Das über zwei Parzellen gehende Gründerzeithaus in der Ottakringer Heigerleinstraße 20-22 wurde im Juni 2018 abgerissen. Nur zwei Wochen vor der Änderung der Wiener Bauordnung, die das Haus vermutlich vor dem Abbruch gerettet hätte. Der Altbau war 1906 erbaut worden, auffällig waren die secessionistischen Stilelemente.
Hinweis: Der 2018 erschienene Artikel wurde mehrmals aktualisiert (zuletzt im Dezember 2022).
2014: Keine Schutzzone für die Heigerleinstraße
„In Gefahr brachten das Haus eigentlich Stadt und Bezirk bereits im Jahr 2014“, schrieb die Journalistin Nina Kreuzinger in der Wiener Zeitung. In diesem Jahr wurde der Bebauungsplan für den gesamten Häuserblock geändert. Mit der Planänderung ist unbemerkt von der Öffentlichkeit etwas ganz Entscheidendes passiert: Ab sofort durfte höher gebaut werden. Auch eine Schutzzone (die Abrisse erschwert) wurde nicht festgelegt. So kamen viele Häuser unter wirtschaftlichen Druck.
Einzig die Initiative Denkmalschutz hat bemerkt, welcher Gefahr die alten Häuser durch den neuen Bebauungsplan ausgesetzt wurden. Dazu hat der unabhängige Verein auch eine Stellungnahme verfasst:
Grundsätzlich wird im Sinne der Erhaltung des örtlichen Stadtbildes und der Altstadterhaltung, also zur Gewährleistung des Bestandes, eine bestandsgenaue Widmung für die historischen Objekte im Plangebiet sowohl in der Höhenentwicklung, als auch hinsichtlich der bebaubaren Fläche vorgeschlagen. Dadurch wird auch am ehesten – neben der Festsetzung einer Schutzzone – der Anreiz für Abbruch und Neubau vermieden (…)
Es wird vorgeschlagen für folgende Häuser, die gemeinsam ein zusammenhängendes Ensemble bilden, eine Schutzzone zu widmen: Degengasse 50 bis 56 (…) sowie für die Häuser Heigerleinstraße 18 bis 34A (…)
Behörden und Politik ignorierten die detaillierten Informationen samt Vorschlägen für neue Schutzzonen jedoch. Auch nachträglich kam es nicht zur Einrichtung von Schutzzonen. Mit weitreichenden Folgen.
2018: Abriss wegen fehlender Schutzzone
2015 schloss der Glasereibetrieb im Haus. Die letzten Mieter zogen zwei Jahre später aus. Im Frühjahr 2018 war zu hören, dass das Gründerzeithaus wohl abgerissen werden soll.
Ob man in der Bezirksvorstehung frühzeitig von den Abriss- und Neubauplänen gewusst hat, lässt sich nicht sagen. Die Vorgänge in politischen Ausschüssen und der Baupolizei sind nicht öffentlich einsehbar.
Zumindest im April 2018 kam Bewegung in die Sache. Das Fehlen von Schutzzonen für historische Gebäude wurde offenkundig: Mit mehreren Anträgen in der Ottakringer Bezirksvertretungssitzung forderten die Fraktionen Schutzzonen – auch für die Heigerleinstraße. Doch diese Forderungen kamen viel zu spät, denn bis Schutzzonen tatsächlich eingerichtet sind, können Jahre vergehen.
Ende Juni 2018 trat die verschärfte Wiener Bauordnung in Kraft. Durch diese Novellierung sind historische Häuser auch außerhalb von Schutzzonen besser gegen Abbrüche geschützt. Doch für das Haus in der Heigerleinstraße kam dieses Gesetz zu spät. Dazu Nina Kreuzinger:
Ab 11. Juni [2018] starten Arbeiten zur Abtragung der Substanz im Inneren des Hauses. Eine Woche später steht die Abbruchfirma vor der Tür.
Ende Juni 2018 war von dem Gebäude nichts mehr übrig.
2021: Neubau wird errichtet
2020 hindurch wurde am Neubau gearbeitet. Im Jänner 2021 war der Rohbau fertig.
Der Floris genannte Neubau wird entwickelt von einem Wiener Bauträger, der darin freifinanzierte Eigentumswohnungen errichtet:
Inmitten des beliebten Wohnbezirks Ottakring, in der Heigerleinstraße 20-22, entsteht mit FLORIS eine Wohnhausanlage, die ein stimmiges, neues Wohnerlebnis schafft (…) Die 44 Wohnungen und 5 Townhouses verfügen alle über Freiflächen in Form von Eigengärten, Balkonen oder Terrassen (…) Hier findet der neue Wohnsinn statt.
Entworfen hat das neue Gebäude das Architekturbüro Dollfuss aus Niederösterreich, das sich selbst u. a. so charakterisiert:
Wir verstehen Architektur als Versuch Räume zu entwickeln, welche auf ihre Umgebung reagieren und sich auf die NutzerInnen einlassen. Unterschiedliche Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen werden in unsere Planung aufgenommen und bestmöglich umgesetzt.
Wie bei vielen anderen Neubauten ist die Erdgeschoßzone niedrig und wirkt zumindest auf dem Rendering (siehe oben) ästhetisch wenig ansprechend. Auf hochwertige Materialien wie Sichtziegel wird offenbar verzichtet, obwohl gerade solche Baustoffe für Ottakring mit seiner industriellen Vergangenheit typisch sind.
Die weit auskragenden Balkone mögen für die neuen Bewohner von Vorteil sein, Rücksicht auf die Nebenhäuser nimmt die Architektur des Neubaus damit aber nicht.
Auch eine große Garage ist Teil des Neubaus. Die Errichtung einer Garage steht Bauträgern übrigens nicht frei, sondern ist gesetzlich vorgeschrieben. Die dahingehenden Bestimmungen lassen sich bis zur Reichsgaragenordnung zurückverfolgen – ein Gesetz aus dem Nationalsozialismus. Dieses Gesetz wurde 1957 in ein Wiener Landesgesetz übernommen, das mit zahlreichen Veränderungen bis heute gilt.
2022: Neubau fertig
Etwa vier Jahre nach dem Abriss des Altbaus wurde der Neubau fertiggestellt.
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Weitere Infos
- Stellungnahme der Initiative Denkmalschutz (2014): initiative-denkmalschutz.at/presseaussendungen/stellungnahme-planentwurf-8082-ottakring-seeboeckg-seitenbergg-1042014/
- Noch schnell ein Haus abreißen, Artikel von Nina Kreuzinger in der Wiener Zeitung (2018): wienerzeitung.at/nachrichten/politik/wien/973906-Noch-schnell-ein-Haus-abreissen.html
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