung wird das Gebäude abgerissen – zur selben Zeit wie die historischen Häuser am Mariahilfer Gürtel, in der Karolinengasse (4. Bezirk), der Radetzkystraße, der äußeren Mariahilfer Straße und in Ottakring.
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Quellen
- Abrissbirne am Neubau: Aus für Gründerzeithäuser (2018): meinbezirk.at/neubau/c-lokales/abrissbirne-am-neubau-aus-fuer-gruenderzeithaeuser_a209589
- Abrisshäuser: Hälfte gilt als erhaltenswert (2018): wien.orf.at/v2/news/stories/2925234/
- Dehio Wien (II.-IX. u. XX. Bezirk, 1993, S. 320)
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